Skip to main content

Full text of "Texte und Untersuchungen zur Geschichte der altchristlichen Literatur"

See other formats


i*f  I  I ' 


^3QSäfjLtZ7l2C33 


«tffiVit 


TEXTE  Dil)  I'NTERSIXMGEN 


ZUR  GESCHICHTE  DEK 


ALTCHRISTLICHEN  LITERATUR 


HERAUSGEGEBEN 


VON 


OSCAR  von  aEBHARDT  und  ADOLF  HAMACK 


ZWÖLFTER  BAND 


LEIPZIG 
J.  C.  HINRICHS'SCHE  BUCHHANDLUNG 

1895 


INHALT  DES  ZWÖLFTEN  BANDES. 


Schlatter,  Adolf,  Der  Chronograph  aus  dem  zehnten  Jahre 
Antonius.    94  S.  1894. 

Harnack.  Adolf,  Zur  Überlieferungsgeschichte  der  altchristlichen 
Litteratur.  32  S.  1894. 

Noeldechen,  E.,  Tertullian's  Gegen  die  Juden  auf  Einheit,  Echtheit, 
Entstehung  geprüft.    IV,  92  S.  1894. 

Pape,  Paul,  Die  Predigt  und  das  Brieffragment  des  Aristides 
auf  ihre  Echtheit  untersucht.    34  S.  1894. 

Goltz,  Eduard  Freiherr  von  der,  Ignatius  von  Antiochien  als 
Christ  und  Theologe.  Eine  dogmengeschichtliche  Unter= 
suchung.    X,  206  S.    1894. 

Klostermann,    Erich,    Griechische    Excerpte    aus   Homilien    des 

Origenes.  12  8.    1894. 
Rolffs,  Ernst,  Urkunden  aus  dem  antimontanistischen  Kampfe  des 

Abendlandes.      Eine    Quellenkritische    Untersuchung.     VII, 

167  S.    1895. 
Harnack,  Adolf,  Zur  Abercius-Inschrift.  28  S.  1895. 


Heft  1. 


Heft  2. 


Heft  3. 


Heft  4. 


Digitized  by  the  Internet  Archive 

in  2011  with  funding  from 

University  of  Toronto 


http://www.archive.org/details/texteunduntersuc12akad 


DER 

CHRONOGRAPH 

AUS  DEM 

ZEHNTEN  JAHRE  ANTONIUS 

VON 

ADOLF  SCHLATTER 


ZUR  ÜBERLIEFERUNGSGESCHICHTE 

DER 

ALTCHRISTLICHEN  LITTERATUR 

VON 
ADOLF  HARNACK 


LEIPZIG 

J.  C.  HINRICHS'SCHE  BUCHHANDLUNG 

1894 


Verlag  der  J.  C.  HINIMCIIS'-flici)  Buchhandlung  in  Leipzig. 

Texte  und  Untersuchungen  zur  Geschichte  der 

Altchristlichen  Literatur 

herausgegeben  von  Oscar  von  Gebhardt  und  Adolf  Harnack. 

I-III.  IV  1/3.  V-IX.  X  1.  XI  XII  1.    M.  247  - 

I,  1/2.  Die  Überlieferung  der  griechischen  Apologeten  des  zweiten  Jahrhunderts  in 
der  alten  Kirche  und  im  Mittelalter,  von  Adolf  Harnack.    VIII,  300  S.  1882. 

M.  9  — 

I,  3.     Die  Altercatio  Simonis  Iudaei  et  Theophili  Christiani  nebst  Untersuchungen 

über  die  antijüdische  Polemik  in  der  alten  Kirche,  von  Adolf  Harnack. 

Die  Acta  Archelai  und  das  Diatessaron  Tatians,  von  Adolf  Harnack. 

Zur  handschriftlichen  Überlieferung   der  griechischen    Apologeten.    I.    Der 

Arethascodex,  Paris.  Gr.  451,  von  Oscar  v.  Gebhardt.  III,  196  S.  1883.  M.  6  — 

I,  4.    Die  Evangelien  des  Matthäus   und  des  Marcus  aus    dem  Codex  purpureus 

Rossanensis,  herausgegeben  von  Oscar  v.  Gebhardt. 
Der  angebliche  Evangeliencommentar  des  Theophilus  von  Antiochien,   von 
Adolf  Harnack.    LIV,  176  S.    1883.  M.  7.50 

II,  1/2.  Lehre   der  zwölf  Apostel,    nebst   Untersuchungen  zur  ältesten  Geschichte 

der  Kirchenverfassung  und  des  Kirchenrechts  von  Adolf  Harnack.    Nebst 

einem  Anhang:  Ein  übersehenes  Fragment  der  Jiffa%rj  in  alter  lateinischer 

Übersetzung.    Mitgetheilt  von  Oscar  v.  Gebhardt.  70  u.  294  S.  1884.   M.  10  — 

(II,  1/2.  einzeln  nur  in  anastatischem  Druck  (1893)  käuflich.) 

II,  3.    Die  Offenbarung  Johannis,    eine  jüdische  Apokalypse   in    christlicher  Be- 

arbeitung, von  Eberh.  Vischer.   Mit  Nachwort  von  Adolf  Harnack.  137  S.  1886. 

M.  5  — 
II,  4.  Des  heil.  Eustathius,  Erzbischofs  von  Antiochien,  Beurth eilung  des  Origenes 
betr.  die  Auffassung  der  Wahrsagerin  l.  Könige  [Sam]  28  und  die  dies- 
bezügliche Homilie  des  Origenes,  aus  der  Münchener  Hds.  331  ergänzt 
und  verbessert,  mit  kritischen  und  exegetischen  Anmerkungen  von  Alb. 
Jahn.    XXVII,  75  S.    1886.  (Einzelpreis  M.  4.50);  M.  3.50 

II,  5.     Die    Quellen    der   sogenannten    apostolischen  Kirchenordnung,    nebst  einer 

Untersuchung  über  den  Ursprung  des  Lectorats  und  der  anderen  niederen 
Weihen,  von  Adolf  Harnack.    106  S.    1886.  M.  4  — 

III,  1/2.  Leontius  v.  Byzanz  und  die  gleichnamigen  Schriftsteller  der  griechischen 

Kirche  von  Friedr.  Loofs.    1.  Buch:    Das  Leben  und  die  polem.  Werke  des 
Leontius  v.  Byzanz.    VIII,  317  S.    1387.  M.  10  — 

III,  3/4.  Aphrahat's  des  persischen  Weisen  Homilien,  aus  dem  Syrischen  übersetzt 

und  erläutert  von  Georg  Bert. 
Die  Akten  des  Karpus,  des  Papylus  und  der  Agathonike.    Eine  Urkunde  aus 
der  Zeit  Marc  Aureis,  von  Adolf  Harnack.    LH,  466  S.    1888.  M.  16  — 

IV.  Die  griechischen  Apologeten. 

1.  Tatiani  oratio  ad  Graecos.    Recens.  Ed.  Schwartz.   X,  105  S.    1888.       M.  2.40 

2.  Athenagorae  libellus  pro  Christianis.    Oratio  de  resurrectione  cadaverum. 

Recens.  Ed.  Schwartz.    XXX,  143  S.    1891.  M.  3.60 

3.  Die  Apologie  des  Aristides.    Recension    und  Reconstruction  des  Textes  von 

Lic.  Edgar  Hennecke.    XX,  64  S.    1893.  M.  3  — 

Partiepreis  M.  2  — 

4.  Theophili  libri  tres  ad  Autolycum.   Recens.  Ed.  Schwartz.  1  jn  yorDe_ 

5.  Iustini  martyris   apologia  et  dialogus  cum  Tryphone  Iudaeo.     }  rpitnnfr 

Recens.  0.  de  Gebhardt  et  A.  Harnack.  )   1BiLune- 

Diese  Ausgaben  der  Griechischen  Apologeten  sind  nur  mit  kurzem 
sprachlichen  Commentar  und  Registern  versehen  und  sollen  zum  Gebrauch 
bei  Vorlesungen  oder  in  Seminaren  dienen ,  weshalb  auch  deren  Preise 
möglichst  niedrig  gestellt  wurden. 

Fortsetzung  auf  Seite  III  des  Umschlags. 


DER 

CHRONOGRAPH 

AUS  DKM 

ZEHNTEN  JAHRE  ANTONINS 

VON 
ADOLF  SCHLATTER 


ZUE  ÜBEBLIEFERUNGSGESCHICHTE 

DER 

ALTCHRISTLICHEN  LITTERATÜR 

VON 
ADOLF  HARNACK. 


LEIPZIG 

J.  C.  HINRICHS'SCHE  BUCHHANDLUNG 

1894 


SEP  1937 


DER 


CHRONOGRAPH 


AUS  DEM 

ZEHNTEN  JAHEE  ANTONINS 

VON 

D.  A.  SCHLATTER 

PROF.  IN  BERLIN 


INHALT. 

Seite 

1.  Die  Auslegung  Daniels  Strom.  1,  21 2 

2.  Die  Liste  der  Kaiser,  Ptolemäer  und  Perser  bei  Klemens ....  13 

3.  Tertullians  Berechnung  der  Jahrwochen 15 

4.  Hippolyt  und  Julius ...  20 

5.  Eusebs  Juda 25 

6.  Der  Bischof  Juda 28 

7.  Die  Beziehungen  des  Verwandten  Jesu  zu  Justus  von  Tiberias .     .  37 

8.  Die  biblische  Chronologie  des  „Jemand"  Strom.  1,  21 47 

9.  Theophilus  von  Antiochien 56 

10.  Das  singulare  2148 58 

11.  Der  „gefälschte"  Josephus  des  Origenes 66 

12.  Der  Bericht  des  Epiphanius  über  den  Tod  des  Jakobus      ....  75 

13.  Problematisches 83 

a.  Die  Spalte  im  Felsen  von  Golgotha 83 

b.  Die  Bauten  Hadrians  in  Aelia 86 

c.  Akiba  bei  Epiphanius 87 

d.  Kokaba 89 

14.  Schluss 92 


ßQ 

TB 


Der  Chronograph  aus  dem  zehnten  Jahre  Antonius. 

Die    kurzen   Bemerkungen   über   dieses  Thema   „zur  Topo- 
graphie und  Geschichte  Palästinas"  S.  142.  403  haben  auf  Schürer 
den    Eindruck    gemacht:    ich    spiele   mit   leeren    Vermuthungen, 
Theol.  L.-Z.  1893,  13.    Nach  meiner  Meinung  sind  meine  Schlüsse 
ernsthaft  dem  Grundsatz  unterthan,  dass  unser  historisches  Wis- 
sen   genau    an    derselben    Stelle    zu    Ende    ist,  wo    die    Zeugen 
enden.     Was  ich  anstrebe,  ist  nur  die  sorgfältig  kritische  Aus- 
nützung  derselben.     Ich   verstehe   darunter  nicht  eine  Zvveifelei, 
der   schliesslich   auch   das   echteste  unecht  scheint,  sondern  das 
Bestreben  und  Vermögen,  durch  das  junge  hindurch  das  alte  zu 
fassen   und    auch    mittelst    der    sekundären    und    überarbeiteten 
Gestaltungen  soweit  möglich  das  ursprüngliche  zu  sehn.     Diese 
kritischen  Operationen   gleichen   allerdings,   wie  Schürer  richtig 
sagt,  oft  einem  „Kartenhaus",  weil  für  die  jüdische  Geschichte  die 
Zeugnisse  bekanntlich  äusserst  spärlich  sind  und  sich  nicht  jede 
Beobachtung  durch  eine  reiche  Induktion  sichern  lässt.    Gerade 
dess wegen  veröffentliche  ich  sie.    Beobachtungen  lassen  sich  nicht 
erzwingen,  sondern  sind  ein  Geschenk  des  Zufalls.    Nur  dadurch, 
dass  wir  sie  zusammenfügen,  werden  unsre  historischen  Urtheile 
fest.    Auch  die  kurzen  Sätze  über  den  Chronographen  rechneten 
auf  die  Kooperation   derjenigen   Kollegen,    die  im  patristischen 
Gebiet    sachkundiger   sind,   als    ich.     Da  aber  Schürer  lediglich 
protestirt  hat  und  Harnacks  Geschichte  der  altchristlichen  Litte- 
ratur   S.  755   die   zu  Grunde  liegende  Beobachtung  zwar  notirt, 
aber  nicht  ausbaut  und  weiterführt,  nehme  ich  in  der  Sache  noch 
einmal  das  Wort.    Dass  auch  in  dieser  Gestalt  meine  Sätze  nur 
ein  Anfang  sind,  liegt  auf  der  Hand. 

Texte  u.  Untersuchungen  XII,  1.  1 


■)  Schlatter.  Chronograph. 

1. 

Die  Auslegung  Daniels  Strom.  1,  21, 

Im  Anschluss  an  Tatian  and  Kassians  Exegetika  bew< 
Klemens,  dass  die  griechische  Religion  und  Philosophie  neben 
Ismeis  Propheten  jung  sei,  und  giebi  zu  diesem  Zweck  eine 
vollständige  Chronologie  d(>v  jüdischen  und  griechischen  Ge- 
schichte von  Mose  bis  zum  Exil,  welche  auf  der  Gleichzeitigkeit 
des  Mose,  Inachus  und  Amosis  beruht.  Da  aber  auch  die  Zahlen 
Daniels  für  die  christliche  Chronologie  von  Wichtigkeit  gewesen 
sind,  fügt  er  eine  Erklärung  derselben  bei.  Diese  Stücke  heben 
sich  durch  Sprache,  Zusammenhangslosigkeit,  besondre  Chrono- 
logie und  eigen thümliche  Eschatologie  scharf  von  der  übrigen 
Ausführung  ab. 

a. 

P.  393:  ji8jrZ?e]QC0T(XL  roivvv  tx  r?jg  ar/fiaZcoocag  rf,Q  tjzl 
'hgefiiov  rov  jiootpSjTov  dg  Baßvlwva  yevof/tvrjg  zä  vjio  Aa- 
vujl  rov  ütQoeprjTOV  elQTj^tva  ovrmg  tyovra'  Citirt  wird  Dan. 
9,  24 — 27  nach  Theodotion,  an  dessen  Worte  sich  auch  die  er- 
klärenden Sätze  halten.  Da  wir  über  die  Zeit  Theodotions  nichts 
wissen,  ergiebt  sich  hieraus  kein  kritischer  Schluss.  Falls  meine 
Schlussreihe  das  richtige  trifft,  stellt  sie  fest,  dass  schon  in  der 
palästinensischen  Christenheit  zur  Zeit  Antonins  Daniel  nach 
Theodotion  gelesen  worden  ist.  Der  Schluss  des  Citats  hat 
einige  kritische  Wichtigkeit,  xal  övvapimöst  öia-d-rjxrjv  jio)Jj]v 
(Theod.  jiollolq)  eßdoficcg  fila  xal  (Theod.  xal  ev  reo)  7/fxloei 
x?jg  eßöofiaöog  aoftr/Oeral  fiov  {rvoia  xal  öjtovörj  xal  sjtl  to 
isqov  ßöiZvyfia  to  *)  [Theod.  r<5r]  eQT]tuoj6£a>v  xal  tcoq  (Theod. 
fc'cöc  TTjg)  öWTslelag  xaigov  owreZeia  öodrjösxat  ejtl  t?jv  £Q?'j- 
ItmOiv.  xal  Tjniöv  zrjq  tßöoftaöog  xaxauiavou  {rvfiiafia  {rvolag 
xal  jiTSQV/lov  dtpaviOfiov  ta>g  ovvreZdag  xal  Ojtovöijg  ra^iv 
a(pavLö(iov.  27  b  ist  hier  doppelt  übersetzt.  Während  im  Vul- 
gärtext Theodotions  der  zweite  Satz:  xal  rffiiov  .  .  .  acpaviOfiov 
fehlt,  giebt  auch  der  Cod.  Alex,  die  Doppelübersetzung,  aber 
mit   umgekehrter  Folge   der  Sätze,   und  genau  in  derselben  Ge- 


1)  ro  kann  aus  xdiv  oder  tu  verdorben  sein:  ßöe/.vyfiara.    Vgl.  ö^sipw. 


1.    Die  Auslegung  Daniels  Strom.  1,  21.  ;», 

stalt  hat  sie  der  Vat.  am  Rand.  Auf  ev  xm  ?}[Üö£l  rr/g  tßöo- 
(iäöoq  folgt  hier:  xarajiavöei  ftvöiaortjCHOV  (Vat.  frvoiaör/jQia) 
xal  S-volav  (Vat.  ftvoiag)  xal  tcoq  jirsQvylov  dm)  ä<pavLötuoc 
xal  tog  owreZelag  xal  ojrovdyg  rd^et  im  dtpaviöfiov ,  worauf 
die  Worte  xal  övvaftcooti  öia&rjxijv  Jiolloig  tßöofidg  [iia  xal 
h>  reo  fjßiöet  r//j  eßdofldöoq  zum  /weitenmal  folgen  mit  aQxh)- 
osTat  .  .  .  £qtj(1(oCiv. 

Die  Doublette  xal  övvaficoöei  etc.  macht  deutlich,  dass  im 
Alex,  eine  gemischte  Recension  erhalten  ist,  welche  Handschriften 
voraussetzt,  von  denen  die  eine  nur  den  einen,  die  andre  nur 
den  andern  Abschluss  der  WeissaL!;unL>;  enthielt. 

Der  im  Vulgärtext  Theodotions  allein  erhaltene,  bei  Kle- 
mens  an  erster  Stelle  stehende  Satz  xal  ev  reo  tjfilöet,  .  .  .  ert^fico- 
Öiv  ist  im  wesentlichen  der  Text  der  Septuaginta.  Der  zweite 
wird  der  echte  Theodotion  sein.  Denn  für  rrns  TOam 
~nx  JFlStt)  D^S*lb  hat  Theodotion  gesagt:  xal  öwaftwöei  öiaOr/x^v 
jtoXlolg  tßöo^dg  y.ia\  hiezu  ist  für  yntt?n  ^SHI  nicht  xal  ev 
T(Z  i/ulou  rr/g  tßöofidöog.  sondern  das  nur  noch  bei  Klemens 
erhaltene  xal  r^iLOv  rtjg  tßöofidöog  mit  seinem  aktiven  Verbum 
xarajtavosc  die  Fortsetzung.  Die  Woche  thuts  bei  Theodotion; 
sie  macht  den  Bund  stark  und  beseitigt  das  Opfer.  Im  folgen- 
den Gliede  anerkennt  dieser  Uebersetzer  D^SIpÜ  nicht;  er  las: 
z^'cc  r:r  tFi:  xal  twg  jtTSQvylov  djto  dcpaviöfiov.  Aber 
auch  V.  26  gab  Theodotion  für  fiTattttJ:  dpaviöfiolg,  und  endlich 
haben  die  mir  nicht  verständlichen  Schlussworte:  rdt-ei  km 
a(pavLöfXov  (Klem.  xd^iv  dcpavionov)  deutlich  Beziehung  zu  V.  26 
övvTETurjfitvov  rat- ec  dcpaviGfiolc  (Klem.  6vvrsT{urjkuavot  dcpavio- 
HOlg). 

Das  Motiv  der  Glossirung  ist  leicht  zu  erkennen.  ßöt-Zvyfta 
bQrjumoecog  ist  der  durch  Jesu  Weissagung  für  die  Kirche  un- 
entbehrlich gewordne  Ausdruck.  Darum  wurde  der  letzte  Satz 
Theodotions  zunächst  aus  der  Septuaginta  glossirt;  hernach  stiess 
in  dem  schon  von  Hippolyt  vertretenen  Vulgärtext  die  Glosse 
den  Schlusssatz  ab  oder  verwies  ihn  an  den  Rand.  Wir  lesen 
bei  Klemens  eine  bereits  christliche,  aber  dem  Vulgärtext  und 
auch  der  durch  den  Vorgänger  des  Vat.  und  den  AI.  dargebotenen 
Itccension  vorangehende  Textgestalt. 

Nun  folgt  die  Auslegung:  ort  f/ev  ovv  ev  tjtrd  tßdo/idotv 
cijxoöouijihi  o  vaog,  rovro  cpaveoov  loxt'   xal  ydr>  Iv  reo  'Egöqu 

1* 


4  Schlatter,  Chronograph. 

ytjQajTrai,    xal    ovrcog    lyivcXO    y^taroq     ßaoiZevq    Iovöcdan 
y/yovfitvog,   jthjQov/isvajp   tojv    \jitu    kßöofldöcov   kv    'leQOVi 
h'm.    Das  eingeklammerte ßaöiJLevg *)  ist  unerträglich,  und  bri 

die  ganze  Auslegung  um  ihren  Sinn.    Sic  bezieht   das  Ende  der 
7   Wochen   richtig  auf  den  Tempelbau  und  die  Erfüllung 

derselben  könne  man  bei  Esra  lesen.  Bei  Esra  liest  man  aber 
nichts  von  einem  „gesalbten  König  der  Juden".  Der  AusL 
hat  tooq  xqi6tov  nyoviiivov  korrekt  vom  neuen  Hohepriester- 
thum  verstanden2).  Die  messianische  Fassung  des  Worts  ist 
Glosse,  sei  es  schon  des  Klemens,  oder  wahrscheinlicher  der 
spätem  Textüberlieferung. 

Nachdem  die  7  Wochen  erklärt  sind,  werden  die  62  Wochen 
erläutert:  xal  sv  ralq  t^rjxovxaövo  tßöofidöcv  rjovyaosv  djtaoa 
7]  ^Iovöaia  xal  sytvsxo  avev  jtoZs\uojv'  xal  o  xvgioq  ?][i&v 
XQiördg  dyioq  xoov  aylcov  tZ&eov  xal  Jilr/QOJüaq  xr/v  ogaotv 
xal  xov  jtQO<pfjTT]v  sxQtod-T]  xrjv  ödgxa  Top  xov  jtaxQoq  avxor 
jivsvfiaxi  sv  xavxaiq  ralq  tt-rjxovraövo  sßöofiäoiv,  xa&coc  sljtev 
o  jtQO(prjX7)q.  Ein  weiteres  Hauptstück  in  Daniels  Weissagung 
ist  durch  Jesu  Erscheinung  erfüllt.  Mit  yjQloai  ayiov  aylcov 
hat  er  den  Allerheiligsten  und  durch  den  Geist  Gesalbten  ge- 
weissagt, und  „die  Besieglung  des  Gesichts  und  des  Propheten" 
ist  durch  Jesus  geschehn.  Aber  sein  Kommen  bildet  nicht  den 
Endpunkt  der  Danielschen  Rechnung;  denn  „in  diesen  62  Wochen'- 
kam  der  Herr.  Die  christologische  Formel,  die  er  braucht,  giebt 
das  einfachste  Element  der  apostolischen  Predigt:  er  ist  der  am 
Fleisch  mit  dem  Geist  seines  Vaters  gesalbte. 

Es  bleibt  noch  die  Erklärung  der  einen  Woche  übrig:  xal 
sv  zf]  fiia  tßöofiaöi  xrjq  [Dind.  rjq]  tßdofidöoq  xo  ?]fiiov  xaxtöyt 
Nsqoov  ßaöilevoov  xal  hv  xrj  ayia  Jiblsi  'lsoov6aX?)[i  soxrjöt 
xo  ßdtZvyfia  xal  sv  top  rjftiost  x?jq  tßöo{uddoq  dvijoeft?]  xal 
avxöq  xal  "Oftoov  xal  rdlßaq  xal  Ovixsllioq,  OvsöJtaoiavoq 
ds  sxgdxrjös  xal  xa&sils  xrjv  'isoovöaZr/fi,  xal  ro  ayiov  rjQTjfiooös. 
xal    wq    ravO-'    ovxooq    syst,    T0P    &    P  7e]    övvisvai    övvaf/svqo 

1)  Damit  ist  auch  'iovöalwv  zweifelhaft.  Fraidl,  die  Exegese  der 
70  Wochen  Daniels  in  der  alten  und  mittlem  Zeit,  Graz  1883,  erklärt 
„die  einheimischen  Fürsten";  aber  der  gesalbte  König  passt  weder  auf 
Josua  noch  auf  Serubabel. 

2)  Ebenso  Hippolyt  und  Julius. 


1.    Die  Auslegung  Daniels  Strom.  1,  21.  5 

örjlov,  xa&a  xal  6  jiQO(p?jxtjq  siqtjxev.  Das  folgende  ist  damit 
ohne  jeden  Zusammenhang. 

Daniel  hat  auch  die  Zerstörung  des  Tempels  geweissagt;  auf 
diese  geht  die  eine  besonders  ausgezeichnete  Woche.  Wie  aber 
Dindorf  den  Text  giebt,  entsteht  kein  Satz.  Er  zieht  die  voran- 
gehende Zeitbestimmung  herüber:  hv  xavxaiq  xalq  h&jxovxaövo 
tßöofiaöiv  xaftcQQ  sljtev  6  jtQo^f/XTjq,  xal  hv  x7\  fiia  tßöofiaöt. 
Mir  scheint  das  wenig  überlegt;  denn  die  62  und  die  eine  Woche 
können  nicht  im  selben  Athemzug  erklärt  werden,  da  sie  auf 
verschiedne  Ereignisse  gehn.  hv  xavxaiq  .  .  .  bis  jtQO<p?]xrjq  geben 
den  glatten  und  durchsichtigen  Schluss  zum  vorangehenden  Satz. 
Zudem  bekommen  wir  für  diese  Zeitbestimmung  nicht  einmal 
eine  Aussage.  Klemens  hat  geschrieben:  „und  in  der  einen 
Woche  die  Hälfte  der  Woche  hatte  Nero  als  Kaiser  inne".  Das 
von  Potter  gegebne  6  xvQioq:  xal  hv  xy  f/ia  Ißöofiaöt  6  xvgioq 
sßdo/iaöoq  xo  ijfiiöv  ist  vollends  verwerfliche  Glosse;  es  zersprengt 
nicht  nur  den  Satz,  sondern  auch  den  Gedanken.  Die  eine 
Woche  endet  mit  dem  Tempelbrand,  wo   der  Herr  nicht  kam. 

Die  Wende  in  der  einen  Woche  tritt  mit  Neros  Ermordung 
ein.  Die  drei  kurzen  Regierungen  sammt  den  beiden  ersten 
Jahren  Vespasians,  welche  durch  den  jüdischen  Krieg  ausgefüllt 
sind,  bilden  die  zweite  Hälfte  der  Woche. 

Voran  geht  die  Aufstellung  des  ßöhZvyfia  durch  Nero.  Bei 
Josephus  hat  der  Chronograph  nichts  gefunden,  was  diesem  Satz 
zur  Basis  dienen  könnte.  Allerdings  beginnt  dort  der  jüdische 
Krieg  mit  einem  Attentat  des  Florus  auf  den  Tempel;  allein 
dasselbe  betrifft  nur  den  Tempelschatz.  Der  Greuel,  den  Nero 
aufstellt,  beruht  auf  dem  Wort  Jesu,  Matth.  24.  Da  nach  Jesu 
Weissagung  mit  dem  ßöhXvyna  die  Noth  über  Judäa  kommt,  hat 
es  folgerichtig  Nero  aufgestellt.  Sprachlich  sind  die  Sätze  durch 
das  einförmige  „und"  gekennzeichnet:  „und  so  gab  es  einen  ge- 
salbten Führer  in  Jerusalem  und  es  war  ganz  Judäa  ruhig  und 
es  war  ohne  Kriege.  Und  unser  Herr  wurde  gesalbt  ...  in  den 
62  Wochen.  Und  in  der  einen  Woche  besass  Nero  ihre  Hälfte 
und  in  der  heiligen  Stadt  Jerusalem  stellte  er  den  Greuel  auf 
und  in  der  Hälfte  der  Woche  wurde  er  getötet  ...  Und  dass 
sich  das  so  verhält,  ist  offenbar.  Jüdischen  Charakter  haben 
auch  die  Citationsformeln :  jc&jiZ7jqcqtcci  xa  vjio  Aavirjl  xov 
JtQorprjxov    eigrititva    ovrcoq    r/ovxa,    womit    Matthäus    zu   ver- 


i;  Schlatter,  <  Ihronograph. 

gleichen  Lsi  and  «las  stabile  ittttfö  rrc  D^pb  der  Rabbinen;  xcu 
ydo  ev  tu)  'EoÖQa  ytyoajiTai.  ohne  Cital  als  selbständig« 
womit  frg.  c  zu  vergleichen  ist:  xal  tovto  ytyoajiTat  ovi 
auch  dieses  ovTcag  bei  ytyfjajtrcj  is!  jüdisch  stabil:  z^rr  "izir.  und 
in  der  negativen  Wendung:  tfbtf  p  z^rz  "pX;  xa&mq  ütiiv  6 
jz()0(pijT?]g,  xadd  xdi  o  JiQO<pqTT]g  UQrpcev,  wie  es  auch  ähnlich 
in  frg.  d  steht:  xa&mg  elQipce  Javir/X  o  JtQog>/}TT]Q'  elorpce  ö% 
und  frg.  c:  tovto  xal  o  Jinocp/'/Ti/g  eiJtsv  xal  tu  ',  rayyü.tov. 
Bei  den  Rabbinen  ist  das  Passiv  häufiger:  ^EtfZL":  oti  uo/jTai. 
allein  aktive  Formeln  fehlen  auch  nicht:  &On:n  T£fcc  'pb  z.  B. 
shem.  r.  76  b  und  "PH  113 Ä  1.  c.  76  a.  frg.  d  giebt  dafür  das  be- 
kannte Präsens:  xal  Ötd  tovto  Xiyu  AavLrjl,  das  auch  rabbi- 
nisch  ganz  gewöhnlich  ist:  TOIX  tfin  pl,  auch  mit  dem  Namen 
des  Propheten:  1E1X  btfpTfi"1  pl,  1E1»  Tm  plö,  TttlK  lrTW*  70" 
etc.  vgl.  beispielsweise  shem.  r.  50  a.  80b.  etc. 

Diese  Auslegung  Daniels  hat  sich  in  den  der  Synagoge  ge- 
wohnten Formen  bewegt. 

Wenig  Wechsel  und  Gelenkigkeit  in  der  griechischen  Rede 
zeigen  die  vorangestellten  Subjektssätze:  6% t  fthv  ovv  sv  sjctcc. 
ißöofcdöcv  qixodofirjfr?]  o  vaog,  tovto  (paveoov  Iotiv:  xal  oic 
Tav&'  ovToig  \%u,  tw  6h  övvievai  dvvctfiEvm  dijXov,  und  ebenso 
frg.  c:  otl  öh  tovt  äZrj&eg  Iotiv,  iv  tcq  tvayyeXico  .  .  .  yt- 
yoajiTai  ovToyq  und  xal  oti  hviavTov  tuovov  löst  avTOV  x?]Qv$ai, 
xal  tovto  yaygajiTai  ovTcog. 

Die  Formel  ?/ovyaosv  ajtaoa  r\  Iovöala  ist  ein  biblischer 
Ausdruck:  "p«n  ftupw. 

b. 

P.  404:  jialtv  ts  av  äjiö  Ttjg  ißdof/r/xovTasTOvg  alyjiakoj- 
öiag  xal  t//c  tov  laov  üg  jcaTQomv  yr\v  ajcoxaTaöTaoeojg  eig  t?)v 
alynalcoötav  tt\v  tJil  Ovsöjcaötavov  ett]  övvaysTai  TSTQaxoöia 
dexa'  TelevTala  ös  äjid  Ovsöjiaöiavov:  hier  setzt  Klemens 
seinen  eigenen  Endpunkt  ein,  den  Tod  des  Kommodus,  und 
rechnet  121  J.  6  M.  24  T. 

Hieronymus  zu  Daniel  9  hat  versichert,  dass  Klemens  die 
Zerstörung  Jerusalems  490  Jahre  nach  dem  Exil  ansetze.  Aber 
wie  soll,  wenn  Hieronymus  Recht  hätte,  das  dexa  des  Textes  ent- 
standen sein?  Dagegen  ist  die  These  des  Hieronymus  durchaus 
begreiflich  aus  der  kräftigen  Verwunderung,  die  der  überlieferten 


1.    Die  Auslegung  Daniels  Strom.  1,  21.  7 

Suin nie  keinen  Sinn  abzugewinnen  weiss.  Die  70  Wochen  sind 
sämmtlich  besprochen;  es  scheint,  wir  dürfen  sie  nur  addiren: 
70—1)4  v.  Chr.,  die  eine  Woche?  371  a.  Chr.  —  63  p.  Chr.  die 
62  Wochen;  420—372  die  7  Wochen.  Da  aber  für  den  Tenipel- 
brand  die  Summe  410  überliefert  ist,  so  ist  diese  Rechnung  für 
die  Quelle  des  Klemens  , falsch. 

Klemens  hat  nicht  überliefert,  wo  die  490  Jahre  enden. 
Bei  der  Besprechung  der  einen  Woche  fehlt  die  Angabe:  und  so 
wurden  die  490  Jahre  voll,  und  das  neue  Fragment  zeigt,  dass 
die  Ziffer  Daniels  sich  über  den  Tempelbrand  hinaus  erstreckt. 
Nachher  bleibt  aber  für  dieselbe  nur  noch  ein  einziger  Schluss- 
punkt übrig:  die  Parusie.  Daniel  hat  den  Anbruch  des  Himmel- 
reichs,  das  Kommen  des  Menschensohnes  in  den  Wolken  des 
Himmels   und  die  Auferstehung  geweissagt.     Das  Fragment   ist. 

^ein  überlieferter  Bestand  als  fehlerhaft  erwiesen  wird,  das 
Zeugniss  dafür,  dass  unser  Ausleger  mit  der  Ziffer  Daniels  noch 
den  Anbruch  des  Himmelreichs  berechnet  hat,  womit  auch  erklärt 
ist,  wesshalb  Klemens  das  Ende  der  Rechnung  nicht  giebt.  Sie 
war,  als  Klemens  schrieb,  längst  antiquirt. 

In  welches  Jahr  er  die  Parusie  gesetzt  hat,  hängt  davon 
ab,  ob  er  die  49  Jahre  mit  den  70  Exilsjahren  oder  mit  den 
490  Jahren  Daniels  verband.  Schlug  er  sie  zu  den  70  und 
nicht  zu  den  490  Jahren,  so  reichen  diese  mit  80  Jahren  über 
den  Tempelbrand  hinaus.  Zählte  er  die  49  Jahre  bereits  zu  den 
490  Jahren,  so  reichen  dieselben  bis  zum  Jahre  101.  Der  Chrono- 
graph schrieb  entweder  am  Ende  des  1.  Jahrhunderts  oder  vor  150. 

Für  den  Ansatz  am  Ende  des  ersten  Jahrhunderts  wTürde 
sprechen,  dass  der  biblische  Text  offenbar  die  Addition  der 
49  Wochen  zu  den  62  und  zu  der  einen  Woche  verlangt.  Allein 
unser  Exeget  ist  nicht  bloss  durch  den  Text  Daniels  bestimmt, 
sondern  zugleich  durch  den  wirklichen  Verlauf  der  Dinge.  Er 
legt  das,  was  bei  Daniel  zusammensteht,  auseinander,  wie  es  die 
Erfüllung  zu  fordern  schien.  Die  eine  Woche  ist  nach  dem  Text 
unzweifelhaft  die  letzte;  sie  ist  es  aber  nach  unserm  Ausleger 
nicht.  Die  Salbung  des  Allerheiligsten  und  die  Beseitigung  des 
Opfers  gehören  bei  Daniel  zusammen  und  an's  Ende  des  ganzen 
Geschichtslaufs,  während  sich  jenes  für  unsern  Exegeten  auf 
Jesus,  dieses  auf  Vespasian  bezieht  und  beides  noch  nicht  das 
Ende  bringt. 


g  8chlatter,  Chronograph, 

Aehnlich    kann    er    den    Anfang    der    190   Jahre    and    die 

7  Wochen  nicht  als  identisch  behandeil  baben,  so  dass  beides 
gleichzeitig  Geltung  hat,  dass  die  Weissagung  Daniels  sich  von 
der  babylonischen  Gefangenschaft    an    erfallt,    frg;  a,    aber   die 

490  'Jahre  von  der  Rückkehr  in  die  Beimath  an  laufen.  Daniel 
hat  zuerst  die  Heimkehr  und  den  Neubau  Jerusalems  geweise 
was  nach  49  Jahren  geschah  und  bei  Esra  geschriebeu  ist.  Er 
wird  die  Frist  zwischen  dem  ersten  Jahr  des  Cyrns  und  dem 
zweiten  des  Darius  als  49  Jahre  gesetzt  haben,  wie  ihn  auch 
Fraidl  versteht.  Damit  wurden  die  70  Jahre  voll  und  nun  be- 
ginnen die  zum  Ende  zielenden  490  Jahre. 

Dass  diess  die  Rechnung  des  Auslegers  war,  dafür  spricht 
schon  in  dem,  was  wir  bisher  gelesen  haben,  das  dunkle  ßödZvyfia, 
das  Nero  aufstellt.  Im  ersten  Jahrhundert  konnte  man  die  Vor- 
gänge, die  den  Ausbruch  des  Kriegs  veranlassten,  noch  kennen  1). 
Auch  frg.  c,  die  Berechnung  des  Jahres  Jesu  nach  Lukas,  ist 
diesem  frühen  Ansatz  der  Fragmente  nicht  günstig,  und  frg.  e 
giebt  das  Datum:  10.  Jahr  Antonins,  das  mit  unsrer  Stelle  aufs 
beste  harmonirt. 

Es  bedarf  nach  meiner  Meinung  keines  weitern  Beweises, 
dass  Klemens  diese  Dinge  kopirt.  Gleich  nach  150  wird  der 
Satz:  Zerstörung  Jerusalems  =  410.  Jahr  nach  dem  Ende  des 
Exils  absurd.  Er  hat  nirgends  Halt  als  nur  in  Daniel  und 
nicht  über  das  Jahr  150  hinaus,  Zudem  hat  Klemens  aus  der- 
jenigen Quelle,  welche  die  griechische  und  jüdische  Geschichte 
miteinander  verglich,  einen  sorgfältigen  Synchronismus  für  die 
erste  Wegführung  unter  Jojachin  gegeben,  P  394:  sie  fällt  in 
Nebukadnezars  7.  Jahr,  Uaphres  2.  Jahr,  in  das  Archontat 
des  Philippus  (Phänippus  bei  Euseb),  Olymp.  48,  1,  also  587 
a.  Chr.  Diese  Rechnung  ignorirt  Daniels  Ziffer  vollständig;  sie 
kam  mit  490  Jahren  nicht  einmal  zu  Jesu  Geburt,  noch  weniger 
verknüpft  sie  dieselbe  mit  der  Parusie.  Aus  der  sich  total  auf- 
hebenden Differenz  der  beiden  Rechnungen  folgt  lediglich,  dass 
Klemens  nicht  selber  rechnet,  sondern  die  Daten  seiner  Vor- 
gänger zusammenstellt. 


1)  Es  werden  sich  später  noch  mehrere  Instanzen  finden,  die  unsern 
Ausleger  nach  Palästina  stellen.  Schriebe  er  vor  100,  so  hätte  er  die  eine 
Woche  noch  selbst  durchlebt. 


1.    Die  Auslegung  Daniels  Strom.  1,  21.  g 

Auch  an  der  annähernd  richtigen  Zitier:  -lojachin  exilirt 
587  a.  Chr.,  ist  eine  kräftige  Tendenz  betheiligt,  welche  die  ganze 
chronologische  Untersuchimg  durchdringt,  diejenige  nämlich, 
welche  die  Bibel  auch  zeitlich  den  Griechen  voranstellt  und  die- 
selben als  jung  und  abhängig  erweist.  Dieser  Tendenz  steht  der 
Ansatz:  Jerusalems  Zerstörung  410  seit  dem  Exil  direkt  im  Wege. 
Er  macht  die  biblische  Geschichte  viel  zu  jung,  kümmert  sich 
also  nicht  um  die  Prioritätsfrage  und  hat  mit  dem  ganzen  apo- 
logetischen Nachweis  für  das  Alterthum  der  Bibel  nichts  zu 
thun.  In  der  Vergleichung  der  biblischen  Zahlen  mit  den  grie- 
chischen und  egyptischen  wachsen  jene;  unter  dem  Regiment 
der  eschatologischen  Erwartung  verkürzen  sie  sich.  Dem  das  Welt- 
ende  in  nächster  Nähe  schauenden  Blick  ist  auch  die  Kürze 
der  abgelaufnen  Weltzeit  nicht  befremdlich.  Beide  einander 
entgegenwirkenden  Gesichtspunkte  finden  sich  bei  Klemens  bei- 
sammen, weil  ihm  die  ältere  Litteratur  der  Kirche  noch  beide 
zuleitet. 

c. 

P.  406:  tyerrrjf)?j  de  o  xvoioq  rjficov  tw  oyöoe?  xal  elxoöToi 
Itu,  ote  jzqojtov  exekevöav  äjzoyoa<paq  yeveo&at  ejtl  Avyovörov. 
Der  Plural  exeXevoav  wird  als  Verderbniss  aus  exeXevöev  zu 
beurtheilen  sein.  Die  ungeschickte  nachträgliche  Erwähnung  des 
Aucmstus  deutet  darauf,  dass  derselbe  in  der  Quelle  schon  ge- 
nannt  war,  womit  auch  das  Subjekt  von  exeXevöev  gegeben  war. 
Da  Klemens  nur  diesen  Satz  heraushebt,  muss  er  den  Namen 
des  Kaisers  erst  nachträglich  anbringen,  ort  de  tovt  aXrj&eq 
löx iv,  er  t(~)  evayyeXlq)  reo  xazd  Aovxäv  yeyoajtTai  ovTooq'  stel 
öh  izevTexaiöexaTc»  ejtl  TtßeQiov  Kaloaooq  lytvexo  grjf/a  xvqiov 
ejtl  ^IcoavvrjV  xov  Zayaolov  vlov  xal  jtafov  iv  reo  avroj'  ?)v 
de  'itjöovq  eQ%6{jevoq  ejil  ro  ßäjiTiöfta  coq  ercov  X'  xal  ort 
eviavTov  fiovov  eöei  avTOv  xrjQvgat,  xal  tovto  yeygajtrai  ovrcoq' 
evcavTOv  öexTOv  xvqiov  xrjQvt-at  ajieoxeilev  fze.  tovto  xal  6 
rroocfi/Trjq  eine  xal  to  evayyeliov.  jievrexaidexaTcp  ovv  eTei 
Tißeoiov  xal  jtevTexaiöexaTro  AvyovOTov  ovtoo  jiXrjQOvvTai  tu. 
TQtaxovTa  eTTj,  emq  ov  ena&ev.  ag>'  ov  de  ejia&ev  eooq  Ti\q 
xaTaGTQ0(p7^  'feQovöaX?}^  ylvovTai  Ittj  [iß'  [itjveq  y.  xal  ajio 
tijq  xaTaGTQO<p?jq  '/eooroaXi/fi  ecoq:  Klemeus  rechnet  bis  zum 
Tod  des  Kommodus    128   J.   10  M.  3  Tage.     ylvovTat  ovv   a<p 


}o  Schlauer,  Chronograph. 

ov  o  xvqioq  hyswifi"r\\  bis  zum  r I ^ <  > <  i  des   Kommodua  194  Jahre 

1    M.   L3  T. 

Die  Stelle  zeig!  sich  als  Excerpi  dadurch,  dass  sie  die  Elegie- 
rungsdauer  des  Augustus  nicht  giebt,  und  doch  wird  erst  durch 
diese  verständlich,  wesshalb  gesagi  werden  kann:  „im  \h.  Jalir 
des  Tiberius  und  im  15.  des  Augustus,  so  werden  voll  die 
30  Jahre,  bis  er  litt";  im  15.  des  Augustus,  nämlich  von  seinem 
Tode  an  gezählt.  Der  Exeget  giebt  Augustus  43  Jahre,  rechnet 
28  bis  zur  Geburt  Jesu,  15  des  Augustus  fallen  in  seine  Lebens- 
zeit, und  das  15.  des  Tiberius  ist  das  Jahr  der  Wirksamkeit 
Jesu  und  seines  Tods.  Vom  Regierungsantritt  des  Augustus  bis 
zur  Zerstörung  Jerusalems  hat  er  richtig  100  Jahre;  er  rechnet 
Augustus  vom  Jahre  30  a.  Chr.  an.  Somit  bleiben  ihm  vom 
Ende  des  Exils  bis  zum  Regierungsantritt  des  Augustus  noch 
310  Jahre. 

In  den  Summen,  die  bis  zum  Tod  des  Kommodus  berechnet 
sind,  wird  der  schlechte  Zustand  der  Textüberlieferung  sichtbar: 
denn  die  Zahlen  stimmen  unter  einander  nicht.  Qxd  ist  gegen 
gxrf  zu  halten.  Die  Kaiserliste,  die  Klemens  giebt,  ist  aber 
in  ihren  Ziffern  viel  zu  verdorben,  als  dass  sich  noch  erledigen 
Hesse,  was  für  die  Monate  und  Tage  ursprünglicher  Text  ge- 
wesen ist. 

Auch  in  den  neutestamentlichen  Citaten  tritt  der  alterthüm- 
liche  Charakter  des  Texts  hervor,  xo  svayyüuov  erscheint  als 
Name  für  die  Gresammtheit  der  das  Evangelium  darbietenden 
Schriften,  daneben  im  selben  umfassenden  Sinn  o  jtQOtyfjxrjq,  das 
den  religiösen  Werth  des  alttestamentlichen  Kanons  zum  Aus- 
druck bringt.  Das  Citat  aus  Lukas  3,  23  zeigt  nicht  den  über- 
lieferten Text.  Dieser  giebt:  xal  avxoq  ?]v  'Irjöovq  aQ%6[i£Vog 
coösl  exeov  X '.  Unser  Exeget  citirt:  i]v  6s  'Irjöovq  iQxofisvoq  im 
xo  ßajiTLö(ia  a>g  exeov  X ' .  Dass  eQXOfievoq  Beziehungen  zu  dem 
dunkeln  äoxofievog  des  Lukas  bat,  ist  kaum  abzulehnen,  da  es 
an  derselben  Stelle  steht.  Die  andere  Variante:  eyevexo  Qr][ia 
xvqiov  ejtl  'icoavvr/v  statt  deov  Luk.  3,  2  schliesst  den  Satz  noch 
enger  an  die  alttestamentliche  Form  an:   b$  Mi  tn  rPPJ. 

Jesu  Lebenslauf  wird  ausschliesslich  nach  Lukas  berechnet, 
ohne  dass  sichtbar  wird,  wie  unser  Exeget  die  Erzählung  des 
Johannes  behandelt  hat. 


1.  Die  Auslegung  Daniel-  Strom.   1.  21.  11 

d. 

P.  408.  (tri  6h  xäxelva  tf)  yoovoyoatpia  jiQogajio6(>Ti<>)\ 
_•  Xtyo.  aq  alvizzszai  Aavu'jX.)  Das  ist  das  Proömium 
des  lvlfineus.  axo  zrjg  tgt/ftojoscjg  'legovoccfo}^  zd  Ovtojza- 
Oiavov  i't/j  C  .  fiijifeg  C  •  tcc  ydg  ovo  etfj  jtgo^Xafjßdvszai  rote 
"Od-oji'o-  y.c.l  rr.Xßa  xai  OvizeXXlov  fit/öl  i£,  ftfAtgaLg  rf .  xai 
nvzco  yiverai  iz>t  tgla  xai  fiijvsg  ;',  o  iozi  zo  ijftiov  zrjg  tß6o- 
ttädog,  xalhog  elgrpcs  Aaru)X  o  JtQOtytfrrjg.  eigrpce  6h  ßz'  tj^itgag 
yeviö&cu,  aq>  ov  toz/j  zo  ßötAvytiu  vjio  Atgcovog  sig  xrjv  TtoXtv 
t/])'  aylav  [ir/gi  tT^  xaxaöZQOtyrjq  avzijg.  ovzco  ydg  zo  gr/zöv 
tu  vrroziTuyttirov  öeixvvöiv'  (es  folgt  Daniel  8,  13.  14  nach 
Theodotion)  \'cog  jcoze  ))  ogaoig  ozSjoezai  ?]  ftvoia  dgßeloa  [Theod. 
xtä  /)  dfiagzia  t()}/tucü{h'/0£zai  [Theod.  tor/ficooecog]  r\  dod-üoa 
xai  ))  dvrauig  xai  zo  dytov  [Theod.  xai  zo  dy.  xai  /;  6vvaiuq\ 
0V{Hzaz7f(h]G£zai  xai  djrev  avzoY  tag  töjregag  xai  Jigan  tj{utgai 
ßz  l)  xai  dofrijützai  zo  dytov  [Theod.  xad  agiofttfoezai ,  p!2ü]. 
r.oih'joezaL  ist  deutlich  eine  christliche  Glosse  und  steht  mit  der 
Doppelübersetzung  von  Dan.  9,  27  parallel,  avzai  ovv  al  ßz 
?]kutgai  ylvovzai  Izrj  q  fiijvsg  6> ,  a)v  zo  ?]fiiov  xaztG%£  Nsgcov 
ßaoiXsvwv  xai  sysvszo  /jfaov  Ißöofidöog,  zo  6h  //fuöv  OvsöJia- 
ötavög  Gvi'  Od-mvt  xai  FdXßa  xai  OvizsXXlcp'  xai  öid  zovzo 
Xsysi  AavujX  (12.  12)'  {laxdoiog  o  (p&döag  sig  Tjfitgag  azXs  . 
i/t'Z'ji  yccQ  zovzcov  zojv  ?/{zsgcöv  o  jtoXefiog  r)v,  ftszd  6h  zavza 
i<:roazo.  ösixvvzai  6h  xai  ovzog  o  agifrfiog  ix  zov  vno- 
zszaytusvov  xstpaXaiov  syovzog  a)6s  (12,  11)'  xai  djto  xaigov 
nagaXXd^sojg  zov  sv6sXsyiö.uov  xai  6o&rjvai  [Theod.  6o&  '  oszat 
zo]  ßötXvyfia  tg?]{ivjöswg  rjfisgag  yiX'iovg  6iaxooiovg  svvsv?'j- 
xovza'  [Theod.  t/tutgat  ylXiai  etc.]  [laxdgiog  o  vjto/isvwv  xai 
(p&doag  dg  ijfitgag    azXs  . 

Der  Eingang  hat  ein  Fragment  aus  der  Kaiserreihe  erhalten, 
durch  welche  die  Zerstörung  Jerusalems  mit  der  Gegenwart  des 
Schreibers  chronologisch  verbunden  war.  Es  folgte  somit  die 
Liste  von  Vespasian  bis  Hadrian  und  zwar  nicht  in  abgerundeten 
Jahren,  sondern  mit  den  Monaten.  Ueber  die  Zeit  der  kurz 
regierenden   Kaiser   ist   er   unterrichtet.     Die  Lesung  fi?jvsg    i£ 

1)  Die  Ueberlieferung  bei  Theodotion  schreibt:  2400  und  2300.  Unser 
Exeget  las  letzteres. 


12  Schlatter,  Chronograph. 

darf  wnlil  in  tfj  gebesseri  werden,  da  er  mit  2  Jahren  Vespa- 
sians  3  Jahre  und  6  Monate  summirt.  18  Monate  aenni  richtig 
die  Distanz  /wischen  Neros  Ermordung  9.  Juni  68  and  derjenigen 
des  Vitellius  20.  Dez.  69.  Dennoch  ist  die  Rechnung  kindlich. 
Denn  nachdem  er  für  die  kurzen  Kaiser  die  Monate  gezähll  hat, 
durfte  er  das  2.  Jahr  Vespasians,  das  Jahr  des  Tempelbrands, 
nicht  gleich  2  Jahren  setzen,  da  zwischen  der  Ermordung  des 
Vitellius  und  der  Eroberung  Jerusalems  nur  9  Monate  liegen. 
Auch  die  zweimal  auftretende  Ordnung:  Otho,  Galba,  Vitellius 
ist  auffällig.  Weniger  gewaltsam  ist  die  Gleichstellung  der  1335 
Tage  mit  der  Dauer   des  Kriegs,   den   er  auf  B1^  Jahre  schätzt. 

e. 

P.  408:  Am  Schluss  des  chronologischen  Abschnitts  giebt 
Klemens  Bericht  über  die  Rechnung  des  Josephus.  Das  ist 
schon  desswegen  eine  Entlehnung,  weil  Klemens  nur  hier  Jose- 
phus citirt;  sodann  hat  er  hier  nicht  sein  eigenes  Epochenjahr 
eingesetzt,  sondern  das  der  Quelle  unverändert  gelassen:  das 
10.  Jahr  Antonins. 

<Plavlog  de  Icoor/Jtog  o  lovöaiog  o  rag  lovöalxaq  ovvrctt-aq 
löTOQtag  xarayaycov  rovq  XQOVovg  g)tjölv  äjzo  Mcovotcoc  eojg 
Jaßlö  Irr]  ylyveö&ai  cpjte'  ajtb  de  Aaßld  to?g  Oveojcaoiavov 
öevregov  erovg  agod' ' ,  elza  ajto  rovrov  yteyjQi  \4vtcovivov  6e- 
xarov  erovg  errj  o£ ,  cog  elvat  djto  Mwvöemg  IjtI  rb  dexarov 
erog  Avrcovtvov  icavra  errj    acoly  . 

Die  Summe  zwischen  David  und  Vespasian  stammt  aus 
b.  j.  6,  10.  Die  Distanz  zwischen  Mose  und  David  konnte  er  dort 
nicht  finden,  dazu  musste  er  die  Antiquitäten  zu  Rathe  ziehn, 
wo  aber  die  Zahlen  wechseln.  Wahrscheinlich  hat  er  A.  8.  3,  1.  61 
benützt.  Allerdings  ist  die  Gesammtsumme  acoly  verdorben. 
Wer  die  Ziffern  rational  machen  will,  kann  lesen:  von  Mose  bis 
David  (pjcrj  statt  cpjte  und  in  der  Gesammtsumme  aco^d'  statt 
aooly '.    Die  beiden  andern  Summanden  1179  und  77  stehen  fest. 

Mit  den  andern  Fragmenten  verknüpft  diese  Stelle  zunächst 
der  Ansatz  der  Epoche  im  2.  Jahre  Vespasians,  welcher  auch 
bei  der  Berechnung  der  einen  Woche  Daniels  eine  wichtige 
Funktion  zufiel.  Sodann  erklärt  das  hier  gegebene  Datum  den 
zunächst  unverständlichen  Ansatz:  Ende  des  Tempels  410  nach 
dem  Ende  des  Exils  vollständig.    >Der  Verfasser  muss  die  Daniel- 


•_?.    Die  Liste  der  Kaiser,  Ptolemäer  und  Perser  bei  Kiemen-.        13 

zitier  herunterrücken,  weil  ihn  selbst  schon  eine  beträchtliche 
Distanz  von  der  Zerstörung  Jerusalems  trennt.  Er  schreibt  im 
487.  Jahre  Daniels.  Er  hat  also  die  Parusie  in  der  nächsten 
Nähe  vor  sich  und  die  Frist  noch  auf  3  Jahre  bestimmt. 

Zugleich  belegt  die  Stelle,  dass  unser  Rechner  sich  nicht 
ausschliesslich  auf  die  Zeit  zwischen  dem  Exil  und  der  Parusie 
beschränkt  hat,  sondern  auch  die  ältere  Chronologie  der  Bibel 
überblickt,  und  auch  diess  ist  nicht  ohne  Interesse,  dass  er  wenig- 
stens aus  Josephus  unterrichtet  ist,  wie  weit  die  Berechnung 
der  Perserzeit  bei  andern  Chronographen  seinen  eignen  Ansatz 
überragt 


Die  Liste  der  Kaiser,  Ptolemäer  uiid  Perser  bei  Klemens. 

Er  giebt  zwei  Listen  der  Kaiser,  die  eine  mit  abgerundeten 
Jahren,  die  andre  mit  Monaten  und  Tagen.  Da  unser  Chrono- 
graph bei  den  kurz  regierenden  Kaisern  und  bei  Vespasian  mit 
Monaten  und  Tagen  operirt,  käme  für  ihn  zunächst  letztere  in 
Betracht.  Allein  ihre  unzuverlässig  überlieferten  Ziffern  tragen 
keinen  Schluss.  Gleich  der  Anfang:  Caesar  3  J.  4  M.  5  T., 
Augustus  46  J.  4  M.  1  T.  ist  offenbar  verdorben.  Statt  46  muss 
Augustus  56  haben.  ■  Der  kritische  Werth  der  beiden  Listen 
besteht  nur  darin,  dass  sie  die  Abhängigkeit  des  Klemens  von 
mehreren  Vorgängern  darthun.  Sogar  für  die  Kaiserzeit  stellt 
er  uns  2  Möglichkeiten  zur  Wahl:  so  oder  auch  so. 

Die  Liste  der  Perser  sieht  wunderlich  aus,  und  legt  den 
Gedanken  nahe,  dass  nicht  bloss  die  Textüberlieferung  sie  übel 
misshandelt  hat,  sondern  dass  schon  Klemens  hier  ausgleichende 
Künste  versucht  hat. 

Cyrus  30 

Cambyses     19 

Darius  46 

Xerxes  26 

Artaxerxes  41 

Darius  8 

Artaxerxes  42 

Nun  folgt  ilyoc,  //  AQörjq  7'.  Darin  steckt  eine  Verderb  niss : 
ob  gemeint  ist  Ochus  8  Arses  3,  ist  fraglich.    Da  die  Summe  2'.>~> 


I  |  Schlatter,  Chronograph. 

sein  soll,  würden  wir  sie  inii  «Irr  Lesung  Ll/<>-  X  ÄQOTjq  '/  er- 
reichen, und  dir  EmendatioD  wäre  nicht  besonders  kühn,  denn  v' 
kann  zunächst  in  xal  missdeutet  und  bernach  in  //  korrigirl 
worden  sein»  Allein  Kambyses  19  ist  ebenfalls  ein  fragwürdiger 
Posten. 

Dass  wir  für  Cyrus  und  Kambyses  zusammen  49  Jahre  er- 
halten, hat  schon  Fraidl  an  die  7  Wochen  erinnert,  die  mit  dem 
Tempelbau  abgelaufen  sind.  Noch  merkwürdiger  ist  aber,  dass 
der  letzte  Darius  vollständig  fehlt,  xafreZc/jv  dl  xov  JclqbIov 
tovtov,  fährt  Klemens  fort,  und  doch  hat  er  ihn  noch  gar  nicht 
genannt!  'Altt-avögog  o  Maxeöaw  fierä  xa  Jigoxtifttva  trr/ 
ßaöiZeveiv  ccoyetaf  ofioimg  ovv  xal  rcov  Mazedovcov  ßaoilbojv 
oi  xqovoi  ovtco  xazdyovraf 

Alexander  18(!) 

Ptol.  Lagi  40 

Philadelphus    27 


Euergetes 

25 

Philopator 

17 

Epiphanes 

24 

Philoruetor 

35 

Physkon 

29 

Lathuros 

36 

Dionysos 

29 

Kleopatra 

22 

Kappadoker 

18  Tage 

302 

Die  Summe  soll  sein  312.  Wir  hätten  sie  leicht,  wenn  Phila- 
delphus 37  erhält.  Allein  die  18  Jahre  des  Alexander  sehen 
wie  ein  verderbtes  8  aus.  Mit  dem  Text  des  Klemens  lässt 
sich  hier  nicht  weiterkommen.  Dass  der  letzte  Darius  bei  Kle- 
mens ohne  Ziffer  ist,  hat  ein  Mysterium  in  sich;  weiter  ist  es 
Thatsache,  dass  für  den  Ansatz:  410.  Jahr  seit  dem  Ende  des 
Exils  =  70  p.  Chr.,  der  Anfang  der  Rechnung  genau  18  Jahre 
vor  den  Tod  Alexanders  fällt.  Da  unser  Chronograph  bei  den 
Kaisern  sorgfältig  gerechnet  hat,  wird  er  auch  den  Ausgangs- 
punkt der  Rechnung  genau  bestimmt  haben.  Derselbe  war 
aber  für  Klemens  ebensowenig  annehmbar  als  ihr  Schluss. 


3.    Tertullians  Berechnung  der  Jahrwochen.  15 

3. 

Tertullians  Berechnung-  der  Jahrwochen. 

So  kräftig  sich  Tertullian  nach  derParusie  sehnt,  dennoch  ist 
seine  Auffassung  der  Zahl  Daniels  eine  gänzlich  veränderte.  Sie 
reicht  nicht  mehr  in  die  Zukunft,  weissagt  nicht  das  Jahr  der 
Parusie  und  dient  nicht  mehr  dem  „bald"  der  Hoffnung  zum 
kräftigen  Erreger,  sondern  sie  ist  mit  der  Zerstörung  Jerusalems 
zu  ihrem  Schluss  gelangt.  Dies  ist  um  so  bedeutsamer,  weil 
Tertullian  denselben  Rechner  benützt,  den  Klemens  citirt.  Die 
Rechnung  steht  adv.  jud.  8. 

Darius  H> 

Artaxerxes  41(40) 

Ochus  qui  et  Cyrus  24 

A.rgus  1 

alius  Darius  qui  et  Melas  nominatus  est     21  (22) 

106 

Alexander  (nach  Hieron.)  11(10,  12) 

Soter  35 

Philadelphus  38 

Euergetes  25 

Philopator  17 

Epiphanes  23  * 

Euergetes  29 

Soter  38 

Ptolemäus  37  (38) 

Kleopatra  22(20)  6  M.  (5  M.)  *) 

Die  Schwankung  in  den  Einzelposten  können  wir  bei  Seite 
lassen.  Die  Summe  ist  durch  das  Schema  der  Rechnung  ge- 
sichert: 277  J.  6  M. 

Perser  und  Griechen  zusammen 

Kleopatra  und  Augustus 

Augustus  bis  zur  Geburt  Christi2) 

d.  h.  62   und   %  Woche,   nach  Daniel. 

1)  Menses  V  ist  sicher  falsch.  Tertullian  hat  die  in  2  Hälften  zerlegte 
Woche  auf  die  beiden  Perioden  vertheilt,  und  nur  desshalb  bekommt 
Kleopatra  Monate;   er  hat  ihr  die  genaue  Ziffer  gegeben. 

2)  Was  Oehler  druckt,  hat  weder  spraclich  noch  sachlich  Sinn: 
videamus    autem,   quoniam    quadragesimo  et  primo   anno  imperii  Augnsti. 


383  J. 

6 

M. 

13  J. 

41  J. 

437  J. 

6 

M. 

](;  latter,  Chronograph. 

Augustus  seil  Christi  Geburt 
Tiberius,  in  dessen  15.  Jahre  der 

Herr  litt,  30  Jahre  alt 
Caligula 
Nero 
Galba 
Otho 
Vitellius 


20 

7 

26 

3 

8 

13 

11 

9 

13 

7 

6 
3 

8 

27 

52  6 


d.  h.  7  Wochen  und   l/2  Woche.     Mit  Vespasian,  der  Jerusalem 
zerstört,  schliesst  die  Rechnung. 

Sie  ist  kein  Meisterstück.  Die  Streichung  des  Klaudius 
ist  eine  starke  Leistung,  die  Konfusion  bei  Augustus  unschön, 
nicht  weniger  auch  die  6  Monate,  die  Kleopatra  der  halben 
Woche  wegen  erhält.  Allein  im  kritischen  Verhör  sind  unkluge 
Zeugen  oft  von  besondrer  Wichtigkeit.  Folgendes  kommt  in 
Betracht: 

1)  Tertullian  sucht  einen  Darius,  mit  dem  er  den  Darius 
Daniels  gleichsetzen  kann.  Da  die  Rechnung  mit  Vespasian 
schliesst,  kann  er  weder  den  ersten  noch  den  dritten  Darius 
brauchen;  er  nimmt  somit  den  mittlem.  Dennoch  hören  wir: 
Ocnus,  qui  et  Cyrus;  Darius  qui  et  Melas  nominatus  est. 
Darius  Melas!  Einerlei  ob  vermittelt,  oder  direkt:  Tertullian 
hat  einen  Griechen  vor  sich.  Melas  ist  verlesenes  MHJ02. 
In  der  Quelle  ist  der  letzte  Darius  der  Meder  genannt  gewesen, 
also  der  Darius  Daniels.  Folglich  haben  die  Jahrwochen  der 
Quelle  nicht  bei  der  Zerstörung  Jerusalems  aufgehört,  waren 
also  auf  die  Parusie  bezogen  und  haben  dieselbe  also  circa 
150  p.  Chr.  angesetzt.  Wir  kommen  hier  nochmals  zum  selben 
Schluss,   wie   ihn    die   Fragmente    des   Klemens   verlangen,   und 


quo  post  mortem  Cleopatrae  XX  et  VIII  annos  hnperavit,  nascitur  Christus. 
Et  supervixit  idem  Augustus  ex  quo  nascitur  Christus  annis  XV  et  erunt 
reliqua  tempora  annorum  in  diem  nativitatis  Christi  in  annum  XL  primum, 
qui  post  mortem  Cleopatrae.  Der  älteste  Textzeuge  ist  Hieronymus,  der  die 
XX  et  VIII  Jahre  nicht  gelesen  hat,  sondern  giebt:  qui  post  mortem  Cleo- 
patrae imperavit.  Hier  wird  nur  statt  qui  quo  als  die  bessere  Lesung  ein- 
zusetzen sein.  Auch  mit  videamus  ist  die  schlechtere  Variante  in  den 
Text  gesetzt  statt  videmus. 


3.    Tertullians  Berechnung  der  .hihrwochen.  17 

Tertullian   bestätigt,   dass  das  10.  Jahr  Antonius  zur  Auslegung 
Daniels  gehört 

2)  Der  Chronograph  hat  bis  70  p.  Chr.  410  Jahre  gerechnet, 
bis  zum  Antritt  des  Augustus  310.  Die  Weissagung  geschieht 
im  ersten  Jahre  des  Meders  Darius.     Bei  Tertullian  erhalten  wir: 

Darius  Melas  21      (22) 

bis  zum  Jahre  30     290 


311.  (312) 

Hiernach  sind  es  bis  zum  Jahr  70  genau  410  Jahre  seit  dem 
ersten  des  Darius  Medus,  event.  dieses  nicht  eingezählt. 

Xunmehr  wissen  wir,  warum  bei  Klemens  der  letzte  Darius 
in  der  Perserliste  fehlt.  Sein  Gewährsmann  gab  ihn  als  den 
Kopf  der  Ptolemäerliste,  und  hat  ihn  mit  21  Jahren  derselben 
vorgesetzt.  Klemens  hat  dieser  Summe  nicht  getraut.  Ob  er 
selber  mit  18  Jahren  Alexanders  die  Summe  bis  auf  Alexan- 
ders Anfang  auf  312  gebracht  und  damit  der  Rechnung  des 
Chronographen  gleichgemacht  hat,  können  wir  füglich  offen 
lassen. 

3)  Die  Angaben  der  Quelle  über  Augustus  haben  Tertullian 
völlig  verwirrt.  Augustus  soll  nur  56  Jahre  haben  und  dennoch 
stellt  er  13  +  41  +  15  =  69  Jahre  ein.  Die  Berechnung  der 
Quelle  für  die  Geburt  Christi  ist  aber  offenkundig  mit  derjenigen 
des  Klemens  identisch.  Die  30  Jahre  Christi  werden  zu  je  15  auf 
Augustus  und  Tiberius  vertheilt,  und  das  15.  Jahr  des  Tiberius 
als  das  Todesjahr  Jesu  gefasst  *).  So  bestätigt  Tertullian,  dass 
die  Berechnung  des  Jahres  Christi  zur  Jahrwochenrechnung  ge- 
hört, zumal  da  c.  Marc.  1,  15  steht:  dominus  anno  XII  Tiberii 
Caesaris  revelatus  est.  Tertullian  hat  die  Voraussetzung  der 
ganzen  Rechnung,  das  einjährige  Lehramt  Jesu,  nicht  mehr  ge- 
theilt,  und  hat  dennoch  das  Datum:  15.  Jahr  =  Todesjahr 
festgehalten  und  die  3  Jahre  vor  dasselbe  gestellt.  Dass  dies 
neben  den  Sätzen  des  Chronographen  eine  sekundäre  und  ge- 
mischte Vorstellung  ist,  heisse  ich  selbstverständlich. 

4)  Wie  Tertullian  Dan.  9,  24  citirt,  lässt  er  nur  den  Vulgär- 


1)  Ganz  abrupt  erscheint  am  Schluss  das  Konsulardatum  für  das 
Todesjahr  Jesu:  die  beiden  Gemini.  Das  ist  dieselbe  Rechnung  wie  die 
<!»'-  Chronographen.  Woher  Tertullian  diesen  Satz  bezogen  hat,  weiss  ich 
nicht,  falls  er  wirklich  Tertullian  angehört. 

Texte  u.  Untersuchungen  XII,  l.  2 


Ig  Bchlatter,  Chronograph. 

text  erkennen,  ohne  dass  <li<'  Doppeltibersetzung  bei  ihm  sichtbar 
wird.  Für  tjcl  to  Isqov  ßöiXvy^ia  xwv  ^Qij/iciöscov  sagt  er:  in 
sancto   execratio   vastationis.     Als  er   aber    die  Stelle  erklärend 

nochmals  wiederholt,  sagt  er:  dicit  enim  sie,  et  civitatem  ei 
sanetum  exterminari  cum  duce  venturo  et  coneidentur  sicut  in 
cataelysmo  et  destruet  pinnaculum  usque  ad  interitum.  Hier 
erscheint  plötzlich  das  pinnaculnm  =  üiXBQVfVOV.  Da  Tertnl- 
lian  kein  Bewusstsein  darum  hat,  wie  sich  Isqov  und  jtrtovyiov 
durch  5pD  einigen,  zeigt  die  Stelle,  dass  er  eine  Vorlage  hat,  von 
welcher  Dan.  9,  27  b  auch  nach  Theodotion  gelesen  wurde,  trotz- 
dem er  selbst  dessen  Satz  nicht  in  sein  Citat  aufgenommen  hat. 
Auch  hier  wird,  was  Tertullian  giebt,  durch  Klemens  durch- 
sichtig, da  dieser  „auf  das  Heiligthum  der  Greuel"  und  „Flügel 
der  Verwüstung"  neben  einander  giebt. 

Tertullian  hat  uns  nicht  nur  die  Methode,  sondern  auch  das 
Motiv  der  Rechnung  näher  gebracht.  Wenn  ein  kirchlicher 
Mann  verkündigt:  in  3  Jahren  kommt  der  Herr,  so  setzt  diess 
eine  eigenthümlich  geartete  Zuversicht  voraus,  die  durch  die 
„Zeichen  der  Zeit"  nicht  vollständig  begreiflich  wird,  so  wenig 
dieselben  bedeutungslos  sind.  Wir  müssen  allerdings  im  Auge 
behalten,  dass  die  fürchterlichen  Dinge  in  Palästina  noch  in 
nächster  Nähe  stehn,  da  die  Judenverfolgung  sich  in  die  ersten 
Jahre  Antonins  fortgesetzt  hat,  und  dass  Jerusalems  Verwandlung 
in  eine  griechische  Stadt  noch  ein  junges  Ereigniss  war  und  der 
Zeustempel  auf  dem  Tempelberg  noch  stand.  Diese  Dinge  haben 
die  eschatologische  Hoffnung  in  Palästina  sicher  stark  erregt, 
und  haben  bewirkt,  dass  man  in  der  jüdischen  Christenheit 
mit  besondrer  Sehnsucht  nach  der  Offenbarung  Jesu  sah.  Aber 
damit  wird  die  Rechnung  noch  nicht  erklärt,  die  gerade  noch 
3  Jahre  bis  zur  Parusie  behielt. 

Dieselbe  beruht  darauf,  dass  ihr  Ausgangspunkt  nothwendig 
in  der  Perserzeit  liegen  musste.  Man  konnte  sich  dieselbe  nach 
Daniel  kurz  denken,  undzurNoth  mit  2  Perserkönigen  ausreichen, 
aber  einen  Cyrus  und  Darius  musste  man  haben  und  konnte  mit 
den  Jahrwochen  nicht  unter  Alexander  hinuntergehn.  Im  10. 
Jahr  Antonins  war  man  aber  bereits  bis  zum  letzten  Ende  der 
Perserzeit  herabgedrängt,  und  erhielt  die  490  Jahre  nur  noch, 
wenn  der  letzte  Darius  der  Meder  war.  So  gewiss  die  Prophetie 
nicht   hinfallen   konnte,    die  ja  eben  jetzt  eine   wunderbare  ße- 


3.   Tertullians  Berechnung  der  Jahrwochen.  19 

stätigung  erhalten  hatte  dadurch,  dass  der  Gesalbte  kam  und 
das  Opfer  aufhörte  und  die  Verwüstung  über  den  Tempel  ge- 
bracht wurde,  so  gewiss  stand  die  Parusie  unmittelbar  bevor,  weil 
ja  die  490  Jahre  endgültig  abliefen.  Der  Gedanke,  dass  die  Kirche 
die  Rechnung  Daniels  auf  etwas  andres  beziehen  könnte,  als  auf 
die  Aufrichtung  des  Himmelreichs,  war  unserm  Rechner  noch 
fremd,  und  darum  hatte  er  die  Zuversicht,  derselben  nachzu- 
weisen, dass  jetzt  das  Ende  nahe  sei. 

In  der  Methode  der  Rechnung  hat  er  jüdische  Vorgänger; 
denn  Cyrus  ist  schon  früher  in  der  Reihe  der  Perserkönige  vor- 
wärts geschoben  worden.  A.  11,  6,  1.  184:  rekevT?jöm^rog  6h 
&£q§ov  t))v  ßccötteiav  dg  xov  vior  /{vgov,  ov  ^Agra^eQ^v  'EZXrj- 

xaZovöiv,  Ovpißtj  {israßrjvcu.  Somit  heissen  den  Sohn  des 
\ fixes  nur  die  Griechen  Artaxerxes,  die  Juden  d.  h.  die  Bibel 
Inisst  ihn  Cyrus.  Gutschmids  Konjektur  'Aövtjqov  trägt  zu  viel 
Gelehrsamkeit  in  Jos.  hinein.  Die  erläuternde  Parallele  steht 
bei  Tertullian,  der  sagt:  Ochus  qui  et  Cyrus,  worauf  Darius  Medus 
folgt,  selbst  aber  seine  Rechnung  bei  Darius  IL  beginnt.  Wir 
haben  hier  einen  Rest  der  Jahrwochenrechnung  des  ersten  Jahr- 
hunderts, der  Zeit  vor  dem  Tempelbrand,  als  „die  Weisen"  das 
Himmelreich  als  nah  bevorstehend  berechneten  und  sich  täuschten, 
b.  j.  6,  5,  3.  Auf  diesen  Cyrus  folgte  Darius  IL  und  ich  kann 
es  nicht  für  Zufall  halten,  dass  wir  vom  Beginn  seiner  Regie- 
rung  423  mit  den  490  Jahren  ins  Jahr  67  kommen,  in  die  Zeit 
der  hochgespannten  messianischen  Aufregung.1) 

Diese  Rechnung  war  widerlegt  worden.  Darius  IL  war  nicht 
ihr  richtiger  Anfang  gewesen.  Aber  es  blieb  noch  ein  letzter 
Darius  übrig.  Mit  ihm  konnte  man  noch  rechnen  unter  Haclrian 
und  in  den  ersten  Jahren  Antonins. 


1)  Die  herkömmliche  Wiederholung  des  Jos.  verhindert  immer  wieder, 
dass  der  religiöse  Charakter  des  jüdischen  Kriegs  anerkannt  würde.  Auch 
Schürer  hat  in  seiner  Antwort  nochmals  die  Behauptung  erneuert:  a.  6ß 
ii.  iJT  hätten  Heiden  vereinigt  mit  den  Juden  gegen  die  Römer  gekämpft. 
Die  scheinbare  Nöthigung  zu  dieser  baroken  Annahme,  die  in  der  Ver- 
wechslung des  peräischen  Gadara  mit  dem  Gadara  der  Dekapolis  lag. 
glaube  ich  entfernt  zu  haben.  Von  Heiden  im  aufständischen  Gadara  Bagt 
Jos.  kein  Wort. 


2* 


2t)  Schlatter,  Chronograph. 


Hippolyt  und  .Julius. 

Der  Chronograph  hat  xov  öqpQaylöai  oqcxöiv  xal  XQO€pTjtrjV 
erläutert  durch:  jilrjoojöag  x?)v  OQaöcv  xal  xov  nQO^rjrrjv^  und 
Tertullian  hat  denselben  Gedanken,  da  er  ihm  apologetisch  gegen 

die  Juden  dient,  mit  einiger  Ausführlichkeit.  Hippolyt  im  Kom- 
mentar zur  Stelle  nimmt  dagegen  6<pgayiGai  als  Gegensatz  zu 
kvöat.  Das  eigentliche  Geschäft  Jesu  ist  das  Lösen  und  Offnen, 
wie  er  durch  mehrere  Schriftstellen  beweist.  Das  Versiegeln  = 
Verschliessen  zielt  auf  den  Unglauben  der  Juden schaft:  eöec  yaQ 
xa  uialat  öict  üzoo<pr}xojv  Xzlalruiiva  xolg  fisv  ajiloxoig  <Payi- 
Oaloig,  ot  eöoxovv  xa  xov  vo\iov  yivcoöxuv,  hötyQaylöüaL,  xolg 
öh  jiiöxevovötv  navxa  ?]vecpx&cu,  Bratke  S.  27.  Das  Siegel  ist 
hier  nicht  als  Mittel  der  Bestätigung,  sondern  des  Verschlusses 
gedacht.  Trotzdem  giebt  Hippolyt  auch  Sätze,  die  mit  Tertullian 
sich  wörtlich  berühren. 

Hippolyt :  Tertullian : 

sjisiör)  yao  jifo]QOJ[ia  vofiov  xal  signata  est   visio   et  prophetia. 

üiQCHprjTwv    avxog    üiaoi)v ,     6  id  est  statuta.     Et  merito  evan- 

vofiog    yao    xal    ol    jüQOtyf/xat  gelista:  lex  et  prophetae  usque 

tojg  Icoävvov,  söst  xa  vjt  exsc-  ad  Joannem  baptizatorem.  Bap- 

vcov    ZaZrjdsvxa    ö(pQayl^£ö^at  tizato  enim  Christo,  id  est  sancti- 

xal  jz!r}oov6&ai.  ficante    aquas    in    suo    baptis- 

Daraufwird  mit  jähem  Ueber-  mate  omnis   plenitudo  spiritua- 

gang  zum  heterogenen   Gedan-  lium      retro     charismatum     in 

ken    gesagt:    allcog  öh   Iva   hv  Christo   cesserunt,   signante  vi- 

xfj  xov  xvqlov  jiaoovöia  jiavxa  sionem      et     prophetas     omnes 

Zv&svxa  (poixLGftfi  xal  xa  söcpga-  quas    adventu    suo    adimplevit. 
yiOfieva    yvw6$r\vai    fir}   övva- 
fisva       evxoZcog       ejiiyvmöfrrj, 
Bratke  26. 

Identisch  ist  die  Erläuterung  des  ö(pQayiöat  durch  Luk.  16, 16; 
aber  auch  das  hier  und  dort  zur  Beschreibung  Christi  dienende 
jtZrjQODfia:  jih]QQD[ia  vofiov  xal  jioo(prjxwv  avxog  üiagijv  = 
omnis  plenitudo  spiritualium  retro  charismatum  in  Christo  cesse- 
runt ist  schwerlich  Zufall. 


4.    Hippolyt  und  Julius.  21 

Hippolyt:  Tertullian: 

avTOq  yag  ?]v  rj  rekelet  G<poaylg     quoniam    ipse    est    signaculum 
xal    ?)    xXelg    -fj    ex   Javtö ,    6     omnium  prophetarura  adimplens 
avoiymv  xal  ouöelg  xXeiei  xal     omnia,  qnae  retro  etc. 
xXeicov  xal  ovöeig  avoiyei '). 

Identisch  ist  der  Satz  avrog  yag  ?jv  (eonv)  tj  öcpoaylg 
(navxcov  xeov  jiqo<pt]tcov).  Hippolyts  „Schlüssel"  fällt  sofort 
wieder  in  den  ihm  selbst  näher  liegenden  Gedanken,  dass  Christus 
versiegeltes  öffne. 

Da  wir  wissen,  woher  Tertullian  seine  Erklärung  der  Jahr- 
wochen hat,  werden  hier  drei  kleine  Fragmente  des  Chronographen 
sichtbar.  Er  hat  Jesus  „das  Siegel  der  Propheten"  genannt,  und 
für  die  Erfüllung  der  Weissagung  das  Wort  aus  Lukas  citirt 
und  wahrscheinlich  auch  Jesus  selbst  als  jiX?']Qco[ia  vofiov  xal 
jiQO(p?]Tcov  bezeichnet,  worin  natürlich  Mth.  5,  17  verwendet  ist. 

Nunmehr  tritt  auch  exQiO&r)  rrjv  oäoxa  reo  rov  jtarQÖg 
avrov  jivevfiari  im  Satz  des  Klemens  mit  Hippolyts:  ayiog  6h 
ayiwv  ...  Sc;  jzaoo)v  xal  ejtiöeixvvg  tavrov  elvat  rov  xexQtö- 
fievov  vjio  rov  jtvevjiaxog  xal  elg  rov  xoöfiov  djteözaXfievov, 
26,  16  in  Parallele,  wie  auch  bei  Tertullian  das  entsprechende 
Glied  nicht  fehlt,  da  die  plenitudo  spiritualium  bei  der  Taufe 
Christi  in  ihn  tritt,   als  er  das  Wasser  „heiligte"  (ayiog  aylcov). 

Auch  die  Kongruenz  in  der  Erörterung  über  das  ajzalelipai 
aöixiag 

Hippolyt :  Tertullian : 

xlveg  de  eloiv  ol  rag  aöixiag  dimissa  sunt  peccata  quae  per 
avrrov  et-iXaöxofievoi  ei  firj  ol  fidem  nominis  Christi  omnibus 
eiqxo  bvo[ia  avrov  Jitörevorreg;  in  eum  credentibus  remittantur 
wird  nicht  bloss  auf  Zufall  beruhn,  so  wenig  sie  für  sich  allein 
etwas  beweisen  würde. 

Bei  der  Berechnung  der  Jahrwochen  kommt  in  Betracht: 

1)  Hippolyt  macht  mit  den  49  Jahren  bis  zum  Tempelbau, 
dem  1.  Jahr  des  Darius  und  20  Jahren  der  Babylonier  die 
70  Jahre  des  Exils  voll:  tcoq  xqlötov  ?]yoi\utvov  eßöofiaöeg  tjrra, 
a  löTiv  errj  TeoöeoäxovTa  evvea'  elxoorrZ  yaQ  xal  jiqojtco  exet 
&ea>Qü  ravra    ev   BaßvXSvi  davujX.     rd>v  ovv   TeOöegaxovra 


1)  Beachte   die  unmittelbare  Verbindung  dessen,   was  dem   Chrono- 
graphen gehört,  mit  dem  Bibel  wort. 


22  Schlatter,  Chronograph. 

Ivvta   txajv   Ji(>og    xm    elxoÖTCO    'int    ip/j<f  iZouiror  JtXrjQOVVtai 
ißöofirjxovxa  Ixii,  ajtt.(t  elQTpcev  o  (/axdyiog  '/;(>;  uic.    25,  ~>. 

Wenn  der  Chronograph  vom  ersten  Jahr  des  Letzten  Darius 
aus  rechnet,  so  hat  er  die  49  Jahre  bis  zum  Tcmpdbau  zu  den 
70  geschlagen  und  ebenfalls  gerechnet: 

Babylonier  20 

Perser  bis  zum  Tempelbau  50. 

Hiezu  ist  die  Rechnung  Hippolyts  zum  mindesten  eine 
Analogie.  Aber  der  Chronograph  muss  die  49  Jahre  vor  den 
Meder  gestellt  haben,  und  dieser  Schluss  ist  durch  Tertullian 
bestätigt  worden;  denn  Ochus  qui  et  Cyrus  geht  dem  Darius 
Medus  voran.  Das  ergab  eine  Schwierigkeit.  Der  Text  verlangte, 
dass  7  +  62  +  1  addirt  werden,  und  im  ersten  Jahr  des  Meders, 
wo  der  Engel  mit  Daniel  redet,  war  hienach  der  Tempel  bereits 
gebaut.  Hippolyt  ist  desswegen  vom  Ansatz  des  Chronographen 
abgewichen  und  lässt  die  49  Jahre  auf  das  1.  Jahr  des  Meders 
folgen,  verzichtet  nun  aber  auch  auf  eine  ins  einzelne  gehende 
Ausrechnung. 

2)  Für  Hippolyt  giebt  es  bloss  4  Perserkönige:  Tlxi  tqüc, 
(p7]6i  (Dan.  11,  2),  ßaotlüg  dvaöxr/öovxac  hv  xjj  üagoldi  xal  6 
xixagxog  jtXovxtjösl  jzXovxov  fiiyavu  xal  yeyevrjxai'  ftexd  ydg 
Kvqov  äveöTt]  JaQBlog,  tJieixa  'A^xat-SQ^jg.  xgelg  ovxoi  ysye- 
vrjvxai  ßaötXelg'  JiSJiÄrjQcoxai  7]  yQa(pr).  „xal  o  xtxaqxog  jiXov- 
X7]08t  Jilovxoi^  ueyav"  xlg  ovxog  aXX*  r]  AaQelog  og  ßaöiXsvöag 
xal  evöo^og  yevrj&elg  ejiXovxrjöe  xal  tnaviöxrj  jtdoaig  ßaoiXtlaig 
cEXX?]vwv;  xovxco  dvtoxrj^AXi^avÖQog  o  Maxsöwv,  vlog  <PiXljijzov 
yeyovcog,  xal  xadelXe  xo  xovxov  ßaolXscov,  32,  11. 

Damit  kommt  Hippolyt  mit  sich  selbst  in  Widerspruch;  denn 
wenn  das  1.  Jahr  des  Meders  das  21.  seit  dem  Tempelbrand 
ist,  so  hat  Cyrus  nicht  vor,  sondern  erst  nach  dem  Meder  Platz. 
Auch  müssen  wir  die  pg.  4  (Bratke)  genannten  Ziffern:  230  Jahre 
für  die  Perser,  nach  einem  „jemand"  sogar  245  Jahre,  völlig  ver- 
gessen. Es  lässt  sich  aber  nicht  mehr  rekonstruiren,  wie  die 
Liste  beim  Chronographen  stand,  falls  er  überhaupt  hier  ins 
Detail  gieng.  Bei  Tertullian  sind  nur  3  Perserkönige  erkennbar: 
Cyrus-Ochus,  Arses,  Darius,  und  die  Ziffern  fügen  sich  nicht  in 
das  Schema  der  49  Jahre.  Dagegen  steht  Hippolyts  letzter  Darius, 
der  den  Gipfel  der  persischen  Macht  bezeichnet:  ejtavtoxrj  jrdoaig 


4.    Hippolyt  und  Julius.  23 

ßaoiXsiaiQ  'EXlrjv&v,   dem  Meder  jedenfalls   näher  als  dem  ko- 
domannus. 

3)  Trotz  der  langen  Ziffern:  Perser  230,  Griechen  bis  zu  in 
Anfang  des  Augustus  300.  sagt  Hippolyt:  die  62  Wochen  enden 
mit  der  Gegenwart  Jesu.  Er  fasst  diese  aber  im  Unterschied 
vom  Chronographen  als  deren  Ende.  Die  Rechnung  hat  für  ihn 
keine  eschatologische  Bedeutung  mehr.  Die  Nähe  der  Parusie 
giebt  er  mit  Bewusstsein  auf.  Er  weist  warnend  auf  die  schwär- 
merischen Erg  3e  der  Erwartung  hin  und  stellt  nach  der 
6000jährigen  Weltwoche  fest,  dass  zwischen  Christi  Geburt  und 
der  Parusie  500  Jahre  liegen.     Dennoch 

4)  weissagt  die  letzte  Woche  das  Ende.  Sie  beginnt  mit 
«K-r  Erscheinung  Elias  und  Henochs  und  hat  in  ihrer  Mitte  die 
Herrschaft  des  Greuels  der  Verwüstung,  d.  h.  des  Antichrists. 
Auch  das  ist  eine  gemischte  Vorstellung.  Die  eschatologische 
Deutung  des  Ganzen  wirkt,  auch  nachdem  die  Ziffer  nicht  mehr 
eschatologisch  verstanden  ist,  noch  nach,  und  reisst  die  letzte 
Woche  vom  übrigen  ab  und  stellt  sie  in  die  Zukunft  hinaus. 

Fraidl  pg.  74  hat  darauf  aufmerksam  gemacht,  dass  der  Be- 
ginn der  letzten  Woche  mit  Elias  Wiederkunft,  was  auch  Apolli- 
naris  giebt,  an  das  övvccfiocxjei  6ia\)7jx?jv  jwÄZolq  tßöofiac,  [iia 
denken  wird.  Allein  schon  bei  Hippolyt  steht  der  Satz  ohne 
seine  exegetische  Basis  als  fertiges  Dogma.  Bei  Klemens  hören 
wir  gar  nicht,  wie  die  „Stärkung  des  Bundes"  sich  vollzieht. 
Welcher  Exeget  hat  zuerst  das  dvvaficoöai  diafrr]?c?]v  als  Elias 
erk  beschrieben?  Es  setzt  sich  hier  ein  jüdisches  Element  mit 
auffallender  Kraft  im  Zukunftsbild  der  Väter  fort.  Doch  ist  der 
Ansatz:  zu  Anfang  der  Woche  Elia,  in  der  Mitte  der  Antichrist, 
am  Ende  der  Christus,  bei  unserm  Chronographen  nicht  denkbar, 
da  er  schon  mitten  in  der  letzten  Woche  steht. 
Julius  ist  mit  Hippolyt  im  wesentlichen  eins: 

1)  Luk.  16,  16  dient  auch  ihm  zur  Erläuterung  des  0(pQaylöai 
ogaoiv.  ogaotig  re  xal  jiQO(p?jT8lcu  f(ty()ic  Icoävvov,  yQisrat  öl 
ayioq  ayicov.  Eus.  dem.  8,  2. 

2)  Die  490  Jahre  laufen  nicht  vom  Beginn  des  Exils,  son- 
dern von  der  Vollendung  der  Stadt  an.  Da  aber  Julius  eine 
vollständige  Perserliste  hat  und  eine  genaue  Rechnung  erstrebt, 
zieht  er  das  20.  Jahr  des  Artaxerxes  aus  Nehemia  heran. 

3)  Die  400  Jahre   enden   im  15.  Jahr  des  Tiberius.     Julius 


24  Schlatter,  Chronograph. 

hat  mit  der  Jahrwochenrechnung  auch  den  Ansatz  des  Ohrono- 
graphen für  die  Wirksamkeit  Jesu  aufgenommen.  Bei  Hierony- 
mus  zu  Daniel  9  steht  direkt:  usque  ad  annum  quintum  deeimum 

Tiberii  Caesaris  quando  passus  est  Christus.  Bei  Euseb  stehl 
das  16.  Jahr  des  Tiberius,  was  auf  der  Erwägung  beruht,  dass 
der  Tod  Jesu  über  sein  Lehrjahr  hin  ausreiche.  Wir  brauchen 
uns  hier  nicht  mit  den  spitzigen  Schwierigkeiten  abzumühen, 
welche  die  Wiederherstellung  der  Einzelheiten  der  Rechnung  des 
Julius  drücken1);  für  uns  genügt  die  Thatsache,  dass  das  1T>.  Mi. 
Jahr  des  Tiberius  als  Todesjahr  Christi  nicht  nur  durch  Ter- 
tullian,  sondern  auch  durch  Julius  als  Bestandtheil  der  Jahr- 
wochenrechnung überliefert  ist. 

4)  Dennoch  hat  Julius  die  letzte  Woche  eschatologisch  ge- 
deutet. Denn  Hieronymus  hat  aus  Apollinaris  erhalten,  dass 
er  seine  Beziehung  der  Jahrwochen  auf  die  Zeit  zwischen  Christi 
Geburt  und  derParusie  desswegen  aufgestellt  habe,  quia  Africanus 
ultimam  hebdomadem  in  fine  mundi  esse  testetur,  nee  posse 
fieri,  ut  junetae  dividantur  aetates.  Es  ist  nicht  richtig,  wenn 
Fraidl  diess  als  eine  andere  Berechnung  der  Jahrwochen  neben 
die  frühere  stellt.  Die  Sache  wird  sich  genau  so  wie  bei  Hippolyt 
verhalten.  Die  Rechnung  geht  nur  auf  Christi  Tod;  aber  das 
Ende  der  Weissagung  wird  von  der  Rechnung  vollständig  ab- 
gelöst in  die  Zukunft  hinausgestellt. 

Dass  Julius  aus  Hippolyt,  Hippolyt  aus  Julius  schöpfe, 
scheint  mir  ausgeschlossen.  Wir  bedürfen  einen  altern  Exegeten, 
der  ihre  Uebereinstimmung  erklärt  und  zugleich  auch  Tertullian 
mit  umfasst.  Ich  glaube  dieses  Problem  als  gelöst  bezeichnen 
zu  dürfen.  Julius  und  Hippolyt  haben  sich  gleichmässig  durch 
den  Chronographen  sagen  lassen,  dass  Daniel  mit  dem  gesalbten 
Allerh eiligsten  Jesus  weissage.  Damit  war  beiden  das  Mittel 
gegeben,  durch  welches  die  unhaltbar  gewordne  Rechnung  sich 
umbilden  Hess:  die  Ziffer  weissagte  nicht  Jesu  zweite,  sondern 
die   erste  Ankunft.     Hippolyt   bleibt   darin   näher  beim  Chrono- 


1)  Es  handelt  sich  bekanntlich  immer  um  eine  Differenz  von  2  Jahren 
in  den  Berichten.  Geizers  Lösungsversuch:  egyptische  Jahre  und  julia- 
nische Jahre,  lässt  mir  viele  Zweifel.  Hängt  die  Konfusion  etwa  an  den 
2  Jahren  Sems?  Geizer  hat  sie  mit  dem  Syncell  gestrichen;  vielleicht  hat 
sie  Julius  gehabt.  Ihr  Wegfall  müsste  Korrekturen  durch  das  ganze 
System  hindurch  zur  Folge  gehabt  haben. 


5.    Eusebs  Juda.  25 

graphen,  dass  ihm  die  Erscheinung  Jesu  als  das  für  die  62  Wochen 
bedeutsame  gilt,  während  Julius  die  ganze  Summe  für  sie  braucht. 
Dieser  bleibt  andrerseits  darin  beim  Chronographen,  dass  er  den 
Bau  der  Stadt  und  des  Tempels  vor  die  Summe  setzt,  während 
Hippolyt  sie  in  dieselbe  eingerechnet  hat. 

5. 
Eusebs  Juda, 

Trotz  alledem  soll  die  Beziehung  der  Jahrwochen  auf  die 
Parusie  nach  der  traditionellen  Meinung  noch  bis  ins  dritte  Jahr- 
hundert fortgesetzt  worden  sein.  Denn  Euseb  sagt  h.  e.  6,  7:  ev 
Tovrcp  xal  'lovöag  övyygacpimv  tTegog  elg  Tag  jtaga  reo  JavirjX 
eßöofiijxovTa  tßöofiäöag  tyygacpmg  öiaZex&Hg  tjtl  ro  öixaxov 
r?jg  Seßr'tQov  ßaöiZelag  löttjöc  t?]v  ygovoygayiav ,  og  xal  rrjv 
frgvAovfiwrjv  xov  ävriXQiOTOv  jiagovölav  rfir\  tote  jtZrjöcccL.siv 
coero'  ovtüj  öcpoögwg  r  tov  tote  xa&  micov  öicoyfiov  xivrjOig 
rag  twv  nollmv  ävctTSTCcgccxei  ötavolag. 

Zu  einem  verständlichen  Text  eine  Konjektur  zu  machen, 
wäre  ein  thörichtes  Geschäft.  Was  aber  hier  berichtet  ist,  ist 
nicht  verständlich.  Schürer  hat  meine  lebhafte  Phantasie  ge- 
rühmt; aber  trotz  aller  Lebhaftigkeit  derselben  vermag  ich  mir 
nicht  vorzustellen,  wie  Juda  a.  202  mit  der  Zahl  490  die  Nähe 
der  Parusie  bewies.  Wie  weit  man  im  10.  Jahr  des  Severus 
vom  Anfang  des  Augustus  entfernt  war,  wusste  man  in  der 
Kirche.  Es  blieben  dem  Rechner  noch  circa  250  Jahre;  d.  h. 
er  kam  mit  den  Jahrwochen  nicht  mehr  zum  grossen  Alexander 
hinauf.  Da  aber  kein  Erklärer  Daniels  die  Perser  streichen 
konnte,  müsste  er  die  Griechen  unsinnig  verkürzt  haben.  Und 
doch  war  es  für  einen  Chronographen  keine  entlegne  Wissen- 
schaft, dass  zwischen  Alexander  und  Augustus  300  Jahre  stehu. 
Zumal  wenn  er  auf  seinen  Satz  eine  so  gewichtige  These  baut, 
wie  den  Mahnruf  an  die  Kirche:  der  Herr  ist  nah! 

Es  ist  viel  thörichtes  über  die  Jahrwochen  in  der  alten  Zeit 
gesagt  worden;  und  doch  macht  schon  das  bisherige  deutlich, 
dass  diejenigen,  welche  wirklich  rechneten,  ernsthaft  gerechnet 
haben  und  die  gegebnen  Zahlen  benutztem  Der  Chronograph 
bringt  seinen  Alexander  annähernd  richtig  auf  320  und  Julius 
hat  sich  mit  seinen  ..Mondjahren"  redlich  mit  ernsthaften  Zahlen 


26  Sehlatter,  Chronograph. 

abgemülit.      Wo    unbesonnen«  jagt    wird,    wird    auch    nicht 

selbständig  gerechnet.  Tertullian  hat  bloss  an  der  ihm  vor- 
liegenden   Rechnung    gewaltsam    herumkorrigirt,   und    Hippolyi 

hat,  auf  seinen  Vorgänger  gestützt  und  ohne  selbst  zu  rechnen. 
leichthin  gesagt:  434  Jahre  sind  es,  bis  Christus  kam.  Hier  soll 
aber  einer  den  Text  Daniels  auslegen  und  durch  eine  Rechnung 
den  Beweis  für  seine  These  geben,  und  dennoch  ins  dritte  Jahr- 
hundert hinunter  gelangen. 

Auch  Euseb  hat  sich  über  die  ihm  vorliegende  Notiz  ver- 
wundert und  die  Sache  durch  die  Verfolgung  unter  Severus 
entschuldigt.  Dieser  Grund  erklärt  nichts  und  beweist  nur,  dass 
Euseb  das  Buch  nicht  kennt.  Keiner  von  den  andern,  die  mit 
Juda  die  Noth  unter  Septimius  mit  erlebt  haben,  hat  desswegen 
die  Jahrwochenrechnung  erneuert,  nicht  einmal  Tertullian,  noch 
weniger  Klemens  oder  Origenes  oder  Hippolyt  oder  Julius.  Wie 
man  nach  Hadrian  in  der  Synagoge  die  Jahrwochen  verstand, 
zeigt  die  Tosefta:  420  Jahre  stand  der  nachexilische  Tempel, 
natürlich  mit  70  die  Ziffer  Daniels,  Zuckerm.  pg.  499,  2  l).  Und 
doch  war  wahrhaftig  für  die  Rabbinen  der  Tempelbrand  nicht 
das  Ziel  der  Weissagung. 

Wer  erwiedert:  Euseb  sage  nicht,  Juda  habe  aus  den  490 
Jahren  die  Nähe  des  Antichrists  erwiesen,  sondern  setze  lediglich 
die  beiden  Thatsachen  neben  einander:  Juda  habe  von  den  490 
Jahren  gehandelt  und  den  Antichrist  in  seine  Zeit  versetzt,  schafft 
wieder  eine  Unverständlichkeit.  Hat  Juda  auf  die  eschatologische 
Fassung  der  Jahrwochen  verzichtet  und  nachgewiesen,  dass  sie 
schon  längst  zu  Ende  sind,  so  stellen  sich  die  beiden  Zwecke  seines 
Buchs  quer  gegen  einander  und  heben  sich  gegenseitig  auf.  Mit 
der  Beziehung  der  Jahrwochen  auf  Jesu  Leben  machen  sich 
Julius  und  Hippolyt  Raum  zu  dem  Satz,  dass  die  Welt  noch 
einige  Jahrhunderte  stehe.  Auch  wenn  man  die  eschatologische 
Fassung  der  letzten  Woche  beibehielt,  so  liess  sie  sich  doch 
nicht  mehr  zu  einer  Weissagung  über  die  Nähe  der  Parusie 
verwenden.  Denn  nachdem  die  letzte  Woche  von  den  übrigen 
getrennt   war,   konnte   man   über   das   Mass    dieser  Distanz   aus 


1)  Ebenso  der  Seder  Olani.  Vgl.  auch  den  Rabbinen  des  Hierony- 
nms  zu  Daniel  9 :  62  Jahrwochen  bis  zum  jüdischen  Krieg,  49  bis  Hadrian, 
und  zweimal  372  Jahre  für  die  beiden  Kriege.  Die  3V2  Jahre  stehn  auch 
im  Talmud  für  den  Krieg  Hadrians  =  l/2  Woche  Daniels. 


5.    Eusebs  Juda.  27 

490  nichts  mehr  ableiten.  Soll  »Inda  zuerst  bewiesen  haben, 
dass  die  Jahrwochen  nichts  über  das  Weltende  offenbaren, 
und  hernach  es  dennoch  geweissagt  haben?  Wer  es  weissagt, 
der  hat  nur  einen  Zweck,  den,  seine  Weissagung  glaubhaft  zu 
machen  und  mit  dem  Zeugniss  der  Schrift  zu  bewähren,  und 
da  Juda  dieselbe  mit  der  Erörterung  der  Zahl  490  verband, 
so  hat  er  seinen  Satz  nicht  trotz  derselben,  sondern  wegen  der- 
selben aufgestellt. 

Wollen  wir  ..Zeichen  der  Zeit"  suchen,  die  seinen  Gedanken  er- 
läutern, so  böte  der  Judenkrieg  in  Palästina  unter  Severus  vielleicht 
eine  kräftigere  Erklärung  für  seine  Weissagung  als  die  Christen- 
proc  auf    welche   sich   Euseb    beruft.      Das   von  Euseb   ge- 

nannte Datum  fällt  nahe  zusammen  mit  der  Gründung  von  Dios- 
polis,  Eleutheropolis  und  Nikopolis,  und  wenn  die  Juden  zu 
den  Waffen  griffen  und  die  blutigen  Scenen  in  Palästina  sich 
erneuerten,  gähren  regelmässig  auch  die  messianischen  Erwar- 
tungen. Allein  mit  alledem  gewännen  wir  noch  keinen  Einblick 
in  das  mysteriöse  490,  wie  es  bei  Juda  stand. 

Ist  es  denn  wirklich  eine  „unmögliche"  Konjektur,  die  uns 
hier  hilft?  Euseb  las  bei  Julius:  jivrcovivov  und  deutete  das 
auf  Severus;   alles  andere  bleibt  sammt  dem  zehnten  Jahr. 

..Warum  sollte  nicht  ein  Chronist",  hat  Harnack,  Geschichte 
der   altchristlichen  Litteratur  756,    erwiedert,   „im  10.  Jahr  des 

minus  und  ein  andrer  im  10.  Jahr  des  Septimius  die  Jahr- 
wochen Daniels  ausgelegt  haben?  natürlich  beide  in  der  Ueber- 
zeuo'uno\  dass  man  bereits  am  Ende  der  Zeit  stehe."  Allein  da- 
mit  scheint  mir  die  Besonderheit  des  Problems  etwas  verwischt. 
Kommentare  zu  Daniel,  wie  sie  in  der  Kirche  seit  Hippolyt  ge- 
schrieben worden  sind,  mögen  in  jedem  Jahr  in  ungezählter 
Menge  denkbar  sein;  aber  die  beiden  Rechner  des  10.  Jahrs 
haben  beide  geweissagt,  und  diess  sehr  präcis.  Kam  es  in  der 
alten  Kirche  so  häufig  vor,  dass  man  die  Parusie  des  Herrn 
chronologisch  fixirte?  Ich  weiss  keinen  dritten  Fall;  denn  Montan 
gehört  nicht  hierher,  da  er  nicht  mehr  in  der  Kirche  steht  und 
sich  nicht  auf  Exegese,  sondern  auf  Inspiration  und  eignes 
Prophetenthum  berief.  Unsre  beiden  Rechner  sind  in  kirchlichem 
Ansehen  geblieben,  und  nun  ist  es  doch  eine  seltsame  Sache,  dass 
das  Schlussjahr  beider  nicht  in  der  Jahrzahl,  sondern  nur  im 
Kaisernamen  differirt,  und  dass  mit  dem  einen  Kaisernamen  die 


28  Schlatter,  Chronograph. 

Rechnung  vollständig  durchsichtig,  mil  dem  andern  zum  absoluten 
Geheimniss  wird. 

Die  Korrektur  von  2JeßrjQov  ist  um  so  mehr  erlaubt,  weil 
der  Schlusssatz  Eusebs  zeigt,  dass  er  sich  über  die  Sache  seine 

Konjekturen  macht.  Ihm  war  es  glaublicher,  dass  jemand  in 
einer  schweren  Kampfeszeit  etwas  so  thörichtes  behauptet  habe, 
als  in  einer  stillen  Periode  wie  diejenige  Antonin s.  Er  übt  an 
Juda  Kritik;  meine  Antikritik  gegen  dieselbe  steht  auf  dem 
Faktum,  dass  einer  in  der  Friedenszeit  des  Pius  genau  das  that, 
was  Euseb  durch  die  Nothzeit  unter  Severus  erklären  zu  müssen 
glaubt. 

Euseb  redet  vom  Antichrist,  während  die  Sätze  des  Klemens 
nichts  über  denselben  geben.  Aber  kein  Erklärer  Daniels,  dem 
dessen  Zahl  noch  in  die  Zukunft  zielte,  kam  um  das  „kleine 
Hörn"  herum.  Da  die  Parusie  für  ihn  noch  3  Jahre  ausstand, 
muss  es  für  ihn  buchstäblich  wahr  gewesen  sein:  zrjv  roc  dv- 
xiXQi6xov  jtaQovötav  ?}öfj  tote  jtkr/oiä&iv  (Jjsto.  Es  sieht  auf 
den  ersten  Blick  auffallend  aus,  dass  gerade  die  Weissagung 
des  Antichrists  als  für  das  Buch  charakteristisch  hervorgehoben 
wird.  Warum  wird  nicht  vielmehr  von  ihm  berichtet,  dass  er 
den  Christus  weissagte?  Die  Rechnung  des  Chronographen  macht 
diess  deutlich.  Er  stand  vor  der  letzten  halben  Woche;  so  muss 
in  der  That  der  Zweck  seines  Buchs  gewesen  sein,  der  Kirche 
zu  sagen,  dass  jetzt  unmittelbar  der  Antichrist  erscheine  und 
die  grosse  Versuchung  komme. 

Auch  der  jüdische  Name  fällt  ins  Gewicht.  Denn  die  50 
Jahre  zwischen  Antoninus  und  Severus  haben  für  die  Betheiligung 
der  jüdischen  Leute  an  der  Kirche  und  ihrer  Litteratur  viel  be- 
deutet. Wo  treten  um  200  noch  Juden  als  Schriftsteller  in  der 
Kirche  auf?  Während  jüdische  Männer  im  10.  Jahre  Antonins 
noch  angeselme  Glieder  der  Kirche  waren.  Der  Ausleger  Daniels 
aus  Antonins  10.  Jahr  theilt  sein  Judenchristenthum  mit  Hege- 
sipp,  vermuthlich  auch  mit  Papias;  mit  wem  theilt  es  derjenige 
im  10.  Jahre  Severs? 

6. 
Der  Bischof  Juda. 

Epiphanius  haer.  2,  66,  20  giebt  die  Bischofsliste  Jerusalems 
in  folgender  Gestalt: 


6.    Der  Bischof  Juda. 


29 


Euseb  h.  e.  4,  5.  3.  12,  1. 
'Iaxcoßoq    6    §vXq>    JtXrjyelg   ev     'laxmßog   6   rov    xvqiov    Xeyo- 

%QOOoXvfioiq        tfiaQTVQTjös        fievoq  aösXpog. 

itr/oi  XtQcovoc. 
Svfiswv  tm    TQaiavov   torav-     Svfiewv. 

QC0&7]. 

\lovöag.  'iovGTOq. 

Zayaqiag.  Zaxyaloq. 

Twßlag.  Tojßiaq. 

Herta  [UV.  Bsv Lactiv. 

'[cqccvvijq  ecog  öexaervea  tTovq  Icoavvrjq. 

TQaiavov. 

MatMaq.  MaxMaq. 

<I>iXi7iJtoq.  <PlXuiJioq. 

Ssvexäg.  Sevexag. 

'lovOTOq  ecog  34.6ql<xvov.  Iovötoq. 

AsvIj.  Aevlq. 

Ovayoiq.  'EyQJfi. 

7cooL.  *Ico6r/<p. 

'iovöaq  ftr/QLq  evöexaTovÄvToo-  'iovöaq  fieyQi  TVS  xaxa  'Aögia- 

v'ivov  ovtoi  de  ajib  jzeoiTO-  vbv  'iovöaioov  jtoXcooxlaq. 

ur\q  ejreoxojtevöav  rfjg  'leoov- 

oalrjfi,  e$  e&voov  de  ovtoi. 

Maoxoq.  Maoxog. 

Kaööiavog.  Kaööiavbg. 

UovjtZioq.  HovjiXiog. 

Magiftoq.  Md^i{uog. 

louXiavbg,  ovtoi  JtavTeg  {ISXQI  lovXiavbg. 

dexctTov     eTOvg     'ävTcovivov 

ecoeßovg  1). 

Die  Liste  ist  mit  derjenigen  Eusebs  identisch,  ist  aber 
von  Epipbanius  nicht  Euseb  entnommen,  weder  der  Kirchen- 
geschichte, noch  dem  Chronikon,  und  ist  bei  Epiphanius  auf 
Antonius  10.  Jahr  datirt,  und  diess  in  ihren  beiden  Reihen,  der 
judenchristlichen  und   der  heidenchristlichen.     Alle  Klagen  über 


1)  Von  nun  an  folgt  je  beim  dritten  Namen  ein  Datum:  8.  des  Verus, 
20.  des  Verus,  Commodus;  von  nun  an  treten  die  Kaisernamen  regel- 
mässig an. 


30  Schlatter,  Chronograph. 

die  Konfusion  bei  Epiphanius,  der  schon  Judas  bis  zum  11.  Jahr 
Antonins  reichen  lasse  und  dann  nochmals  beim  5.  heidenchrist- 
lichen Bischof  beim  10.  Jahr  Antonins  anlange,  sind  Lediglich 
Missverständniss.    Es  gab  nach  unsrer  Liste  in  Jerusalem  zuersl 

nur  beschnittene  Bischöfe,  dann  neben  den  Bischöfen  der  Be- 
schnittenen auch  Bischöfe  der  griechischen  Christen.  Warum 
beide  Reihen  bis  zum  10.  Jahre  Antonins  herabgeführt  sind,  wird 
durch  das  bei  Klemens  erhaltene  Fragment  vollständig  erläutert: 
hier  schloss  der  Chronograph. 

Aber  auch  der  Inhalt  der  Liste  sichert  ihr  ein  hohes  Alter, 
da,  wie  schon  Gutschmid  richtig  hervorhob,  der  Chronograph 
seine  Episkopen  nicht  in  eine  fortlaufende  Reihe  stellt,  sondern 
mehrere  gleichzeitige  Episkopen  aufführt.  Nachdem  wir  schon 
mit  Symeon  zu  Trajan  hinabgelangt  sind,  stehen  wir  mit  dem 
fünften  folgenden  Namen  wieder  bei  Trajans  19.  Jahr,  und  er- 
halten von  Hadrian,  wo  doch  wohl  an  die  Katastrophe  Jerusa- 
lems gedacht  ist,  bis  zum  10.  Jahr  Antonins  weitere  4  Namen. 
Dass  vollends  die  heidenchristlichen  und  die  judenchristlichen 
Episkopen  neben  einander  gesetzt  sind,  sagt  die  Liste  selbst. 
Seit  aber  der  monarchische  Episkopat  kraft  göttlichen  Rechts 
als  wesentlicher  Bestandtheil  der  kirchlichen  Verfassung  galt, 
war  es  unvermeidlich,  dass  die  Bischofslisten  von  den  Aposteln 
her  nach  monarchischer  Succession  redigirt  worden  sind.  Euseb 
kann  sich  nicht  einmal  mehr  judenchristliche  und  heidenchrist- 
liche Episkopen  gleichzeitig  denken,  und  lässt  darum  Juda  nur 
bis  zur  Gründung  von  Aelia  reichen  und  macht  Markus  zu  dessen 
Nachfolger.  Das  steht  auf  derselben  Stufe  wie  sein  naives  xo- 
fiLÖrj  ßQaxvßioi,  4,  5,  1.  Wer  irgendwie  zusammen  fungirende 
Episkopen  nennt,  reicht  in  die  erste  Hälfte  des  zweiten  Jahr- 
hunderts zurück  1). 

Diese  Liste  ist  judenchristlich,  nicht  nur  dess wegen,  weil 
sie   über  Jerusalem   sachkundig   berichtet,    sondern  noch    mehr 


1)  Wie  sich  diese  Kooperation  vollzogen  hat,  steht  dahin.  Nicht 
einmal  für  die  Frage,  ob  die  nach  Hadrian  stehenden  judenchristlichen 
Bischöfe  noch  in  Aelia  selbst  zu  denken  sind,  liegt  mir  eine  Instanz  vor, 
die  ein  Urtheil  ermöglichte.  Es  hängt  von  der  Frage  ab,  wie  Hadrian  und 
seine  Beamten  den  Unterschied  zwischen  den  Juden  und  Judenchristen 
beurtheilten.  Nur  das  darf  als  gewiss  bezeichnet  werden,  dass  die  Juden- 
christen sich  nicht  am  Krieg  betheiligt  hatten. 


6.    Der  Bischof  Juda.  31 

desswegen,  weil  ihr  die  heidenchristlichen  Bischöfe  von  Jerusalem 
keineswegs  ohne  weiteres  die  Erben  und  Nachfolger  der  juden- 
christlichen Reihe  sind.  Diese  Setzt  sich  vielmehr  neben  jenen  fort. 

Auch  die  beiden  andern  Daten  verdienen  Beachtung:  Jo- 
hannes bis  zum  19.  Jahr  Trajans,  Justus  bis  Hadrian.  Das 
19.  Jahr  Trajans  führt  uns  zum  Ende  seiner  Regierung,  d.  h. 
zum  grossen  Judenkrieg.  Durch  Sota  9,  14  ist  der  „Krieg  des 
Quietus"  historisch  völlig  gesichert,  und  zwar  für  Palästina  '). 
Wer  in  der  Succession:  Vespasian,  Quietus,  Hadrian,  das  mitt- 
lere Glied  auf  das  Unglück  der  babylonischen  Diaspora  bezieht, 
erklärt  nicht  vom  Standpunkt  der  Rabbinen  aus.  Die  Mischna  hat 
das,  was  jüdische  Gemeinden  draussen  betrifft,  mag  das  Unglück 
auch  schrecklich  sein,  nicht  mit  dem  koordinirt,  was  dem  Tempel 
und  der  heiligen  Stadt  angethan  wird.  An  die  Vernichtung  der 
Alexandrinischen  Judenschaft,  die  ein  furchtbares  Ereigniss 
war.  haben  sich  in  den  Talmuden  bestimmte  Erinnerungen  er- 
halten, aber  das  ergiebt  nicht  einen  Krieg,  der  mit  den  Tempel- 
/«  Störungen  des  Titus  und  Hadrian  verglichen  würde.  Haben 
aber  unter  Trajan  kriegerische  Wirren  in  Palästina  stattgefunden, 
von  denen  Jerusalem  nothwendig  mitbetroffen  wurde,  so  hat  die 
Erwähnung  des  19.  Jahrs  Trajans  denselben  sachkundigen  Sinn 
wie  diejenige  Hadrians.  Die  Kriege  unterbrachen  regelmässig 
den  Bestand  der  Gemeinde  Jerusalems  und  nöthigten  die  Christen- 
heit und  ihre  Episkopen  zur  Flucht. 

Auch  zur  Bischofsliste  giebt  Klemens  eine  Parallele,  leider 
nur  mit  dem  durch  Euseb  erhaltnen  Fragment  aus  den  Hypo- 
typosen  h.  e.  2,  1,  3:  Kfo'/fir/g  6h  h>  txrco  tcov  ^YjtorvjtCDOecov 
ygaqxjw  oode  JtaQLOTtjOC  IltrQOv  ydg  (prjöi  xaVlaxcoßov  xal  'Iwav- 
vrjv    fiera   ttjv    avaX?jipiv    xov   öwrrJQog,    wöäv    xal    vjto    rov 

XVQIOV  JtQOTSTlf/7j(4tVOVC,    ////  tJlldlxätsOfrcci  Öo^jQ,    <xl)?    'iäxwßoV 

rbv   dixaiov  huzloxonov  'JeQOGoZvfiwv  ilto&ai.    Wer  sagt  das? 


1)  Schürer  hat  gegen  die  Benutzung  der  rabbinischen  Aussagen  für 
die  Geschichte  des  zweiten  Jahrhunderts  bündig  erwiedert:  „spät  rabbi- 
ne  Legenden".  Der  kritische  Standpunkt,  den  er  einnimmt,  ist  nicht 
haltbar.  Er  zieht  sich  auf  die  Mischna  zurück,  und  wirft  alles  übrige 
weg.  Aber  in  den  Kommentaren  zur  Mischna  und  auch  in  den  exegetischen 
Sammlungen  steht  mancher  Satz,  der  älter  als  die  Redaktion  der  Mischna 

Die  Unterscheidung  zwischen  Legende  und  Geschichte  dürfte  auch 
auf  diesem  Gebiete  keineswegs  unmöglich  sein. 


32  Schlatter,  Chronograph. 

Wäre  der  Satz  des  Klemens  in  die  indirekte  Rede  umgesetzt, 
würde  diess  anzeigen,  dass  Eusrb  das  Citat  nicht  selbst  ans  den 
Hypotyj)osen  nimmt.  Citirt  er  Klemens  direkt,  dann  hat  sich 
Klemens  auf  einen  altern  berufen,  der  die  Wahl  des  Jakobus 
durch  die  drei  Hauptapostel  berichtet  hat.  Da  Klemens  unsern 
Chronographen  gelesen  hat  und  da  derselbe  den  Episkopat  des 
Jakobus  giebt,  fände  sich  zu  diesem  <p?]6i  ohne  Zwang  ein  Subjekt. 

Da  die  Liste  Epiphanius  und  Euseb  mit  ihrer  Fortsetzung 
vorlag,  giengsie  durch  einen  spätem  Chronographen  durch.  Euseb 
hebt  es  als  etwas  besonderes  heraus,  dass  er  für  dieselben  keine 
Zahlen  finde.  Andre  Bischofslisten  waren  ihm  mit  Zahlen  über- 
liefert, diese  nicht.  Der  ältere  Chronograph,  auf  dem  Euseb  in 
allen  diesen  Dingen  steht,  ist  Julius,  und  da  sich  ohnehin  schon 
ergeben  hat,  dass  Julius  seinerseits  auf  unserm  Chronographen 
steht,  so  ergiebt  sich  auch  nach  dieser  Seite  keine  Schwierigkeit. 

Während  die  Liste  der  heidenchristlichen  Bischöfe  beim 
10.  Jahre  Antonins  endet,  wie  die  Chronographie,  reicht  der 
Bischof  Juda  bis  zum  11.  Jahr.  Warum?  Ich  erkläre  diess  so:  der 
Erklärer  Daniels  aus  Antonins  1 0.  Jahr  ist  Juda,  und  Julius  hat 
sich  mit  verständiger  Ueberlegung  gesagt:  ein  Mann,  der  das 
10.  Jahr  noch  in  seine  Chronologie  einbefasst,  hat  nothwendig 
das  elfte  noch  erlebt,  während  er  für  den  heiden christlichen 
Bischof  keine  Angabe  hatte,  die  über  das  10.  Jahr  hinausführte. 
Er  war  bei  Juda  noch  genannt,  aber  sein  Bericht  schloss  mit 
dem  10.  Jahr.  Das  ist  die  nüchterne,  ehrliche  Weise  des  Julius, 
der  nicht  mehr  sagt,  als  er  weiss. 

Drei  Dinge  sind  uns  überliefert: 

1)  Dass  eine  weissagende  Erklärung  Daniels  ihr  Schlussjahr 
im  10.  Antonins  besass. 

2)  Dass  ein  Juda  eine  weissagende  Erklärung  Daniels  schrieb 
mit  dem  Schlusspunkt:  10.  Jahr  (Severs?). 

3)  Dass  das  11.  Jahr  Antonins  das  letzte  für  den  Bischof 
Juda  überlieferte  war. 

Ich  sagte  in  der  Topographie:  „vielleicht  ein  Zufall";  Har- 
nack  antwortete:  „sehr  wahrscheinlich  ein  Zufall";  ich  glaube 
nicht,  dass  die  Sache  damit  erledigt  ist. 

Wir  stehn  erst  in  der  Mitte  des  Jahrhunderts,  wo  der  An- 
theil  der  Laien  an  der  Litter atur  der  Kirche  noch  ein  geringer 
ist.      Die    apologetische   Litteratur   war    ihnen    allerdings    offen. 


6.    Der  Bischof  Juda.  ;j;; 

weil  dieselbe  litterarisches  und  philosophisches  Wissen  erforderte. 
Wer  das  besass,  mochte  dieser  missionirenden  Aufgabe  sich  wid- 
men. Unser  Buch  gehört  aber  nicht  zur  apologetischen  oder 
gelehrten  Gattung,  sondern  zur  Verwaltung  des  „Worts"  im  inten- 
sivsten Sinne.  Dazu  bedurfte  es  in  der  alten  Kirche  einer  Voll- 
macht, und  nicht  bloss  litterarischer  Betriebsamkeit.  Wer  hat 
sich  für  berufen  erachtet,  der  Kirche  das  Geheininiss  Daniels 
auszulegen,  und  sie  daran  zu  erinnern,  dass  die  von  ihm  gesetzte 
Frist  nun  unzweifelhaft  abgelaufen  sei?  Ein  Laie?  Nach  aller 
Analogie  lässt  sich  nur  sagen:  ein  Bischof.  Das  gälte  selbst 
noch  für  das  10.  Jahr  Severs.  Bis  auf  bestimmtes  Gegenzeugniss 
rnuss  der  weissagende  und  auslegende  Juda  unter  dem  Klerus 
gesucht  werden.  Durch  Kleraeus  wird  er  aber  in  dasselbe  Jahr 
gestellt,  wo  in  der  That  der  Bischof  Juda  steht.  Dieser  Schluss 
hat  noch  mehr  Gewicht,  weil  das  Buch  aus  der  jüdischen  Christen- 
heit hervorgegangen  ist,  wo  das  Autoritätsbewusstsein  vollends 
entwickelt  war  und  die  „Alten"  allein  das  Wort  führten. 

Das  Buch  besass  in  seinem  Inhalt  ein  schwerwiegendes 
Gegenzeugniss  gegen  seinen  Werth.  Seine  Weissagung  wurde 
sofort  durch  den  Gang  der  Dinge  widerlegt  und  seine  Aus- 
legung Daniels  unbrauchbar.  Dennoch  hat  sich  das  Buch  ein 
Jahrhundert  lang  erhalten  und  zählt  unter  seinen  Lesern:  Kle- 
mens,  Tertullian,  Hippolyt,  Julius,  —  ich  füge  noch  bei:  Theo- 
philus  von  Antiochien  und  Origenes.  Das  ist  ein  ansehnlicher 
Leserkreis!  Dass  es  namenlos  gewesen  sei,  ist  mir  nicht  glaub- 
lich. Dass  ihm  der  Anstoss  an  seinem  Inhalt  dennoch  die 
Autorität  nicht  raubte,  deutet  darauf,  dass  es  durch  einen  an- 
gesehnen  Namen  gehalten  war.  Stammt  es  von  Juda,  der  noch 
zur  Urgemeinde  gehört  hatte,  so  ist  es  nicht  unbegreiflich,  dass 
es  noch  ein  Jahrhundert  lang  mit  Ehrfurcht  behandelt  worden  ist. 

Endlich  dürfen  wir  auch  nicht  vergessen,  dass  Julius  das 
Buch  „eines  Verwandten  Jesu"  gelesen  hat,  Brief  an  Aristides 
Eus.  1,  7,  11.  Weder  Spitta,  noch  Geizer  Jul.  Afr.  1,  259  haben 
dieser  Nachricht  ihr  Recht  gewährt:  rov  yäo  öojrrJQog  ol  xard 
öuQTca  övyytvtlc.  elx  ovv  (pavT/r icövx &g  eid-'  djrlcog  exöcödoxor- 
rsg,  jtdvrcog  öh  dhjOtvovrsg,  jiaotöoöav  ravra,  cog  °Idov(iaioi 
Z?]oral  etc.;  es  folgt  die  Erzähluug  von  der  Herkunft  Antipaters 
aus  Askalon.  Trotz  des  generischen  Plurals  ol  ovyytvelg  ist  hier 
von  einem  Buch  die  Rede,  das  natürlich  nur  einen  Verfasser  haben 

Texte  u.  Untersuchungen  XII,  l.  3 


;;,j  Schlatter,  (  hronograph, 

kann,  der  aber  für  Julius  als  Vertreter  and  Erbe  der  in  Jesu 
eigner  Familie  vorhandnen  Traditionen  gilt.    Das  nagidocav  Lsi 

nicht  Präsens,  sondern  etwas  fertiges,  also  schriftlich  vollzogenes, 
wie  wir  denn  von  „Verwandten  Jesu"  im  dritten  Jahrhundert 
nichts  mehr  hören.  Was  Geizer  sngte:  „im  günstigsten  Fall 
könnte  die  Tradition  in  letzter  Linie  auf  die  Juden  christlichen 
Bischöfe  von  Jerusalem  zurückgehen,  welche  bis  zur  Gründung 
von  Aelia  Kapitolina  den  dortigen  Stuhl  inne  hatten,"  bedarf 
einer  kleinen  Vereinfachung:  das  Buch,  welches  Julius  citirt, 
ist  von  einem  der  letzten  Juden  christlichen  Bischöfe  geschrieben. 

Man  sollte  denken,  nachdem  dasselbe  bis  ins  dritte  Jahr- 
hundert fortbestand,  hätte  es  sich  bleibend  forterhalten,  und 
ringsum  grosse  Ehrfurcht  erweckt.  Scheinbar  ist  Julius  der 
einzige,  der  diesen  Verwandten  Jesu  befragen  kann,  und  nach- 
her verstummt  die  Erinnerung  an  ihn  total.  Euseb  hat  nichts 
von  ihm  gewusst.  Ich  denke,  dieses  Räthsel  ist  gelöst.  Nicht 
dass  Judas  Weissagung  verschwand,  sondern  dass  sie  sich  noch 
bis  ins  dritte  Jahrhundert  erhielt,  bedarf  der  Erklärung,  und 
rov  öcorrjQog  ol  xara  oäoxa  OvyyevsTg  spricht  aus,  warum  er 
sich  bis  ins  dritte  Jahrhundert  zu  erhalten  vermochte:  er  galt 
als  ein  Zeuge  der  ältesten  christlichen  Tradition. 

Da  wir  von  diesem  Verwandten  Jesu  nur  ein  historisches 
Bruchstück  haben,  sieht  es  aus,  als  hätte  er  sich  der  Geschichts- 
forschung gewidmet,  und  doch  wird  man  von  einem  „Verwandten 
Jesu"  zunächst,  ein  lehrhaftes  oder  mahnendes  Wort  an  die  Kirche 
erwarten.  Wir  haben  aber  auch  vom  Chronographen  bereits 
historische  Mittheilungen  erhalten,  und  wissen,  welchem  parä- 
netischen  Zweck  sie  dienten  und  warum  er  für  denselben  histo- 
rische Beweisführungen  verwendete. 

Der  Chronograph  sprach  von  der  Regierungsdauer  der  Ptole- 
rnäer  und  Cäsaren,  vom  Jahr  der  Geburt  Jesu,  vom  Census:  kann 
Herodes  dabei  gefehlt  haben?  Der  Verwandte  Jesu  hob  seine 
heidnische  Herkunft  hervor.  Wenn  Julius  diess  nachher  in 
Beziehung  zu  den  Geschlechtsregistern  bringt,  welche  die  Ö£- 
öJtoövvot  verfasst  haben,  trotzdem  Herodes  dieselben  vernichtet 
hatte,  so  ist  die  Erzählung  über  Antipater  für  diesen  Zweck 
etwas  ausführlich.  Nachher  waren  auch  noch  die  Tetrarchen 
erwähnt,  so  dass  der  Verwandte  Jesu  eine  Uebersicht  gegeben 
zu  haben   scheint  über  die  regierenden  Herodier.    Der  Gedanke, 


6.    Der  Bischof  Juda.  35 

dass  Herodes  „den  Herrscherstab  von  Juda  weggenommen"  und 
heidnisches  Regiment  in  Jerusalem  aufgerichtet  habe,  bildet 
wegen  Gen.  49,  10  ein  ständiges  Glied  im  Weissagungsbeweis 
(Justin,  Origenes,  Euseb  etc.).  Der  Nachweis,  dass  die  Macht 
und  der  Glanz  des  Herodes  keine  Erhöhung  Israels,  vielmehr 
dessen  Unterdrückung  durch  einen  fremden  Tyrannen  bedeutet 
habe,  konnte  darthun,  wie  in  der  That  Jesu  Kommen  nach 
Daniels  Weissagung  „das  Gesicht  und  den  Propheten  besiegelt" 
und  den  Anfang  des  Gerichts  über  Juda  gebracht  habe. 

Nun  beruft  sich  schon  Justin  gegen  Tryphon,  52,  bei  der  Be- 
sprechung  von  Gen.  49,  10  auf  ein  jüdisches,  d.  h.  doch  wohl 
judenchristliches  Buch,  nach  welchem  der  Herodes  der  Leidens- 
geschichte ein  Askalonite  und  Hohepriester  gewesen  sei. 

Der  Satz  Justins  ist  sehr  unbesonnen  und  gerade  desswegen 
von  kritischer  Wichtigkeit:  xal  yaQ  ^Hqcqötjv  a<p  ov  ejtad-sv 
AoxaXcovlrrjv  ysyovtvat  Xtyovrsg,  ofimg  sv  reo  ytvu  v/licqv  ovtcc 
Xeysrs  a.Q%i£Qta.  Möglich,  dass  sich  Justin  seine  historischen 
Vorstellungen  durch  den  falschen  Petrus  hat  verderben  lassen; 
doch  genügt  derselbe  zur  Erklärung  dieses  Satzes  nicht.  Denn 
dass  Herodes  Hohepriester  gewesen  sei,  hat  der  falsche  Petrus 
schwerlich  gesagt.  Der  Verwandte  Jesu  klart  alles  auf;  denn  der- 
selbe hat  in  der  That  von  einem  Herodes,  der  Askalonit  und 
Priester  war,  gesprochen.  Justin  vermengt  ihn  in  konfuser  Er- 
innerung mit  dem  Herodes  der  Leidensgeschichte.  Indem  aus 
Herodes  der  „König"  wurde,  wurde  er  gleichzeitig  statt  Priester 
in  Askalon  Hohepriester  in  Jerusalem. 

Jedenfalls  stellt  Justin  fest,  dass  die  Erzählung  des  Ver- 
wandten Jesu  nicht  jünger  als  der  Chronograph  sein  kann. 

Endlich  was  heisst  bei  Julius;  eir  ovv  (pavrjTLmvrSQ,  zlt)' 
ajtZcog  txöiödöxovzec,  jzavTCQg  6h  cu/j&svovTeg?  Julius  will  nicht 
versichern,  dass  sein  Gewährsmann  „bloss  lehrt",  wenn  er  von 
Antipater  erzählt.  Die  Mittheilungen  dieses  Mannes  können  auch 
etwas  anderes  und  grösseres  sein;  d.  h.  der  Mann  gilt  ihm  als 
Prophet.  Desshalb  besinnt  er  sich,  ob  seinem  Zeugniss  die  ge- 
bührende Ehre  gegeben  sei,  wenn  es  als  ein  ajtXmc  exöidaöxsip 
aufgefasst  wird.  Der  Inhalt  desselben  spricht  allerdings  dafür, 
dass  er  hier  nicht  aus  besondrer  Erleuchtung  rede;  da  er  aber 
sonst  solcher  theilhaft  ist  und  sich  die  Grenzen  derselben  nicht 
ausmessen  lassen,  kommt  auch  einer  solchen  Aussage  etwas  von 

3* 


36  Schlatter,  Chronograph. 

der  prophetischen  Autorität  ihres  Urhebers  zu,  and  es  mit  darum 
in  verstärktem  Sinn:  jiavxcoq  dt  äZijdsvovteg, 

Diess  muss  das  singulare  (fap//TioZvrsq  ausdrücken.  !)•• 
tadelnde  Begriff  der  Eitelkeit  und  des  sich  selbst  Hervordrängens 
ist  hier  durch  jiavxcoq  ö\  uhjtHvovxeq  und  durch  den  Gegensatz 
sixe  (pavrjucövTüc,  sU)y  ajtXcoq  bxdtdaöxovxtq  ausgeschlossen. 
Auch  wenn  er  ajiXcoq  exötöaöxei,  aXfjd-evei,  noch  viel  mehr,  wenn 
er  (pavrjTia;  das  Wort  muss  heissen:  eine  Offenbarung  aussprechen. 

Summiren  wir:  das  Buch  ist  dasjenige  eines  Propheten,  der 
zugleich  ausführliches  über  die  jüdische  Geschichte  des  ersten 
Jahrhunderts  gab,  eines  Historikers,  der  zugleich  (pavrjxia.  Sind 
denn  solche  Bücher  in  der  kirchlichen  Litteratur  so  häufig, 
Bücher,  die  beides  sind:  historisch  und  prophetisch  zugleich? 
Ferner  stammt  es  von  einem  Verwandten  Jesu,  war  folglich 
unmöglich  anonym,  war  Julius  noch  bekannt,  später  aber  ganz 
verschollen  —  ist  diess  der  Chronograph?  Wenn  er's  ist,  dann 
ist  die  Gleichsetzung  des  Chronographen  mit  dem  Bischof  Juda 
angezeigt,  und  der  Bischof  Juda  endet  im  11.  Jahre  Antonins, 
weil  sein  Buch  im  10.  geendet  hat. 

Irgend  etwas  wird  der  Verwandte  Jesu  auch  über  das  Ge- 
schlechtsregister Jesu  gesagt  haben,  obgleich  das,  was  er  sagte, 
bei  Julius  nicht  recht  deutlich  wird.  Trotz  der  Massregeln  des 
Herodes  haben  die  jtQosiQt/fitvot  ösöjtoövvot  xaXovfievoc  dennoch 
xr\v  JtQ07cet^iv7]v  yspsaloytav,  d.  h.  doch  wohl  Jesu  Geschlechts- 
register, wie  uns  Julius  sagt,  besessen,  weil  sie  es,  so  gut  sie 
konnten,  aus  dem  Gedächtniss  und  der  Chronik  *)  wiederher- 
stellten. Allein  hiezu  bemerkt  er:  eir  ovv  ovxcoq  slx  aZZwg 
t%oi,  während  er  von  den  ovyyeveTq  sagt:  ütavxcoq  dtyfrevovrec. 
Er  hat  diesen  Satz  als  blosse  Vermuthung,  wir  werden  sagen 
dürfen  als  seine  eigene  Vermuthung,  kenntlich  gemacht.  Während 
er  aber  über  die  Weise,  wie  das  Geschlechtsregister  hergestellt 
wurde,  nichts  behaupten  will,  bezeichnet  er  dieses  als  die  beste 
überhaupt  erreichbare  Auskunft,  bei  der  er  selbst  und  jeder  ver- 
ständige sich  beruhigen  wird.2) 

1)  ßlßloq  z(öv  iitKQÜv  bezeichnet  sicher  nicht  die  Aufzeichnung  der 
Verwandten  Jesu,  da  sie  ja  aus  denselben  das  Geschlechtsregister  schöpfen. 
Ich  sehe  mit  Spitta  hier  einfach  die  biblische  Chronik. 

2)  occ(pEOT£Qav  i^yTjatv  ovx  av  syoi  tiq  akkog  i^svQeiv.  i^r/yrjaigsteht  in 
unmittelbarer  Beziehung  zum  vorangehenden:  xr\v  yevEccXoylc.v  iq7]yt]Ga/uevoi. 


7.     Die  Beziehungen  des  Verwandten  Jesu  zu  Justus  von  Tiberias.     37 

Am  Schluss  der  Erklärung  Daniels  steht  auch  bei  Klemens 
ein  Fragment  über  Jesu  Geschlechtsregister  Strom.  1,  21,  Schluss: 
Iv  de  xm  xarcc  Max^alov  tvayyeliq)  >/  djio  'Aßgadfi  yEvealoyia 
tnyoi  MaQtaq  r//>  (iTjTQoq  ror  tcvqLov  jrEQaiovraL.  yivovrat  yay 
(f  )jGir  ajto  'Aßgaäfi  tcog  ilaßlö  yiveat  16'  xal  djro  Aaßlö  twg  rrjg 
f/sroixsolag  Baßvlcovog  yeveai  i<¥  xal  ajtb  rrjg  f/erotxsalag 
Baßvlcovoq  tcog  vor  XqiOtov  ofioicog  aXXai  ysvsai  lö ,  zgla 
ötaOT?]{aaTa  ftvorixa.  t§  tßöofidöiv  TsXeiovfieva.  Nicht  nur  die 
Stellung,  sondern  auch  die  Betonung  des  nach  der  7  ablaufenden 
Symbolismus  der  Reihe  erinnert  an  den  Ausleger  Daniels.  Jeden- 
falls entsteht  hier  keine  Schwierigkeit,  welche  die  Beziehung  des 
Verwandten  Jesu  bei  Julius  auf  den  Ausleger  Daniels  bei  Kle- 
mens verhinderte. 

7. 

Die  Beziehungen  des  Verwandten  Jesu  zu  Justus  von 

Tiberias. 

Eingehender  als  die  Frage,  wie  es  sich  mit  dem  Buch  des  Ver- 
wandten Jesu  verhalte,  ist  die  andre  Frage  erörtert  worden,  aus 
welchem  Vordermann  er  seine  Nachricht  habe.  Geizer  hat  diesen 
in  Justus  von  Tiberias  gesucht,  nachdem  zuerst  Gutschmid  mit 
seinem  hellen  kritischen  Blick  ausgesprochen  hat,  dass  die  Aus- 
^;uj;en  des  Justus  schwerlich  spurlos  vergangen  sein  könnten. 
Es  war  natürlich,  dass  man  in  der  Ausbildung  dieses  Gedankens 
sich  zunächst  nach  denjenigen  Stoffen  umsah,  die  neben  Jos.  über 
die  jüdische  Geschichte  erhalten  sind.  Diese  Reste  sind  äusserst 
spärlich;  das  bedeutendste  ist  die  Erzählung  des  Verwandten  Jesu 
über  den  Zusammenhang  der  Herodier  mit  Askalon.  Allein  allen 
andern  Vermuthungen  voran  muss  zuvörderst  die  Frage  geklärt 
werden,  wie  sich  Josephus  zu  Justus  verhält.  Nun  hat  mir 
Schürer  allerdings  erklärt,  das  sei  keine  Frage  mehr,  da  wir  ja 
wüssten,  dass  Justus  erst  nach  der  Archäologie  mit  seiner  Arbeit 
hervorgetreten  sei.  Ich  lege  im  folgenden  dar,  wesshalb  mir  hier 
eine  Frage  bleibt,  und  wesshalb  ich  vorerst  Justus  nicht  unter 
die  Quellen  des  Chronographen  einreihe. 

Bekanntlich  giebt  uns  Jos.  vom  Makkabäer  Simon  bis  zum 
Ausbruch  des  grossen  Kriegs  zweimal  dieselbe  Erzählung.  Satz 
um  Satz  läuft  durch  lange  Stücke  die  zweite  Darstellung  der 
ersten  parallel.    Dass  Jos.  beidemal  dieselben  Quellen  paraphrasirt 


38  Schlatter,  Chronograph. 

hat,  ist  längst  erkannt.  Wäre  mm  die  zweite  Erzählung  neben 
den  wörtüchen  Uebereinstimmungen  nur  reicher  als  die  erste,  so 
läge  die  kritische  Frage  einfach;  wir  hätten  es  Lediglich  das 
zweitemal  mit  einer  reichern  Ausnützung  desselben   Vorgängers 

zu  thun.  Es  finden  sich  aber  auch  bestimmte  und  in  die  Sub- 
stanz der  Erzählung  einschneidende  Abweichungen  des  zweiten 
Texts  vom  ersten  und  diese  bedürfen  der  Erklärung. 

Es  genügt  nicht,  lediglich  die  Thatsache  zu  konstatiren,  dass 
Jos.  mehrfach  mit  sich  selbst  in  Widerspruch  steht,  und  nun 
ziemlich  willkürlich  bald  die  ältere,  bald  die  jüngere  Aussage  zu 
bevorzugen.  Es  ist  nicht  eine  unwichtige  Vorbedingung  zum 
historischen  Urtheil,  dass  wir  begreifen,  wer  und  was  Josephus 
mit  sich  selbst  in  Zwiespalt  bringt. 

Da  hier  nicht  der  Ort  ist,  tiefer  in  die  Analyse  des  Jos. 
einzutreten,  bediene  ich  mich  der  Beispiele,  die  in  anderm  Zu- 
sammenhang in  der  Topographie  bereits  erörtert  sind.  In  b.  j. 
sind  die  entschlossenen  Unternehmungen,  durch  welche  Antipater 
bei  Cäsars  Sieg  den  bisherigen  Stand  der  Dinge  in  Jerusalem 
fbrterhielt  und  sich  selbst  sammt  Hyrkan  die  Macht  sicherte, 
ausschliesslich  die  That  Antipaters.  Er  marschirt  im  richtigen 
Moment,  als  sein  Eingreifen  für  Cäsar  noch  eine  werthvolle  Hilfe 
war,  nach  Egypten  und  bewirkt  mit  grosser  Tapferkeit  die  Ver- 
einigung seiner  Truppen  mit  Cäsar.  In  A.  wird  diese  Darstellung 
nicht  widerrufen;  doch  giebt  Jos.  einem  „Jemand"  (riveg)  das 
Wort,  welcher  den  Hohepriester  Hyrkan  nach  Egypten  marschiren 
lässt  und  diese  Angabe  dadurch  gegen  Zweifel  schützen  will, 
dass  er  das  Zeugniss  des  Hypsikrates  und  Asinius  bei  Strabo 
anruft,  A.  14,  8,  3.  138.  Dieser  „Jemand"  hat  nicht  zugegeben 
dass  Hyrkan  sein  Hohepriesterthum  Antipater  verdankt  habe, 
während  b.  j.  1,  9,  5  diess  mit  dürren  Worten  sagt. 

Als  Herodes  vor  dem  Synedrion  als  Angeklagter  stand,  wird 
er  in  b.  j.  durch  Hyrkan  freigesprochen,  dessen  Verhältniss  zu 
ihm  fast  zärtlich  beschrieben  wird:  er  liebte  ihn  wie  einen  Sohn. 
In  A.  ist  diese  Freisprechung  verschwunden;  Herodes  flieht  aus 
der  Stadt,  ehe  das  Urtheil  gefällt  war,  und  der  Rabbine  Schemaja, 
nach  15,  1,  1.  4  vielmehr  Euthalion,  tritt  auf  und  schilt  das 
Synedrion,  welches  nur  aus  Furcht  vor  der  bewaffneten  Begleitung 
des  Herodes  ihn  nicht  zu  verurtheilen  wagt;  b.  j.  1,  10,  7  = 
A.  14,  9,  4.  53.     Das  ist  ein  deutlicher  Gegensatz.     Ob  Herodes 


7.     Die  Beziehungen  des  Verwandten  Jesu  zu  Justus  von  Tiberias.     39 

freigesprochen  und  von  jeder  Schuld  ledig  erklärt  aus  dem  Kon- 
flikt hervorgeht,  oder  ob  er  seine  Verurtheilung  nur  durch  seine 
Bewaffneten  verhindert,  ergiebt  eine  verschiedne  Beurtheilung 
des  Königs. 

Augenscheinlich  stehn  beide  Abweichungen  miteinander  im 
Zusammenhang.  Die  Sätze:  die  Erhaltung  des  Hohepriesterthums 
für  Hyrkan  war  Antipaters  Verdienst,  und:  Hyrkan  hielt  Herodes 
wie  sein  Kind  und  sprach  ihn  frei,  gehören  derselben  Betrach- 
tung der  Dinge  an:  ebenso  auch  die  andern  Sätze:  Hyrkan  hat 
selbst  das  nöthige  gethan,  um  sich  Cäsars  Gunst  zu  erwerben, 
und:  Herodes  ist  bloss  desswegen  nicht  hingerichtet  worden,  weil 
er  den  Rath  einschüchterte.  Jene  Betrachtung  der  Dinge  gehört 
Nikolaus  von  Damask;  wem  nun  diese? 

Da  der  Augenschein  lehrt,  dass  in  diesen  und  den  zahlreichen 
analogen  Fallen  —  es  gehören  beträchtliche  Stücke  aus  der 
zweiten  Redaktion  der  Geschichte  des  Herodes  hieher  —  eine 
Nebenquelle  die  Darstellung  färbt,  stehn  wir  vor  der  Frage: 
welcher  Art  sie  war,  was  ihr  angehört  hat,  ob  sie  jüdisch  war 
oder  griechisch,  ob  sie  ein  Buch  war,  oder  etwa  nach  Nieses 
Auffassung  „Tempellegenden",  ob  sie  eine  Einheit  ist  oder  aus 
gesammelten  Notizen  besteht  etc.  Dass  Jos.  hier  neben  seiner 
Hauptquelle  noch  ein  zweites  Buch  benützt,  scheint  mir  erwiesen. 
Tempellegenden  brachten  ihm  keine  Angaben  aus  Strabo  zu,  und 
auch  der  verkehrte  Name  TIoXlicov  beweist  viel.  Dass  die 
„Sprüche  der  Väter"  diesem  gefeierten  Rabbinen  seinen  richtigen 
Namen  Euthalion  geben,  steht  jenseits  der  Kontroverse.1)  Wenn 
nun  bei  Jos.  aus  EY:  II,  aus  & :  0,  aus  A :  A  geworden  ist,  so 
sind  das  Buchvarianten.  Dergleichen  macht  zugleich  zweifellos, 
dass  Jos.  über  die  Zeit  des  Herodes  nur  das  weiss,  was  er  in 
seinen  Büchern  fand.  Jeder  gesunde  sachkundige  Satz,  den  uns 
Jos.  über  Herodes  giebt,  ist  kopirt. 

Diese  Einlagen  machen  uns  einen  interessanten  Mann  kennt- 
lich, einen  Juden,  der  ein  griechisches  Geschichtsbuch  schrieb, 
bitter  gegen  Herodes  und  die  Herodier,  und  doch  nur  ein  Ge- 
schichtsschreiber der  Dynastie,  da  die  ausschliesslich  auf  das  Ge- 


1)  Schürer  hielt  fröttOM  für  den  hebräischen  Namen  des  Mannes;  aber 
■pVtffl»  ist  nicht  hebräisch,  sowenig  als  DWHaM  =  Eudemos  oder  tan»» 
=  Euthynos. 


In  Sclil.il irr.  (  bronograph. 

schick  des  Fürstenhauses  blickende  Erzählung  des  Nikolaus  durch 
diese  Einlagen  nicht  merklich  verändert  wird;  was  er  giebt,  lind 
Fürstenanekdoten.  Er  verfügt  dabei  über  griechische  Gelehr- 
samkeit, die  derjenigen  des  Jos.  jedenfalls  gewachsen  war  (Strab 
Er  hat  auch  den  jüdischen  Krieg  erzählt,  da  Jos.  aus  ihm  das 
Versprechen  kopirt,  bis  über  das  Jahr  70  hinaus  zu  erzählen, 
A.  20,  17,  2.  141,  und  da  die  grosse  Einlage  über  die  Kolonie 
am  Trachon  bis  über  das  Regierungsende  des  Jüngern  Agrippa 
hinaussieht  und  deutliche  Beziehungen  zum  jüdischen  Krieg  hat. 
Denn  die  Hauptperson  in  diesem  Abschnitt  ist  derjenige  Phi- 
lippus,  welchem  im  Jahre  66  in  Jerusalem  eine  wichtige  Rolle 
zugefallen  ist,  A.  17,  2,  1 — 3. 

Die  letztere  Stelle  ist  besonders  wichtig,  weil  sie  ein  ge- 
naues Datum  enthält.  Es  werden  die  Regenten  des  Hauran  auf- 
gezählt: Herodes,  dessen  Sohn  Philippus,  der  grosse  Agrippa, 
sein  ihm  gleichnamiger  Sohn,  o  jialg  ccvtov  xcu  ofiojpvfioc,  also 
Agrippa  II,  jiüq'  cov  'Pcofialoc  desäfisvoi  r?)v  aQyj)v  .  .  .  iuii- 
ßoXalq  rcov  (poQcov  sie,  rb  JtdfiJtav  emeoav  ccvzovq.  Darauf 
folgt  das  unerfüllte,  und  bei  den  Grenzen,  die  Jos.  den  A.  gab, 
von  vorn  herein  unerfüllbare  Versprechen:  xal  rccös  fzsv  rj  xaigbg 
dxQißwoofiai  jtQOLovroq  xov  Xbyov.  Dergleichen  beweist,  dass 
Jos.  bis  aufs  Wort  kopirt,  A.  17,  2,  2.  28.  Die  Quelle,  und 
natürlich  Jos.  erst  recht,  schreibt  nach  dem  Regierungsende  Agrip- 
pas,  denn  sie  erzählte,  wie  die  Verhältnisse  im  Königreich  Agrip- 
pas  nach  demselben  neu  geordnet  worden  sind. 

Das  alles  passt  vortrefflich  zu  Justus.  Er  wartete  mit  der 
Veröffentlichung  seines  Buchs,  bis  Agrippa  tot  war.  Er  schrieb 
über  die  jüdischen  Könige,  und  besonders  eingehend  über 
Agrippa  II;  natürlich  fehlte  hier  auch  der  alte  Herodes  nicht. 
Er  hat  griechische  Gelehrsamkeit  entfaltet,  und  ist  als  vornehm- 
ster Mann  in  Tiberias,  als  Führer  des  dortigen  Aufstands  und 
als  zeitweiliger  Beamter  Agrippas  mit  der  nöthigen  Sachkunde 
versehn,  welche  diese  Einlagen  sichtbar  machen,  ebenso  aber 
auch  mit  der  antiherodeischen  Tendenz.  Schon  diese  Kongruenzen 
sind  nicht  ohne  Gewicht.  Schürer  weiss  so  gut  wie  ich,  wie 
wenig  jüdische  Historiker  zwischen  Alexander  und  Hadrian  auf- 
zuzeigen sind.  Es  hat  seine  Bedenken,  sie  unter  Domitian  plötz- 
lich zu  häufen. 

Was   uns   aber  vollends  verpflichtet,  bei  der  Auslegung  der 


7.    Die  Beziehungen  des  Verwandten  Jesu  zu  Justus  von  Tiberias.     41 

A.  und  der  Beurtheilung  ihrer  Abweichungen  und  Widersprüche 
mit  b.  j.  Justus  nicht  zu  vergessen,  ist  das  letzte  Stück  der  A.,  die 
sog.  Vita,  die  mit  einer  lebhaften  Ansprache  des  Jos.  .an  Justus 
schliesst.  Die  Beiziehung  des  Justus  zur  Erklärung  der  A.  ist 
keine  blosse  Konjektur:  er  steht  an  ihrem  Schluss  vollkommen 
greifbar  da,  und  Jos.  nimmt  ein  lebhaftes  Interesse  an  demselben 
—  natürlich!  die  beiden  Männer  waren  einander  wohl  bekannt, 
und  schon  im  jüdischen  Krieg  Rivalen  —  und  spricht  unver- 
hohlen aus,  dass  es  eine  seiner  Absichten  sei,  Justus  zu  über- 
winden. Das  hat  er  nicht  schon  im  Verlauf  der  A.,  sondern  erst 
am  Schluss  durch  direkte  Polemik  gethan,  hat  aber  sicher  dafür 
gesorgt,  dass  seine  Darstellung  nicht  armer,  als  die  des  Justus 
war,  und  manchen  Stoff  desselben  seiner  eignen  Darstellung 
einverleibt.  Dazu  gehört  auch,  dass  er  die  herodeische  Farbe, 
die  b.  j.  von  Nikolaus  her  an  sich  hat,  beträchtlich  minderte. 
Nicht  ich  bin  unvorsichtig,  wenn  ich  schon  in  der  Geschichte 
des  Herodes  an  Justus  denke,  sondern  der  ist  unvorsichtig,  der 
die  A.  bis  Buch  20  ahnungslos  liest,  und  dann  im  Schlusswort 
sich  plötzlich  davon  überraschen  lässt,  dass  Jos.  einen  Dialog 
mit  Justus  hält,  und  das  vor  Augen  hat,  was  Justus  über  diese 
Dinge  behauptet  hat. 

So  ist's,  wenn  die  Vita  zu  den  A.  gehört.  Schürer  hält  sich 
für  genöthigt,  beide  zu  trennen.  Er  lehrt:  a.  93  oder  94  hat  Jos. 
die  A.  geschlossen,  und  frühestens  101  noch  einen  Anhang  zu 
derselben,  die  Vita,  publicirt.  Diese  beginnt  stuol  de  yevoc  löxiv 
ovx  aotifxov,  und  endet  mit  der  Erklärung,  dass  nun  „dem  besten 
Epaphroditus"  die  Archäologie  vollständig  übergeben  sei.  Nach 
Schürer  hatte  er  sie  schon  zum  mindesten  8  Jahre.  Das  ist  ein 
unnatürlicher  Ansatz.  Wenn  einer  nach  mehrjährigem  Schweigen 
wieder  das  Wort  nimmt,  so  fängt  er  nicht  an:  sfiol  6s  etc.  Die 
Vita  hat  nie  ohne  die  A.,  und  die  A.  nicht  ohne  ihren  biogra- 
phischen Abschluss  existirt. 

Schürer  trennt,  weil  in  der  Vita  Justus  vorgeworfen  wird: 
er  habe  seine  Arbeit  schon  vor  20  Jahren  geschrieben,  sie  aber 
»ist  nach  Agrippas  Tod  öffentlich  gemacht,  V.  69.  359.  Aber 
steht  es  denn  in  A.  anders?  Die  Vita  sagt:  Agrippa  ist  tot;  A.  sagt: 
Agrippa  regiert  nicht  mehr.  Das  stimmt  und  ergiebt  lediglich, 
dass  das  Datum  der  A.  das  Todesjahr  Agrippas  bestimmt.  A.  ist 
93  oder  94  geschrieben,   also  Agrippa  circa   90   gestorben.     Die 


\2  S<  hlatter,  < Ihronograph. 

*2o  .laiin:,   während  deren  Justus  sein  Geschichtsbuch  zurückge- 
halten  hat,   machen    keine    Schwierigkeit      Justus    wird 
haben:  er  habe  seinen  Bericht  gleich  nach  dem  Krieg  geschrieben. 

70   !   20  =  90. 

Diesen  Ansatz  drückt  freilich  die  Schwierigkeit,  dass  Photius 
gegen  Jos.  steht,  welcher  sagt,  Justus  habe  das  3.  Jahr  Trajans, 
100,  als  das  Todesjahr  Agrippas  und  das  Schlussjahr  seiner 
Chronik  gesetzt.  Ich  kann  diesen  Widerspruch  nicht  lösen,  und 
stelle  mich  bis  auf  weiteres  zu  Jos.  gegen  Photius. 

Denn  was  Photius  eigentlich  gelesen  hat,  bleibt  eine  zweifel- 
hafte Sache.  Es  war  'Iovötov  TißeyucoQ  Xqovitcov,  ov  tj  hjii- 
ygayr  'iovörov  TißeQiecog  ^ovöalcov  ßaotliow  rcov  Iv  rote 
öTtfifiaöi.  Der  dunkle  Titel  giebt  wenig  Sicherheit,  dass  es  der 
unverkürzte  Justus  war:  „Geschichte  der  in  den  Stammtafeln 
verzeichneten  Könige":  was  sind  das  für  Stammbäume?  Wir 
haben  daneben  ein  Citat  des  Diogenes:  „Justus  im  Stammbaum". 
Da  ist  „Stammbäume"  der  Name  des  Buchs,  nicht  das  Prädikat 
der  Könige.  Die  spätgriechische  Zeit  hat  manche  alte  Historiker 
in  kurze  Auszüge  gebracht.  Vielleicht  las  Photius  eine  Chronik 
der  jüdischen  Könige,  „die  in  den  Stammbäumen,  nämlich 
denjenigen  des  Justus"  stehn.  Gesetzt,  das  wäre  die  Mei- 
nung der  seltsamen  Ueberschrift,  so  würde  sie  uns  mittheilen, 
dass  Photius  ein  Excerpt  aus  Justus  besass,  und  damit  ist  eine 
Alteration  der  Zahl  wenigstens  etwas  begreiflicher. 

Was  Photius  über  den  Inhalt  des  Buches  sagt,  passt  gut 
zu  dem,  was  wir  sonst  von  Justus  wissen.  Er  begann  bei  Mose 
und  behandelte  die  Könige  bis  zum  Tode  des  Agrippa  IL  Aber 
auffallend  ist,  dass  Photius  nur  an  ein  einziges  ßtßllov  denken 
lässt.  In  der  Vita  sieht  es  aus,  als  ob  Justus  sich  ausführlich 
über  den  Antheil  von  Tiberias  am  Aufstand  und  über  seine 
eignen  Thaten  und  auch  diejenigen  des  Jos.  ausgesprochen  hat. 
Das  ist  in  einem  Monobiblion  von  Mose  bis  Agrippas  Tod  nicht 
recht  vorstellbar. 

Desswegen  lässt  Schürer  Justus  zwei  Geschichtswerke  ver- 
öffentlichen, beide  nach  Agrippas  Tod,  beide  wenigstens  in  der 
Darstellung  des  jüdischen  Kriegs  einander  parallel.  „Wir  wissen" 
das  aber  nicht;  denn  es  ist  nirgends  bezeugt,  sondern  das  ist 
Konjektur.     Wenn  ich  ein  Excerpt  aus  dem  alten  Justus  in  die 


..    Die  Beziehungen  des  Verwandten  Jesu  zu  Justua  von  Tiberias.    43 

Hand  des  Photius  lege,  so  steht  nicht  ein  fester  Bau  neben  einem 
„Kartenhaus",  sondern  Konjektur  neben  Konjektur. 

Wenn  die  Erzähler  einander  verneinen,  so  fallt  das  schlich- 
tende Wort  sonst  den  Münzen  zu.  Hier  stiften  dieselben  nur 
neue  Konfusion.  Schürer  hat  die  Ansätze  Monimsens  aufge- 
nommen: 1,  500.  Wenn  ich  dieselben  unglaublich  finde,  so  habe 
ich  Marquardt  auf  meiner  Seite.     Schürer  sagt: 

Agrippa  ist  im  Libanon  König  geworden  a.  50 

„  „     im  Hauran        „  „  a.  53 

Agrippas  erste     Aera  hat  begonnen  a.  56 

„         zweite      „       „  „  a.  61. 

Zwei  Acren  hat  Agrippa  nicht  nur  nach  den  Münzen  und 
Inschriften,  sondern  auch  nach  den  Historikern,  da  er  zweimal 
König  geworden  ist,  im  Libanon  und  im  Hauran.  Aber  Schürers 
Aera  beginnt  ja  mitten  in  seiner  Regierungszeit,  und  diess  wieder- 
holt sieh  noch  einmal.  Dass  Agrippa  sein  7.,  resp.  4.  Jahr  zum 
ersten  erklärt  habe,  und  hernach  noch  ein  späteres  Jahr  wieder 
als  erstes  bezeichnet  habe,  das  kann  sich  auch  die  lebendigste 
Phantasie  nicht  vorstellen. 

Den  Inschriften  und  Münzen  ist  zu  entnehmen,  dass  die 
beiden  Anfänge  Agrippas  5  Jahre  auseinander  lagen.  Die  höchste 
.Jaliressumme,  welche  die  Münzen  Agrippa  geben,  ist  35.  Fügen 
wir  sie  zu  seinen  Anfängen,  wie  sie  durch  die  zeitgenössischen 
Erzähler  datirt  sind,  so  erreichen  wir  circa  90.  Das  stimmt  mit 
A.1i  Weiter  wTeiss  ich  nichts.  Die  Aera  von  61  wird  uns  durch 
die  Münzen  mit  der  lateinischen  Legende:  Agrippa  25  (resp.  26) 
=  Domitian.  cos.  XII  (86)  aufgezwungen.  Auch  die  Münzen, 
die  von  Agrippas  24.  Jahr  an  für  Domitian  Germanicus  haben, 
bestätigen  sie.  Entweder  ist  das  nicht  Agrippas  Aera,  oder  es 
neckt  uns  hier  ein  Fälscher.  Lösen  kann  die  Frage  nur  ein 
Techniker. 

Ich  habe  mir  die  Möglichkeit  nie  verborgen,  dass  sich  die 
Münzfrage  gegen  meine  These  klären  kann,  so  dass  Schürer 
resp.  Photius  Recht  behalten  würde.  Aber  auch  dann  hat  mein 
Satz  den  Vorwurf  nicht  verdient,  dass  er  gesicherte  Ergebnisse 
der  bisherigen  historischen  Arbeit  leichtsinnig  überspringe.     So 


1)  Nach  Schürer  regierte  Agrippa  50  resp.  47  Jahre.     Münzen  aus  den 
vierziger  Jahren  Agrippas  giebt  es  meines  Wissens  nicht. 


II  Schlatter,  Chronograph. 

lange  die  Münzen  und  die  Historiker  bloss  durch  so  unnatür- 
liche Kompromisse  zusammengebracht  werden  and  A.  17,  2,  2.  28 
nicht  beachtet  wird,  liegen  noch  keine  Ergebnisse  vor.  Hat 
Photius  Recht,  so  fällt  der  Name  Justus  ftir  die  Nebenquelle 
des  Jos.  weg,  und  wir  kennen  dann  rieben  Jos.  und  neben  Justus 
noch  einen  dritten  zeitgenössischen  jüdischen  Historiker.  Vorerst 
halte  ich  es  für  geboten,  beim  Datum  der  A.  als  dem  festen 
Punkt  zu  stehen,  womit  Agrippas  Tod  auf  circa  90  gesetzt  ist, 
und  dadurch  sind  wir  angewiesen,  nicht  zu  vergessen,  dass 
zwischen  b.  j.  und  A.  Justus  steht.  Desshalb  muss  auch  für  die 
Frage,  was  Justus  über  die  Herkunft  des  Antipater  erzählt  habe, 
zuerst  das  Verhältniss  des  zweiten  Texts  zum  ersten  bei  Jos. 
erwogen  sein. 

Dem  Geschlecht  nach,  sagt  b.  j.  1,  6,  2,  war  Antipater  ein 
Idumäer,  und  um  der  Vorfahren  und  des  Reichthums  und  der 
sonstigen  Macht  willen  einer  der  ersten  im  Volk,  jzgcortvoiv 
rov  sfrvovq.  Da  die  Idumäer  sowohl  religiös  als  politisch  der 
jüdischen  Gemeinde  vollständig  eingegliedert  waren,  kanu  zb 
Id-voq  nur  nach  seinem  bekannten,  festgeprägten  Sinn  gedeutet 
werden.  Durch  'löovftaioq  wird  gesagt,  dass  die  Familie  im 
südlichen  Judäa  sesshaft  war,  und  durch  Abstammung,  Reich- 
thum   und  sonstige  Macht  stand  sie  in  der  Judenschaft  obenan. 

Die  Parallele  A.  14,  1,  3.  8 — 10  ist  in  ihrer  Färbung  wesent- 
lich geändert.  Herodes  wird  als  Usurpator  bezeichnet;  rvy?j  riq 
hat  ihn  zum  König  gemacht.  Antipater  war  von  Anfang  an 
OraOiaöTrjg.  Die  Zurückleitung  des  Geschlechts  auf  die  Exu- 
lanten Serubabels  wird  als  eine  Erfindung  des  Nikolaos  bezeich- 
net. Die  einflussreichen  Beziehungen  Antipaters  ^u  Petra,  Gaza, 
und  Askalon  werden  durch  ein  ktyovöiv  abgeschwächt.  Trotz- 
dem bleiben  die  Angaben  sachlich  mit  b.  j.  parallel.  Die  neue 
Angabe,  dass  schon  der  ältere  Antipas  als  OxQarrjyoq  das  süd- 
liche Judäa  regiert  habe,  erläutert  das  jtowrsvEiv  rov  s&vovq 
und  erfordert  keine  andre  Quelle  als  Nikolaos. 

Lehrreich  ist  weiter  die  Parallele  zwischen  b.  j.  1,  15,  5  und 
A.  14,  15,  2 — 402.  Die  ältere  Stelle  hat  eine  stark  herodeische 
Farbe.  Herodes  erscheint  im  Moment,  wo  er  Jerusalem  angreift, 
in  der  schönsten  Friedensliebe;  nur  wegen  der  Hartnäckigkeit 
des  Antigonos  hat  er  schliesslich  „den  seinigen  erlaubt,  sich  zu 
vertheidigen",  eine  Phrase,  die  Nikolaos  alle  Ehre  macht.     In  der 


..    Die  Beziehungen  des  Verwandten  Jesu  zu  Justos  von  Tiberias.    45 

Jüngern  Stelle  kopirt  Jos.  dieselben  Sätze  Wort  für  Wort,  korri- 
girt  sie  aber  dadurch,  dass  er  Antigonos  eine  Rede  an  die  Römer 
halten  Lasst,  die  sein  gutes  Recht  und  das  Unrecht  des  Herodes 
deutlich  macht.  Sie  ist  offenbar  das  eigne  Gebilde  des  Jos.;  hier 
sagt  er  ungehindert  durch  Nikolaos,  was  er  über  Herodes  zu 
klagen  hat.  Auch  den  [dumäer  rückt  er  ihm  auf,  doch  nicht 
so,  dass  er  ihn  desswegen  als  einen  „Fremden"  behandelte;  er 
geht  nicht  über  den  ?jfiuovöalog  hinaus,  und  weit  kräftiger  tritt 
der  Vorwurf  hervor,  dass  er  keinen  legitimen  Anspruch  an  die 
Herrschaft  habe.  Nach  dieser  längern  Einlage  macht  sich  Jos. 
wieder  ans  Kopiren;  allein  nun  war  es  ihm  entfallen,  wer  in  der 
Vorlage  „den  seinigen  erlaubte,  sich  zu  vertheidigen".  Er  setzt 
den  ihm  am  Herzen  liegenden  Antigonos  ein,  und  macht  den 
dadurch  sinnlos.  Aber  gerade  das  sinnlose  Antigonos 
illustrirt  sein  Verfahren  hübsch. 

Diese  Rede  gegen  Herodes  ist  aber  nach  dem  oben  begrün- 
deten Ansatz  jünger  als  Justus  und  mit  der  Kenntniss  dessen 
geschrieben,  was  Justus  gegen  Herodes  vorgebracht  hat.  Dennoch 
enthält  sie  keine  Anspielung  auf  Askalon  und  Antipaters  ursprüng- 
liches Heidenthum.  Auch  in  der  Schlussbetrachtung  wird  nur 
der  Mangel  an  Legitimität  gegen  Herodes  geltend  gemacht.  Er 
wird  ins  Unrecht  gesetzt,  als  olxiag  ovxa  örjf/orixfjg,  xal  ytvovg 
iÖKDTixov  xal  vjtaxovovroq  rolc  ßaöilevötv,  14,  16.  4.  491. 

Die  Richtung,  in  der  der  Angriff  auf  Herodes  bei  Jos.  geführt 
wird,  ist  von  der  Erzählung  des  Verwandten  Jesu  wesentlich  ver- 
schieden. Jos.  drückt  die  Stellung  des  Antipater  herunter,  so  dass 
das  Königthum  des  Herodes  als  eine  kecke  Anmassung  erscheint. 
Beim  Verwandten  Jesu  wird  bei  aller  Kürze  dennoch  sachkundig 
hervorgehoben,  wie  Antipater  zum  legitimen  Herrn  Judaas  wird, 
so  dass  Herodes  lediglich  der  Erbe  seines  Vaters,  freilich  eines 
solchen  Vaters,  ist. 

Würde  Askalon  irgendwie  im  Jüngern  Text  des  Jos.  sichtbar, 
dann  läge  ein  positives  Anzeichen  vor,  dass  diese  Geschichte 
Justus  angehörte;  dagegen  ist  ihr  gänzliches  Fehlen  in  A.  dieser 
Ableitung  nicht  günstig.  Der  Schluss:  wovon  Jos.  nichts  weiss, 
das  hat  Justus  gesagt,  macht  einen  „Sprung". 

Die  Geschichte  vom  Hierodulen  des  Apollo,  dessen  Sohn 
die  idumäischen  Banditen  wegschleppen,  und  dessen  Enkel  zum 
König     der     Juden     wird,     scheint    mir     eher     heidnisch     als 


46  Schlatter,  Chronograph. 

jüdisch.1)   Wenn  Spott  und  Hass   ihre  Wurzel  isl,  so  richtet  sich 
derselbe  ebenso  sehr  gegen  die  Judenschafl  alfl  gegen  Herodes;  sie 

mag  leicht  ursprünglich  den  Apollo  von  Askalon  ;ils  den  mäch- 
tigen Gott  behandelt  haben,  der  den  Juden  die  Beraubung  seines 
Tempels  bitter  vergalt.  Darauf  deutet  die  schärfere  Recension  der 
Geschichte,  die  Epiphanius  giebt  haer.  20,  1,  und  die  nicht  nur 
aus  dem  Briefe  des  Julius  stammt.  Dort  wird  Herodes  in  der 
Zeit  geboren,  als  Antipater  Sklave  bei  den  Idumäern  war,  und 
dieser  bleibt  nicht  bei  den  Idumäern,  sondern  wird  durch  eine 
Kollekte  der  Askaloniten  losgekauft.  Noch  als  Heide  von  As- 
kalon her  befreundet  er  sich  mit  Hyrkan,  und  erst  als  er  durch 
Cäsar  zum  Verwalter  des  Lands  ernannt  worden  war,  beschneidet  er 
sich  selbst  und  Herodes.2)  Ob  diese  Verschärfungen  der  Erzählung 
christlich  sind,  scheint  mir  fraglich.  Sie  hat  vermuthlich  ihre 
Heimath  in  den  Seestädten,  z.  B.  in  Askalon,  wohin  auch  die 
konkrete  topographische  Angabe  führt,  dass  der  Tempel  Apolls 
an  den  Mauern  vor  denselben  lag,  worin  weiter  das  richtige 
Wissen  liegt,  dass  Askalon  selbst  nie  in  den  Händen  der  Juden 
war.  Der  erste  Verbreiter  dieser  Geschichte  kann  desshalb  ebenso 
leicht  der  Askalonite  Ptolemäus,  der  über  Herodes  schrieb,  ge- 
wesen sein  als  Justus  von  Tiberias.  Mit  der  christlichen  Em- 
pfindung hatte  diese  Erzählung  desshalb  Berührungen,  weil  sie 
Herodes  eine  heidnische  Herkunft  gab.  Mit  dem  Streit  der 
jüdischen  Historiker  über  die  Legitimität  des  Herodes  gegenüber 
der  alten  Regentenfamilie  war  der  christliche  Gedanke  nicht  ver- 
flochten. Aber  dem  König  Israels  von  oben,  Jesus,  setzte  er 
Herodes  gegenüber,  als  einen  fremden  Herrscher  und  als  ein 
Werkzeug  des  göttlichen  Gerichts  an  Israel.  Den  Spätem  ge- 
nügte es  für  diesen  Gedanken  völlig,  dass  Herodes  ein  Idumäer 
war.     Aber  der  Verwandte  Jesu,   für  den  die  Zugehörigkeit  der 


1)  Vgl.  den  Priester  des  Apollo,  Zabicl,  in  Dor  (quendam  eorurn,  qui 
in  civitate  Dorii  Apollinem  colebat),  welcher  den  Eselskopf  aus  dem  Tempel 
Jerusalems  raubt,  bei  Mnaseas,  c.  Ap.  2,  9.  112. 

2)  Epiphanius  hat  einige  Konfusionen.  Er  heisst  Hyrkan  seltsamer 
Weise  Demetrius,  und  schreibt  statt  Kalaagt:  Avyovaza).  Im  übrigen  giebt 
die  Erzählung,  so  kurz  sie  ist,  ein  recht  gutes  Bild  über  die  Weise,  wie 
Herodes  zum  Thron  gelangt  ist,  und  hat  noch  ein  neues  Glied  in  der  Ge- 
schlechtstafel des  Herodes.  Sie  lautet  nun:  Antipas,  Herodes,  Antipater. 
Herodes  der  König.     Jos.  heisst  den  Grossvater  des  Herodes  Antipas. 


8.    Die  biblische  Chronologie  des  „Jemand",  Strom.  1.  21.         47 

[dumäer  zur  jüdischen  Gemeinde  noch  eine  bekannte  und  ver- 
standne  Thatsache  war.  hol)  denjenigen  Bericht  hervor,  der  ihm 
Askalon  zur  Heimath  gab,  die  nie  jüdisch  gewordne  und  stets 
Israel  feindliche  Heidenstadt. 

8. 
Die  biblische  Chronologie  des  „Jemand",  Strom.  I,  21. 

Auch  für  die  biblische  Zeit  giebt  Klemens  zwei  Rechnungen, 
neben  der  als  axQtßtöxsQov  bevorzugten,  welche  die  Synchronis- 
men zwischen  den  Griechen  und  der  Bibel  liefert,  noch  die  Zahlen 
eines  rivsc. 

P.  391  Von  Mose  Geburt  zum  Exil     972 

Von  David  „        „        452.  6  M. 

Die  beiden  dicht  nebeneinander  stehenden  Zahlen  gehören 
sicher  demselben  System.     Die  Parallele  giebt  die  Tosefta  1.  c. 

Klemens:  Tosefta: 

vom  Auszug  zum  Exil     892.       Vom  Auszug  zum  Tempel- 
von  David  zum  Exil         452.  bau   1.  Kön.  6,  1.  480 

Tempeldauer  410 

~890. 
Die  Zahlen  des  Klemens  geben  vom  Auszug  bis  zum  Tempel- 
bau  892  —  452  +  44  =  484,  und  für  den  Bestand  des  Tempels 
408.  Trotz  der  überschiessenden  2,  von  der  noch  zu  reden  ist, 
scheint  mir  der  Typus  der  Rechnungen  unzweifelhaft  identisch. 
Hierbei  ist  zu  beachten:  1)  Diese  Rechnung  beruht  auf  sym- 
bolischer Rundung  der  Zahlen.  Zu  890  kommen  noch  die  70 
Exilsjahre,  und  wir  erhalten: 

Vom  Auszug  zum  Tempelbau     480, 
bis  zum  zweiten  Tempelbau         480. 
Die  beiden  Perioden  sind  einander  genau  gleichgesetzt. 
2)  Der  Rechner  steht  auf  dem  hebräischen  Text  1.  Kön.  6, 1. 
Derselbe  tritt   in    der   alten   Chronographie    sehr    selten    hervor. 
Die  Paraphrase  der  Stelle  durch  den  Chronisten  2.  Chr.  3,  1  zeigt 
die  Ziffer  nicht,  ebensowenig  die  andre  Paraphrase  Jos.  A.  8, 3, 1.  61. 
Act.  13,  20  ignorirt   sie,   ebenso   die   alten  griechischen  Chrono- 
graphen.     Jos.   giebt  für   die  Frist   zwischen    dem  Auszug   und 
Tempelbau 


|s  Schlatter,  I  bronograph. 

A.  8,  3,  1.  61  592 

A.  20,  10  612 

A.  9,  14,  1.  280 J)  631. 
Eupolemus  hat  yermuthlicb  653  gegeben,  der  cexQtßdöreQOc 
des  Klemens  567,  Julius  741.  Falls  Origenes  zu  Joh.  2,  23  die 
Angabe  1.  Kön.  6,  1  herangezogen  hat,  hat  er,  obwohl  bei  ihm  die 
hebräische  Zahl  nicht  weiter  auffallend  wäre,  die  Zahl  der  Sept. 
440  benützt.2)  Neben  unserm  Chronographen  und  Theophilus 
kennt  noch  Euseb  die  hebräische  Ziffer  und  versucht  vergebens, 
ihr  Beachtung  zu  verschaffen. 

3)  Die  Königsziffer,  die  von  Rehabeam  bis  zum  Exil  372 
giebt,  (Tos.  374),  bleibt  um  22  Jahre  hinter  den  biblischen  Zahlen 
zurück,  die  in  den  beiden  hebräischen  und  beiden  griechischen 
Texten  (Kön.  u.  Chron.)  und  ebenso  bei  Jos.  mit  auffallender 
Stabilität  überliefert  sind.  Wo  sie  in  der  griechischen  Chrono- 
graphie Parallelen  hätte,  wüsste  ich  nicht,  da  diese  die  biblische 
Königsziffer  regelmässig  um  einige  Jahre  zu  erhöhen  pflegt.  Im 
gegenwärtigen  Bibeltext  hat  sie  nur  in  der  Königsliste  Samariens 
Grund:  36  für  Salomo  seit  dem  Tempelbau,  241  J.  8  Mon.  bis  zur 
Zerstörung  Samariens  und  132  J.  6  M.  seit  dem  siebenten  Jahr 
Hiskijas  bis  zum  Tempelbrand.  Allerdings  war  die  Königsliste 
nicht  immer  'so  frei  von  Varianten.  Die  Synchronismen  bei 
Amazia  und  Jotham  weisen  auf  kürzere  Ziffern  (19  neben  29, 
6  neben  16).  Vorerst  ist  es  Thatsache,  dass  der  Satz  unsers 
Chronographen  nur  bei  den  Rabbinen  seine  Parallele  hat. 

4)  Von  der  Tendenz,  das  Alter  der  jüdischen  Geschichte 
nachzuweisen,  sind  diese  Zahlen  frei.  Der  dxQißeözsQog  weist 
vom  Auszug  bis  zum  Tempelbrand  1016  Jahre  ohne  jede  will- 
kürliche   Dehnung    der    Fristen    nach.      So    wie  man    nach    der 


1)  Jos.  giebt:  vom  Auszug  zur  Zerstörung  Samariens  947,  von  Jero- 
beam  bis  zur  Zerstörung  240,  somit  vom  Auszug  zum  Tode  Salomos  707. 
»Salomo  rechnet  Jos.  aber  mit  80  Jahren;  somit  Tempelbau  631.  Dieser 
Schluss  wird  dadurch  gesichert,  weil  dieselbe  Ziffer  in  der  Passachronik 
wiederkehrt.  Die  Zahlen,  der  jüdisch-griechischen  Chronographen  reichen 
auch  sonst  bis  zu  den  Byzantinern  hinab. 

2)  Der  Text  giebt:  vom  Auszug  zum  Tempelbau  430,  von  Abraham 
zum  Tempelbau  770.  Für  die  Patriarchen  ist  das  kanonische  430  nicht 
entbehrlich;  somit  ist  xQiaxovxa  in  der  ersten  Summe  verdorben  aus 
TBOoeQaxovxa  =  1.  Kön.  6, 1  Sept.  Die  Summe  770  entsteht  aber  so  nur  durch 
einen  Additionsfehler.   Soll  sie  gelten,  so  muss  statt  430:  340  gelesen  werden. 


S.    Die  biblische  Chronologie  des  „Jemand",  Strom.  1,  21.  49 

allgemeinen  Tradition  die  Posten  des  Richterbuchs  addirte,  erhielt 
man  leicht  ein  Jahrtausend  vom  Auszug  bis  zum  Exil. 

Ich  deuke,   die  Klammer,   die  den  „Jemand"  mit  dem  Aus- 
leger Daniels  identisch  macht,  ist  bereits  fest. 
P.  380  wird  für  rcvsg  gegeben: 

von  Moses  Geburt  bis  zur  Zeit  Salomos  595 

tTZQoi  576, 

also   seit   dem  Auszug   bis  Salomo  515,    oder  nach  andern  496. 

Diese  Angabe  beweist,    dass  Klemens   diese  Zahlen   nicht  ganz 

intakt    erhalten   hat.     Der   Tempelbau   kommt    hienach   auf  479 

(oben  484),  und  die  Summe  der  beiden  Zahlen  giebt 

vom  Auszug  bis  Salomo  515 

Königsziffer  seit  Rehabeam  372 


887, 
wahrend  Klemens  selbst  892  giebt.     Es  ist  also  irgendwo  in  der 
Reproduktion  der  Zahlen  eine  kleine  Konfusion  begegnet. 

Ueber  die  Jahre  zwischen  Adam  und  dem  Auszug  erhalten 
wir  erst  nachträglich  und  an  einer  einzigen  Stelle  Bericht,  weil 
der  Beweis  für  das  Alter  der  Bibel  nicht  über  Mose  und  Inachus 
hinaufgeführt  wird.     Nur  nebenbei  hören  wir: 

P.  403:  Von  Adam  bis  zur  Fluth  2148.  4  Tage 

von  Sem  bis  Abraham  1250 

von  Isaak  bis  zur  Austheilung  des  Landes  616. 

P.  406  steht  ausserdem  die   Gresarnmtsumme  von  Adam  bis 

zum  Tod  des  Kommodus:  5784  Jahre  2  M.  12  T. 

Schon  die  „4  Tage"  bei  der  Fluth  zeigen,  dass  die  erste 
Ziffer  dem  jüdischen  Rechner  angehört.  Denn  Tage  bei  der 
Fluthziffer  lassen  sich  nur  dadurch  gewinnen,  dass  die  Rechnung 
mit  dem  Monatstag  der  Weltschöpfung  als  einer  bekannten  Grösse 
operirt.  Die  Fluth  tritt  nach  Gen.  7,  11  hebr.  Text  am  17.  des 
zweiten  Monats  ein.  Der  Rechner  hat  aber  gewiss  nicht  die  Welt- 
schöpfung auf  den  13.  Ijjar  verlegt,  eher  die  Austreibung  Adams 
aus   dem  Paradies.1)     Dagegen  stellt   sich   die  Summe   5784  zur 


1  Weltschöpfung  1.  Nisan;  bis  zum  Fall:  Nisan  29  Tage  und  13  Tage 
vom  Ijjar  =  42  Tage;  es  bleiben  4  Tage  bis  zum  17.,  an  welchem  die 
Fluth  eintritt.  Die  42  Paradiesestage  wären  das  Gegenbild  zu  den  4200 
Jahren  des  Weltbestands,  von  denen  noch  zu  reden  sein  wird.  Eine  rabbi- 
nische  Parallele  ist  mir  nicht  zur  Hand. 

Texte  u.  Untersuchungen  XII,  1.  4 


50  Schlatter,  Chronograph. 

griechischen  Rechnung,  welcher  das  Exil  auf  Ol.  48,  1  =  5S7  ßült 
Denn  von  587  bis  zum  Tod  des  Kommodus  192  erhalten  wir 
779  J.;  vom  Auszug  bis  zum  Beginn  des  Exils  unter  Jojachiii 
rechnete  der  Grieche  1005.1)  Somit  erhalten  wir  5784  —  17M 
=  4000. 

Dieser  Rechner  hat,  falls  nicht  ein  Zufall  waltet  und  Klein 
richtig  referirt,  den  Auszug  4000  Jahre  nach  der  Schöpfung  gehabt. 
Für  die  Urväterreihe  Gen.  5  ist  2148  Jahre  eine  ganz  singu- 
lare Zahl.  Sie  hat  aber  eine  auffallende  Relation  zu  892  für  den 
Auszug  bis  zum  Exil.  Setzen  wir  die  traditionellen  Ziffern  zwischen 
diese  beiden  Summen  ein,  so  entsteht: 

bis  zur  Fluth  2148 

bis  zur  Geburt  Abrahams  (mit  dem  2.  Kainan)  Gen.  11    1070 
Patriarchen  290 

Aufenthalt  in  Egypten  430 

Vom  Auszug  bis  zum  Exil  892 

Exil  7d 

4900. 
Die  bei  Klemens  genannten  Zahlen  1250  und  616  sind  auf- 
fallend. Jedenfalls  bekommen  wir  diese  hohen  Summen  nur 
dadurch,  dass  die  griechische  Glosse  hv  yr\  Xavaav  Exod.  12,  40 
für  den  Rechner  nicht  existirt.  Er  hat  in  die  430  Jahre  die 
Patriarchen  zeit  nicht  einbefasst,  sondern  sie  nur  für  Egypten  ver- 
wendet. Er  ist  auch  hier  durch  den  hebräischen  Text  regiert; 
auch  diess  verbindet  diese  Zahlen  mit  der  Benützung  der  hebrä- 
ischen Ziffer  1.  Kön.  6,  1  und  der  rabbinischen  Königszahl. 

Sollen   es  von   der  Fluth  bis  Abraham  1250  Jahre  sein,    so 
müssen  wir  den  Schlusspunkt  bei  seinem  Tode  suchen. 
Von  der  Fluth  bis  zur  Geburt  Abrahams       1070 
Abraham  175 

1245. 

Es  bleibt  uns  ein  auffallendes  plus  von  5  Jahren;  vielleicht  hat 
dasselbe  zu  dem  minus  von  5  Jahren,  welches  die  Summe  887 
neben  892  aufwies,  Beziehungen. 


1)  Mose  40,  Richterzeit  bis  Samuel  463,  Saul,  David,  Salomo  100,  Kö- 
nigsliste bis  Zedekias  Ende  413,  somit  bis  Joj achin  402.  Hiebei  ist  freilich 
auffallend,  dass  er  zwischen  Ahas  und  Hiskia  Hosea  mit  8  Jahren  unter 
die  Könige  Judas  stellt. 


8.     Die  biblische  Chronologie  des  „Jemand",  Strom.  1,  21.  51 

Ist  die  erste  Summe  durch  den  Tod  Abrahams  begrenzt,  so 
bleiben  uns  für  die  zweite  Zahl  616: 

Vom  Tode  Abrahams  bis  zur  Einwanderung  Jakobs 

in  Egypten  115 

in  Egypten  430 

in  der  Wüste  40 

585. 
Für  die  „Vertheilung  des  Landes"  d.  h.  für  Josua  bleiben  somit 
31.  Ueber  Josua  steht  gegenwärtig  bei  Klemens  ein  wunderlicher 
Satz:  fisza  r/}r  Mcovotcoi  rov  ßlov  ts2.£vt?]v  öiaöiyBxat  t?v  rjye- 
fwviav  rov  Xaov  '///oovg  jtoZetJcov  fiev  Irtj  ge,  sv  de  rij  y?j  xr\ 
aya&it  alXa  jztvrs  xal  dxoot  avajtavöäfisvoc.  wq  öh  rc  ßißXiov 
rov  'LjOov  jteQityti,  öieöt^azo  xiv  Mcovota  o  jigosigt/f/svog  avijQ 
trt]  x£.  Wenn  wirklich  Klemens  beide  Satze  schrieb,  so  hat  er 
bei  zwei  Vorgängern  einen  Ansatz  für  Josua  gefunden.  In  dem 
ersten  ist  aber  er?/  §s  unerträglich;  er?]  tg  ist  eine  naheliegende 
Besserung  und  giebt  mit  den  25  Ruhejahren  den  oben  uns  übrig 
gebliebenen  Rest  von  31  Jahren.1) 

Hienach  stellt  sich  die  Rechnung  so: 

Bis  zur  Fluth  2148 

bis  zu  Abrahams  Tod    1250 
bis  zum  Auszug  545 

bis  zu  David  435 

bis  zum  Exil  452 

Exil  70 


4900. 

Da  wir  die  7  grossen  Wochen  nicht  bloss  mit  den  vulgären, 
sondern  auch  mit  den  von  Klemens  überlieferten  Ziffern  erhalten, 
scheint  mir  diese  Symbolik  beabsichtigt  zu  sein.  Alle  diese  Zahlen 
sind  bei  Klemens  überliefert;  mir  gehört  einzig  die  Konjektur: 
jioZsftojv  Ixt)  £'g  statt  tzr/  ge  bei  Josua.  Ich  glaube  nicht,  dass 
dieselbe  Vorwitz  ist. 

Um  so  sichrer  gehören  diese  Ziffern  zur  Erklärung  Daniels; 
denn    sie    setzen    die    eschatologische    Fassung    der   Jahrwochen 

1)  Es  läge  auch  nahe  in  der  Summe  GIG  dexaeg  aus  xui  g  zu 
erklären,  wodurch  wir  660  erhalten:  Isaak  60,  Jakob  130,  Egypten  430, 
Wüste  40  =  660.  ,  Allein  dann  wird  die  vorangehende  Ziffer  1250  ganz 
irrational  und  die  Weise  des  Klemens  empfiehlt,  die  xXrjQööooia  nicht  aus-, 
Bondern  in  die  Summe  einzuschliesstn. 

4* 


52  Schlatter,  Chronograph. 

voraus.  Di»'  grosse  Weltwoche  endel  mit  der  Gründung  des  neuen 
Israel;  Gott  hat  aber  nach  der  Daniel  gegebnen  Offenbarung  die 

Wartezeit  nochmals  gedehnt  und  zu  den  70  Exils jähren  die  70 
.Jahrwochen  gefügt.  Der  Ablauf  derselben  bring!  das  letzte 
Ende.  Dass  die  490  Jahre  Daniels  vom  Ende  des  Exils  an  ge- 
rechnet waren,  wird  nochmals  dadurch  bestätigt,  dass  die  4900 
Jahre  ebenfalls  erst  mit  dem  Ende  des  Exils  voll  werden. 

Die  überschüssigen  5  Jahre  in  der  Summe  1250  von  der 
Fluth  bis  Abraham  erinnern  an  die  oft  hervortretende  Schwierig- 
keit, die  für  die  Berechnung  der  alten  Chronographen  aus  den 
beiden  Jahren  Sems  nach  der  Fluth  Gen.  11,  10  entsteht.  Die 
beiden  Jahre  hatten  eine  Schwebestellung  zwischen  beiden  Listen 
Gen.  5  und  11,  wurden  bald  zur  ersten,  bald  zur  zweiten  Liste 
geschlagen  und  im  Bericht  Dritter  leicht  übersehn. 

Da  die  erste  Ziffer  die  Tage  gezählt  hat,  die  noch  über  das 
ganze  Jahr  bei  der  Fluth  hinausliegen,  waren  die  beiden  Jahre 
Sems  schwerlich  übersehn,  und  der  Hiatus  in  den  Zahlen  des 
Klemens  kann  dadurch  erklärt  werden,  dass  er  dieselben  nicht 
beachtet  und  hernach  die  Einer  so  zurecht  gemächt  hat,  dass  die 
gewollte  Summe  wieder  entstand.  Als  ursprünglichen  Bestand 
der  Rechnung  erhalten  wir  nach  dieser  Annahme: 


Klemens: 

bis  zur  Fluth 

2148,  4 

Tage 

2148,  4  Tage 

Sem 

2 

— 

bis  Abrahams  Tod 

1245 

1250 

bis  zum  Auszug 

545 

545 

bis  zu  David 

436 

435 

bis  zum  Exil 

454 

452 

Exil 

70 

70 

4900  4900. 

Die  symbolische  Chronologie  war  eine  nothwendige  Folge 
aus  Daniels  Weissagung.  Da  sich  die  letzte  Periode  des  Welt- 
laufs nach  einer  symbolischen  Zahl  vollzog,  so  lag  der  Schluss 
nahe,  dass  sich  Gottes  Regierung  überall  in  der  Herrschaft  runder 
Zahlen  bezeuge  und  nach  grossen,  der  7  unterworfnen  Wochen 
ablaufe.  Die  Symbolik  wurde  in  zwei  Formen  ausgebildet,  von 
denen  die  eine  Gottes  Woche  mit  Jahrtausenden,  die  andre  mit 
700  Jahren  bildete.  Die  letztere  ist  jüdischer  und  enger  an 
Daniel  angeschlossen.     Die  6000jährige  Arbeitswoche   der  Welt, 


8.    Die  biblische  Chronologie  des  „Jemand",  Strom.  1,  21.  53 

zu  welcher  die  Parusie  den  Sabbath  bringt,  war  am  Ende  des 
zweiten  Jahrhunderts  in  der  Kirche  verbreitet,  vgl.  Julius  und 
Hippolyt.  Wenn  der  „genauere"  Gewährsmann  des  Klemens  den 
Auszug  auf  4000  setzte,  wird  schon  er  die  6000jährige  Woche 
gehabt  haben.  Der  Ansatz  des  Exils  auf  5005  stimmt  nicht 
ganz,  bleibt  aber  immerhin  dieser  Symbolik  nah.1)  Diese  Jahr- 
woche bedeutete  aber  den  Verzicht  auf  die  sofortige  Nähe  der 
Parusie.2)  Es  entspricht  sich,  dass  unserm  Chronographen  die 
Parusie  noch  nahe  ist  und  dass  er  nicht  die  1000jährige  Sym- 
bolik aufweist,  sondern  die  beiden  Weltwochen  mit  700  und 
70  Jahren  giebt. 

Es  ist  nicht  Zufall,  dass  dieselben  Elemente,  welche  diese  Rech- 
nung benützt,  auch  bei  den  Kabbinen  in  ein  symbolisches  Ganzes 
eingefügt  sind.    Denn  mit  der  Rechnung  der  Tosefta  erhalten  wir: 
Patriarchen  290 

Egypten  430 

bis  zum  Tempelbai i  4S0 

Tempeldauer  410 

bis  zum  letzten  Tempelbrand      490 

2100. 
An  der  Ergänzung  der  Ziffer  zur  Weltwoche  waren  die 
Kabbinen  durch  die  Zahlen  des  masorethischen  Texts  gehindert, 
der  von  Adam  bis  zur  Geburt  Abrahams  nicht  2100,  sondern 
mit  Sems  zwei  Jahren  194S  Jahre  giebt.  Diese  Symbolik  ist 
älter  als  der  Tempelbrand:  denn  nicht  seinetwegen  ist  die  Ge- 
schichte Israels  in  die  grossen  runden  Jahre  Gottes  gefasst 
worden.  Das  ursprüngliche  Ende  der  Rechnung  war  der  Christus 
und  das  Himmelreich. 

Auch  Henoch  hat  verwandtes.  Er  giebt  c.  93  10  Wochen, 
von  denen  3  ausschliesslich  eschatologisch  sind.  Es  bleiben 
7  Wochen  =  4900  Jahre  bis  zur  Offenbarung  der  Geheimnisse 
des  Himmels  an  die  Gerechten.  Die  Wochen  werden  nicht  mit 
Zahlen,  sondern  durch  die  heiligen  Männer  bezeichnet. 

1)  Zumal  da  die  Königsliste  des  Klemens  mit  dem  König  Hosea  in 
Jerusalem  nicht  unbedingtes  Vertrauen  verdient. 

2)  Auf  jüdischem   Boden  konnte  man  da,    wo   die  Tage  des  Mee 
und  die  ewige  Vollendung  unterschieden   wurden,    auch   mit  den  6x1000 
Jahren  eine  auf  die  nächste  Zukunft  zielende  Erwartung  verbinden,   denn 
die  Tage  des  Christus  füllten  leicht  mit  einigen  hundert  Jahren  das  0.  Jahr- 
tausend aus. 


54  Schlatter,  ( 'bronograph. 

Masorethische  Ziffer 

1.  Woche:  Henoch       geb.     622 

2.  Woche:  Noah  geb.  L056 

3.  Woche:  Abraham     geb.  1948 

4.  Woche:  Gesetzgebung      2608 

5.  Woche:  Tempelbau  3148  (1.  Kön.  6,  1) 

6.  Woche:  Tempelbrand       3578 

7.  Woche:  ungefähre  Gegenwart. 

Bis  Mose  beruht  die  Rechnung  deutlich  auf  den  hebräischen 
Zittern;  dagegen  verlässt  sie  mit  dem  Satz,  dass  der  Tempelbrand 
auf  das  Ende  der  6.  Woche  falle,  den  Bibeltext  ganz.  Da  bei 
einem  Juden  der  Widerspruch  gegen  das  Schriftwort  stets  der 
Erklärung  bedarf,  wird  anzunehmen  sein,  dass  Henoch  eine  Tra- 
dition vor  sich  hat,  welche  den  Tempelbrand  auf  4200  setzt. 
Da  er  dieselbe  mit  den  hebräischen  Zahlen  für  die  Urväter  kom- 
binirt,  verliert  er  nothwendig  die  Uebereinstimmung  mit  beiden 
Formen  des  Bibeltexts.  Der  sekundäre  Charakter  der  Rechnung 
zeigt  sich  auch  darin,  dass  sie  die  7  X  700  und  die  7  X  1000- 
jährige  Woche  kombinirt,  wodurch  er  ohne  sachlichen  Grund 
eine  Dreitheilung  der  Eschatologie  erhält. 

Weiter  ist  zu  beachten,  dass  die  verschiedenen  Ziffern  für 
das  Exil 

vom  Auszug  bis  Ende  des  Exils  nach  der  Tosefta  960 
bis  zum  Exil  nach  Eupolemus  1090  l) 

bis  zum  Tempelbau  nach  A.  20,  10  612 

zu  den  Schwankungen  der  Ueberlieferung  in  Gen.  11  auffallende 
Beziehungen  haben.  Die  eine  Schwankung  entsteht  durch  den 
zweiten  Kainan;  so  stehen  1072  neben  942  Jahren.  Aber  auch 
durch  Nahor  wird  die  Summe  wechselnd  gemacht.  Für  den- 
selben giebt 

Cod.  Vat.  Sin.  etc.  179 
Jos.  A.  1,  6,  5  129 


1)  Nach  Kleinens  hat  Eupolemus  gerechnet 
vom  Auszug  bis  zum  5.  J.  des  Demetrius  1580 

Jos.  rechnet  A.  20,  10  vom  Auszug  bis  zum  1.  Jahr  Simons  1580. 

Mein  Schluss  steht  darauf,  dass  diess  identisch  ist.  Weiter:  vom  Ende  des 
Exils  bis  zur  Entweihung  des  Tempels  durch  Epiphanes  408  und  zur  Hin- 
richtung des  Menelaos  414;  das  bringt  490  genau  auf  das  Epochenjahr  des 
Eupolemus.     Also  hat  er  gerechnet:  1580  —  490  =  1090. 


8.     Die  biblische  Chronologie  des  „Jemand",  Strom.  1.  21.  55 


Nim 


Demetrius,  Euseb,  Cod. 

AI.  Samar.  79 

hebr.  Text 
Jos.   erhält   dadurch    für    die    2.  Liste    die 

29 

Summe 

992. 1) 

erhalten   wir: 

Erste  Liste 

2148 

2148 

2148 

/weite  Liste 

1072 

990 

942 

Patriarchen 

21M) 

290 

290 

Egypten 

Tempelbau 

Tempelbrand 

Exil 

430 

890 

70 

430 
612 
430 

430 
1090 

4900  4900  4900. 
Damit  scheint  mir  ein  doppeltes  wahrscheinlich  gemacht: 
1  dass  die  singulare  Lesung  2148  früher  einige  Verbreitung  be- 
sass.  und  2)  dass  die  Weltwoche  zu  4900  Jahren  öfter  gebildet 
worden  ist.  Auch  die  1000  jährige  Woche  war  leicht  nach  diesem 
Schema  zu  gewinnen.  Denn  die  Summe  2148  rechnet  für  Henoch 
nur  65  Jahre;  wurde  er  mit  Demetrius,  Euseb  etc.  zu  165  ge- 
setzt, so  stand  die  Rechnung  beim  Exil  auf  5000. 

Aber  auch  die  Schwankungen  der  ersten  Liste  Gen.  5  haben 
zu  der  Weltwoche  Beziehungen. 

Für  Demetrius  ist  überliefert  von  Adam  bis  zum  Auszug: 
2264  +  1070  +  505    =  3839, 
für  Eupolemus 

(2122  +    942  +  505)  =  3569. 
Fahren  wir  mit  der  durch  Jos.  A  9,  14,  1.  280  wahrscheinlich 
gemachten  Ziffer  für  den  Tempelbau2)  fort,  so  ergiebt  sich: 
bis  zum  Auszug  3839         3569 

bis  zum  Tempelbau         631  631 

Tempelbestand  430 

4900         4200 


1)  Die  Summe  steht  A.  1,  6,  5.  In  den  Einzelposten  ist  das  fehler- 
hafte 12  für  Sem  und  120  für  Nahor,  wodurch  die  Summe  verloren  geht, 
leicht  zu  bessern  in  Sem  2,  Nahor  129. 

2)  Die  verwendeten  Ziffern  für  die  Richterzeit  lassen  sich  leicht  durch 
die  überlieferten  Zahlen  verstehn.  Saul  ist  nach  1.  Sam.  13,  1  hebr.  Text 
berechnet;  nämlich  Samuel  12,  Saul  40  oder  20,  was  gleichwertig  ist  mit: 
Samuel  50  oder  30,  Saul  2,  ein  Ansatz,  der  bekanntlich  schon  bei  Jos. 
steht,  und  sicher  nicht  von  ihm  erfunden  ist. 


56  Schlatter,  Chronograph. 

Bei  den  bedeutsamen  Einschnitten  der  jüdischen  Geschichte 
entstehn  die  runden  Summen  schwerlich  durch  Zufall  Ich  sehe 
in  denselben  das  Merkzeichen,  dass  unser  Chronograph  eine  Tra- 
dition befolgt,  die  weit  über  ihn  zurückreicht.  Auch  diese 
Parallelen  geben  ihm  seinen  Platz  in  der  jüdischen  Christenheit 
Die  Griechen  haben  beim  Exil  oder  Tempelbau  keinen  Symbolismus 
mehr  gesucht. 

9. 
Theophilus  von  Antiochien. 

Die  singulare  Ziffer  für  die  Fluth  erscheint  bei  ihm  nicht; 
denn  er  hat  das  den  Vulgärtext  der  Sept.  bildende  2242.  Seit 
der  Fluth  stellt  sich  aber  ein  eigenartiges  Verhältniss  zwischen 
ihm  und  dem  Chronographen  heraus. 

Bis  zur  Geburt  Isaaks  Theoph.:  1036;  Chronogr.:  1170. 

Theophilus  hat  den  zweiten  Kainan  nicht,  verkürzt  aber  auch 
Nahor  um  4  Jahre,  da  er  ihm  statt  79:  75  giebt. 

Bis  zur  Vertheilung  des  Lands  Theoph.:  660;  Chronogr.:  660. 

Nicht  nur  die  verwandte   Eintheilung   der  Ziffern,   sondern 
auch  die  Abhängigkeit  vom  hebräischen  Text  Exod.  12,  40  ver- 
bindet   hier  Theophilus   mit    dem   Chronographen. 
Von  Josua  bis  Davids  Tod  ist  die  Ueberlieferung  bei  Theophilus 
gespalten.     Die  Handschrift  giebt  III  cap.  25: 

Theoph.:  436;  Chronogr.:  436, 
also  wieder  die  hebräische  Ziffer  1.  Kön.  6,  1;  in  der  abschliessen- 
den Rekapitulation  c.  28   steht  dagegen  498.     Die  überlieferten 
Einzelposten  geben  497. 

Otto  hat  498  für  echt  gehalten;  ob  er  aber  die  Beziehung 
von  436  zu  1.  Kön.  6,  1  gesehen  hat,  ist  nicht  zu  erkennen.  Die 
Einzelposten  scheinen  mir  an  einer  Stelle  deutlich  interpolirt. 
Auffallend  ist  einerseits:  Ehud  8  statt  80  Jahre,  und  andrerseits: 
Philister  40,  Simson  20,  Friede  40,  Samera  1,  Eli  20.  Samera 
ist  Samgar,  dessen  eines  Jahr  auch  bei  Julius  vorliegt  und  in 
der  alten  Chronologie  eine  Geschichte  hat.  *)     Aber  wie  kommt 


1)  Ueber  Samgars  einziges  Jahr  vgl.  Stud.  u.  Krit.  1891,  681.  Nach 
dem  Gesagten  zu  niodinciren  ist  der  Satz:  „Die  Ziffer  kehrt  von  An- 
fang an  bei  den  Griechen  wieder  von  Theophilus  an."  Das  ist  nur  für 
den  überlieferten  Text  desselben  richtig.  Der  dxQißbOTSQoq  des  Rie- 
mens  bekommt   in   der  Richterzeit  in    der   Summe    Monate:    463  J.  7  M. 


9.     Theophilus  von  Antiocliien.  57 

er  neben  Eli?  Dass  er  am  falschen  Ort  steht,  kennzeichnet  ihn 
als  nachträgliche  Einlage,  womit  aber  auch  die  40  Friedensjahre 
vom  Verdacht  getroffen  werden,  aus  Julius  zu  stammen.  Damit 
v« uliert  die  aus  den  Einzelposten  addirte  Summe  ihren  Halt. 
Mit.  Philister  2o,  Simson  20  haben  wir  436,  wie  es  die  andre 
Lesung  giebt. 

Wäre  Theophilus  aus  1  Kön.  6,  1  interpolirt  worden,  so  wäre 
schwerlich  die  hebräische  Ziffer  benutzt  worden.  Ich  halte  es 
für  wahrscheinlicher,  dass  der  falsch  gestellte  Samgar,  als  dass 
die  hebräische  Zahl  erst  nachträglich  eingedrungen  ist. 

Geizer,  Julius  Afr.  1,  23,  hat  Ehuds  8  statt  80  als  alten 
Schreibfehler  angesehen  und  vorgeschlagen,  die  72  Jahre  desselben 
dadurch  einzubringen,  dass  die  Periodisirung  bei  Eli  gemacht 
werde,  wodurch  Samuel,  Saul  und  David  mit  72  Jahren  zur  fol- 
genden Summe  kommen.  Allein  dann  müssen  wir,  wenn  die 
überlieferten  Summen  gelten  sollen,  die  Königsliste  um  ebenso- 
viel verkürzen,  was  ohne  willkürliche  Schnitte  nicht  möglich  ist; 
auch  sagt  der  Text  ausdrücklich,  dass  die  gegebene  Summe  sich 
auf  David  erstreckt.  Und  den  Samgar  behalten  wir  damit  an 
seinem  falschen  Ort. 

Ehuds  8  Jahre  statt  80  hängen  vielmehr  mit  der  geringen 
Summe  1.  Kön.  6,  1  zusammen,  in  die  sich  nach  der  her- 
kömmlichen Weise  die  Einzelzahlen  nicht  eingliedern  Hessen, 
ohne  dass  irgendwo  ein  kräftiger  Abstrich  an  der  Richterzeit 
vorgenommen  wurde.  Es  scheint  mir  desshalb  auch  die  Ver- 
kürzung Ehuds  zu  bestätigen,  dass  die  Liste  in  ihrem  Schluss 
nicht  unversehrt  ist.  Es  hat  wenig  Sinn,  für  Simsons  Periode 
120  Jahre  anzusetzen  und  gleichzeitig  diejenige  Ziffer  für  Ehud 
zu  verwenden,  die  zu  480  passt. 

Die  eschatologische  Haltung  des  Chronographen  macht  es 
wenig  wahrscheinlich,  dass  er  für  die  Perioden  der  jüdischen  Ge- 
schichte die  einzelnen  Posten  gab.  Steht  Theophilus  auf  dem 
Chronographen,  so  wird  er  nur  das  allgemeine  Schema  bei  ihm 
gefunden  haben,  das  er  nun  selbst  mit  den  Einzelziffern  füllt. 

Für  die  Königszeit  seit  Davids  Ende  giebt 


Klemens  macht  dieselben  nicht  verständlich.  Ich  wüsste  nicht,  woher  die 
Monate  stammen  könnten,  wenn  sie  nicht  der  Vorläufer  zu  »Samgars  einem 
Jahr  sind. 


58  Schlatter,  Chronograph. 

Theophilus  1  18     Chronogr.  414 

Exil  70  70 

Gesammtsumme  seit  der  Fluth  2650  27.">0. 

Vom  zweiten  Kainan  und  der  singulären  Ziffer  von  Nahor 
her  ist  der  Chronograph  Theophilus  um  134  voran;  dieser  holt 
aber  die  34  wieder  bei  der  Königsliste  ein,  obwohl  er  sie  ziemlich 
gewaltthätig  dehnen  muss.  Mit  dieser  Summe  verbindet  rieh 
wenigstens  im  jetzigen  Text  die  Vulgärziffer  für  die  Fluth  2242, 
wodurch  die  Gesammtsumme  4892  wird  und  um  8  Jahre  hinter 
der  runden  Weltwoche  zurückbleibt. 

Vom  Exil  an  verändert  sich  die  Rechnung  total.  Theophilus 
muss  einen  neuen  Führer  suchen  und  findet  ihn  im  Nomenklatur 
des  Chryseros,  des  Freigelassenen  des  Verus.  Mit  diesem  macht 
er  nun  sehr  konfus  den  Uebergang  von  Cyrus  zu  Tarquinius 
Superbus  und  rechnet  der  römischen  Reihe  nach  bis  auf  die 
Gegenwart. 

Weil  1)  Elemente  des  hebräischen  Texts  bei  Theophilus  auf- 
treten (jedenfalls  Exod.  12,  40,  wahrscheinlich  auch  1.  Kön.  6,  1) 
und  weil 

2)  Theophilus  durch  seine  Quelle  beim  Exil  völlig  im  Stich 
gelassen  wird  und  sich  selber  mit  dem  Chryseros,  so  gut  es  geht, 
forthelfen  muss,  darum  halte  ich  es  für  wahrscheinlich,  dass 
Theophilus  auf  dem  Chronographen  steht,  so  dass  auch  er  dessen 
fortdauerndes  Ansehn,  jedoch  ebensosehr  den  völligen  Verzicht  auf 
seine  eschatologische  Rechnung  am  Ende  des  Jahrhunderts  belegt. 

10. 
Das  singulare  2148. 

An  das  Räthsel  der  Textgeschichte  von  Gen.  5  und  11  sind 
wir  wieder  gewaltsam  erinnert.  Alle  andern  Faktoren,  mit  denen 
unser  Chronograph  rechnet:  430  in  Egypten,  480  Tempelbau, 
410  Tempeldauer,  7  X  700  Jahre  bis  zum  Neubau  des  Tempels, 
Ochus  qui  et  Cyrus,  490  bis  zum  Himmelreich,  sind  jüdisch. 
Akiba  hätte  genau  ebenso  rechnen  können,  als  er  ein  Jahrzehnt 
früher  Bar  Kochba  zum  gesalbten  König  ausrufen  liess.  Nur 
bei  Gen.  5  und  11  verschwindet  plötzlich  der  hebräische  Text. 
Mit  der  Verweisung  auf  die  Autorität  der  Sept.  auch  in  den 
Kirchen  Palästinas  kommen  wir  nicht  durch.    Denn  für  Ex.  12,  40 


10.     Das  singulare  2148.  59 

und  1.  Kön.  6,  1  hat  er  dieselbe  nicht  anerkannt.  Und  wie  soll 
man  es  sich  vorstellen,  dass  die  hebräische  und  griechische  Bibel 
an  einer  Stelle,  wo  sie  so  hart  aufeinander  stiessen,  unausge- 
glichen neben  einander  als  Autorität  existirt  haben?  Kommen  wir 
um  den  Schluss  herum,  dass  die  Zahlen,  die  unser  Chronograph 
giebt,  auch  in  seiner  hebräischen  Bibel  standen?  *)  Wir  haben 
es  ja  mit  einer  Bibel  zu  thun,  die  leicht  älter  als  Hadrian  ge- 
wesen sein  kann. 

Das  Fehlen  der  Hunderter  in  den  hebräischen  Listen  Gen.  5 
und  1 1  ist  schon  oft  für  sekundär  erklärt  worden.  Wer  diess 
thun  will,  rnuss  für  diesen  starken  Eingriff  in  den  Text  auch  ein 
starkes  Motiv  aufzeigen,  und  darf  sich  nicht  damit  begnügen, 
von  Fälschung  der  Rabbinen  zu  reden.  Es  gilt,  den  Gedanken 
zu  finden,  welchen  die  Entfernung  der  Hunderter  zum  Ausdruck 
bringt.  Die  Hoffnung  Daniels  leistet  diess.  Sie  hat  diejenige 
symbolische  Rechnung  erzeugt,  die  nicht  mit  langen  Fristen 
operirte,  sondern  die  abgelaufne  Weltzeit  in  ein  kurzes  Mass 
fasste.  Dieselbe  würde  zugleich  erklären,  warum  die  "Geschichte 
des  griechischen  und  des  hebräischen  Texts  sich  hier  trennt  und 
die  Verkürzung  der  Ziffern  nur  auf  palästinensischem  Boden  (Ma- 
st »ra.  Samarit,,  Henoch,  JubiL,  Josephus)  sich  beobachten  lässt. 

Nun  giebt  der  masorethische  Text  unzweifelhaft 

vom  Auszug  bis  zum  Tempelbau  1.  K.  6,  1     480 
bis  zum  Exil  430 

bis  zum  Himmelreich  nach  Daniel  490 

1400. 
Auch  das  legt  nahe,  dass  die  Redaktion  der  Ziffern  im 
hebräischen  Text  auf  der  Ziffer  Daniels  beruht.  Die  Bejahung 
dieser  Frage  schlösse  in  sich,  dass  von  Adam  bis  zum  Auszug 
2800  Jahre  gerechnet  wurden.  Dadurch  entständen  die  6  „grossen 
Jahre"  zu  700  Jahren,  auf  welche  der  Sabbath  des  Himmelreichs 
kommt.  Die  Summe  des  gegenwärtigen  Texts  giebt  aber  2668, 
also  132  Jahre  weniger.  Allein  mit  dieser  Summe  giebt  das  von 
Jos.  überlieferte  612  bis  zum  Tempelbau  dasselbe  Resultat: 


1)  Dasselbe  Problem  stellt  auch  das  Geschlechtsregister  Jesu  bei 
Lukas  mit  dem  2.  Kainan,  dessen  Herkunft  aus  der  palästinensischen  Ge- 
meinde sich  nicht  bezweifeln  lässt,  und  das  dennoch  auf  einer  Bibel  mit 
den  grossen  Zahlen  beruht. 


00  Schlatter,  Chronograph. 


Erste   Vaterliste 

1656 

/weite         „ 

■i\)l 

Patriarchen 

290 

Egypten 

430 

Tempelbau 

612 

Tempelbestand 

430 

bis  zum  Himmelreich 

490 

4200. 
Giebt  der  masorethische  Text  gemischte  Lesungen  aus  den 
beiden  Systemen,  nach  denen  die  6  mal  700  Jahre  gebildet  sind? 
Die  Väterlisten  wären  der  Kopf  zur  Summation  der  Richter-  und 
Königszahlen,  und  1.  Kön.  6,  1  der  Schluss  zu  einer  auf  2800 
gestellten  Rechnung  bis  zum  Exodus. 

Auch  der  Samaritaner  lässt  sich  leicht  aus  demselben  Ge- 
sichtspunkt verstehn.  Nur  ist  dort  der  Endpunkt  der  2800  Jahre 
nicht  der  Auszug,  sondern  die  Eroberung  und  Vertheilung  des 
Lands.  Als  Josua  die  Stiftshütte  nach  Sichern  brachte  und  das 
Volk  im  Lande  angesessen  war,  haben  die  2800  Jahre  ihre  Er- 
füllung gefunden.     Der  Samaritaner  giebt: 

Bis  zur  Fluth  1307 

Väter  nach  der  Fluth  942 

Patriarchen  und  Egypten  505 

2754 
In  der  Wüste  40 

Eroberung  des  Landes  durch  Josua         6 


2800. 
Die  Rabbinen  zählen  allerdings  nicht  6,  sondern  7  Kriegs- 
jahre für  Josua:  z.  B.  j.  sheb.  6,  36b.  tfbtf  Wnna  tfb  DDW,ntf 
IpbriTÖ  Jtttn  'lM^DTÖ  ynrc  JH3E  mW  ^ma  nnab.  Dieselbe  Zählung 
erscheint  in  dem  auf  dem  griechischen  Gebiet  sehr  verbreiteten  An- 
satz von  27  Jahren  für  Josua,  von  dem  der  bei  Klemens  stehende 
Satz  behauptet,  er  stehe  im  Buch  Josuas.  Aber  daneben  lesen  wir 
ucoXsficov  £TTj  eg,  und  bei  Josephus:  srog  ds  uiiy.ur.Tov  ?]6t]  uzaoeXrjXv- 
&et,  A.  5, 1, 19. 68,  und  der  beste  Textzeuge,  der  Lateiner,  giebt  Josua 
26  Jahre,  d.  h.  6  Kriegs-  und  20  Ruhejahre,  A.5, 1,  29. 117,  und  noch 
in  der  Passachronik  steht:  kgr^JimCaq  ßaöiZeiac  xd'  hv  s§  ereoiv, 
pg.  144  ed.  Bonn.  Uebrigens  würde  sich  auch  die  Ziffer  7  zum 
samaritanischen  Schema  fügen,  da  es  sich  mit  Gen.  11,  10  auch 
vereinigen   Hesse,  wenn   dort  nur   ein  Jahr  eingelegt  wird.     Hat 


10.    D;^  Bingul&re  2148.  61 

uian  aber  auch  in  Sichern  mit  der  symbolischen  Ziffer  gerechnet, 
so  that  man  diess  in  Jerusalem  erst  recht.  Es  hat  einige  Wahr- 
scheinlichkeit, dass  derselbe  Schlüssel,  der  die  Besonderheiten  des 
Codex  von  Sichern  deutet,  auch  die  Lesung  des  masorethischen 
Texts  aufschliessen  wird. 

Die  übrigen  im  Alterthum  auftretenden  Summen  bis  zur 
Fluth  lassen  sich  sämmtlich  leicht  aus  den  erhaltenen  Varianten 
erklären.  Die  Schwankungen  beziehen  sich  bloss  auf  den  zweiten 
Theil  der  Liste,  wahrend  die  5  ersten  Ziffern  in  den  Zehnern 
und  Einern  stabil  bleiben.  Wir  erhalten: 
Die  5  stabilen  Posten  960  960 
Jared  162        162 

Henoch  165        165 

Methusalah  187         167 

Lamech  188        188 

Noah  600        600 

2262  *)  2242 2)  2122 3)  1662 4)  1656 5)  1307«). 
Nur  unser  2148  fügt  sich  in  das  Ueberlieferte  nicht. 

Jared  scheint  stabil,  ist  es  aber  dess wegen  nicht,  weil  statt 
des  runden  800  für  seine  Lebenszeit  beim  Samaritaner  785  steht. 
Sollte  unser  Chronograph  für  Jared  188  gelesen  haben: 


960 

460 

460 

460 

162 

162 

162 

62 

65 

65 

65 

65 

167 

187 

187 

67 

168 

188 

182 

53 

600 

600 

600 

600 

die  fünf  stabilen  Ziffern: 

960 

Jared  statt  162 

188 

Henoch         \ 

Methusalah   [  wie  bei  Eupol. 

65 

167 

Lamech 

168 

Noah 

600 

2148, 

dann  erhalten  wir  auch  die  4  X  700  Jahre  bis 

zum  Auszug  ohne 

jede  weitere  Konjektur: 

die  fünf  stabilen  Ziffern: 

460 

Jared 

188 

Henoch 

165 

Methusalah 

187 

Lamech 

188 

Noah 

600 

1788 

1)  Demetrius  Julius.  2)  Euseb,   Vulgärziffer.  3)  Eupolemus. 

4)  Jos.  A.  8,  3,  1.  61.  5)  Hebr.  Text.  6)  Samarit. 


02  SchUtter,  Chronograph. 

1788 

Sem  2_ 

1790 
Liste  Gen.  11  290 

Patriarchen  290 

Egypten  430 

2800 
vom  Auszug  zum  Tempelbau  480 
Tempeldauer  430 

bis  zum  Himmelreich  490 

4200. 
Fügen  wir  die  mit  Jareds  188  gebildete  Summe  zu  992,  der 
von  Jos.  für  Gen.  11  überlieferten  Zahl,  die  Nahors  129  in  sich 
schliesst,  so  ergiebt  sich: 

Erste  Liste  der  Väter  2290 

zweite    „        „         „  990 

Erzväter  290 

Egypten  430 

4000. 
4000  stand  vermuthlich  für  den  Auszug  beim  axQißtorsQOQ  des 
Klemens. 

Es  spricht  manches  dafür,  dass  die  Konjektur  188  für  Jared 
zusammen  mit  Nahors  129,  wie  sie  Jos.  giebt,  den  alten  echten 
Text  herstellt.  Denn  wie  die  Variationen  in  diesen  Ziffern  nicht 
als  Zufall  zu  verstehen  sind,  so  ist  schon  ihre  erste  Genesis  kaum 
denkbar  als  ein  blosser  Willkürakt  des  Gesetzgebers.  Mir  scheint 
der  Wunsch  begründet,  ein  Princip  wahrzunehmen,  aus  dem  die 
Bildung  der  Reihe  begreiflich  wird.  Die  auf  4000  endende  Reihe 
lässt  sich  genetisch  verstehn.  Denn  die  Summen  2290,  990,  290 
haben  eine  einfache  Proportionalität.  Das  Schema  ist: 
290  +  2  x  700  +  600  =  2290 
290  +  700  =    990 

290  =    290. 

Der  Rest,  der  das  4.  Jahrtausend  voll  macht,  430,  fällt  der 
Zeit  in  Egypten  zu.  Der  gegebne  Ausgangspunkt  der  Reihe  sind 
die  Patriarchenzahlen.  Dass  Abraham  hundertjährig  den  Sohn 
erhielt,  und  Jakob  130jährig  nach  Egypten  wanderte,  wird  man 
längst  erzählt  haben.  Das  gab  für  die  Patriarchenzeit  den  An- 
satz   100  +  60  +  130  =  290,    der    sich    auch    als  die  Zahl   des 


10.    Das  singulare  2148.  63 

Mondlaufs  leicht  einprägt.  Sodann  ragt  Noahs  600  eigenartig 
aus  diesen  Zahlen  hervor.  Auch  der  Ansatz  der  Fluth  in  Noahs 
600.  Jahr  wird  ein  alter  Ansatz  sein.  Nun  wird  die  übrige 
Reihe  dadurch  gebildet,  dass  das  gegebne  290  für  alle  3  Perioden 
als  Grundziffer  verwendet  und  für  die  Väter  bis  Noah  um  2  X  700, 
für  die  Väter  vor  Abraham  um  700  Jahre  vermehrt  wird,  wäh- 
rend der  Auszug  das  begonnene  Jahrtausend  schliesst.  Warum 
wird  nicht  einfach  gesagt,  dass  Israel  400  Jahre  in  Egypten 
wohnte?  warum  müssen  es  genau  430  sein,  wenn  der  Erzähler 
nicht  eine  runde  Summe  erstrebt? 

Sodann  erhalten  wir  von  4000  aus  einen  verständlichen  Stamm- 
baum der  Varianten.  Zum  Rhythmus  der  Weltwoche  von  6  x  700 
Jahren  gelangte  man  von  4000  aus  leicht.  Der  Rechner  auf 
Grund  von  Daniel  nahm  der  ersten  Väterliste  500,  der  zweiten 
700  Jahre,  wodurch  er  mit  dem  Auszug  bei  2800  stand.  Allein 
das  setzte  die  Zahl  480  für  den  Tempelbau  voraus,  die  sich  mit 
den  Posten  des  Richterbuches  stiess.  Wurden  diese  summirt 
und  der  Tempelbau  auf  612  gesetzt,  so  niusste  die  runde  Zahl 
für  den  Auszug  aufgegeben  und  die  erste  Väterliste  nochmals 
verkürzt  werden. 

Wer  die  hebräischen  Ziffern  für  älter  hält,  kann  sich  die 
Bewegung  der  Zahlen  umgekehrt  denken.  Dann  treten  die  Va- 
rianten dess wegen  auf,  w^eil  die  Rundung  zu  2800  oder  zu  4000 
beim  Auszug  angestrebt  wird. 

Dass  sich  die  6  x  700  Jahre  nirgends  unversehrt  überliefert 
finden,  ist  durch  die  einschneidende  Wandlung  erklärbar,  welche 
die  Auslegung  Daniels  seit  Hadrian  erfahren  hat.  Seit  Daniels 
Zahl  den  Tempelbrand  weissagte,  war  es  mit  der  Berechnung 
des  gesammten  Weltlaufs  nach  derselben  vorbei  Darum  finden 
sich  im  masorethischen  Text  Lesungen  neben  einander,  die  ver- 
schiedneu Systemen  angehören;  das  Interesse  an  ihrer  Ausgleichuug 
war  tot.  Deute  ich  die  masorethischen  Ziffern  richtig,  so  illu- 
striren  sie  nicht  nur  das  Steigen,  sondern  auch  das  Sinken  der 
messianischen  Hoffnung  von  Daniel  bis  Hadrian. 

Das  ist  derjenige  Zweig  der  Rechnung,  der  490  mit  um- 
schliesst  und  beim  Himmelreich  endet.  Die  andre  Stelle,  von 
welcher  Variationen  schon  vor  Daniel  ausgingen,  ist  Exod. 
12,  40.  Die  Glosse  xal  iv  yjj  Xavaav  trat  ein,  welche  durch 
Moses  Genealogie  empfohlen  schien.     Dadurch  wurde  die  Summe 


(34  Schlatter,  Chronograph. 

um  215  gekürzt,  und  die  Symmetrie  zerstört.  Auch  die  Vater- 
listen kommen  nun  ins  Schwanken,  weil  beim  Ende  des  Tempels 
oder  des  Exils  die  verlorne  Symmetrie,  sei  es  mit  5000,  sei  es 
mit  4900,  wieder  gewonnen  wird. J) 

Das  ist  ein  „Kartenhaus",  so  lange  wir  Jareds  1  SS  Jahre  bloss 
aus  der  Summe  2148  herausschälen  müssen.  Vielleicht  besitzen 
aber  andre  mehr  Material  in  dieser  Sache  als  ich,  und  wenn  sich 
für  Jared  188  irgendwo  überliefert  fände,  dann  wäre  allerdings 
nicht  nur  bewiesen,  wie  unser  singuläres  2148  zu  deuten  ist, 
sondern  weiter,  dass  es  vor  Hadrian  hebräische  Bibeln  gab  mit 
den  6  x  700  Jahren  bis  zum  Himmelreich,  und  auch  diess  wäre 
wahrscheinlich  gemacht,  dass  2800  aus  4000  stammt. 

Vorerst  notiren  wir  als  Ertrag  für  unsre  Untersuchung,  dass 
der  Schluss  aus  der  Verschiebung  des  Cyrus  bei  Jos.:  Artaxerxes 
=  Cyrus,  auf  Berechnungen  des  Himmelreichs  in  Jerusalem  sich 
bestätigt  hat.  Denn  dass  die  masorethischen  Zahlen  mit  dem 
überlieferten  612  und  430  auf  4200  stehn,  das  ist  nicht  Konjek- 
tur, sondern  Thatsache.  Dadurch  wird  aufs  neae  die  Zugehörig- 
keit des  Chronographen  zur  jüdischen  Christenheit  fest.  Jeden- 
falls lässt  sich  seine  auffallende  Fluthziffer  nicht  als  Zeichen 
seines  griechischen  Standorts  verwenden.  Denn  sie  mag  leicht 
eine  alte  Lesung  erhalten  haben,  welche  den  Chronographen  mit 
den  Rechnungen  Jerusalems  zusammenbringt,  und  damit  in  bester 
Ueberein Stimmung  stehn,  dass  er  auch  in  der  Deutung  der  Zahl 
Daniels  noch  den  alten  Gedanken  vertritt. 


Zugaben. 

1)  Auch  Jos.  8,  3,  1.  61  greift  hier  ein.  Der  Chronograph, 
aus  dem  Jos.  hier  schöpft,  ist  nicht  unbedeutend,  da  er  ihm  die 
tyrischen  Synchronismen   geliefert  hat.     Dort   wird    der  Auszug 

1)  Werden  Jareds  188  zu  den  grossen  Ziffern  gefügt,  so  erhalten  wir 
2290  bis  zur  Fluth,  1145  mit  dem  2.  Kainan  bis  zur  Berufung  Abrahams. 
Die  2.  Periode  wird  genau  die  Hälfte  der  ersten;  die  Fortsetzung  mag  ge- 
wesen sein:  430,  631,  434,  70  =  5000.  Auch  der  Typus  des  Samaritaners 
ist  zu  beachten.  Er  brachte  mit  Jared  188  und  dem  zweiten  Kainan  die 
Fluth  genau  in  die  Mitte:  bis  zur  Fluth  1790,  bis  zum  Auszug  (ohne  die 
Glosse  FiXod.  12,  40)  1790.  Mit  der  von  Jos.  gegebenen  Ziffer  1662  bis  zur 
Fluth  stand  sie  in  der  Mitte  zwischen  Auszug  und  Schöpfung  bei  Jareds 
162  und  942  für  die  2.  Liste.     So  erhalten  wir  beidemal  1662. 


10.     Das  singulare  2148.  55 

auf  2510   gesetzt,    ein  Ansatz,    der  an  denjenigen  im  Buch   der 
Jubiläen:  2410  erinnert. 

Die  Summen  sind  bis  zum  Tempelbau: 

seit  dem  Auszug  592 

seit  der  Berufung  Abrahams  1020 

seit  der  Fluth  1440 

seit  Adam  3102. 

Für  die  Berufung  Abrahams  ist  zunächst  nach  f/sra  %l1i<x 
xal  dxoöi  noch  xal  ovo  beizufügen,  wodurch  wir  für  die  Patri- 
archenzeit statt  der  irrationalen  428  die  kanonischen  430  Jahre 
erhalten.  Die  Frist  von  1662  Jahren  zwischen  Adam  und  der 
Fluth  ist  verständlich,  aber  die  418  J.  von  der  Fluth  bis  zur 
Berufung  Abrahams  verschliessen  sich  dem  Verständniss.  Allein 
L662  +  418  ergiebt  2080,  d.  h.  diejenige  Summe,  welche  der  niaso- 
rethischen  Rechnung  den  Symbolismus  giebt:  2080  -\-  290  -f-  430 
=  2800.  Es  scheint  hier  der  Anfang  der  Weltwochenrechnung 
erhalten  zu  sein;  aber  Jos.  hat  die  Summe  verkehrt  getheilt  in 
1662  und  418,  statt  in  1788  und  292  und  übersehen,  dass  er 
mit  dieser  Summe  noch  nicht  bei  der  Berufung,  sondern  erst 
bei  der  Geburt  Abrahams  stand,  so  dass  er  das  irrationale  418 
schuf,  und  da  er  weiter  für  430  nicht  die  hebräische,  sondern 
die  griechische  Rechnung  verwendet,  verkürzt  sich  ihm  die 
Summe  noch  einmal  um  215  Jahre,  so  dass  aus  2800  nun  2510 
geworden  ist.  Wenigstens  ist  diess  ein  Erklärungsversuch  dieser 
Zahlen,  für  die  es  sonst  noch  keine  Erklärung  giebt.  Aber 
auch  hier  sind  die  Zahlen  so  überarbeitet  und  zerbrochen,  dass 
sich  auch  an  dieser  Stelle  keine  zwingende  Beobachtung  ge- 
winnen lässt. 

2)  Die  Ziffer  612  für  den  Tempelbau  erfordert  noch  einige 
Ueberlegung,  weil  sie  dadurch  einige  Wichtigkeit  erhalten  hat, 
dass  sie  mit  den  masorethischen  Listen  im  System  der  6  x  700 
Jahre  zusammen  gehört.  Sie  steht  A.  20,  10  als  Summand  in 
1580,  der  Summe  des  Eupolemus.  Jos.  setzt  sie  aber  mit  einer 
irrationalen  Tempelziffer  fort:  466,  die  er  nur  durch  Salomos 
80  Jahre  einigermassen  rationalisirt.  Ich  schloss  darum  in  der 
Abhandlung  von  1891,  dass  Jos.  die  Zahl  des  Eupolemus  ver- 
schoben habe  vom  Anfang  Davids  auf  den  Tempelbau.  Ich  sah 
aber  damals  den  Symbolismus  in  den  synagogalen  Rechnungen 

Texte  u.  Untersuchungen  XII,  1.  5 


ßß  Schlatter,  Chronograph. 

noch  nicht.     Derselbe  spricht  in  der  That  dafür,   dass  012.  wie 
Jos.  es  fasst,  für  den  Tempelbau  verbreitet  war. 'j 

Andrerseits  erhalten  die  Gründe,  die  dafür  sprechen,  dass 
die  Königsziffer  des  Jos.  ihm  und  nicht  Eupol.  angehört,  dadurch 
eine  Verstärkung,  dass  Eup.  Salomo  gegen  den  Schrifttext  im 
ersten  Jahr  den  Tempel  bauen  lässt.  Ich  nahm  diess  1S91  als 
eine  Laune  des  Eup.  hin,  die  sich  nur  durch  die  Erwägung  erläu- 
tern lasse,  dass  Salomo  ohne  Zögern  an  sein  grösstes  Werk  gehen 
müsse.    Aber  die  Zahlen  des  Eupolemus  stehn  seit  der  Fluth  so: 

Liste  Gen.  11  942 

Patriarchen  und  Egypten     505 

bis  zu  David  612 

David  40 

bis  zum  Tempelbau  1 

"21ÖÖ" 
Der  direkte  Widerspruch  mit  dem  Schriftwort  und  die  runde 
Ziffer  werden  auch  hier  mit  einander  in  Zusammenhang  stehn. 
Da  nun  Eupolemus  nach  seiner  ganzen  Art  schwerlich  als  ein 
selbständiger  Rechner  gelten  darf  und  seine  Zahlen  2122  und  1090 
auch  in  andere  Kombinationen  sich  fügen,  vgl.  S.  55,  so  wird  an- 
zunehmen sein,  dass  die  Summe  612  ihm  bereits  überliefert  war 
und  von  ihm  nur  in  besondrer  Weise  verwendet  wird.  Um  so 
glatter  erklärt  sich  die  irrationale  Tempelziffer  des  Jos.  612  lag 
ihm  doppelt  vor:  als  Summand  von  1580  und  als  Summe  für  den 
Tempelbau.  Da  er  die  Zahl  in  der  letztern  Weise  deutete,  und 
doch  1580  nicht  verlieren  wollte,  kam  er  nothwendig  auf  seine 
willkürliche  Zahl  für  den  Tempelbestand.  Die  wichtigste  Seite 
dieser  Frage  ist  das  chronologische  Moment.  Eup.  ist  durch  den 
Polyhistor  excerpirt  worden.  Da  er  bereits  612  verwendet,  ist 
die  mit  den  masorethischen  Zahlen  zusammengehörende  Tempel- 
ziffer für  die  Zeit  Hyrkans  I  oder  Jannais  belegt. 

11. 

Der  „gefälschte"  Josephus  des  Origenes. 

Nach  der  traditionell  gewordnen  Meinung  las  Origenes  einen 
christlich  interpolirten  Josephus;  nach  meiner  Meinung  las  er 
Citate  aus  Josephus,  die  christlich  interpretirt  gewesen  sind. 

1)  Es  erklärt  sich  ohne  jede  Schwierigkeit:  Wüste  40,  Josua  26, 
Richter  (die  Posten  des  Buchs  addirt)  410,  Eli  40,  Samuel  50,  Saul  2, 
David  40,  Salomo  bis  zum  Tempelbau  4. 


11.    Der  „gefälschte"  Josephus  des  Origenes.  (37 

evgokuev,  sagt  Origenes  zu  Mth.  21,  25,  ex  xojv  xaxd  xov  ygo- 
vov  Tißegiov  Kaioagog  löxogiojv  ygapdg,  cog  dga  hei  JJovxiov 
IJiXdxov  exivövvevoev  6  Zaog,  xov  fiev  Ihldxov  ßiaCof/evov  dv- 
ÖQiavxa  KaiöaQog  dvafrelvai  ev  xcp  vam,  xojv  öh  xal  jtagd  övva- 
{uiv  xmXvovxajv.  xo  öe  ofioiov  dvayeygajtxai  yeyovevai  xal  xaxd 
xovg  ygovovg  raiov  Kaioagog.  Besonders  merkwürdig  sei,  dass 
ccvTog  jtQcoxog  kxoXprfiB  iiidvai  xov  vaov  xov  &eov  üiXäxoq, 
cp  jiageöorxav  xov  'h/oovv.  Hier  liegt  deutlich  der  Bericht  des 
Jos.  zu  Grund  über  den  Streit  um  die  Kaiserbilder  unter  Pilatus 
und  unter  Caligula.  Allein  Origenes  stellt  sich  vor,  Pilatus  habe 
den  Tempel  durch  ein  Kaiserbild  entweihen  wollen.  Stand  das 
in  seinem  Jos.  und  war  dieser  gefälscht,  so  dass  er  das  [iiavai 
xov  vaov  für  Pilatus  bot?  Und  hat  Origenes  Geschichten  des 
Jos.  yga<pai  genannt?  Die  Stelle  verlangt  nichts  anderes,  als  dass 
Origenes  eine  kurze  Erwähnung  der  Dinge  unter  Pilatus  und 
Caligula  vor  sich  hatte,  die  beides  als  gleichartig  zusammenstellte, 
so  dass  er  die  Differenz  zwischen  den  Ereignissen  unter  Pilatus 
und  unter  Caligula  nicht  wahrzunehmen  vermochte,  sondern  auf 
Pilatus  übertrug,  was  bloss  von  Caligula  richtig  ist. 

Die  Herodianer  erklärt  Origenes  zu  Mth.  21,  25  als  diejenige 
Parthei,  welche  dem  Kaiser  die  Steuern  geben  wollten,  im  Gegen- 
satz zu  den  Pharisäern,  welche  sie  verweigerten.  iöxog?]xai  öh 
oxi  yfovöag  fiev  6  raXiXaiog,  ov  fisfivqxcu  xal  Aovxäg  ev  xalg 
xoiv  ajiooxöXwv  jiga^zöiv,  djtoöxrjöag  JtoXv  jtXrjd-og  'Iovöaiwv 
eöiöaoxe  firj  ÖBlv  öiöovai  Kalöagi  <pogov  firjöh  xvgiov  dvayogeveiv 
xov  Kaloaga.  o  öh  xaxd  xov  xaigov  avxov  xexgdgyrjg  jiel&eiv 
eßovXexo  xov  Xabv  elxeiv  xT\  Jtagovo?]  xaxaoxdöet  xal  [irj  avfrai- 
gexov  aigeiö&ai  Jtgog  löyvgoxegovg  jioXekuov,  öiöovai  öh  xovg 
(pogovg.  Hier  bestehn  deutliche  Beziehungen  zu  A.  18,  1,  1; 
aber  der  Tetrarch,  gegen  den  sich  die  Bewegung  richtet  und 
der  das  Volk  zu  beschwichtigen  sucht,  ist  für  den  Text  und  Sinn 
des  Jos.  ein  fremdes  Element.  Wie  soll  Origenes  selbst  die  Stelle 
aus  Jos.  schöpfen,  ohne  auf  die  Absetzung  des  Archelaus  und 
die  Einrichtung  der  römischen  Prokuratur  zu  stossen,  während 
er  sich  seinen  Herodes  als  Landesherrn  von  ganz  Judäa  denkt? 
Dagegen  hat  Origenes  gehört,  dass  Juda  sich  als  Christus  gab, 
c.  Cels.  1,  57  u.  zu  Joh.  1,  21.  6,  6,  was  nicht  aus  Jos.  stammt, 
und  die  Abwesenheit  desselben  bestätigt  sich  dadurch,  dass 
Origenes  konstant  Theudas  vor  die  Geburt  Jesu  stellt  und  kein 


(>§  Schlatter,  ChronograplL 

Bewusstsein  zeigt,  dass  hier  eine  chronologische  Schwierigkeit 
besteht. 

Zu  Matthäus  14,  2  erwägt  Origenes,  worin  die  Sünde  des 
Herodes  bestanden  habe.  „Jemand  meint,"  xivlg  (liv  ovv  o'Lovxai, 
die  Ehe  sei  desshalb  illegal  gewesen,  weil  Philippus  nicht  kinder- 
los gestorben  sei.  Dieser  „Jemand"  kennt  die  Erzählung  des  Jos. 
nicht.  Origenes  fügt  bei:  fj/ielg  de  fir/öafir/  öacpcog  tvoloxovxtg 
xsfrvqxJvcu  xov  <Pifojzjiov  (lü^ov  exi  xo  ziaoavö[irma  xco  HqwÖ% 
ZoyiCofJs&a  ysyovtvat,  oxi  xal  ^covxog  ajttoxrjöe  xov  aöeXipov 
xr]v  yvvalxa.  Origenes  hat  somit  nachgesucht,  ob  Philippus 
vor  „Herodes"  gestorben  sei,  hat  diess  aber  nirgends  unzweideutig 
gefunden.  Er  hat  aber  auch  das  Gegentheil  nicht  gefunden,  dass 
der  Mann  der  Herodias,  als  sie  ihn  verliess,  noch  am  Leben  war. 
D.  h.  Origenes  hat  nicht  bei  Jos.  gesucht. 

Den  Spruch:  das  Gesetz  und  die  Propheten  bis  Johannes, 
belegt  Origenes  damit,  dass  der  Täufer  noch  von  Herodes,  Jesus 
nicht  mehr  von  Herodes,  sondern  von  Pilatus  getötet  worden  sei. 
Denn  r)  xcov  ßaöiXevodvxcov  ev  xco  Xaco  e^ovoia  fityyt  xov 
avaiQSlv  xovg  vofu^oftsvovg  dt-iovg  &avdxov  avxolg  vjiccQzovxaq 
tcog  'Ioxxvvov  r)v  xal  dvaioedtvxog  xov  xelevxaiov  xcov  jic>og)?/- 
xcov  jiaocivoficoQ  vjto  xov  Hgcodov,  avyigt&r)  o  'Iovöalcov  ßaoiXsvg 
xrjg  xov  dvaiQelv  sgovöiac.  el  ydg  fir)  acprjorjxo  avxfjv  6  Hqoj- 
örjg,  ovx  av  aöixaösv  o  Uilaxog  xov  'irjöovv  xr)v  ejti  d-avdxcp, 
dl)!  ijQxrjOev  av  Hoc6dr]g  fisxd  xrjg  xcov  ctoxisgecov  xal  jtgeo- 
ßvxzgcov  xov  Xaov  elg  xovxo  ßovZrjg.  Dadurch  war  Gen.  49,  10 
erfüllt. 

Somit  hat  Origenes  von  der  Einrichtung  der  Provinz  Judäa 
keine  Vorstellung  und  weiss  vom  Regiment  der  Prokuratoren 
anstatt  der  Herodier  in  Jerusalem  nichts.  Sein  Herodes  ist  König 
von  Jerusalem,  nur  dass  ihm  nach  der  Hinrichtung  des  Täufers 
das  Blutgericht  genommen  war.  Das  beweist  eher,  dass  Origenes 
den  falschen  Petrus,  als  dass  er  Jos.  kennt. 

Was  die  Juden  Joh.  2,  20  über  den  Bau  des  Tempels  sagen, 
bringt  Origenes  in  Verlegenheit.  Gegen  Herakleons  Ausdeutung 
der  Stelle  liegt  es  ihm  daran,  ihre  historische  Wahrheit  darzu- 
thun.  Zu  Salomos  und  Serubabels  Tempelbau  passt  sie  aber  nicht; 
er  tröstet  sich  nun  damit,  dass  der  Tempel  in  der  Makkabäer- 
zeit  leicht  einmal  zerstört  und  wieder  neugebaut  sein  könne.  D.  h. 
Origenes  hat  vom  herodeischen  Tempelbau  nichts  gehört. 


11.     Der  „gefälschte"  Josephus  des  Origenes.  59 

Durften  diese  Instanzen  wirklich  bloss  als  negative  Argu- 
mente beurtheilt  werden?  Ich  schliesse  nicht:  Origenes  redet 
nirgends  vom  Tempelbau  des  Herodes,  also  hat  er  Jos.  nicht 
gekannt,  was  selbstverständlich  thöricht  wäre.  Der  Schluss  steht 
im  Gegentheil  auf  bestimmten  positiven  Aussagen  des  Origenes. 
Er  hat  Herodes  für  den  König  Jerusalems  erklärt,  hat  es  als 
problematisch  behandelt,  ob  er  einen  Ehebruch  begangen  habe, 
und  hat  die  makkabäische  Periode  als  diejenige  bezeichnet,  in  der 
ein  Neubau  des  Tempels  am  leichtesten  unterzubringen  sei.  Diese 
Vorstellungen  schliessen  Jos.  positiv  aus.  Die  Fragen,  die  sich  Ori- 
genes stellte,  hätten  bei  Jos.  ihre  Erledigung  gefunden,  finden  aber 
eine  solche  bei  Origenes  nicht;  also  hat  er  sie  nicht  bei  Jos.  gesucht. 

Über  die  Königin  von  Saba  hören  wir,  Hohes  L.  1,  5:  inve- 
nimus  autem  hujus  ipsius  reginae  etiam  Josephum  in  historia 
sua  facere  mentionem  addentem  etiam,  hoc  quod  posteaquam  re- 
gressa  est,  inquit,  a  Salomone,  Cambyses  rex  miratus  ejus  sa- 
pientiam,  quam  sine  dubio  ex  Salomonis  sapientia  susceperat,  cog- 
nominavit,  inquit,  nomen  ejus  Meroen.  refert  autem,  quod  non 
solum  Aethiopiae,  sed  et  Aegypti  regnum  tenuerit.  Letzteres  ist 
korrekt  cf.  A.  8,  6,  5.  6.  165.  167.  Kambyses  und  Meroe  stam- 
men dagegen  aus  dem  von  Jos.  über  Mose  gegebnen  Midrasch: 
övveXafrtVTec  elg  2aßav  Tioliv  ßaöiluov  ovöav  xi\g  Al&iojtiag. 
?jv  vortQov  Kccfißvörjq  Msgorpf  ejtwvofiaosv  aöelptig  lölag  rovzo 
xaZovfiivTjg,  tJtofaoQzovvTO,  A.  2,  10,  2.  249. 

Wenn  bei  Origenes  Meroe  aus  dem  Namen  von  Saba  zu 
demjenigen  der  Königin  von  Saba  geworden  ist,  so  ist  das  keine 
„Fälschung"  des  Jos.,  sondern  einfach  eine  mit  Missverständnissen 
belastete  Wiederholung  eines  älteren  Citats.1)  Die  Gleichzeitig- 
keit zwischen  Kambyses  und  Salomo  giebt  nicht  gerade  grosse 
Zuversicht,   dass  Origenes  die  ersten  Bücher  der  A.  gelesen  hat. 

Aehnlich  wird  es  sich  mit  Threni  4,  19  verhalten:  xovyoi 
lyivovxo  ol  öuoxovrsg  r^iag  vjiIq  derovg.  lörooel  yäo  ^Iwörjjtog. 
cog  ovdh  rä  oq>/  rovg  (psvyovrag  öitocooev  Von  den  „Bergen" 
i^r   bei  Jos.   nichts   sonderliches   zu   lesen;    wohl  aber  stehn   die 


1)  In  der  Paraphrase  der  biblischen  Erzählung  giebt  Jos.  der  Königin 

keinen  Namen;    dagegen  steht  S,  6,  2.  159  ein   seltsames  Fragment,    über 

•n  Herkunft  ich  nichts  zu  sagen  wage;  in  jüdischen  Büchern  habe  Jos. 

gefunden,    dass  der  Pharao  Salomoa  der  letzte  dieses  Namens  gewesen  sei, 

und  dass  die  Königin  von  Saba  die  von  Herodes  genannte  Nikaule  sei. 


70  Schlatter,  Chronograph. 

Berge  Mth.  24,  16:  xoxt  61  tv  rtj  'iovöala  (pevytrwoav  elg  xa 
OQTj.  Damit  wird  beim  Vordermann  des  Origenes  Threni  4,  19 
kombinirt  gewesen  sein  und  dafür,  dass  sie  auch  die  Berge  nicht 
retteten,  sondern  die  Drohung  Jesu  und  der  Propheten  sich  an 
ihnen  erfüllt  hat,  war  Jos.  als  Zeuge  citirt. 

Da  Origenes  die  Geschichten  über  Antipas  nicht  gekannt  hat, 
hat  er  nicht  selbst  die  Stelle  über  den  Täufer  mit  dem  genauen 
Fundort:  18.  Buch  der  Arch.  aus  derselben  herausgehoben,  und 
dieser  Schluss  wird  dadurch  bestätigt,  dass  auch  hier  Origenes 
Dinge  über  Jos.  sagt,  die  unrichtig  sind,  c.  Cels.  1,  47:  o  d'avrog 
xairoiys  djiiörcov  reo  Itjöov  wg  Xqlötco  ^tjtojv  rrjv  alriav  t?/q 
tcov  leQoöoXvficov  jiTcoöewq  xal  xr\g  rov  vaov  xafrcuQeGeojg  .  .  ov 
[laxoav  ttjq  aZrj&elag  ysvofisvog  cpr/öi  ravza  ovußsßqxevai  rolg 
Tovöaloig  xar  ixölxrjOiv  Iaxojßov  rov  öixalov,  oq  r/v  aötlyoq 
'Ir/Oov  rov  Isyofisvov  Xqlötov  ,  ejiecdrjJcsQ  dixaiozarov  avxov 
ovza  äjt£XT£ivav.  rov  de  'laxcoßov  tovtov  6  'Itjöov  yvrjotog 
{la&ijzrjg  TJavlog  (p?i6tv  twoaxivai  mg  äöslcpdv  xvqiov,  und  nun 
erst  kommt  noch  einmal  Jos.,  der  doch  nicht  die  ganze  Wahr- 
heit gesagt  habe,  weil  er  nicht  von  Jesu  Tod,  sondern  bloss  von 
Jakobus  spricht. 

Die  Stelle  lässt  sich  ohne  Schwierigkeit  aus  einem  älteren 
Citat  begreifen.  Der  Vordermann  hat  gesagt:  Jos.  selbst  spricht 
die  Ursache  aus,  welche  den  Untergang  Jerusalems  verschuldet 
hat,  da  er  ja  die  Hinrichtung  des  Jakobus  erzählt,  ebenso  wie 
er  diejenige  des  Täufers  berichtet  und  den  Juden  als  Schuld  an- 
gerechnet hat.  Diess  that  er,  obwohl  er  von  Jesus  nicht  ge- 
sprochen und  nicht  an  ihn  geglaubt  hat.  Was  für  den  Vorder- 
mann im  Bericht  des  Jos.  faktisch  enthalten  war,  betrachtet 
Origenes  als  dessen  eigene  Aussage;  dergleichen  Weiterbildungen 
der  Citate  haben  viele  Analogien,  und  eben  hier  liefert  Euseb 
eine  solche,  da  er  den  Bericht  des  Origenes  in  die  eigenen 
Worte  des  Jos.  umsetzt,  h.  e.  2,  23,  20.  So  wenig  Euseb  dess- 
wegen  einen  gefälschten  Text  des  Origenes  las,  so  wenig  las 
Origenes  einen  gefälschten  Jos. 

Gegen  die  Fälschungshypothese  spricht,  dass  die  Ueberliefe- 
rung  des  Textes  keine  Spur  dieser  angeblichen  Interpolation  aufweist. 
Dass  Euseb  die  Worte  aus  Origenes  bezieht,  beweist,  dass  auch 
sein  Text  sie  nicht  enthielt.  Sodann  sind  die  Parallelen  zu 
dieser  Stelle,  c.  Cels.  2,  13  und  zu  Matth.  13,  55  weit  über  das 


11.    Der  „gefälschte"  Josephus  des  Origenes.  71 

hinaus,  was  als  Interpolation  in  den  Text  des  Jos.  denkbar  wäre, 
stereotyp.  Alle  drei  wiederholen  die  echten  Worte  des  Jos.: 
"Jdxcoßov  top  döeX<pov  7?]öov  rov  Xeyof/tvov  Xqlötov  =  rov 
äöelqpöv  'fyöov  rov  Xsyoftsvov  Xqlötov  'Idxcoßog  ovofia  avzo) 
A.  20,  9,  1.  200.  Der  Anschluss  an  diese  Stelle  ist  augenschein- 
lich. Alle  drei  charakterisiren  weiter  Jakobus  als  den  Gerechten. 
Die  beiden  ausführlicheren  Parallelen  c.  Cels.  1,  47  und  zu  Matth. 
13,  55  geben  ausserdem  gleichmässig  das  Citat  von  Gal.,  1,  19, 
was  sich  keineswegs  von  selbst  versteht,  da  die  Stelle  in  c.  Cels. 
1,  47  eine  offenbare  Abschweifung  ist,  und  weiter  die  Angabe,  dass 
Jos.  Jesus  nicht  als  Christus  angenommen  habe.  Neben  xcdroiys 
ccxiGTcov  rcp  yJr]öov  coq  Xqlötcj  steht  rov  'irjöovv  /){Lc5v  ov 
xaraös^df/evog  elvai  Xqlötov,  und  auch  die  kurz  gehaltne  Bemer- 
kung 2,  13  ist  mit  1,  47  darin  kongruent,  dass  auch  sie  heraus- 
hebt, Jos.  habe  nicht  die  ganze  Wahrheit  gesagt.  Gleichartig 
sind  endlich  alle  drei  Stellen  darin,  dass  sie  über  dieses  Zeugniss 
des  Jos.  bloss  referiren.  Las  Origenes  eine  christliche  Inter- 
polation, so  war  ihr  Wortlaut  für  seinen  Zweck  sehr  beweiskräftig, 
wie  denn  Euseb  statt  eines  Referats  mit  Grund  ein  Citat  verlangt. 
Aber  Origenes  weiss  von  demselben  nur  aus  dritter  Hand. 

Anderes  ist  weniger  beweiskräftig.  Zu  Gen.  49,  10  beruft 
er  sich  darauf,  dass  Herodes  secundum  historiae  fidem,  quam 
Josephus  scribit,  alienigenam  fuisse  et  per  ambitionem  in  regnum 
Judaeorum  dicitur  irrepsisse.  Nachdem  Origenes  dieselbe  Stelle 
auch  dadurch  erläutert  hat,  dass  Herodes  nach  der  Ermordung 
des  Täufers  das  jus  gladii  entzogen  worden  sei,  giebt  dieser  Satz 
nicht  die  Sicherheit,  dass  er  wirklich  wusste,  was  Jos.  über  die 
Herkunft  des  Herodes  gesagt  hat.  Auch  dicitur  ist  zu  beachten. 
Origenes  berichtet  hier  nicht,  was  Jos.  sagt,  sondern  was  mit 
Berufung  auf  Jos.  gesagt  wird.  Auch  darauf,  dass  die  Alexander- 
legende sich  c.  Cels.  5,  50  findet,  lässt  sich  kein  Schluss  bauen. 
Sie  wird  nicht  als  Zeugniss  des  Jos.  bezeichnet:  <paöL  Er  kann 
auch  den  Chronographen  mit  <paöi  citirt  haben,  der  recht  gut 
im  Kontrast  zum  jetzigen  Elend  Israels  daran  erinnert  haben 
kann,  wie  Gott  ihm  einst  das  Herz  des  Welteroberers  geneigt 
machte.  Andrerseits  ist  nicht  zu  übersehn,  dass  auch  die  Quelle 
des  Jos.,  der  Polyhistor,  noch  in  die  -Origenes  benachbarte  Litte- 
ratur  hinein  wirkt.1) 

1)    Ueber    meine    Zusammenfassung   der    Alexanderlegende    mit    den 


72  Schlatter,  Chronograph, 

Wenn  Origenes  zu  Ps.  73,  5  sagl :  ravra  jtdvxa  jitJifa)- 
Qojrai  tv  rfj  rwv  'leQoöoZvfiow  aÄ&öei,  coöjibq  Icoor/jtog  IötoqsI 
xa&tva  öiTjyovfievog  rcov  jtejtQcty (nvmv ,  so  hält  sich  der  Satz 
sehr  im  Allgemeinen.  Dagegen  wird  b.  j.  6,  5,  3:  die  Priester 
hörten  im  Tempel  den  Ruf:  fisraßaivcofisv  tvTtvfrev  mit  dem 
Fundort  ^coörjjioq  ev  rolq  jzsql  akcoöemg  loroQtl  zu  Threni 
4,  14  citirt.  Aber  auch  diese  Stelle  ist  mit  einem  Theologu- 
menon  gemischt,  das  Jos.  nicht  angehört.  Denn  das  Citat  ist 
mit  Gal.  3,  19  kombinirt  und  beweist  die  eyQrjyoQOt,  welche  das 
Gesetz  gegeben  haben  und  im  Tempel  gegenwärtig  sind.  Dazu 
findet  sich  hom.  13  zu  Jerem.  15,  5  eine  Parallelstelle,  die  bloss 
das  Citat  aus  Jos.  nicht  enthält.  Hat  wirklich  Origenes  sich 
selber  kopirt? 

Es  ist  möglich,  dass  noch  einige  weitere  Stoffe  aus  Jos.  bei 
Origenes  beizubringen  sind.  Vorerst  bleibt  mir  nur  ein  einziges 
richtiges  Citat:  zu  Jeremia  22,  24  beruft  sich  Origenes  dafür, 
dass  Jojakim  von  Nebukadnezar  getötet  und  unbestattet  vor  das 
Thor  geworfen  worden  sei,  auf  Jos.  im  10.  Buch  der  Archäo- 
logie.    Die  Sache  ist  richtig:  A.  10,  6,  3.  97. 

Es  Hesse  sich  leicht  denken,  dass  nicht  alle  Citate  des  Ori- 
genes von  derselben  Art  wären,  und  vermittelte  Citate  neben 
direkten  sich  fänden.  Allein  dass  in  der  Schriftstellerei  des  Ori- 
genes sich  eine  oder  zwei  zutreffende  Berufungen  auf  Jos.  finden, 
scheint  mir  nicht  geeignet,  den  durch  die  entstellten  Angaben 
geforderten  Schluss  zu  entkräften  oder  auch  nur  zu  begrenzen.  *) 
Die  Beziehungen  auf  Jos.  bei  Origenes  weisen  auf  seine  mannig- 


falschen  Briefen  bei  Jos.  hat  Schürer  gescherzt.  Allein  die  falschen  Briefe 
(cf.  denjenigen  an  Philometor)  sind  von  der  Enpolemus  gehörenden  Chrono- 
logie (414  seit  dem  Exil!)  nicht  trennbar,  zudem  da  Eupolemus  notorisch 
der  Verfasser  falscher  Briefe  war  (Briefe  Salomos).  Im  falschen  Brief  der 
Samariter  an  Epiphanes  wird  aber  in  unlöslichem  Widerspruch  mit  den 
eignen  Aussagen  des  Jos.  über  die  „Kuthäer"  gesagt:  dieselben  seien  Sido- 
nier.  Und  diese  selbe  Theorie  über  die  Samariter  steht  in  der  Alexander- 
legende. Auch  hier  steht  mein  Schluss  auf  einer  unzweifelhaften  Thatsache. 
1)  Die  Apologie  gegen  Apion  hat  eine  besondre  Stellung;  auch  ist 
die  Quellenfrage  für  sie  eigenartig.  Origenes  hat  kein  direktes  Citat  aus 
ihr;  genannt  wird  sie  c.  Cels.  1,  16.  4,  11.  Was  Origenes  über  Hermippus 
und  Hekatäus  sagt,  hat  zu  derselben  Beziehungen,  ist  aber  nicht  bloss  aus 
ihr  verständlich;  denn  Hermippus  wird  mit  einem  andern  Titel  citirt  und 
über  Hekatäus  giebt  er  das  Urtheil  Philos. 


11.    Der  „gefälschte"  Josephus  des  Origenes.  73 

fache  Lektüre  im  Bereich  der  altkirchlichen  Litteratur  zurück. 
Wer  vor  ihm  üher  die  Königin  von  Saba  geredet  hat,  und  über 
das  in  der  Schrift  dunkel  gelassne  Ende  Jojakims,  und  wer  die 
Alexanderlegende  zuerst  benützt  hat,  als  Beweis  für  Gottes  Güte 
gegen  Israel,  und  wer  die  Heiligkeit  des  Tempels  auf  die  Egre- 
goren  zurückführte,  und  diese  durch  Gal.  3,  19  und  b.  j.  6,  5,  3 
bewiesen  hat,  steht  dahin.  In  unsre  Untersuchung  greifen  die- 
jenigen Citate  ein,  die  sich  mit  der  Schuld  und  Bestrafung  Israels 
beschäftigen.  Der  .,Greuel  der  Verwüstung*'  fieng  gleich  unter 
Pilatus  an.  Dass  Ps.  73,  5  und  Threni  4,  19  und  Mth.  24,  IG 
an  der  Juderischaft  sich  erfüllt  haben,  dafür  war  Jos.  als  Zeuge 
citirt.  Er  hat  selbst  die  Schuld  des  Volkes  sichtbar  gemacht, 
weil  er  zwar  nicht  von  Jesu  Tod,  dagegen  von  der  Hinrichtung 
des  Täufers  und  des  Jakobus  sprach.  Dieser  hatte  seinen  Bei- 
namen: der  Gerechte,  und  das  Zengniss  des  Paulus  für  denselben. 
Gal.  1,  19  war  beigebracht. 

Jos.  ist  erst  allmählich  in  der  Kirche  berühmt  geworden. 
Klemens,  der  noch  keine  selbständige  Berufung  auf  ihn  hat, 
und  Minucius,  der  nach  seinem  echten  Text  seine  Leser  für  den 
Fall  Jerusalems  nicht  auf  Jos.,  sondern  auf  Antonius  Julianus 
verwiesen  hat,  belegen  diess.  Der  Aelteste,  von  dem  wir  wissen, 
dass  er  in  b.  j.  und  A.  zu  Hause  war,  ist  unser  Chronograph, 
der  über  Jakobus  als  den  ersten  Bischof  Jerusalems  berichtet 
und  den  Untergang  Jerusalems  als  Gottes  Gericht  über  das  Volk 
beschrieben  hat,  so  dass  unser  Citat  bei  ihm  aufs  beste  Raum 
hat.  Dass  ihn  aber  Origenes  gelesen  hat,  zeigt  sich  daran,  dass 
sein  Ansatz:  15.  Jahr  des  Tiberius  =  Lehr-  und  Todesjahr  Jesu 
bei  Origenes  wieder  erscheint:  c.  Cels.  4,  22:  rsöösQaxovra  yao 
exrj  xal  ovo  olfiai,  acp  ov  eöravQcoöav  xbv  'l?]6ovv,  ysyovevac 
txl  rt)v  /sQoooXvficov  xa&aiQSGiv,  womit  der  andre  Satz  nah 
verwandt  ist:  tviavrov  yao  Jtov  zal  firjvag  oliyovg  eöiöa^ev, 
de  princ.  4,  5,  trotzdem  Origenes  in  seiner  Konstruktion  der 
Jahr wochen  zu  Mth.  24,  15  das  dreijährige  Lehramt  Jesu  nach 
Johannes  lehrt,  und  sich  dadurch  selber  widerspricht.  Um  so 
sichrer  sind  ihm  die  42  Jahre  litterarisch  vermittelt. 

Aufs  schönste  greift  hier  das  Citat  homil.  32  in  Lucam  ein: 
praedicare  annum  domini  acceptum.  juxta  simplicem  intelligen- 
tiam  aiunt,  uno  anno  salvatorem  in  Judaea  evangelium  praedi- 
casse  et  hoc  esse  quod  dicitur:  praedicare  annum  domini  acceptum 


74  Schlatter,  Chronograph. 

et  diem  retributionis,  nisi  forte  .  .  .  und  nun  folgt  die  Allegorie, 
aiunt,  in  der  That.  Wir  lasen  bereits  bei  Klemens:  xal  ort 
ivtavxov  fiovov  lözi  avxov  xr/QVi-ai,  xal  tovto  ytygajtrat 
ovrcog'  Ivtavxov  dexrov  xvqlov  xr/Qv$ai  aütbOxuliv  {it. 

Auch  die  Jahrwochen  des  Origenes  sind  eine -Umbildung  des 
Chronographen. 

Er  verzichtet  auf  die  490  Jahre,  und  erklärt  die  70  Wochen 
ajs  70  X  70  Jahre,  wodurch  er  einen  Symbolismus  von  4900 
Jahren  erhält  von  Adam  usque  ad  septuaginta  annos,  qui  fuerunt 
post . . .  Habe  ich  den  „Jemand"  bei  Klemens  richtig  gedeutet,  so  hat 
derselbe  gesagt:  nach  der  Zerstörung  Jerusalems  durch  Nebu- 
kadnezar,  und  nun  erst  Daniels  Weissagung  beginnen  lassen. 
Origenes  dagegen  sagt:  qui  fuerunt  post  dispensationem  Christi 
und  endet  die  4900  Jahre  beim  Tempelbrand,  Die  letzte  eine 
Woche  sind  die  70  Jahre  von  Christi  Geburt  bis  zum  Tempel- 
brand, die  durch  die  Himmelfahrt  ungefähr  in  2  Hälften  getheilt 
werden.  Die  7  und  62  Wochen  =  490  +  4340  =  4830  Jahre 
enden  bei  Christi  Geburt.  Natürlich  fehlt  Origenes  jeder  Grund, 
wesshalb  490  Jahre  nach  Adam  ein  Einschnitt  gemacht  werden 
soll.  Wie  Origenes  dazu  kommt,  eine  Weltwoche  von  4900 
Jahren  zu  konstruiren,  scheint  mir  durch  den  Chronographen 
erklärt,  und  nicht  minder  ist  es  durchsichtig,  warum  er  seine 
Deutung  Daniels  vollständig  aufgegeben  hat  und  aus  der  ganzen 
Rechnung  nur  das  eine  Glied:  vom  Tode  Christi  zur  Zerstörung 
Jerusalems  42  Jahre,  einmal  wiederholt. 

Auch  bei  Origenes  erscheint  der  „Flüger'  und  die  Doppel- 
übersetzung von  Daniel  9,  27.  Was  er  über  den  Text  der  Stelle 
sagt,  ist  nicht  völlig  deutlich :  et  conformabit  testamentum  multis 
septimana  una  et  in  dimidio  septimanae  tolletur  sacrificium  et 
libatio  et  pinnae  usque  ad  consummationem  festinationis.  Hier 
ist  Sept.  und  Theodotion  bunt  gemischt;  das  mittlere  Glied  ge- 
hört jener,  das  erste  und  dritte  diesem.  Da  aber  Origenes  in  der 
Auslegung  sagt:  Christus  cessare  fecit  incensum  et  sacrificia  et 
templum,  quod  arbitror  a  pinna  nominavit,  so  macht  er  deutlich, 
dass  er  auch  das  mittlere  Glied  in  einer  sehr  ähnlichen  Form 
gelesen  hat,  wie  die,  welche  der  Text  des  Klemens  giebt:  xaxa- 
jzavöei  &vftia{ta  (nicht  d^vöiaöTrjQLov  wie  im  Alex.)  [xal]  ftvoiaq. 
Auch  das  folgende  Glied:  xal  jiregvyiov  twq  owreXelag  OJtovörjg 
ist  mit   dem  Text  des  Klemens  xal  jtreQvylov  apaviöfiov  tcog 


12.     Der  Bericht  des  Epiphanius  über  den  Tod  des  Jakobus.         75 

öwxeZeiaq  xcu  öxovörjg  im  Fehlen  des  tcog  vor  jtxegvyLOV  ver- 
wandt. Darauf  fährt  Origenes  fort:  post  haec  sequitur  sernio 
quem  exposuimus  (das  ßötXvyfta)  ita  habens:  et  confirmabit  testi- 
monium  multis  septimana  una.  Er  hat  also  bereits  das  övva- 
tuc6ü£c  öiafrt/xtjp  doppelt x  wie  der  Alex.,  und  zwar  macht  das 
ßöeXvy^a  den  Schluss.  Der  Text  des  Origenes  ist  somit  mehr 
entstellt  als  der  des  Klemens.  Auch  lässt  der  Satz:  templum  quod 
a  pinna  uominavit,  nicht  mehr  wahrnehmen,  dass  Origenes  eine 
deutliche  Vorstellung  von  der  Lokalität  des  Flügels  hat. 

12. 
Der  Bericht  des  Epiphanius  über  den  Tod  des  Jakobus. 

Schürer  nimmt  an,  derselbe  stamme  aus  Hegesipp.  Nun 
sagt  Epiphanius  über  den  Tod  des  Jakobus:  ovxco  yag  lOxoQrjoav 

JtoXXöl    JIQO     f](ld)V     JtSQL     CIVTOV     EvOeßtOQ     T8     XCU     Kh][iijq    xal 

ccXXoi.  Hier  nöthigt  noch  nichts,  an  etwas  andres  als  an  Eusebs 
Kirchengeschichte  zu  denken,  wo  Klemens  und  Hegesipp  als  die 
Zeugen  für  den  Tod  des  Jakobus  zusammenstehn.  Aber  Epi- 
phanius sagt  weiter:  aXXd  xal  to  jztraXov  sjtl  xrjq  xeyaXrjg  e^rjv 
avzcfi  cpegeiv,  xa&cbg  ol  jrQOSigrj^tvoi  a^tontöxot  dvÖQeg  hv  rolg 
vjt  ccircov  vjtoiiV7][iaTLö[iolq)  ifictQTVQTiöav,  c.  haer.  1,  2,  29.  Bei 
Euseb  steht  das  nicht;  es  bleibt  also  von  den  Genannten  nur 
Klemens  als  Gewährsmann  übrig.  Somit  liegt  hier  eine  irgendwie 
vermittelte  Benützung  des  Klemens  vor,  die  nicht  auf  Euseb  be- 
schränkt ist,  und  eine  Angabe  des  Klemens,  die  nicht  aus  Hege- 
sipp genommen  war.  Ueberhaupt  ist  die  Abhängigkeit  des 
Klemens  von  Hegesipp  keineswegs  vor  jeder  Untersuchung  ge- 
wiss.    Die  Texte  müssen  verglichen  sein. 

Hegesipp  sagt  eine  Reihe  von  Thorheiten,  die  nicht  bei 
Epiphanius  wiederkehren.  Dass  der  Bericht  gesäubert  worden 
sei,  ist  eine  schwierige  Vorstellung.  Die  sachliche  Kritik  trägt 
hier  auch  einen  litterarischen  Schluss:  das  sachlich  richtigere  ist 
das  ältere. 

1)  Die  topographische  Angabe  ist  wie  überall  von  entschei- 
dender Bedeutung.  Jakobus  ist  dadurch  getötet  worden,  dass  er 
über  den  „Flügel"  des  Tempels  heruntergeworfen  worden  ist. 
Zuerst  heisst  es  auch  bei  Hegesipp,  Eus.  2,  23,  12:  Orrj fr  1  ovv 
txi  to  jtxEQvyiov  rov    Isqov.     Das  wird  aber  hernach  ersetzt 


76  Schlatter,  Chronograph. 

durch   eöTTjöav   xov  'laxcnßov  tjcl  xo  jzxsovycov  xov  vctov,  und 

Hegesipp  nimmt  das  ernsthaft:  die  Schriftgelehrten  und  Pharisäer 
denkt  er  sich  nicht  droben;  Jakobus  allein  steht  auf  der  heiligen 
Höhe,  und  die  Schriftgelehrten  und  Pharisäer  sagen:  dvaßdvxLc 
xaxaßdZwfiev  avxbv.  Demgemäss  wird  Jakobus  an  der  Stelle 
begraben,  wo  er  umkam:  üiaga  xco  vacp  und  txt  avxov  rj  oxr/lr/ 
fisvsi  jictQcc  reo  vam.  D.  h.  Hegesipp  hat  vom  Tempelplatz  keine 
Vorstellung.  Nicht  nur  das  topographische  Bild  fehlt  ihm,  das 
ohne  weiteres  jedem  fehlte,  der  den  Platz  nicht  gesehen  hat, 
sondern  auch  die  rituelle  Behandlung  der  Räume  ist  ihm  gänz- 
lich fremd.  Wir  wissen  nicht,  wo  er  lebte;  er  mag  ebenso  leicht 
nach  Aleppo  gehören  als  nach  Palästina;  da  lag  ihm  der  Tempel 
in  der  zweiten  Hälfte  des  zweiten  Jahrhunderts,  trotzdem  er  ein 
jüdischer  Christ  gewesen  ist,  ebenso  fern,  wiePapias  oder  Klemens. 
Die  Angaben,  die  den  Namen  „Flügel"  als  Ortsbezeichnung 
brauchen,  treffen  darin  zusammen,  dass  der  „Flügel"  am  Eand 
des  Tempelbezirkes  lag.  Er  war  jcxsqvjiov  xov  legov  und  nicht 
xov  vaov.  Der  hebräische  Schreiber  jenes  Kodex  des  Daniel,  den 
Theodotion  übersetzt  hat,  welcher  gab:  DÜlTÖtt  5pD  1$\  hat  sich 
den  „Flügel"  als  den  Grenzpunkt  gedacht,  bis  zu  welchem  die  Ver- 
heerung dringt.  Noch  im  vierten  Jahrhundert  ist  in  Jerusalem  eine 
feste  Tradition  über  den  „Flügel"  erkennbar.  Er  ist  sowohl  dem 
Pilger  aus  Bordeaux  als  der  Silvia  gezeigt  worden.  Jener  sah  den 
angulus  turris  excelsissimae,  wo  Christus  versucht  wurde,  und  sub 
caput  anguli  et  sub  pinna  turris  ipsius  die  cubicula  plurima,  an  der 
Stelle,  wo  Salomos  Palast  gestanden  ist.  Die  Silvia,  deren  Be- 
richt wir  nur  im  Auszug  des  Petrus  diaconus  haben,  sah  duae 
pinnae  als  einzigen  Ueberrest  des  Tempels,  quarum  una,  quae 
altior  valde  est,  ipsa  est,  in  qua  dominus  temptatus  est;  reliqua 
autem  destructa  sunt.  Das  steht  noch  in  Beziehung  zu  Daniels 
„Flügel",  bis  zu  welchem  die  Verwüstung  kommt,  obwohl  die 
Worte  im  Vulgärtext  Daniels  verschwunden  sind. *)  Hier  ist  deutlich 
von  den  südlichen  Ecken  des  äussern  Tempels  die  Rede.  Denn 
der  Bordeauxpilger  kommt  nachher  zu  den  grossen  Cisternen 
und  erst  dann  zum  Tempel  und  der  Sachra,  und  die  duae  pinnae 


1)  Es  stimmt  hübsch  zusammen,  dass  der  Palästinenser  den  „Flügel" 
in  der  Auslegung  neben  dem  ßdtkvyfxa  festhielt  und  dass  sich  in  Jerusalem 
die  Erinnerung  a,n  denselben  erhalten  hat. 


12.    Der  Bericht  des  Epiphanias  über  den  Tod  des  Jakobus.        77 

der  Silvia,  von  denen  die  eine  die  höhere  ist,  entsprechen  den 
bedeutenden  Resten  der  herodeischen  Mauer  an  den  Südecken, 
von  denen  die  an  der  Südwestecke  gegen  die  Stadt  zu  stehenden, 
die  sog.  Klagemauer,  valde  altior  sind.  Doch  soll  diese  Bemer- 
kung nur  den  Satz  der  Silvia  erläutern;  ob  die  Südostecke  gegen 
das  Kidronthal,  oder  die  Südwestecke  gegen  die  Stadt  hin,  so 
lange  der  Tempel  noch  stand,  mit  besonderm  Nachdruck  to 
jzteqvjlov  hiess,  kann  füglich  im  Zweifel  bleiben.1)  Hier  und 
dort  war  es  eine  scharf  vorspringende  Ecke  mit  gewaltigen 
Mauern.  Auch  die  Geschichte  des  Jakobus  besitzt  ursprünglich 
noch  dieselbe  klare  Vorstellung  von  der  Oertlichkeit.  Jakobus 
ist  über  den  Flügel  herunter  zum  Tempel  hinaus  geworfen 
worden;  das  bestätigt  der  Walker  mit  seinem  Stecken,  der  doch 
wahrhaftig  nicht  neben  dem  vaog  sein  Geschäft  betreibt.  Das 
jtTSQiyiov  muss  eine  Stelle  bezeichnen,  wo  ein  solcher  Sturz 
schauerlich  und  sicher  todbriugend  war;  das  trifft  für  die  beiden 
Südecken  des  Tempelhofes  zu. 

Da  auch  bei  Hegesipp  die  richtige  Angabe:  jiTsovyiov  rov 
hgov  an  einer  Stelle  erscheint,  so  ist  zu  schliessen,  dass  er  einen 
altern  Text  bearbeitet.  Weder  bei  Klemens,  noch  bei  Epiphanius 
findet  sich  aber  der  für  alle  spätem  verführerische  vaog.  Klemens 
sagt  einfach:  to  jtTEQvycov,  und  Epiphanius  korrekt:  xb  jztsqv- 
yiov  rov  lsqov.  Schwerlich  hat  sie  ein  Zufall  behütet,  das  Ver- 
sehen des  Hegesipp  nachzuschreiben;  ihrem  kritischen  Scharfblick 
verdanken  sie  diess  jedenfalls  nicht.  Vielmehr  ist  zu  schliessen: 
der  Bericht,  den  Klemens  hat  und  der  durch  ihn  hindurch  bei 
Epiphanius  wiederkehrt,  weiss  vom  vaog  noch  nichts. 

2 1  Wesentliche  Glieder  der  Erzählung  Hegesipps  hängen  an 
seiner  Vorstellung  von  der  Lokalität.  Er  motivirt,  wie  Jakobus 
auf  das  Tempelhaus  hinaufkommt;  die  Pharisäer  hiessen  ihn 
hinaufsteigen,  damit  er  droben  als  auf  einer  Art  Kanzel  das  Volk 
vor  Jesus  warne.  Dass  diese  Erzählung  Jerusalem  nicht  mehr 
kennt,  bedarf  nicht  immer  wieder  des  Beweises.  Wenn  sie  nicht 
ausschliesslich  Hegesipps  Eigenthum  ist,  so  hatte  er  die  Angabe 
vor  sich,  dass  die  Juden  auf  dem  nxeovyiov  die  Verleugnung 
Jesu  von  Jakobus  verlangten.     Zu  einem  solchen  Begehren  war 

1)  Die  Grabsäule  an  der  Stelle,  wo  Jakobus  starb,  spricht  dafür,  dass 
Jakobus  ins  Kidronthal  hinabgeworfen  wurde.  In  der  Stadt  wurde 
nicht  begraben. 


78  Schlatter,  Chrono#ni]>h. 

es  allerdings  ein  schauerlich  passender  Ort.  Aber  auch  die  Steini- 
gung wird  nur  durch  die  Einfügung  des  vaog  möglich.  Wurde 
Jakobus  über  die  Tempelmauer  heruntergeworfen,  so  lag  er  nach 
seinem  Sturz  nicht  mehr  mitten  unter  den  Juden.  Sie  standen 
droben,  und  er  lag  zerschmettert  unten.  Aber  weil  bei  Hegesipp 
das  üixzQvyiov  als  Kanzel  dient,  ist  es  noch  nicht  die  Tötung 
des  Jakobus,  dass  er  heruntergestürzt  wird,  sondern  das  dient 
nur  dazu,  ihn  in  die  Gewalt  der  Juden  zu  bringen,  und  nun 
nachdem  er  auf  dem  Boden  liegt,  steinigen  sie  ihn.  So  häuft  er 
die  Todesursachen  widerspruchsvoll,  da  er  dennoch  den  Walker 
nicht  aufgiebt.  Im  ursprünglichen  Bericht  ist  sein  Eingreifen 
wohl  motivirt.  Jakobus  war  nach  dem  Sturz  noch  nicht  sofort 
tot;  darum  machte  der  Walker  mit  seinem  Stocke  seinem  Leben 
ein  Ende.  Aber  gerade  der  Walker  beweist,  dass  der  ursprüng- 
liche Bericht  von  der  Steinigung  nichts  wusste.  Wohl  aber  giebt 
sie  Jos.,  und  der  Bericht  Hegesipps  ist  ein  schlechter  Kompromiss. 

Ist  es  nun  Zufall,  dass  nicht  nur  der  vaog,  sondern  auch,  alles 
was  an  ihm  hängt,  die  Predigt  des  Jakobus,  mit  der  er  die  Juden 
überrascht,  und  die  Steinigung,  bei  Epiphanius  fehlen?  Er  hat 
nur  den  Sturz  und  den  Schlag  mit  dem  Stock  des  Walkers. 
Und  doch  hätte  er  für  die  Steinigung  recht  wohl  Raum,  denn  er 
sagt:  Qupelq  ajto  rov  Jirsgvyiov  rov  hgov  xal  xaTsX&cov  xai 
firjösv  aÖLxrjdEig.  Dennoch  stirbt  Jakobus  bei  ihm  bloss  vjto 
rov  yvapewg  reo  §vZq)  jiTCCLöfrelq  rrjv  xetyccfo'jv,  wie  es  auch  in 
der  Bischofsliste  steht.  So  hat  es  aber  auch  schon  Klemens  er- 
zählt: o  Tcaxa.  rov  Jtrsgvylov  ßXrjfrelg  xal  vjto  yvacpemg  £vZco 
jiZqyelg  dg  ftävarov,  Eus.  2,  1,  5. 

3)  rovxcp  (lovcp  6§rjv  elg  rec  aytet  eloisvcu,  sagt  Hegesipp, 
ovös  yäo  6QSOVV  e<p6oeL,  aXXa  oivöovag.  xal  fiovog  eIötjqxbto 
dg  rov  vaov.  Der  erste  Satz  hat  nur  in  seinem  [tovog  eine 
Schwierigkeit,  dg  xa  ayia  elöitvai  kann,  von  einem  sachkun- 
digen Mann  gesagt,  nur  bezeichnen,  dass  Jakobus  in  den  heiligen 
Bezirk,  also  in  den  innern  Tempelhof,  eingelassen  wurde,  trotzdem 
er  als  Führer  der  Christenheit  längst  bekannt  war.  Dennoch 
hatte  seine  offenkundige  Frömmigkeit  die  Wirkung,  dass  ihm 
der  heilige  Raum  nicht  gesperrt  worden  ist.  Hegesipp  hat  aber 
nicht  mehr  verstanden,  warum  es  eine  besondre  Sache  war,  dass 
Jakobus  in  den  Tempel  gehen  durfte,  und  macht  aus  dem  Heilig- 
thum  das  Tempelhaus. 


12     Der  Bericht  des  Epiphanius  über  den  Tod  des  Jakobus.        79 

Ueber  das  fiovog  lässt  sich  wenig  sagen,  weil  uns  über  die 
Beziehungen  der  Judenschaft  zur  christlichen  Gemeinde  in  den 
sechziger  Jahren  nichts  überliefert  ist.  Es  ist  nicht  undenkbar, 
dass  ein  Beschluss  durchgesetzt  wurde,  welcher  der  Christenheit 
das  ayiov  sperrte.  Dass  sich  das  fiovog,  wenn  es  je  einen  ver- 
sündigen Sinn  hatte,  nicht  auf  die  Juden,  sondern  nur  auf  die 
Christen  beziehen  kann,  liegt  auf  der  Hand.  Das  letzte,  was  wir 
vom  Antheil  der  Gemeinde  am  Tempelkult  wissen,  ist,  dass  Paulus 
der  christlichen  Nasiräer  wegen  in  das  ayiov  gieng  und  eben- 
falls herausgeworfen  wurde.  Was  später  geschah,  wissen  wir 
nicht,  nur  das,  dass  der  Fanatismus  in  den  sechziger  Jahren 
inmitjr  heisser  und  gewaltthätiger  geworden  ist.  Wie  es  sich 
mit  dem  f/ovog  verhalte,  ein  sachkundiger  Kern  darf  auch  in 
diesem  Satz  anerkannt  werden:  Jakobus  hat  bis  zu  seinem  Tode 
den  Tempel  besucht,  und  die  Weise  seines  Todes  war  gerade 
dadurch  bedingt,  dass  er  schliesslich  noch  allein  that,  was  sonst 
kein  Christ  mehr  wagen  durfte. 

Bei  Epiphanius  steht:  [tovov  rovro?  reo  'laxcoßco  e^ijv  ana^ 
uodvai  rov  erovg  elg  rä  ayia  rcov  aylcov  dia  ro  Na^cooaiov 
avrov  eivcu  xal  nen'iy&ai  rfj  hocoGvvr}.  Das  steht  in  bester 
Uebereinstimmung  mit  der  Angabe,  dass  Euseb  und  Klemens 
über  Jakobus  berichtet  hätten.  Denn  das  ist  ein  gemischter 
Text.  Die  Thorheit  Hegesipps  kehrt  gesteigert  wieder:  ana^ 
rov  erovg  und  ayta  rcov  aylcov;  allein  daneben  steht  ein  ver- 
ständiger Satz:  61a  ro  Na^cogalov  avrov  sivai.  Was  Na^m- 
oalog  in  der  Quelle  bedeutet  hat,  ist  zweifelhaft.  Zunächst  weist 
die  Form  nicht"  auf  den  Nasir,  sondern  auf  den  Nazarener,  und 
wenn  die  Quelle  es  desswegen  als  etwas  grosses  und  besonderes 
bezeichnet  hat,  dass  Jakobus  noch  den  heiligen  Raum  betreten 
durfte,  weil  er  ein  Christ  war,  dann  hat  sie  den  ganzen  Unsinn 
über  den  Eintritt  des  Jakobus  ins  Allerh eiligste  nicht  gehabt. 
Epiphanius  scheint  aber  Na^moalog  als  Nasir  zu  verstehn,  und 
auch  das  überragt  Hegesipps  linnenen  Rock,  der  den  Eintritt 
ins  Heiligthum  begründen  soll,  um  ein  beträchtliches.  Das  Na- 
siräat  erläutert  in  der  That  das  uöiivai  eig  ra  ayia.  Auch  so 
würde  sich  hier  ein  jüdisches  Element  zeigen,  das  nach  dem 
Jahre  70  und  vollends  für  Griechen  völlig  erloschen  war.  Was 
wussten  die  spätem  noch  von  der  Hochschätzung  des  Nasiräats 
in  der  Gemeinde  des  stehenden  Tempels,   die  uns  durch  reich- 


§0  Schlatter,  Chronograph. 

liches  rabbinisches  Zeugniss  beglaubigt  ist?  Auch  in  derjenigen 
Relation,  in  welcher  stand:  weil  er  ein  Nasir  war,  durfte  er  ins 
Heiligthum  hineintreten,  stand  vom  Allerheiligsten  noch  nichts. 
Und  Hegesipps  linnener  Rock  darf  vielleicht  als  Anzeichen  ver- 
standen werden,  dass  der  von  ihm  reproducirte  Bericht  die  Zu- 
lassung des  Jakobus  in  den  Tempel  in  der  That  so  begründet 
hat.  Der  linnene  Rock  mag  ein  Rest  aus  der  Schilderung  seines 
Nasiräerlebens  sein;  nur  dass  Hegesipp  einen  Punkt  nennt,  der 
für  das  Nasiräat  nicht  entscheidend  war. 

4)  rovrov  ovv  dvofiazi  ovxtxi  txalovv,  sagt  Epiphanius, 
all'  6  dixatog  i]v  avxco  ovofia.  Dass  Ephiphanius  diesen  ver- 
ständlichen und  einfachen  Satz  aus  dem  verworrenen  Bericht 
Hegesipps  herausgelesen  habe,  hat  geringe  Wahrscheinlichkeit. 
Bei  Hegesipp  steht:  öta.  ys  xoi  ttjv  vjteoßolrjv  rrjg  öcxaioovvrjg 
avrov  ixalslro  dixatog  xal  coßliag  o  hört  tllrjviörl  Jisoioyj/ 
tov  laov  xal  öixacoövvri,  mg  ol  nootyrixat  öqlovoi  jteol  avrov. 
Hegesipps  Ixalslro  dixatog  meint,  was  Epiphanius  sagt,  drückt  es 
aber  nicht  mit  sonderlicher  Klarheit  aus.  In  ojßltag  mit  seiner 
wunderlichen  Uebersetzung:  JieQtoyr}  tov  laov  xal  ötxatoövvrj 
liegt  jedenfalls  kein  Beweis  für  die  Ursprünglichkeit  dieser  Re- 
lation. Dass  wßliag  etwas  anderes  sei  als  D23  2K,  hat  geringe 
Wahrscheinlichkeit.  Dann  stand  aber  in  der  Vorlage  Hegesipps 
auch  ojßliaft  und  der  falsche  Nominativ  coßliag  stammt  erst 
von  ihm,  und  zur  „Uebersetzung"  hat  er  den  erläuternden  Satz 
der  Quelle  gemacht,  dass  Jakobus  die  oiBQtoyi]  tov  laov  ge- 
wesen sei. 

5)  Als  Jakobus  betete,  mahnt  bei  Hegesipp  ein  Priester, 
ihn  nicht  zu  töten:  sig  tcqp  isoewv  rwv  vimv  Pifyaß  vlov 
cPayaßsl[i  rwv  fiaoTVQOVftevaip  vjtö  'hosfiiov  tov  jtQocpfjzov. 
Die  Tautologie:  xmv  vlmv  Pt]yaß  vlov  *Payaßu{i  verräth  wieder 
die  bearbeitende  Hand.  Die  erste  Formel  stammt  von  einem  Manne, 
der  des  hebräischen  Textes  kundig  war,  die  zweite  aus  dem 
olxog  cPayaßslv  (die  Texte  geben  verschrieben  ^Agyaßstv)  Jer. 
42,  2  Sept.  Eine  analoge  Mischung  von  sachkundigen  und  sekun- 
dären Elementen  tritt  darin  hervor,  dass  der  Mann  einerseits 
Rechabit,  andererseits  Priester  heisst.  Sachkundig  ist,  dass  die 
Rechabiten  im  ersten  Jahrhundert  noch  existirten  und  eine  ge- 
wisse Bedeutung  in  Jerusalem  hatten,  vgl.  mishna  taan.  4,  5. 
Aber  das  Haus  Jonadabs  war  kein  Priestergeschlecht.    Soll  nun 


12.     Der  Bericht  des  Epiphanius  über  den  Tod  des  Jakobus.         §j 

der  Mann,  der  vom  vaog  keine  Vorstellung  hat,  noch  in  eigner 
Kunde  wissen,  dass  es  damals  noch  Rechabiten  gab,  und  zugleich 
nicht  wissen,  dass  sie  nicht  Priester  gewesen  sind?  Auch  hier 
bearbeitet  er  eine  Quelle.  In  der  Vorlage  des  Epiphanius  standen 
dieselben  Sätze,  aber  statt  des  Rechabiten  nennt  er  den  Simeon, 
den  Sohn  des  Klopas;  er  hat  an  den  „Priester"  der  Christenheit 
gedacht. 

6.  Die  Zugaben  des  Epiphanius  sind  nicht  alle  eine  Steigerung 
der  Legende:  og  yixcora  ötvxeQOv  ovx  hvBÖvCaro,  og  xQißcovlco 
txtyofjTo  XiVfß  fiovcotarq)'  ovxog  oavöaliov  ovy  vjttd?/Gaxo.  Das 
wendet  Mths.  10  auf  Jakobus  an  und  beschreibt  ihn  als  der 
Regel  Jesu  völlig  gehorsam.  Darum  wird,  nachdem  Mrk.  14,  51 
(der  mit  der  Leinwand  bekleidete  Jüngling)  citirt  ist,  gesagt,  dass 
auch  die  beiden  Zebedaiden,  Johannes  und  Jakobus,  diese  Lebens- 
weise gehabt  hätten. 

Jakobus  bat  um  Regen  in  der  Zeit  der  Dürre  und  er  ward 
ihm  gewährt.  Auch  diess  ist  ein  spezifisch  jüdischer  Zug.  Das 
erfolgreiche  Gebet  um  Regen  erscheint  in  den  Talmuden  oft  als 
hervorstechendes  Merkmal  besonderer  Frömmigkeit. 

jtaQd-ivog  <hv  hat  dagegen  in  1.  Kor.  9,  5  ein  Gegenzeugniss, 
und  wird  sammt  dem  hohen  Alter  des  Jakobus  spätere  Zu- 
gabe sein. 

Es  bleibt  noch  das  speziell  auf  die  Alten  zurückgeführte: 
jrtxaXov  Im  x7kg  xscpaXijg  t(poQ8ö£.  Trotzdem  sich  nicht  sagen 
Lasst,  was  das  heissen  soll,  ob  das  Haar  des  Nasir,  oder  wTas 
sonst  gemeint  ist,  so  führt  dennoch  gerade  dieser  Ausdruck  ins 
zweite  Jahrhundert  zurück,  da  Polykrates  von  Ephesus  über 
Johannes  sagt:  og  iyevr^rj  leosvg  xc  Tiixalov  jie<poQ7]xc6g,  Eus. 
h.  e.  5,  24,  1. 

Wir  stehen  vor  der  Prioritätsfrage.  Nun  fasst  die  Vorlage 
des  Epiphanius  ausdrücklich  die  beiden  Zebedaiden,  Jakobus  und 
Johannes,  mit  Jakobus  zusammen  als  derselben  jzoXixsia  theilhaft. 
Polykrates  konnte  sein  legendenhaftes  jzixaXov  für  Johannes 
unserm  Text  entnehmen;  dagegen  war  bei  Polykrates  nicht  zu 
sehn,  dass  es  Jakobus  trug. 1) 


1)   In   der  Schilderung   des  Jakobus  sind   Sätze  über   die  Verwandt- 
schaft der  Maria  und  Elisabeth  eingelegt,  die  in  ihrer  Substanz  Julius  ge- 
hören sollen,    cf.   Spitta    Brief   des  Julius    an    Aristides  46 ff.     Wenn    der 
Texte  u   Untersuchungen  XII,  l.  6 


§2  Schlatter,  Chronograph. 

Mein  Schluss  verläuft  so:  Hegesipps  Erzählung  ist  sekundär 
und  nicht  bloss  aus  der  Tradition  erklärbar.  Verfarbi  sich  die 
mündliche  Tradition,  so  stösst  sie  die  ihr  widerstrebenden  Ele- 
mente aus,  erb iili  sie  aber  nicht  noch  daneben  in  gemischten 
Kompromissen.  Sie  erzählt  nicht  beides,  dass  Jakobus  von  der 
Mauer  des  Hofs  und  dass  er  vom  Tempelhaus  herabgeworfen 
worden  sei,  dass  er  gesteinigt  und  dass  er  mit  einem  Stock  tot- 
geschlagen worden  sei,  dass  er  ins  Heiligthum  hineingehn  und 
dass  er  das  Allerheiligste  betreten  durfte.  Solche  Kompromisse 
entstehn  bei  der  Bearbeitung  schriftlicher  Dokumente.  Die  durch 
ihre  Wertlosigkeit  als  jung  gekennzeichneten  Elemente  des 
Texts  fehlen  aber  nicht  nur  im  Fragment  des  Klemens,  sondern 
auch  noch  in  der  Erzählung  des  Epiphanius. 

Wir  brauchen  somit  als  erste  Quelle  einen  Erzähler,  der 
einerseits  Hegesipp,  andrerseits  Klemens  und  vermuthlich  auch 
Polykrates  in  Ephesus  umfasst.  Nicht  nur  als  Judenchrist,  son- 
dern als  Palästinenser  muss  er  betrachtet  werden,  weil  er  das 
Grab  des  Jakobus  noch  kennt,  vgl.  auch  coßZlag  und  den  Recha- 
biten.  Vom  Chronographen  hat  sich  bisher  ergeben,  dass  er  vom 
Episkopat  des  Jakobus  und  von  seiner  Ermordung  durch  die 
Juden  sprach  und  dafür  Josephus  als  Zeugen  anrief.  Darum 
scheint  es  mir  nicht  ein  Spiel  mit  leeren  Möglichkeiten,  wenn 
wir  den  Kern  der  Erzählung  ihm  zuweisen. 

Die  Steinigung  des  Jakobus  bei  Hegesipp  geschieht  schwer- 
lich ohne  Kenntniss  des  Jos.;  das  erklärt  sich  auf  Grund  unsrer 
Annahme  hübsch.  Nach  Origenes  stand  das  Citat  aus  demselben 
beim  Chronographen;  was  bei  ihm  nebeneinander  stand,  ver- 
arbeitet Hegesipp  in  ein  einziges  Gemälde.  Der  Schlusssatz 
lautet:  xal  ev&vq  OvsöJiaöcavog  jioXloqx£Z  avrovg.  Dieser  Ge- 
danke ist  uns  schon  bekannt.1) 

Vordermann   des   Epiphanius  von  Euseb   unabhängig  noch  Julius   benützt 
hat,  ist  die  Beziehung  zu  Klemens  um  so  weniger  auffallend. 

1)  Vielleicht  erscheint  es  manchem  als  Schwierigkeit,  dass  der  Chrono- 
graph Jos.  angerufen  und  doch  den  Tod  des  Jakobus  von  ihm  wesentlich 
verschieden  erzählt  haben  soll.  Aber  das  Citat,  soweit  es  bei  Origenes 
erkennbar  ist,  beruft  sich  auf  ihn  desswegen,  weil  auch  er  die  Schuld 
Israels  und  die  Grösse  des  gerechten  Jakobus  bezeugt.  Gerade  die  Weise, 
wie  Jakobus  umgekommen  ist,  bleibt  bei  Origenes  unbestimmt.  Die  Juden 
„töteten"  ihn,  nicht  sie  steinigten  ihn.  Der  Erzähler  behielt  sich  seine 
eigne  bessere  Kenntniss  über  den  Verlauf  der  Dinge  vor. 


13.    Problematisches.  83 

13. 
Problematisches. 

a.     Die  Spalte  im  Felsen  von  Golgotha. 

Julius  hat  erzählt,  dass  Adam  auf  Golgotha  begraben 
worden  sei.  Routh  hat  diess  als  eine  Verleumdung  des  Julius 
verworfen,  Geizer  es  mit  überlegnem  Lächeln  notirt.  Es  dünkt 
mich,  die  Sache  muss  zunächst  verstanden  sein.  Wir  haben  einen 
Schluss  vor  uns  aus  Mth.  27,  51.  52:  „Die  Felsen  zerrissen  und 
die  Gräber  wurden  eröffnet  und  viele  Leiber  der  entschlafnen 
Heiligen  richteten  sich  auf."  Diess  wird  in  doppelter  Richtung 
näher  bestimmt:  wenn  die  Felsen  sich  spalteten,  so  war  es  vor 
allem  derjenige,  auf  welchem  das  Kreuz  stand,  zu  dem  Zweck, 
damit  das  in  demselben  befindliche  Grab  geöffnet  werde.  Als 
erster,  welcher  der  Auferstehung  Christi  theilhaft  wird,  kommt 
aber  Adam  in  Betracht,  da  seine  Erweckung  die  erlösende  Macht 
des  Todes  Christi  am  vollkommensten  offenbart.  Also  lag  er  im 
Felsen  von  Golgotha. 

Bei  den  Rabbinen  finden  sich  solche  Schlüsse  zu  Hunderten. 
Diese  Exegese  hat  vollständig  den  Charakter  des  palästinensischen 
Midrasch  in  seinem  bestimmten  Unterschied  von  der  Allegorie. 
Der  Realismus  des  Verses  wird  nicht  aufgelöst,  aber  mit  keckem 
Schluss  seine  scheinbare  Unbestimmtheit  und  Lückenhaftigkeit 
ergänzt.  Dieser  Ausleger  weiss,  welcher  Fels  zerrissen  sein  muss 
und  welcher  Tote  auferstanden  sein  muss,  verliert  sich  aber  dabei 
nicht  in  rohe  Phantastereien.  Nicht  ohne  Grund  hat  der  Ge- 
danke, dass  das  Kreuz  auf  dem  Grabe  Adams  stand,  die  ganze 
Kirche  ergriffen  und  auch  auf  unsre  Gräber  das  Kreuz  gesetzt. 
Es  lag  in  dieser  Exegese,  so  ungebunden  die  Phantasie  waltet, 
ein  schöner  Blick  in  Jesu  Werk. 

Diese  Auslegung  stammt  nicht  von  Julius;  denn  Origenes 
zu  Mth.  27,  32  sagt:  venit  ad  me  traditio  quaedam  talis,  quod 
corpus  Adae  primi  hominis  ibi  sepultum  est,  ubi  crucifixus  est 
Christus,  ut  sicut  in  Adam  omnes  moriuntur,  sie  in  Christo  omnes 
vivificentur,  ut  in  loco  illo,  qui  dicitur  Calvariae  locus,  id  est 
locus  capitis,  caput  humani  generis  resurrectionem  inveniat  cum 
populo  universo  per  resurrectionem  Domini  salvatoris,  qui  ibi 
passus  est  et  resurrexit.     inconveniens  enim  erat,   ut  cum  multi 

6* 


g4  Schlatter,  Chronograph. 

ex  eo  n:iti  remissionem  acciperent  peccatorum  et  beneficium  resur- 
rectionis  consequerentur,  non  magia  ipse  pater  omnium  hominum 
hujusmodi  gratiam  consequeretur.  Origenes  drückt  die  Gedanken- 
reihe,  die  den  Satz  über  Adams  Grab  erzeugt  hat,  im  wesent- 
lichen richtig  aus;  nur  verallgemeinert  er  sie,  während  sich  die 
präcise  Ortsbestimmung  nicht  aus  dem  Vorblick  auf  die  künftige 
Auferstehung,  sondern  nur  aus  den  Ereignissen  bei  Jesu  Tod 
erklärt.  Die  multi  ex  eo  nati,  welche  die  Wohlthat  der  Auf- 
erstehung erlangten,  und  denen  Adam  billig  vorangieng,  waren 
ursprünglich  die  erwachenden  Heiligen  bei  Matthaeus. 

Für  die  Herkunft  des  Satzes  ist  die  bei  Migne  zu  Origenes  1.  c. 
veröffentlichte  Stelle  aus  einer  Catene  von  Interesse.  Sie  giebt 
statt:  venit  ad  me  traditio  quaedam  talis  quod:  jisql  tov  xgaviov 
tojiov  ijXfrev  eig  rjfiäg,  ort  'Eßoalot  jtaoadiöovöcv,  ort  ro  6a>[ia 
rov  Aöafi  exet  Tt&ajirai,  tva  huiu  sv  reo  'Aöap  jcavzeg  äjto- 
ftrtJGxovöi,  üialiv  ev  reo  Xqiotw  jcavrsg  ^coojiomj&cdOi. 

Dass  dieser  Midrasch  jüdisch  ist,  ist  einleuchtend,  nicht  nur 
wegen  der  exegetischen  Methode,  die  hier  zur  Verwendung  kommt, 
sondern  auch  wegen  der  Lokalisirung  der  Urgeschichte  in  Jeru- 
salem. Zuerst  hat  der  Jude  gesagt:  Adam  ist  auf  dem  Tempel- 
berg geschaffen  worden,  targ.  Ps.  Jon.  Gen.  2,  7.  15;  hernach 
fuhr  der  jüdische  Christ  fort:  und  auf  Golgotha  ist  er  begraben 
und  erweckt  worden.  Wir  bedürfen  somit  ein  judenchristliches 
Buch,  das  sowohl  Julius  als  Origenes  mit  einer  gewissen  Ehrfurcht 
behandelt  haben.  Unser  Chronograph  bietet  sich  hier  an.  Die  Auf- 
erstehung lag  unmittelbar  im  Bereich  seines  Grundgedankens; 
so  mag  er  als  Bürgschaft  für  dieselbe  angeführt  haben,  dass  Adam 
bereits  auf  Golgotha  auferstanden  sei. 

In  der  zweiten  Hälfte  des  Jahrhunderts  war  es  eine  be- 
rühmte Streitfrage,  ob  Adam  selig  werde  oder  nicht.  Der  Streit 
zwischen  Tatian,  welcher  den,  in  welchem  wir  alle  sterben,  von 
der  Erlösung  ausschloss,  und  der  Kirche,  die  ihm  diess  als  un- 
erträgliche Häresie  anrechnete,  gewinnt  an  Verständlichkeit,  wenn 
Adam  schon  vor  Tatian  durch  eine  Autorität  als  der  erste  Em- 
pfänger der  Wohlthat  Christi  auf  Golgotha  beschrieben  war. 
Epiphanius  haer.  26,  5  hält  Tatian  vor:  er  habe  doch  gewusst, 
dass  Adam  auf  Golgotha  begraben  sei,  cog  xal  Iv  ßlßXoig  evqtj- 
xafitv.     Auch   hier  schimmert  noch   durch,    dass   der  Satz  über 


13.     Problematisches.  85 

Adams  Grab  durch  ein  Buch,  das  eine  gewisse  Autorität  besass 
und  alter  als  Tatian  gewesen  ist,  verbreitet  worden  war. 

Der  Fels  von  Golgotha,  der  heute  noch  gespalten  ist,  war  es 
schon  zur  Zeit  Cyrills:  6  roXyoda  ovroq  o  ayioq  o  vjteQccveöxojq 
xal  iitXQ1  Ot'jfiSQov  (paivofievoq  xal  öuxvvmv  ^X(u  vvv,  ojicoq 
öia  Xqlotov  al  jztTQaL  tote  e^gayrjoav;  er  wird  als  ein  Zeuge 
Christi  aufgeführt,  Catech.  13,  39. 

Die  Sätze  des  Julius  und  des  Origenes  machen  wahrscheinlich, 
dass  man  sich  den  Fels  schon  in  Antonins  Zeit  gespalten  ge- 
dacht hat;  ob  man  ihn  auch  mit  einer  Spalte  gezeigt  hat,  wissen 
wir  nicht.  Zunächst  steht  die  Sache  so :  bei  den  bekannten 
Grabungen  an  der  Stelle  der  Grabeskirche  unter  Konstantin  hat 
man  den  Felsen  entweder  gespalten  gefunden,  oder  man  hat  ihn 
hernach  gespalten  gemacht.  Wem  das  letztere  das  glaubhaftere 
Glied  dieser  Alternative  ist,  der  wird  immerhin  annehmen  dürfen, 
dass  die  beteiligten  Bischöfe  unter  dem  Druck  einer  starken 
Tradition  gehandelt  haben.  Man  hat  die  Spalte  als  noth wendiges 
Merkmal  der  Echtheit  verlangt,  und  nachdem  man  sich  durch 
die  bekannten  Zeichen  von  der  Echtheit  des  Grabes  überzeugt 
hatte,  so  musste  folgerichtig  auch  der  Fels  gespalten  sein.  Es 
kommt  einiges  Licht  in  die  Sache,  wenn  schon  Juda,  der  letzte 
Bischof  der  Beschnittenen,  der  Zeuge  für  Adams  Grab  und  damit 
auch  für  die  Spalte  im  Felsen  von  Golgotha  gewesen  ist. 

Mit  dieser  Schlussreihe  fügt  sich  die  Thatsache  leicht  zu- 
sammen, dass  bei  den  Verhandlungen  über  den  Ort  des  Grabes 
Christi  während  der  Anwesenheit  der  Helene  in  Jerusalem  ein 
altes  judenchristliches  Buch  die  Entscheidung  gab.  Der  Aphro- 
ditetempel wurde  als  die  Stelle  des  heiligen  Grabes  erkannt,  wq 
fliv  rivec  Zeyovötv,  dvögoq  'Eßgalov  zcov  ava  X7]v  ea>  olxovv- 
rcov  Ix  jiargojaq  yQ<x(p?]q  xaTafitjvvoavzoq ,  Soz.  2,  1.  Dass 
Sozomenus  diesen  Bericht  verwirft,  weil  Gott  nicht  menschliche 
Anzeige  brauche,  sondern  den  Ort  selbst  durch  Träume  und 
Wunder  offenbart  habe,  entwerthet  denselben  keineswegs.  Hat 
der  Chronograph  im  vierten  Jahrhundert  überhaupt  noch  existirt, 
so  müssen  wir  ihn  zuerst  bei  den  jüdischen  Gemeinden  im  Ost- 
jordanland suchen,  zumal  falls  er  wirklich  mit  dem  Verwandten 
Jesu  identisch  ist.  WTeun  man  bedenkt,  mit  welcher  Ehrfurcht 
noch  Julius   von   diesem  redet,    ist  es   zum  mindesten  nicht  im- 


&()  Schlatter,  Chronograph. 

möglich,  dass  er  zur  Zeit  Konstantins  bei  den  jüdischen  Christen 

als  eine  jtatQo'ja  jQu<fi)  noch  erhalten  war. 

b.     Die  Bauten  Hadrians  in  Aelia. 

Ueber  die  schrecklichen  Dinge  in  Jerusalem  unter  Hadrian 
ist  die  Ueberlieferung  bei  den  Vätern  auffallend  dürftig.  Neben 
dieser  Lücke  heben  sich  zwei  Fragmente  durch  ihre  genauen 
Angaben  seltsam  ab.  Das  eine  bezieht  sich  auf  den  Sklavenmarkt 
in  Mamre  und  den  Untergang  der  jüdischen  Sklaventransporte 
während  der  Fahrt  nach  Egypten,  Chr.  pasch.  1,  474  =  Hieron. 
zuSacharja  11,  15,  das  andre  auf  die  Bauten  Hadrians  im  heidnisch 
gewordenen  Jerusalem,  Chr.  pasch.  1,  474.  Ich  habe  in  der 
„Topographie"  zunächst  an  Julius  erinnert,  aus  dem  manche  der- 
artige Notizen  bis  in  die  späten  Chroniken  hinabgelangt  sind. 
Allein  es  scheint  mir  fraglich,  ob  wir  uns  dabei  beruhigen 
dürfen. 

Das  Urtheil  über  die  letztere  Stelle  hängt  von  der  Deutung 
der  Worte:  xb  dcoösxäjrvXov  zo  jzqlv  ovofia^ofisvov  ävaßa&ftoi 
ab.  Meine  Deutung  derselben  auf  den  Zeustempel  Hadrians  auf 
dem  Tempelberg  stützt  sich  darauf,  dass  dieser  Bau  als  Wieder- 
herstellung eines  alten  Baus  bezeichnet  ist,  da  er  schon  früher 
einen  Namen  besass.  Wiederhergestellt  hat  Hadrian  den  Tempel 
als  Zeustempel.  Sodann  ist  nibtf /Q  =  avaßad-fiol  als  Name  für  den 
Komplex  der  heiligen  Bauten  im  Unterschied  vom  äussern  Tempel- 
viereck bei  den  Rabbinen  nachweisbar.1) 

Tragen  diese  Argumente  den  darauf  gestellten  Schluss,  so 
behandelt  diese  Stelle  den  Zeustempel  noch  als  stehend.  Wo 
erscheint  er  aber  sonst  noch?  Mir  scheint  das  totale  Fehlen 
jeder  Erwähnung  desselben  von  Tertullian  und  Origenes  an 
höchst  auffallend,  zumal  da  die  Gremara  zu  taan.  4,  7  ihn  eben- 
falls nicht  kennt.  Darum  glaube  ich  vorerst  nicht,  dass  der 
Zeustempel  auf  dem  Tempelplatz  bis  ins  dritte  Jahrhundert  hinein 
bestand,  und  suche  darum  für  diese  Erwähnung  desselben  einen 
Mann,  der  ihn  unzweifelhaft  gesehen  hat,  und  das  ist  unser 
Chronograph. 

Die  aufgezählten  Bauten:   2  öffentliche  Bäder,   das  Theater, 


1)  Wiefern    die  Zahl   der    Thore  den   Schluss  unterstützt,    siehe  To- 
pogr. :  152  ft". 


13.     Problematisches.  §7 

das  Tetrauymphon,  worunter  leicht  der  Tempel  der  Aphrodite  ver- 
borgen sein  kann,  der  Zeustempel,  und  die  Quadra,  die  Umfassungs- 
mauer  des  grossen  Tempelvierecks,  stellen  alle  die  heidnische  Art 
des  neuen  Jerusalems  dar.  Auch  das  rgtxd^aQov  würde  keine 
Ausnahme  machen,  falls  ich  es  richtig  auf  den  sog.  Robinson- 
boffen    1  »czosen  habe,   und  würde  ebenso    sehr  mit  der  Tendenz 

OD» 

der  Stelle  zusammenstimmen,  wenn  es  einen  Triumphbogen  etwa 
zur  Verherrlichung  des  kaiserlichen  Siegs  bedeutete.  Zur  Nennung 
der  Bäder  ist  zu  vergleichen,  dass  an  Jakobus  gepriesen  wird, 
er  habe  nie  ein  öffentliches  Bad  besucht.  Auch  die  Angabe,  dass 
die  Namen  der  Quartiere  der  Stadt  noch  jetzt  diejenigen  der 
Beamten  aus  der  Zeit  Hadrians  seien,  hebt  hervor,  wie  gänzlich 
neu  und  heidnisch  nun  die  Stadt  geworden  sei.  Wenn  ein 
jüdischer  Christ  im  10.  Jahre  Antonins  das  Schicksal  Jerusalems 
unter  Vespasian  eingehend  besprochen  hat  und  von  dort  zum 
Ende  vorwärts  blickt,  ist  es  schwer  vorstellbar,  dass  die  totale 
Umwandlung  der  heiligen  Stadt  durch  Hadrian  mit  keinem  Wort 
berührt  sein  soll.1) 

c.     Akiba  bei  Epiphanius. 

Unser  Chronograph  war  der  Zeitgenosse  Akibas,  der  aufs 
tiefste  in  die  Geschichte  der  Judenschaft  und  Jerusalems  ein- 
gegriffen hat.  Es  lasst  sich  erwarten,  dass  er  ihn  genannt  habe 
als  den,  der  für  den  letzten  Sturz  Jerusalems  in  besondrer  Weise 
verantwortlich  sei,  und  dass  demgemass  trotz  der  totalen  Lücke 
in  der  Ueberlieferung  über  diese  Zeit  eine  Erinnerung  an  Akiba 
sich  auch  in  der  Kirche  erhalten  habe.  Diese  Erwartung  wird 
nicht  getäuscht;  Epiphanius  spricht  von  ihm.  Dass  er  es  mit 
grosser  Thorheit  thut,  beweist  nur,  dass  die  soliden  Erinnerungen, 
die  in  seiner  Stelle  liegen,  nicht  Eigenthum  des  4.  Jahrhunderts 
gewesen  sind.  Epiphanius  sagt  haer.  42:  devzaocQöeiq  öh  jkxq* 
avrolg  reooageg  ijoav'  (iia  fiev  elq  6vo[ia  Mcovöicoq  xov  jzqo- 
ffijxov,   öevxtoa  öh   dq  xov  ötödoxaZov  avxcov  'AxLßav    ovxco 


1)  Das  Urtheil  über  die  einleitenden  Worte:  Hadrian  xa9e?.a>v  xov 
vaov  xdiv  'lovöcriwv  xov  iv  ^IeQoaoXvfxoiq  hängt  von  der  Vorstellung  ab, 
die  man  sich  über  den  Tempelplatz  unter  Barkochbas  Regiment  bildet. 
Da  nach  meiner  Meinung  die  alten,  soliden  Erinnerungen  in  den  Talmuden 
diese  Angabe  als  vollständig  korrekt  erweisen,  nöthigen  mich  auch  diese 
Worte,  die  Stelle  als  sehr  alt  zu  betrachten. 


£g  Schlatter,  Chronogr;i|>)j. 

xaXovfievov  /)  Baoax'ißap  (in  der  Parallele  haer.  33,  9:  ?/  tov 
xaXovf/tvov  'Paßßl  Axißa),  aXXr/  de  dg  top  "Avöav  rj  vAvvav  top 
xal  'lovöap  (in  der  Parallel«'  ".iööa  rjxoL  'lovöa),  IrtQa  dt  Big 
xovq  vlovg  siöa/scovalov.  Eine  dritte  Stelle  ist  kritisch  desshalb 
wichtig,  weil  sie  auch  in  der  komischen  Entstellung  bei  Epi- 
phanius  eine  korrekte  Zeitangabe  enthält:  (rj  jiaoaöooig  töjp 
jtQEößvTtQcov)  tov  Aaßlö  //er«  T7]v  Ix  BaßvX.cöpog  tJiävodov,  TOV 
öh  Axißa  xal  jtqo  tcov  Baßvlcovixoiv  ar/ftaZwöHup  yr/tpr/Tai, 
tcov  öh  vIojp  'Aööaywpatov  sp  XQovoig  AXet-äpöoov  xal  AvTibyov, 
haer.  42,  332.  Die  Angabe,  dass  Akibas  Lehrthätigkeit  vor  die 
alinaXmoiai  falle,  ist  sachkundig;  natürlich  handelt  es  sich  nicht 
um  die  babylonischen,  sondern  um  diejenigen  Hadrians. 

Leider  ist  der  mittlere  Name  entstellt,  wodurch  auch  die 
Deutung  der  „Rückkehr  aus  Babylon"  unsicher  wird.  Ware 
sie  das  Gegenstück  zur  „babylonischen  Gefangenschaft",  die  auf 
Akiba  folgt,  so  wäre  an  das  Ende  der  Verfolgungszeit  und  das 
Toleranzedikt  Antonins  gedacht.  Oder  der  betreffende  Rabbine 
war  schon  in  der  Quelle  als  aus  Babylon  heimgekehrt  beschrieben. 
Unter  den  4  Namensformen,  die  Epiphanius  giebt: 

ANNAN 

ANA  AN 

AAAA 

JABIJ 
ist  nur  Annan  ein  jüdischer  Name;  das  wäre  fSH.  Das  AA, 
NN,  NA  könnte  aber  auch  AA  repräsentiren,  und  daran  lässt 
auch  die  Rückkehr  aus  Babylon  denken.  War  AAAIA  (EAAIA) 
der  ursprüngliche  Text?  top  xal  %vöav  enthält  ebenfalls  eine 
Verderbniss.  Ob  der  Name  des  Vaters  beigefügt  oder  ein  Paar 
von  Rabbinen  genannt  war  oder  eine  konfuse  Erinnerung  an  den 
heiligen  Juda  eingemischt  ist,  lässt  sich  bei  der  starken  Verderb- 
niss des  Satzes  nicht  mehr  klarstellen. 

Die  dritte  Stelle  giebt  der  Aufzählung  ein  durchsichtiges 
Princip.  Es  soll  das  jugendliche  Alter  dieser  ösvTSQcoöeig  und 
jtaoaöoöetg  tgjp  jioeoßvTeoojp  nachgewiesen  werden.  Wer  sind 
die  Urheber  derselben?  Nach  dem  Krieg  Chanan,  und  Akiba, 
der  unmittelbar  vor  demselben  steht,  und  weiter  zurück:  die  Has- 
monäer  zur  Zeit  Alexanders,  natürlich  Jannais  *),  und  des  Antio- 

1)  Die  Betrachtung  der  Stelle  ist  rückblickend,  so  dass  Alexander, 
der  vor  Antiochus  steht,  ihm  auch  zeitlich  vorgesetzt  ist.     Dass  die  Qi  >lle 


13.     Problematisches.  89 

chus!  Oder:  Von  wem  stammen  die  öswegcoösig?  von  Hillel,  der 
aus  Babylon  kam,  und  von  Akiba,  der  dicht  vor  dem  Kriege 
steht,  und  weiter  zurück  von  den  Männern  der  hasmonäischen 
Zeit  seit  Antiochus.1) 

Lassen  wir  den  unleserlichen  Namen  ganz  aus  dem  Spiel: 
auch  so  enthalt  die  Stelle  ein  für  die  Väter  unerhörtes  Mass  von 
Sachkunde.  Nicht  bloss  für  Epiphanius,  der  bei  einer  alxnalwöia 
bloss  an  die  babylonische  zu  denken  weiss,  sondern  auch  für 
einen  Origenes  war  ein  solcher  Satz  eine  vollständige  Unmög- 
lichkeit. Es  ist  ganz  korrekt,  dass  das,  was  die  Juden  im  zweiten 
Jahrhundert  als  jtayaöoöiq  rcov  jtQSößvrsQwv  verehrten,  in  der 
Zeit  des  Antiochus  begonnen  hat,  unter  den  spätem  Hasmonäern 
(Alexander)  energisch  ausgebildet  worden  ist  und  durch  Akiba 
vor  der  Hadrianschen  Katastrophe  eine  wesentliche  Vermehrung 
und  Fixirung  erhalten  hat.  Die  Mischna  weiss  es  nicht  anders. 
Ihre  ältesten  Namen  gehn  in  die  makkabäische  Zeit  zurück; 
Jannais  Periode  ist  durch  Simon  b.  Shetach  besonders  hervor- 
gehoben, und  Akiba  hat  als  Verfasser  einer  „grossen  Mischna" 
die  ganze  folgende  juristische  Litteratur  beherrscht. 

Jedenfalls  liegt  ein  deutliches  Wissen  um  Akibas  Zeit  und 
Bedeutung  in  der  Stelle,  und  das  macht  rathsam,  dass  sie  nicht 
von  Antonius  Zeit  weggerückt  wird. 

d.     Kokaba. 

Im  Brief  des  Julius  an  Aristides,  der  zum  „Verwandten  Jesu" 
Beziehungen  hat,  steht:  ol  jcyoeiQtjfitvoi  öeöüioövvol  xaZovfievot 
ajto  re  Na^agcov  xal  Kw%aßa  xco^wv  ^Iovöcuxmv  r?j  Xoitci]  yf[ 
ijcifpotrrjOavTsg,  Eus.  h.  e.  1,  7,  14.  Hienach  hat  Julius  gehört, 
dass  Jesu  Geschlecht  zu  irgend  einer  Zeit  in  Kokaba  ansässig 
war,  in  ähnlicher  Weise,  wie  in  Nazareth.     Denn  er  stellt  Naza- 


nicht  gesagt  hat,   die  Hasmonäer  reichten  bis  auf  Alexander  den  Grossen, 
darf  man  ihr  zutrauen.     Sie  hat  Antiochus  nicht  umsonst  genannt. 

1)  Die  Beiziehung  der  „4  grossen  Mischnen",  die  für  die  Kritik  der 
Talmude  allerdings  wichtig  sind,  scheint  mir  hier  nicht  angebracht.  Die 
Stelle  spricht  von  den  Urhebern  der  davzbQajöLq  und  ihrer  Zeit,  und  giebt 
nicht  eine  literarhistorische  Notiz.  Mose  fehlt  in  der  dritten  Parallele  aus 
guten  Gründen.  Die  Quelle  heisst  die  dsvztQwoic  jung,  und  hat  sie  nicht 
auf  Mose  zurtickgeleitet.  Erst  ein  späterer  hat  bei  der  Frage,  woher  die 
Juden  ihre  Gesetze  hätten,  Mose  nicht  vergessen  wollen. 


90  chlatter,  Chronograph. 

reth   und  Kokaba  neben    einander,   als   wären  sie  in    derselben 

Weise  die  Heimatli  <\uv  Familien,  die  mit  Jesus  verwandt  ge- 
wesen sind.     Wann  war  es  so? 

Die  Antwort  giebt  Epiphanius,  haer.  29:  Nazarener  befinden 
sich  in  Beroia  in  Cölesyrien,  und  in  der  Dekapolis  in  der  Gegend 
von  Pella,  xal  Iv  rfj  Baöavlzcöt  rr/  Zeyofiev?]  Kcozäßy,  Xco%ctß)j 
de  tßQaiöTL   Zeyokuevi].     exel '&• ev   yäg  rj    aQyrrj   yeyove  [lexa    n)v 

CCJTO      TCOV     Cl£Q0Ö02.V[l0W     flSTCCÖTaötV     JtaPTCOV      T(7)V     {LOL&7[Z(7)V, 

Epiphanius  fügt  bei  xmv  ev  Ilelh]  oixtjzotojv.  Dadurch  wird 
der  Satz  eine  Mischung  sich  aufhebender  Vorstellungen.  Zuerst 
war  gesagt:  von  Kokaba  sei  die  aQyyi  geschehn  nach  dem  Weg- 
zug aller  Jünger  von  Jerusalem;  wenn  sie  aber  in  Pella  wohnten, 
so  geschah  der  Anfang  eben  nicht  von  Kokaba,  sondern  von 
Pella  aus.  Der  Zusatz  giebt  die  Vorstellung,  die  Euseb  verbreitet 
hat,  3,  5,  3,  und  die  dadurch  vollständig  durchsichtig  ist,  dass 
wir  wissen,  dass  Ariston  aus  Pella  über  diese  Dinge  geredet  hat, 
4,  6,  3.  Dagegen  stimmen  der  Satz  des  Julius:  „von  Kokaba 
aus  giengen  die  Verwandten  Jesu  ins  übrige  Land",  und  der- 
jenige des  Epiphanius:  „von  Kokaba  aus  geschah  der  Anfang  nach 
dem  Wegzug  der  Jünger  aus  Jerusalem"  vortrefflich  zusammen, 
und  die  Zeitangabe  des  Epiphanius  erläutert,  wann  die  öeojioövvoc 
in  Kokaba  wohnten:  während  der  sechziger  Jahre. 

Die  auf  Pella  weisende  und  die  nach  Kokaba  zeigende  Nach- 
richt heben  einander  nicht  auf.  Auch  ohne  die  letztere  dürften 
wir  uns  nicht  vorstellen,  dass  die  gesämmte  Christenheit  Palä- 
stinas sich  in  den  Mauern  von  Pella  zusammengedrängt  habe. 
Die  Nachricht  (Aristons?),  dass  Pella  durch  Einwanderung  in  den 
sechziger  Jahren  eine  starke  Christengemeinde  erhielt,  ist  glaub- 
würdig; dasselbe  gilt  aber  auch  von  derjenigen  des  Julius,  der 
den  Bericht  des  Verwandten  Jesu  kennt. 

Ueber  Kokaba  bleibt  sich  Epiphanius  nicht  gleich.  Julius 
heisst  es  eine  xw[ir}  wie  Nazareth.  In  der  citirten  Stelle  redet 
dagegen  Epiphanius,  als  hätte  Kokaba  den  alten  Landesnamen 
Basan  ersetzt  oder  als  wäre  es  wenigstens  eine  Landschaft  in 
Basan.  haer.  30  pg.  126  nennt  es  dagegen  auch  Epiphanius  eine 
xcofiT):  Ebion  aQyexai  fiev  ttjv  xazoixrjöiv  eyeiv  ev  Kwxaßyi  zcvl 
X(6[i%  em  zä  [iiQrj   zrjg  KaQvcufi  'Agveft  x)  xal  'Aözagcoft  ev  zi] 


1)  Aqve[a  neben  KaQvaiß  wird  Double 


13.     Problematisches.  91 

BaoaviTiöi  yjooa.  ciq  >)  iX&ovöa  slg  t'jfiäg  yvmoiq  jteQibzei.  tvdev 
(tn/ erat  rfjg  xaxijg  avrov  6i6aöxaXlag,  6&sv  6?]&sv  xal  ol  Na^a- 
Qtjvoi  ol  avoptoi  JtnoöedrjkcövTcu.  Hienach  ist  auch  haer.  30 
pg.  142  zu  verstehn:  ajio  Kcoxäßatv  rrjg  Iv  rij  Baoaviriöi  ytj 
ejitxeiva  \i6oaojr.  Die  Angabe  des  Julius  wird  dahin  ent- 
scheiden, dass  der  Narne  nicht  der  Gegend,  sondern  einer  Ort- 
schaft angehört.1) 

Es  liegt  hier  eine  Spur  vor,  welche  die  Ueberlieferung  über 
die  alten,  besonders  die  jüdischen  Häresien  mit  dem  Chronographen 
verknüpft.  In  der  That  enthält  der  Bericht  des  Epiphanius  über 
die  4  samaritanischen  und  7  jüdischen  Sekten,  so  konfus  er  ist, 
doch  einige  Angaben,  die  noch  das  alte  Jerusalem  im  Auge  haben. 
Dass  Epiphanius,  trotzdem  er  nicht  aus  Hegesipps   7  Sekten  zu 

eilen  ist,  doch  enge  Berührungen  mit  ihm  hat,  fügt  sich 
leicht  mit  den  bereits  gewonnenen  Schlüssen  zusammen .  Allein 
wir  stehn  hier  an  der  Thüre  eines  Labyrinths. 

Die  Häresien  gehörten  mit  zu  den  Zeichen  des  nahenden 
Endes.  Die  Pseudochristen  und  Pseudopropheten  waren  von  Jesus 
geweissagt,  und  der  Chronograph  wird  darauf  hingewiesen  haben, 
dass  eben  jetzt  in  der  jüngsten  Zeit  solche  reichlich  hervortraten. 
Bei  Klemens  lesen  wir,  ström.  7,  17:  die  Sekten  sind  jünger  als 
die  Kirche;  r\  fihv  yag  rov  xvqiov  xara  xijv  jzaoovöiav  6i6a- 
öxalia  äjzb  Avyovörov  xal  TißtQiov  Kaiöagog  aQ^afisvr]  [isöovv- 
tov  roJv  Avyovörov  ygovcov  rsXeiovrar  t\  6h  rcov  ajtoöroXmv 
avrov  [ityQL  ys  rrjq  JJavXov  XsirovQylag  ejd  Ntgcovog  rsXei- 
ovrai.  xarco  6h  jtsol  rovg  'A6qkxvov  rov  ßaöiXemg  XQovovg 
ol  rag  aiQeöeig  tJtivorjöavreg  yeyovaoi  xal  (ISXQ1  7£  T^S  Avro- 
vivov  rov  jtQsößvrtQOV  öureivav  rjXixiag.  Darauf  werden  Basi- 
lides  und  Valentin  und  ihre  fälschlich  angerufnen  Autoritäten 
im  apostolischen  Schülerkreis  und  schliesslich  Marcion  genannt. 
{ueöovvrcav  rcov  Avyovörov  ynovcov  für  das  Ende  der  Lehr- 
thätigkeit  Jesu  ist  jedenfalls  unbedacht  und  erklärt  sich  nur  aus 
der  Rechnung  des  Chronographen.  „15  Jahre  des  Augustus  und 
15  Jahre  des  Tiberius,  so  wurden  voll  die  30  Jahre."  Eine  Mitte, 
die  zu  Augustus  Beziehungen  hat,  liegt  hier  allerdings  vor,  aber 
es  ist   sein  Tod,    der  mit    der  Mitte  im  Leben  Jesu  zusammen- 


1)  Es  trifft  seltsam  zusammen,  dass  die  christlichen  Davididen  von 
Kokaba  ausgehn,  und  von  Kokaba  aus  der  Ebionitismus  sich  verbreitet 
haben  soll,   und  dass  der  König   der  Hadrianschen  Zeit  Barkokaba  heisst. 


92  Schlauer.  Chronograph. 

trifft.  Kleraens  hat  sich  die  Rechnung,  auf  die  er  sich  bezieht, 
hier  nicht  deutlich  gemacht.  Da  wir  für  die  Zeitangabe  den 
Kommentar  zu  Klemeris  aus  dem  Chronographen  holen  müssen, 
ist's  nicht  unmöglich,  dass  er  auch  Hadrians  und  Autonins  Zeit 
als  die  Periode  der  Häresien  aus  ihm  hat.  Nur  am  Stand- 
punkt unserer  Quellen  kann  es  liegen,  dass  die  Zeit  Domitians 
und  Trajans  als  von  Häresien  unberührt  erscheint.^ 

14. 
Schluss. 

Nach  allen  diesen  kritischen  Mühseligkeiten  dürfen  wir  uns 
noch  einen  Moment  gesammelter  Vertiefung  in  den  Verlauf  der 
Ereignisse  gönnen. 

Die  herkömmliche  Meinung  stellt  sich  Jerusalem  seit  dem 
Jahre  70  für  die  Kirche  als  tot  vor.  Aus  dem  Gesagten  ergiebt 
sich  eine  andre  Vorstellung.  Noch  in  der  Mitte  des  zweiten 
Jahrhunderts  ist  aus  der  judenchristlichen  Gemeinde  Jerusalems 
ein  Schriftstück  hervorgegangen,  das  von  der  gesammten  Kirche 
mit  grosser  Ehrfurcht  aufgenommen  worden  ist.  Erst  Hadrians 
fürchterliche  Edikte  gegen  die  Juden  haben  auch  die  jüdisch- 
christliche Gemeinde  für  die  Kirche  bedeutungslos  gemacht,  weil 
sie  zur  Folge  hatten,  dass  die  Kirche  Jerusalems  mit  derjenigen 
von  Alexandrien  oder  Antiochien  völlig  gleichartig  geworden  ist. 

Es  ist  bedeutsam,  wie  das,  was  den  Sturz  der  Judenschaft 
herbeigeführt  hat  und  andrerseits  wieder  ihre  Erhaltung  bewirkte, 
auch  an  unserm  Chronographen  zu  Tage  tritt.  Bei  dem  namen- 
losen Elend,  das  er  mit  durchlebt  hat,  bleibt  ihm  die  Schrift 
und  die  Hoffnung  unerschüttert.  Seine  Auslegung  Daniels  hand- 
habt das  ytyQajiTac  mit  einem  absoluten  Glaubensakt,  der  ihm 
das  Himmelreich  dicht  vor  ihm  zeigt.  Er  ist  dabei  überwiegend 
von  Daniel  geleitet,  der  die  jüdische  Geschichte  von  Epiphanes  bis 
Hadrian  mit  doppelseitiger  Wirkung  beherrscht.  Er  hat  der 
Hoffnung  den  höchsten  Ausdruck  gegeben,  so  dass  Jesu  Ver- 
heissung  sich  unmittelbar  an  sie  anschliessen  konnte,  aber  auch 
die  Gewaltsamkeit  der  jüdischen  Erwartung  und  ihr  selbstischer 

1)  Ob  der  Chronograph  Basilides  etc.  genannt  hat,  steht  dahin.  Dass 
auch  Hegesipp  mit  Klemens  in  der  Fabel  von  der  reinen  Kirche  bis  auf 
Trajan  sich  berührt,  ist  beachtenswerth. 


14.     Schluss.  93 

Trotz  hat  sich  an  ihm  fixirt  und  ruinirt.  Der  Chronograph  hat 
dieses  jüdische  Element  nicht  ganz  überwunden;  er  wusste, 
wann  der  Herr  kommen  musste,  wie  man  es  in  Jerusalem  a.  66 
und  131  gewusst  hat.  Nicht  als  Prophet  weissagt  er  aus  der 
lebendigen  Gegenwart  des  Geistes,  sondern  als  gelehrter  Exeget, 
der  mit  Kaiser-  und  Ptolemäerlisten  operirt,  mit  Josephus  und 
mit  fremden  Berichten  über  die  Herodier.  Auch  darin  steht  er 
der  Synagoge  nah;  auch  dort  sprachen  sie  als  die  gelehrten 
Exegeten  kraft  ihrer  Wissenschaft  Gottes  Willen  aus  und  setzten 
das  jus  divinum  fest. 

Dieses  jüdische  Element  hat  sein  Wort  für  die  Kirche  nutz- 
Los  gemacht.  Sie  wurde  sofort  über  die  Schwelle  hinübergeführt, 
an  der  es  sich  erwies,  dass  die  Zahl  Daniels  nicht  das  Mass  des 
Weltlaufs  sei.  Die  beträchtliche  Schwächung  der  Hoffnung,  die 
nun  in  der  Kirche  hervortrat,  hat  der  Chronograph  nicht  über- 
wunden, wie  er's  doch  gewünscht  hatte.  Denn  er  gab  die  Hoff- 
nung in  einer  Form,  wie  man  sie  in  der  Kirche  nicht  pflegen 
durfte  und  konnte.  Ueberblickt  man  die  Deutungen  Daniels  bei 
den  Vätern,  so  sieht  es  zunächst  aus,  als  ob  hier  kein  Zusammen- 
hang walte,  sondern  jeder,  Klemens,  Tertullian,  Origenes,  Julius, 
Hippoly't,  wieder  frisch  auf  eigne  Entdeckungen  ausgehe.  Das 
ist  nur  Schein;  es  vollzieht  sich  auch  hier  ein  fester  historischer 
Konnex.  Die  Zersplitterung  der  Auslegung  rührt  daher,  dass 
ihnen  durch  den  Chronographen  das  in  Daniel  liegende  Problem 
in  einer  Schärfe  vorgehalten  war,  die  sie  nöthigte,  irgendwie 
einen  Ausweg  zu  suchen.  Sie  finden  ihn  darin,  dass  sie  Daniel 
nach  dem  Evangelium  deuten.  Weil  diess  aber  nur  mechanisch 
geschieht,  nur  dadurch,  dass  Daniels  Zahl  vom  Himmelreich  ins 
erste  Jahrhundert  zurückgeschoben  wird,  ohne  dass  es  zu  einer 
innerlichen  Erneuerung  des  prophetischen  Gedankens  kommt, 
liegt  im  Satz  der  Väter  neben  demjenigen  des  Chronographen 
nicht  bloss  ein  Gewinn,  sondern  auch  ein  Verlust. 

Während  seine  Deutung  Daniels  sofort  der  Kritik  des  Ge- 
schichtslaufs unterlag,  gegen  die  es  keine  Einrede  gab,  fand  sich 
für  das  jüdische  Element  in  seinen  rückblickenden  Betrachtungen 
keine  ähnliche  Kontrolle,  und  hier  hat  er,  falls  die  im  Satz  über 
Adams  Grab  liegende  Spur  nicht  täuscht,  eine  starke  und  blei- 
bende Wirkung  geübt.  Derselbe  ist  meines  Wissens  das  älteste 
Wort,   das  dem  Platz,   wo  Jesus  starb  und  auferstand,  religiöse 


<j  I  Schlatter,  Chronograph. 

Wichtigkeit  beimisst.  Ich  sage  natürlich  nicht,  dass  der  Kultus 
des  heiligen  Grabes  Lediglich  die  jüdische  V.erehrung  der  Gräber 
der  Propheten  fortsetze;  gleichwohl  ist  der  historische  Konnex 
auch  hier  sehr  eng. 

Wenn  ich  hier  auch  für  meine  Konjekturen  gesprochen  habe, 
so  liegt  es  mir  ebenso  sehr  daran,  dass,  was  Beobachtung  ist,  und 
was  Konjektur  ist,  unterschieden  bleibe.  Schieben  wir  alles  auf 
die  Seite,  was  Konjektur  ist:  Eusebs  Juda  habe  a.  202  durch 
irgend  einen  Unsinn  herausgerechnet,  dass  die  490  Jahre  noch 
nicht  abgelaufen  seien,  und  der  Verwandte  Jesu  bei  Julius  sei  ein 
anonymer  Historiker  gewesen,  zu  dem  sich  nur  die  Gelehrsamkeit 
des  Julius  den  Zugang  verschafft  habe:  wir  verlieren  damit  für  den 
Chronographen  den  Namen  und  die  konkreten  Angaben,  die  es 
uns  ermöglichen  würden,  uns  vollständiger  in  ihn  hineinzudenken; 
er  tritt  in  den  Nebel  der  Anonymität;  aber  er  bleibt.  Die  Stücke 
bei  Klemens  sammt  ihrer  Erläuterung  durch  Tertullian  und 
Theophilus,  die  Reste  bei  Epiphanius  und  was  bei  Origenes  von 
ihm  zum  Vorschein  kommt,  geben  ihm,  wie  mir  scheint,  auch  dann 
noch  eine  greifbare  Existenz. 


ZUR  ÜBERLIEFERUNGSGESCHICHTE 


DER 


ALT  CHRISTLICHEN  LITTBRATUR 


VON 


ADOLF  HARNACK. 


Texte  u.  Untersuchungen  XII,  1. 


Auf  den  folgenden  Blättern  habe  ich  einige  Nachträge  zu 
dem  ersten  Bande  meiner  Geschichte  der  altchristlichen  Littera- 
tur  bis  Eusebius  (1893)  zusammengestellt.  Der  grössere  Theil 
stammt  aus  den  Arbeiten  der  Fachgenossen,  die  im  letztver- 
flossenen halben  Jahre  oder  etwas  früher  erschienen  sind;  ein  klei- 
nerer Theil  besteht  in  eigenen  Zusätzen.  Auch  habe  ich  die  Ge- 
legenheit ergriffen,  einige  Berichtigungen  zu  geben.  Alle  Nach- 
träge habe  ich  nach  der  Seitenzahl  des  Bandes  (GL)  verzeichnet, 
so  dass  sie  bequem  eingetragen  werden  können.  Für  zweckmässig 
hielt  ich  es,  sofort  auch  die  Register  zu  vervollständigen.  1s  Acht 
nur  alle  neuen  Zusätze  sind  hier  eingeordnet  worden,  sondern  auch 
die  slavisch  und  koptisch  erhaltene  Litteratur,  die  bisher  noch 
nicht  registrirt  war,  ferner  die  GL  S.  1021  verzeichneten  Nachträge. 
Dies  diem  docet. 

S.  XXXII  sq.  Über  die  Urliste,  die  dem  Kanon  der  60  Bücher, 
Xicephor.,  Athanas.  Synops.  und  dem  Verzeichniss  des  Mkhithar 
zu  Grunde  liegt,  sowie  über  letzteres  Verzeichniss  s.  Zahn,  For- 
schungen V  S.  109ff.,  131  ff. 

S.  XL  nr.  10.  Im  Cod.  Paris,  des  Joh.-Commentars  des  Ori- 
genes  findet  sich  oft  am  Rande:  ßZaOtpr/fisi,  ßZaö<pr]fielg,  oval  öoi, 
ävafrEfza  ooi  aiQsrixd. 

S.  LV  oben.  Orosius,  Lib.  apolog.  1:  ,.Patres  enim  et  qui 
iam  quierevunt  martyres  et  confessores  Cyprianus,  Hilarius  et 
Ambrosius,  et  quibus  etiam  nunc  permanere  adhuc  in  carne 
necessarium  est,  qui  sunt  columnae  et  firmamenta  ecclesiae  ca- 
tholicae,  Aurelius  Augustinus  et  Hieronymus." 

S.  3  Z.  15.  Wahrscheinlich  stammt  aus  diesem  Brief  das  Stück 
II.  Cor.  6,  14 — 17,  1:  Mi]  yiveo&t  ireQoC.vyovvreg  —  g>6ßa>  &eov. 

S.  5  Z.  1  v.  u.  Schlatter  folgert  in  der  vorstehenden  Ab- 
handlung aus  Euseb.,  h.  e.  I,  7,  11  wohl  mit  Recht,  dass  Julius 
Africanus  ein  Buch  eines  Verwandten  Jesu  gelesen  hat. 


4        Harnack,  Zur  ÜberlieferungsgeHchichte  der  altchristl.  Litteratur. 

S.  10  Z.  26.  Das  Stück  lautet  nach  Academy  21.  Octob.  1893: 
„And  he  confirmed  the  writing  of  Matthew  which  was  [dahvathj 
amorig  the  Hebrews,  declaring  that  the  Christ  was  born  of  David 
and  Abraham  according  to  the  plighted  promise  [depositedj 
with  theni."  Dies  stammt  wohl  aus  Ephraem.  —  Zum  Hebräerev. 
s.  auch  Zahn,  Forsch.  V  S.  136.  141. 

S.  12.  Zum  Petrusev.  vergleicht  Bernard  (Academy  30.  Sept. 
1893)  eine  Stelle  des  Dionysius  Alex.  (Migne  X  p.  1599,  s.  GL 

5.  421),  Usener  (bei  Dieterich,  Nexvia  S.  231)  meint  eine  Be- 
zeugung im  Cod.  Vindob.  bist.  gr.  3  saec.  XL  fol.  268  zu  sehen: 
\4va2.oyrjödf/evog  6h  o  IHtqoc,  ütBJiolrjxev  rfjv  lazoglav  djcaoav 
rrjq  tvav&Qmjcqöscoq  r.  x.  ?jfiSv  7.  Xq.  xad-cog  ttjp  exxXrjölav 
öiexoöfirjGsv  dji  aQx^jg,  ors  6  ayysXoq  ro  XalQS  xixQayev  rrj 
jvccQfrevcp  fts%Qig  orov  xal  ävslrj<p&rj  6  xvqioq.  Zu  vgl.  ist,  was 
GrL  S.  122  Z.  llff.  abgedruckt  ist,  sowie  Acta  Pionii  13:  „Dicunt 
dominum  J.  Christum  cum  cruce  ad  superos  facta  umbrarum 
excitatione  remeasse."  Z.  Gesch.  v  d.  Ehebrecherin  s.  die  Note  im 
Cod.  A  (N.  T.). 

S.  15.   Zum  Thomasev.  s.  GL  S.  XXXIII. 

S.  19.  Zum  Buch  des  Jakobus  s.  GL  S.  XXXIII  u.  0. 
Schade,  Liber  de  infantia  Mariae  et  Christi  salvatoris.  Halle  1869. 

S.  22.  Ein  altes  bisher  nicht  geprüftes  Ms.  des  Ev.  Nicodemi 
Lat.  ist  Brit.  Mus.  Lat.  5  E  XIII  saec.  VIII. 

S.  28  oben.  Vielleicht  ist  „Le  Predicateur  des  Orthodoxes" 
im  Verzeichniss  des  Mkhithar  (GL  S.  XXXIII)  =  K?]Qvyfia  JJe- 
tqov.  Zu  diesem  vgl.  Hilgenfeld,  Ztschr.  f.  wiss.  Theol.  1893  H. 4. 

S.  33.  Zur  Petrusapok.  s.  GL  S.  XXXIII  und  die  von  Zahn, 
Forsch.  V  S.  112  vorgetragene  Hypothese  einer  Erwähnung  der 
Apok.  bei  Origenes,  ferner  die  Nachahmungen  der  Apok.  in  der 
Passio  Felicis,  Fortunati  et  Achillaei  §  3  (Bolland.  23.  April: 
„Vidi  locum  siderei  splendoris  coruscatione  micantem,  ineffabilium 
florum  diversitate  vernantem,  fragrantibus  quoque  aromatibus 
redolentem"),  Passio  Dorotheae  et  Theophili  §  10.  12. 13  (Bolland. 

6.  Febr.),  sowie  in  der  jungen  Apokalypse  Mariae  Virg.  (James, 
Texts  and  Studies  II,  3  p.  112)  und  im  Testam.  Abrahae  (James, 
1.  c  II,  2).  Vgl.  Clemens,  Quis  dives  33  und  Hippolyt,  Philosoph,  extr. 

S.  37  oben.  Arabische  Version  im  Cod.  Par.  Arab.  80  (Bratke 
ZwTh.  1894  S.  137  f.). 


Harnack,  Zur  Überliefenmgsgeschichte  der  altchristl.  Litteratur.       5 

S.  38.  S.  auch  GL  S.  XXXIII  f. 

S.  39 ff.  Zum  I.  Clemensbrief  s.  GL  S.  XXXIII  und  Zahn, 
Forsch.  V  S.  1*23 ff.  Junius  schreibt  in  der  Editio  princ.  (1633) 
p^3  der  jzQOGrjfieiwöig  (pag.  M  5),  Hieronymus  habe  den  Brief 
übersetzt,  quam  (welche  Übersetzung)  in  bibliothecis  alicubi  latere 
spem  nobis  facit  catalogus  fratrum  Lobiensium,  quem  domi  ha- 
bemus,  scriptum  ante  CCCC  annos,  ad  calcem  operum  Fulgentii, 
atque  utinam  id  aliquando  eveniat  et  spes  nostrae  non  inanes  de- 
prehendantur."  Was  hier  Junius  von  Hieronymus  sagt,  ist  ein  Irr- 
thum.  Er  meint  eine  Stelle,  die  von  Rufin  herrührt  und  sich  auf 
dieRecognitionen  bezieht  (s.  Orig.  Opp.  ed.  Lommatzsch  VII  p.  460). 
Das  Richtige  steht  GL  S.  223,  wornach  S.  40  Z.  16  ff.  v.  u.  zu  er- 
gänzen resp.  zu  berichtigen  ist.  Eine  lateinische  Übersetzung  des 
1.  Clemensbriefs  ist  jetzt  nachgewiesen,  aber  noch  nicht  edirt,  s.  Re- 
vue Benedictine  1893  Nr. 9  p.403;  hier  theilt  G.Morin  mit:  „Ceux 
qui  s'interessent  aux  antiquites  ecclesiastiques  apprendront  avec 
plaisir  qu'on  vient  de  retrouver  dans  un  ms.  provenant  de  l'abbaye 
benedictine  de  Florennes,  dans  la  province  Namur,  une  traduc- 
tion  latine  de  la  premiere  lettre  de  St.  Clement  aux  Corinthiens. 
Le  codex  semble  avoir  ete  ecrit  dans  la  premiere  moitie  du  XL 
siecle,  et  peut  ainsi  remonter  aux  origenes  memes  de  l'abbaye. 
Quant  ä  la  version  qu'il  contient  eile  parait  de  beaucoup  ante- 
rieure  ä  cette  epoque,  et  se  rapproch e  sensiblement,  par  les  parti- 
cularites  du  style,  des  anciennes  traductions  latines  du  texte  bi- 
blique  anterieures  a  la  Vulgate.  Elle  semble  devoir  etre  d'un 
grand  secours  pour  preciser  le  sens  qu'on  a  attache  ä  l'origine 
a  certaines  expressions  dont  la  portee  doctrinale  a  donne  lieu  re- 
cement  encore  ä  des  discussions  interessantes.  Ce  precieux  docu- 
ment  dans  un  etat  parfait  d'integrite,  et  demeure,  on  ne  sait 
comment,  si  longtemps  dans  l'oubli,  sera  prochainement  l'objet 
d'une  publication  soignee,  et  formera  le  I.  fasc.  du  tome  IL  des 
„Anecdota  Maredsolana"." 

S.  41  Z.  12  v.  u.  Irenaus  zeigt  sich  auch  sonst  vom  Briefe 
abhängig,  s.  V,  1,  1  vgl.  mit  I.  Clem.  49,6. 

S.  47  Z.  24.  Judas  =  Thomas,  s.  Zahn,  Forsch.  V  S.  122f. 

S.  52  Z.  6.  Iren.  I,  15,  6  mit  Herrn.  Mand.  I  (jtdvra  ycoQOVvra 
jtaxiQa,  dxcoQijTöv  de  vjzaQyovra). 

S.  52  Z.  30.  In  einer  theodotianischen  Schrift  (Epiph.  h.  55, 8) 
war  vielleicht  Sim.  V  benutzt. 


(>       Harnack,  Zur  überlieferungsgeschichte  der  altchristl.  Littemtur. 

S.  55  Z.  13.  Auf  ein  anderes  Zeugniss  bei  Origenes,  das  aber 
nicht  sicher  ist,  hat  Zahn,  Forsch.  V  S.  112  hingewiesen. 

S.  60  Z.  7  v.  u.  Stillschweigend  ist  von  Origenes  (Selecta  in 
Ps.  118  Lommatzsch  XTII  p.  102)  Barn.  15,  8.  9  benutzt:  Söxsq 
rj  oydorj  avfißoXov  toxi  rov  ftiXXovroc,  aläjvog,  övva(uiv  dvaöxa- 
otcoq  jteQttxovöa ,   ovrco  xal  rj  tßöofirj  GvfißoZov  Ion  rov  xoo- 

(WV   TOVTOV. 

S.  62  Z.  11.  S.  GL  S.  XXXIII  und  Zahn,  Forsch.  V  S.  130, 
auch  S.  112. 

S.  62  Z.  22.  De  pascha  comput,  10.  18.  20.  21.  —  Die  Zu- 
sammenstellung Tertull.  (Novat.),  de  cibis  Jud.,  Barnab.  ep.,  Ja- 
cobi  ep.  im  Ms.  Lat.  Barn,  ist  schwerlich  zufällig.  Vielleicht  waren 
die  kleinen  Tractate  Novatian's  von  dem  Barnabasbrief  abhängig. 

S.  63  Z.  7.  Die  Erwähnung  des  Matth.-Ev.  ist  hier  zu  streichen. 

S.  64  Z.  2.  Lies  tojv  tov  tcvqiov  Xoyoov  öirjyrJGEis  und  in  Z.  4 
vor  Zeyovöiv  die  Worte:  ol  zov  xvqlov  fiadr/tai  —  Conybeare 
(Aristion,  the  author  of  the  last  12  verses  of  Mark,  „Expositor" 
1893  Octob.  p.  241  ff.)  hat  entdeckt,  dass  in  einem  Cod.  evv.  membr. 
Armen,  anni  986  zu  Etschmiadzin  der  längere,  unechte  Marcus- 
schluss  die  Überschrift  trägt  „Von  dem  Presbyter  Ariston."  Der- 
selbe bemerkt  (p.  246),  dass  in  einem  Cod.  Bodl.  hist.  eccl.  Rufini 
saec.  Xll  zu  Euseb.  h.  e.  111,  39  bei  Justus  Barsabbas  am  Rande 
„Aristion"  steht;  s.  Theol.  Lit.-Ztg.  1893  Nr.  23.  Dass  die  12 
Verse  (Incip.:  'Avaorag  ös  jcqgu)  ursprünglich  nichts  mit  dem 
Marcusev.  zu  thun  haben,  sondern  Theile  eines  anderen  histo- 
rischen Aufsatzes  (eines  Kerygmas  bez.  einer  öir/yrjöig  mit  apolo- 
getischer Tendenz  gegenüber  dem  Vorwurf,  die  Auferstehung  sei 
von  den  Jüngern  erfunden)  sind,  dafür  spricht  Vieles.  Bemerke 
auch,  dass  Hieronymus  (c.  Pelag.  IT,  15)  in  einigen  Codd.  zwischen 
v.  14  und  15  noch  Folgendes  gelesen  hat,  was  jetzt  kein  einziger 
Cod.  mehr  bietet:  „Et  illi  satisfaciebant  dicentes:  Saeculum  istud 
iniquitatis  et  incredulitatis  sub  satana  (die  meisten  Codd.  irrtliüm- 
lich:  substantia),  qui  (Codd.  quae)  non  sinit  per  immundos  spiritus 
veram  dei  apprehendi  virtutem.  idcirco  iam  nunc  revela  iustitiam 
tuam."  (Aus  inneren  Gründen  lässt  sich  sehr  wahrscheinlich  machen, 
dass  der  Vers  ursprünglich  wirklich  dem  Stück  angehört).  Hieron. 
hat  das  also  eingeleitet:  „In  quibusdam  exemplaribus  et  maxime 
in  Graecis  Codd.  iuxta  Marcum  in  tine  eius  evangelii  scribitur." 

S.  67  Z.  26.  S.  auch  Hieron.,  Proleg.  in  quattuor  evv:  „Mar- 


Harnock,  Zur  Oberlieferangsgeachichte  der  altchristl.  Litteratur.       7 

cus  interpres  apostoli  Petri,  qui  dominum  quidem  salvatorem 
ipse  non  vidit,  sed  ea  quae  magistrum  audierat  praedicantem  iuxta 
fidem  magis  gestoruin  narravit,  quam  ordinem"  (das  ist  ausPapias 
geflossen). 

S.  75  Z.  24.  Der  Brief  ist  vielleicht  auch  in  der  Rede  des 
Apollonius  vor  dem  Senat  benutzt  (s.  Sitzungsber.  d.  K.  Preuss. 
Akad.  d.  Wissensch.  27.  Juli  1893). 

S.  79  Z.  2.  Katalog  von  Iwiron  (Athos)  nr.  1280  (Meyer, 
Ztschr.  f.  KGesch.  XI  S.  155£):  zov  ay.  'iyvaziov  IjiigtoUu. 

S.  81  Z.  11  v.  u.  lies  Jia. 

S.  82  Z.  3.  Socrates  h.  e.  VI,  8  sagt,  dass  Ignatius  die  antipho- 
nischen Hymnen  in  die  Kirche  von  Antiochien  eingeführt  habe. 

S.  91.  Nach  James,  Texte  and  Studies  II,  2  besteht  zwischen 
Testam.  Isaaci  und  Didache  eine  Beziehung.  —  Ein  Zeugniss  des 
Origenes  über  die  Didache,  aber  ein  unsicheres,  s.  bei  Zahn, 
Forsch.  V  S.  112. 

S.  99.  Grosse  Ausgabe  der  Apologie  des  Aristides  von  See- 
berg in  Zahns  Forsch.  V  S.  159 ff.,  kleinere  Ausgabe  auch  der 
unechten  Stücke  von  demselben  (Erlangen  1894).  Seeberg  hält 
letztere  für  echt,  ebenso  Zahn  (Forsch.  V  S.  415 ff.),  aber  für 
interpolirt. 

S.  105.  Katalog  von  Iwiron  (Athos)  nr.  1280  (Meyer,  a.a.O.): 
'Iovözivov  <piL  xal  [iciqt.  ß'tßXoq  vjieq  Xgiöziav&v  zi]  övyxXvrco 
jsic]  öofrelöa.  Izega  'Avzwvivoq  [sie]  xal  zrjq  avzov  öiaÖoyoiq 
[sie]  zgizr} ,  ev  rj  jteQi  zrjq  cpvyrjq  zmv  'lovöakov  fioviov  öia- 
Xeyezcu.    zexägtr],  ?)v  IjiiyQaxpsv  sZeyxoi',  xal  tzega. 

S.  109  Z.  9.   Lies  „Laod."  für  „Hierap." 

S.  124.  Die  Thomas-  und  Andreas- Acten  sollen  in  den  Act. 
Xanthipp.  et  Polyxenae  benutzt  sein,  s.  James,  Texts  and  Stu- 
dies II,  3  p.  47  sq. 

S.  125  Z.  11.  Griechisch  ist  der  Hymnus  erhalten  und  beginnt: 
zfc'g«  ooi,  JtazsQ. 

S.  126  nr.  10.  Kater gian,  Dormitio  Johannis  1877  (nach  dem 
Armenischen;,  cf.  Apokryphen  (Fseudepigraphen)  bei  den  Arme- 
niern, hrsg.  v.  Kalemkiar,  2.  Stück. 

S.  129.  Zu  den  Paulusacten  vgl.  die  Act.  Xanthipp.  et  Pulyx. 
(erhalten  im  Cod.  Paris.  1458  saec.  XL;  älteste  Anspielung  auf 
sie  in  dem  Menolog.  Basil.  saec.  X.);  sie  sollen  nach  James, 
a.  a.  O.  p.  43  sq.  z.  Th.  aus  jenen  geflossen  sein.    James  (p.  54  sq.) 


§        Harnack,  Zur  Überlieferungsgeschichtc1,  der  altohristl.  Literatur. 

will  auch  Commodian,  Carm.  Apol.  618 — 624  aus  den  Paulusacten 
ableiten,  ebenso  (p.  55)  ein  Stück  aus  den  Acta  Titi.  Ferner 
macht  er  auf  das  noch  nicht  untersuchte  arabische  (und  äthiopische) 
Leben  des  Paulus  aufmerksam  und  verweist  (p.  56)  noch  auf 
anderes  Material,  namentlich  auch  auf  den  Policraticus  des  Jo- 
hannes Sarisb. 

S.  133.  Nach  Zahn,  Forsch.  V  S.  60  sind  die  alten  Petrus- 
acten  in  der  Vita  Abercii  benutzt,  nach  James,  a.  a.  0.  p.  47  sq. 
54  sq.  auch  in  den  Act.  Xanthipp.  und  bei  Commodian,  Carm. 
Apol.  618ff. 

S.  134.  Lambros,  Uegl  rcov  JtaX^mp^Ozcov  xojölxcov  rcov 
ayioQSirixcov  ßißXio^rjxcov.  Athen  1S8S  theilt  S.  11  f.  mit,  class 
im  Cod.  91  (Palimpsest)  der  Bibliothek  des  Klosters  des  Diony- 
sius  (Athos)  die  alte  Schrift  u.  A.  (sie  enthält  auch  die  slvaxerpak. 
des  Epiphanias)  enthält  l£qoöoZv(/itov  ix  rcov  jisqloöow  tojv 
ayicov  äjzoöroÄcov,  d.  h.  Sophronius  v.  Jerus.,  de  laborv  certam. 
et  peregr.  apostolorum.  Die  alte  Schrift  ist  aber  selbst  nicht 
älter  als  saec.  X.  und  nur  Weniges  ist  zu  lesen. 

S.  137.  Die  Theklaacten  sind  nach  James,  a.  a.  0.  p.  47  sq. 
auch  in  den  Act.  Xanthipp.  et  Polyx.  benutzt.  —  Rey,  Etüde 
sur  les  Acta  Pauli  et  Theclae.  Paris  1890.  Ramsay,  The  church 
in  the  Roman  empire.  1893. 

S.  138.  Zu  den  Philippusacten  s.  James,  Suppl.  to  the  Acts 
of  Philip.,  a.  a.  0.  II,  3  p.  158ff.:  „Translatio  Philippi.«  Syrisch 
finden  sich  die  Acten,  die  nach  James,  a.a.O.  p.  47sq.  in  den  Act. 
Xanthipp.  benutzt  sind,  im  Cod.  Berol.  Syr.  9  (Sachau)  v.  J.  1695. 

S.  153  Z.  16  v.u.  Tilge  die  Worte:  „Hier  zuerst  die  Helena" 
und  füge  „Helena"  der  vorhergehenden  Zeile  nach  Apol.  I,  26  ein. 

S.  163  Z.  12  v.  u.  (auch  zu  S.  169  oben).  Zu  Zoroaster  s. 
Kuhn,  Eine  zoroastrische  Prophezeiung  in  christlichem  Gewände 
(Schriften  zum  Jubil.  von  Roth  S.  2 17 ff.);  er  zeigt,  dass  Zoroaster  = 
Seth  (S.  219).  Er  führt  auch  eine  Stelle  aus  der  „Biene"  des 
Salomon  von  Basra  an,  die  von  Wichtigkeit  ist. 

S.  171  Z.  7.  Über  Borboriten  s.  den  wichtigen  Brief  des 
Bischofs  Atticus  von  Konstantinopel  an  den  armenischen  Patri- 
archen Sahak  (Moses  Choren.  III,  57),  vgl.  Karapet,  Paulikianer 
(Leipzig  1893)  S.  39  ff. 

S.  172  unten.  Vgl.  Ryle  and  James,  ipaZtuoL  UoXoficovTog. 
Cambridge  1891  p.  XXIII  sq.  155  sq. 


Harnack,  Zur  Überlieferungsgeschichte  der  altchiistl.  Lifcteratur.        9 

S.  174.  Vielleicht  ist  der  GL  S.  377.  511  genannte  Bassus 
unter  den  Schülern  Valentin's  aufzuführen.  Nach  Rede  penn  in  g, 
Origenes  11  S.  57  soll  er  auch  bei  Philaster  vorkommen.  Ich  habe 
ihn  dort  nicht  gefunden. 

S.  184  Z.  15  v.  u.  Die  Worte  lauten:  BaQXaö(*vr/S  ovo^a, 
avijQ  ro  ytvoo,  XafijrQOTaroq,  TOP  jtlovrov  öicupoQOJTaTOg. 

S.  191.  Einen  Schüler  „Sokrates"  (Isokrates)  Marcion's,  ferner 
dessen  Schüler  Theopompus  und  eine  Fraction  „Sokratiten"  unter 
den  Marcioniten  nimmt  Dräseke  (Ges.  patrist.  Abhandl.  1889 
S.  162 ff.)  wohl  irrthümlich  an;  s.  unten  zu  S.  430. 

S.  192  Z.  23.  Lucanus  hat  wohl  gegen  die  Auferstehung  des 
Fleisches  geschrieben. 

S.  193.  In  dem  Ms.  Syr.  Mus.  Brit.  Add.  17215  (Academy 
21.  Oct.  1893)  werden  Marcion,  Mani,  Bardesanes  genannt.  Von 
Marcion  heisst  es:  „Marcion  .  .  .  said  that  our  Lord  was  not  born 
of  woman,  but  stole  the  place  of  the  creator  and  came  down 
and  appeared  first  between  Jerusalem  and  Jericho,  like  a  son  of 
man  in  form  and  in  image  and  in  likeness,  yet  without  our  body." 

S.  194.  199.  Über  Marcioniten  bei  den  Armeniern  s.  die  lehr- 
reichen Mittheilungen  von  Karapet,  die  Paulikianer  S.  97. 
104  ff.  148.  S.  97:  Paulus  von  Taron  (Ende  des  11.  Jahrh.)  schreibt: 
„Ein  gewisser  Apelles,  ein  verworfener  Mensch,  dem  Leibe  nach 
ein  Greis,  verbittert  durch  das  (lange)  Leben  und  stolz  auf  den 
Beistand  der  bösen  Geister,  sagte  von  den  Propheten,  dass  ihre 
Prophezeiungen  aus  dem  Widerspruch  des  h.  Geistes  zu  Stande 
kämen,  und  stellte  Folgendes  fest:  die  Messe  sei  von  keinem 
Nutzen,  die  man  für  die  Todten  darbringt.  Gott  verdamme  ihn" 
(s.  Euseb.,  h.  e.  V,  13).  Dann  heisst  es  weiter:  „Der  greuliche 
Kalestinos(?),  der  die  Geburt  und  das  Leiden  (Christi)  nicht  Gott 
zuschreibt,  sondern  dem  einfachen  Menschen.  Die  Marcioniten, 
welche  auch  die  Auferstehung  der  Verstorbenen  nicht  annehmen 
und  das  h.  Messopfer  für  nichts  erklären,  sowie  sie  das  h.  Kreuz, 
welches  den  Gott  getragen  hat,  für  ein  einfaches  Holz  halten; 
denn  sie  sind  verblendet,  so  dass  sie  dessen  verborgene  Kraft 
nicht  sehen,  gleichwie  die  Thondrakier.  Proteron(?)  hat  das  h. 
Kreuz  Christi  geschmäht  und  gelästert  und  von  sich  selbst,  ge- 
sagt, dass  er  die  Kirche  sei  —  das  Kreuz  und  die  Kirche  aber 
nannte  er  der  Gottheit  fremd,  wie  die  Thondrakier,  und  liess  nicht 
Messopfer  für  die  Verstorbenen  in  Christus  darbringen;  bei  der 


]()      Harnack,  Zur  UtarUeferungegfetfChichte  der  altchristl.  Litteratur. 

Taufe,  sagte  er,  giebt  es  keinen  h.  Geist;  er  selbst  aber  ergab 
sich  der  Fleischeslust  und  trieb  Grässliches." 

S.  200  Z  20.  Die  Schrift  des  Hermogenes  folgt  aus  Terbul. 
adv.  Hermog.  1.  2. 

S.  202.  Apotaktiker  auch  bei  Julian,  Orat.  VII  p.  224  BC. 

8.  214.  Ein  sonst  unbekanntes,  zu  der  pseudoclementinischeu 
Litteratur  gehöriges,  lateinisches  Stück  bringt  Grabe  (Spicil.  1 
p.  299);  es  findet  sich  ad  calcem  lib.  X.  annex.  im  Cod.  BodL  105 
super  I)  1.  Art.Inc.:„Quibus  cognitis  Petrus",  expl.:  „sanitati  restituit." 

S.  219.  Die  hier  abgedruckte  Stelle  ist  nicht  einem  Citat  des 
Origenes  entnommen,  s.  Robinson,  Philocal.  p.  L.  Der  Text  ist 
nach  1.  c.  p.  210  sq.  zu  verbessern.    Einleitung:  THxqov  xov  ajto- 

ÖZoZoV  ....   XCOV  JISQL  XOVXOV    ZoyOJV    (p7]ö\.       S.   219    Z.   1.  9  CO    ZU 

tilgen,  Z.  3  kue  statt  [iol,  Z.  15  Igel  601,  Z.  20  övvmv,  Z.  22  r}, 
Z.  23  dovpöerog,  S.  220  Z.  14  koxiv,  Z.  19  jtQOOtptQofisv ,  Z.  34 
6xi  rjöe  ....  rote,  xb  (ivOxtiqlov,  Z.  36  aus  Rufin  ist  zu  ergänzen 
nach  ZoycOfiov:  evloxe  övy/ojQrjOavxeg  xf]  sjvt&vfiia  rjxxrjfiefra, 
Z.  38  aoxQoloyoi,  Z.  41  xZifriaxxrjQaq,  Z.  45  xcu  o  jzaxrjQ,  Z.  47  eijteq. 

S.  238.  Zu  §  9  vgl.  Zahn,  Forsch.  V  S.  3 ff.  Auf  montani- 
stische Schriften  ist  auch  aus  Fragm.  Murat.  extr.  und  Tertull.,  de 
ieiun.  11  init.  12.  13  zu  schliessen. 

S.  240  Z.  20  setze  ein  Fragezeichen  zu  „Bischof".  Z.  24.  In 
diesem  Stück  wird  ein  Presbyter  Zoticus  aus  Otrus  erwähnt,  s. 
Zahn  V  S.  64.  Z.  7  v.  u.  Genannt  werden  (h.  e.  V,  16,  17)  Zoticus 
von  Kumane  (s.  Zahn  V  S.  94)  und  Julian  von  Apamea,  ferner 
die  Prophetin  Ammia  (h.  e.  V,  17,  2.3).  Z.  5  v.  u.  Der  Anonymus 
war  entweder  Bischof  oder  Presbyter. 

S.  241  Z.  22.   Zoticus  von  Kumane  h.  e.  V,  18,  13. 

S.  243.  Schalte  als  §  15b  ein:  Voten  thracischer  Bi- 
schöfe im  montanistischen  Streit.  Sie  sind  in  dem  Schrei- 
ben des  Apollinaris  von  Hierapolis  enthalten  gewesen;  aus  diesem 
entnahm  sie  Serapion  (Euseb.,  h.  e.  V,  19),  aus  diesem  Eusebius 
(1.  c),  s.  Zahn,  Forsch.  V  S.  4  ff.:  *Ev  xavxr}  61  x\i  xov  Saga- 
jtiojvog  ejiiöxoZy  xal  vjcoöt]fi£io)06ig  cpioovxai  öiacpoQOJV  ijzi- 
öxojtcov,  cov  o  fitv  xig  coöe  jrcog  vjioöeoqfAzicyxcu'  AvQrjZtoc 
KvQrjvwg  fiaQtvq  tQQfoö&cci  Vfiäg  Ev^ofiat.  O  6i  xtg  xovxov  xov 
xgonov  AiZiog  IlovjtZwg  'iovZiog  djto  AeßeZxov  (s.  Zahn  S.  6) 
xoZowtiag  xyg  0Qaxfjg  ejrlöxojiog'  Cr/  6  x)zog  o  lv  xolg  ovga- 
votg,  oxi  JSwxag  6  f/axagtog  6  ev  'AyxiaZm  /jVtZrjOe  xov  öaiflova 


Harntick,  Zur  IJberlieferungsgeschichte  der  altchristl.  Litterntur.      ]  \ 

tov  IloiGxiXXrjg  ixßaXelv,  xal  ol  vjtoxoiTal  ovx  ayf/xav.  Kai 
r.XXrov  de  jtXewvoov  top  aQid-fiov  ijrtöxojtatv  ov[iif>7J<poH>  TOVTOig 
iv  xolq  ö)jXa>{reiüi  yoaf/ftaöiv  avToygacpoi  (ptgovrai  GypeicoGeiQ. 

S.  243.  Zu  §  17  (Name  „Apollinaris")  s.  Zahn,  Forsch.  V 
S.  99  ff.  Z.  14  v.  u.  lies  „den  Brief1  statt  „die  Schriften''.  Z.  13 
v.  u.  Die  Stelle  lautet:  Qjtatg  öe  xal  rovzo  eldr/ze,  ort  rr/g 
tpevöovq  ravrf]g  ra^ecog  Ttjg  ijciXtyofjivrjg  viag  jcQocpr/rdag 
ißöiXvxtai  >/  ivioyua  jiaoä  jtäot]  rf/  iv  xodficp  aöeXcpoTrjTi 
[das  konnte  man  also  aus  dem  Schreiben  des  Apollinaris  ersehen, 
mithin  berichtete  es  über  eine  grössere  Synode,  s.  die  Unterschriften,, 
jitjioiiqa  vfitv  xal  KXavdlov  'AjioXXivaoiov  tov  fiaxaniov  yevo- 
fievov  iv  JepajzoXer,  Tfjg  Aoiag  ijziöxojcov  yQäfif/aza. 

S.  244  Z.  5.  S.  Zahn  V  S.4.  Z.  8  lies  „Schreiben4'  statt  Werk. 

S.  258.  Den  Athenagoras  hat  man  mit  Athenogenes,  den 
Märtyrer  und  Dichter  eines  Hymnus  —  nur  Basilius  nennt  ihn; 
s.  über  ihn  unten  z.  S.  795  —  identificiren  wollen  (s.  Baronius 
im  Martyrol.  z.   16.  Juli   und  Tillemont,  Mem.  II  p.  673). 

S.  258  f.  Zu  Abercius  =  Avircius  s.  Zahn  V  S.  94;  die 
bischöfliche  Würde  des  Abercius  ist  fraglich.  Über  die  Über- 
lieferung der  Vita  Abercii  des  Metaphrasten  s.  Zahn  S.  58  f. 
Unter  den  Addenda  der  2.  Aufl.  (18S9)  seiner  Ausgabe  des  Ignatius 
und  Polykarp  (II  p.  726)  soll  Lightfoot  bemerken:  „I  have  heard 
recently  from  Prof.  R.  Harris,  that  a  Ms.  of  an  earlier  form 
of  the  Acts  of  Abercius,  before  it  was  manipulated  by  the  Meta- 
phrast,  has  been  discovered  in  the  East  and  that  it  will  shortly 
be  published  in  Greece."  Aber  nach  Zahn  V  S.  57  ist  das  bis- 
her nicht  geschehen.  Die  Christlichkeit  der  Abercius -Inschrift 
wird  Ficker  demnächst  zu  widerlegen  versuchen. 

S.  259  Z.  4  lies  „gesetzt  hat".  Der  Erzähler  hat  es  selbst 
gesehen  (c.  41):  tcc  fiev  Örj  tov  ijtiyQafc^aTog  coöe  jtwg  ejtl 
Xe$ewg  dxw,  otl  fir/  6  XQ^V0(i  v<ptlXe  xaT  oXlyov  T?jg  dxQt- 
ßriag  xal  7j  ftaQTrifiev  wg  exeiv  ttjv  yoacprjv  jcaoeGxevaGev.  Z.  15 
Alexander,  Sohn  des  Antonius.  Z.  17  füge  hinzu  nach  Juli: 
p.  518.  Z.  18  Bull,  critique  1882.  Z.  21  am  Schluss  18S7  p.  468  f. 
Z.  5  v.  u.  lies  „on"  statt  „of".  Vgl.  zu  dem  ganzen  Abschnitt: 
Ramsay  im  Expositor  1888.  1889,  De  Rossi, .  Inscr.  Christ. 
urbis  Rom.  II,  1  (1888)  p.  Xllsq.,  Zahn,  Forsck  V  S.  57  ff. 

S.  262.  Ein  besonderes  Schreiben  der  Gemeinde  an  Eleu- 
therus  macht  Zahn  V  S.  7  wahrscheinlich,  s.  Euseb.,  h.  e.  V,  3,  1  sq. 


12      Hurnack,  Zur  Überlieferungsgenchichte  der  altchristl.  Litteratur. 

S.  263.  Die  lat.  Übersetzung  hat  einen  Prolog  von  Florus 
diaconus  Lugd.  (bei  Harvey,  Iren.  Opp.  I  p.  CLXXVII).  Inc.: 
„Hyrenaeus  episcopus  civitatis  Lugdunensis,  instructus."  Über 
das  Verhältniss  der  lat.  Übersetzung  zum  Original  s.  Sitzungsber. 
der  K.  Preuss.  Akad.  d.  Wissensch.    9.  Nov.  1S93. 

S.  279.  In  jüngeren  gallischen  Märtyreracten  kommt  Irenäus 
öfters  als  gallischer  Oberbischof  vor,  s.  z.  B.  die  Acten  des  Felix, 
Fortunatus  usw.  (Bolland.  23.  April  p.  99).  Langen  (Rom. 
Kirche  I  S.  173)  meint,  Hugo  Eterianus  (um  1170)  habe  in  der 
Schrift  de  haer.  Graec.  III,  16  das  berühmte  Zeugniss  des  Irenäus 
über  die  römische  Kirche  benutzt.  Nach  Malalas  (p.  296)  soll 
Irenäus  (Fabelhaftes)  über  das  Ende  des  Ap.  Johannes  berichtet 
haben. 

S,  288.  Cramer  (Cat.  in  Matth.  et  Marc.  p.  499)  theilt  mit, 
dass  im  Cod.  Harlei.  5647  saec.  X  (vier  Ew.,  Schoben  z.  Matth. 
u.  Marc.)  zu  Marc.  16,  19  steht:  ElQrjvaZog  6  rmv  ajioöxolcov 
jzXyjöiov,  ev  tw  jrgog  rag  aiQedeig  y  Xoycp  rovro  ävfjveyxev  ro 
qtjtov  cog  Magxco  eigr/fievov  (Iren.  III,  10,  6). 

S.  291.  Das  Capitel  „Christlich-ägyptische  Litteratur"  könnte 
man  mit  der  Notiz  bei  Justin,  Apol.  I,  29,  beginnen:  BißZidiov, 
o  avedmxev  ng  ^(.lexegcov  ev  ^AXe^avögeia  ^rjXixi  rjyef/ovavovzt 
a§io)V  Ejcirgeipcu  iargco  rovg  fhövfiovg  avrov  ä<peZeiv  .  .  .  xal 
(irjöoAcog  ßovfojdevTog  <Pr/hxog  vjioyQarpai  .  .  . 

S.  297.  Der  S.  XXXIV  genannte  Clemens  ist  vielleicht  der 
Alexandriner  (Zahn,  Forsch.  V  S.  154,  der  ausserdem  erinnert, 
dass  Anastasius  Sin.  bei  Pitra,  Anal.  II,  208,  sagt,  Clemens  habe 
Bibelhandschr.  angefertigt  und  interpungirt 

S.  299  Z.  14.  Die  Hdschr.  ist  nicht  verschollen,  sondern  = 
Monac.  Gr.  479  (cf.  Ottob.  94  und  Neapol.  II  A  14). 

S.  303.  In  der  Bibliothek  des  Klosters  S.  Salvatore  zu  Messina 
befanden  sich  nach  einem  Katalog  v.  J.  1563  (s.  Batiffol, 
Rossano  p.  141)  „Clementis  Alexandrini  onomata". 

S.  327.  Zu  dem  Chronographen  Judas  s.  die  vorstehende 
Abhandlung  von  Schlatter. 

S.  328  Z.  25.  S.  auch  die  griechische  Uebersetzung,  von  der 
Photius  abhängig  ist. 

S.  329  unten.  Auch  Origenes'  Werk  über  die  Psalmen  war 
dem  Ambrosius  gewidmet,  den  Origenes  als  einen  der  eQyoöiwxrat 
rov  freov  bezeichnet  hat  (in  Joh.  V  p.  94  de  la  Rue). 


Harnack,  Zur  Oberlieferungsgeschichte  der  altchristl.  Litteratur.       13 

S.  331.  Ein  Brief  an  Demetrius  bei  Euseb ,  h.  e.  VI,  19,  15: 
Kaxa  xovxov  öh  xov  %qovov  kx  'AXegavöoeLag  avxqy  (seil.  Ori- 
genes)  rag  öiaxgißäg  jtoiovfisvqj  hjtiöxäg  xig  xojv  öxgaxicoxixwv 
aveölöov  ygdfifiaxa,  A/j^xglm  xe  xm  xrjg  jtagoixiag  Iüilöxotko 
xal  xüj  xoxe  xrjg  Alyvjtxov  tjtdgxco  jiagd  xov  xrjg  'Agaßiag 
fjyov/iBPOV,  cog  dv  fiexä  öjiovörjg  anaörjg  xov  ÜQiyivtjv  Jttfi- 
xpoiev  xotvcovrjoovxa  Xoycov  avxcp.  Auf  einen  Brief  des  Deme- 
trius, der  in  Cäsarea  eintraf,  als  Origenes  schon  dort  war,  spielt 
0.  in  Joh.  VI,  1  (p.  101  De  la  Rue)  an:  inuxa  xov  Lx&gov 
jzixgoxaxa  rjficov  xaxaöxgaxsvoafiavov  öid  xmv  xaivwv  avxov 
yoafifiaxcov,  xmv  äZr)&o5g  sx&gcov  xeo  svayyeXicp,  xae  navxag 
xovg  hv  Alyvjixro  dvdfiovg  xrjg  jtovqgiag  xa&y  rjfio3v  eysigavxog. 
Wahrscheinlich  meldete  der  Brief  den  Beschluss  der  2.  alexan- 
drinischen  Synode. 

S.  333.  In  seiner  Jugend  hat  Origenes  viele  heidnische 
Schriften  abgeschrieben  und  dann  verkauft,  s.  Euseb.,  h.  e.  VI,  18. 

S.  337  Z.  23.   öiog&woa. 

S.  340.  Zum  N.T.  hat  Origenes  keine  Recension  geliefert 
(s.  darüber  Redepenning,  Orig.  II  S.  182 f.);  er  sagt  in  Matth. 
tom.  XV,  14:  vwl  öh  örjXovoxi  JtoXXr)  yeyovsv  r]  xeov  dvxr/gd- 
<pcov  öiatpogd,  eixe  djtö  gafrvftlag  xivcov  ygcupecov,  dxe  emo 
xotyijg  xivcov  fiox&r/Qag  xrjg  öiogdojoscog  xojv  ygaq)0[itvcov,  slxe 
xal  ajto  xciov  xd  tavxolg  öoxovvxa  ev  xy  ötog&cQOei  jtgoüxt- 
divxcov  rj  dcpacgovvxojv.  Nach  der  lateinischen  Übersetzung 
heisst  es  (nachdem  Origenes  angekündigt,  er  wolle  den  Text  des 
A.T.  recensiren):  „in  exemplaribus  autem  N.T.  hoc  ipsum  posse 
facere  sine  periculo  non  putavi."  Im  Griechischen  fehlen  diese 
Worte.  S.  auch,  was  zu  S.  439.  544  über  Codd.  Origenis  be- 
merkt ist.  Redepenning,  a.  a.  0.  II  S.  183 f.  nach  Griesbach, 
Dissert.  de  codd.  IV  evv.  Origenianis.  Opusc.  I  p.  235  sq. 

S.  358  Z.  34   lies   statt   „Proverbia"   vielmehr  „Prophetas11. 

S.  366  Z.  27.  S.  Zahn,  Forsch.  II  S.  275  ff.  (Orig.  u.  Hieron. 
zu  Matth.). 

S.  377  unten.     S.  Redepenning,  a.  a.  0.  II  S.  57. 

S.  385  Z.  22.     S.  Redepenning,  a.  a.  0.  I  S.  458 ff. 

S.  389.  Zahn,  Forsch.  V  S.  112  theilt  mit:  Barhebräus  citirt 
in  seinem  Nomokanon  (Assemani  bei  Mai,  Script,  vet.  nova 
coli.  X,  2  p.  54)  in  den  Anmerkungen  zum  81.  (85.)  apostolischen 
Kanon  über  die  h.  Schriften  unter  anderen  Autoritäten  (Dionys. 


14      Harnaek,  Zur  Übefflieferangegeschichte  der  altchristl.  Litteratur. 

Alex.,  Athanasius)  auch  den  Origenes.  Nachdem  er  dessen  An- 
sicht über  den  Hebräerbrief,  wahrscheinlich  nach  Euseb.  h.  e. 
VI,  25,  referirt,  fährt  er  fort  oder  lässt  scheinbar  den  Origenes 
fortfahren:  „Recipiuntur  autem  in  ecclesia  et  Revelatio  Pauli 
cum  revelationibus  aliis  et  Doctrina  apostolorum  et  Epistolae 
[sie]  Barnabae  et  Thobia  et  Pastor  et  Bar  Asira  (=  Jesus  Sirach). 
Sed  librum  Pastoris  ac  Revelationem  Johannis  multi  non  reci- 
piunt."  Wenn  das  von  Origenes  stammt,  so  muss,  wie  Zahn 
mit  Recht  bemerkt,  „Revelatio  Petri"  gelesen  werden,  und  zwar 
sowohl  für  „Pauli"  wie  für  „Johannis".  —  S.  389  Z.  17  v.  u. 
S.  auch  den  Abdruck  bei  Redepenning,  a.  a.  0.  II  S.  465  ff. 

S.  393  Z.  19.  Darnach  W  et  stein.  Cod.  Venet.  45  hat  einen 
vollständigeren  und  besseren  Text  als  die  bisher  verglichenen 
[Dr.  Koetschau,  briefliche  Mittheilung]. 

S.  394  Z.  18.  Hdschr.  der  Philocalia  bei  Robinson  (The 
Philocalia  of  Origen.  1893):  Venet.  47.  48.  Vatic.  389.  Berol.- 
Phillipps.  19  (1423).  Patm.  270.  Paris.  SuppL  615.  Basil.  A.  III.  9. 
Paris.  945.  Monac.  523.  Constantinop.  453.  Ottob.  410.  67.  Bodl. 
Roe  8.  Cantabrig.  Trin.  Coli.  0.  1.  10.  Venet.  122.  Monac.  52. 
Taurin.  B.  I.  6.  Vatic.  385.  388.  429.  1454.  1565.  Athen.  191. 
Paris.  456.  457.  458.  459.  940.  941.  942.  943.  Mediol.  A.  165.  H. 
101.  Oxon.  New  College  147.  Leidens.  61.  67.  Florent.  Laur. 
KK.  I.  39.  Florent.  Riccard.  K.  I.  13.  Vatic.  Regin.  3.  Taurin. 
B.  VI.  25.  Vindob.  Gr.  53.  Barberin.  III.  84.  Bodl.  Savü.  11. 
Mosq.  12  (und  drei  andere). 

8.  396  Z.  18.     S.  Ziwsa,  Optati  Opp.  p.  XIV sq. 

S.  405.  In  der  Bibliothek  des  Klosters  S.  Salvat.  zu  Messina 
befand  sich  nach  einem  Katalog  v.  J.  1563  (s.  Batiffol,  Rossano 
p.  141):  „Origenis  commentaria  philosophos  gentiles  [sie]  aliaque 
Philonis  Judaei  opp." 

S.  409  oben.  Gregor  Nyss.,  Vita  Gregor.  Thaum.  (Bd.  46 
p.  905  Migne)  erzählt,  dass  Gregor  mit  Firmilian  (<PiQ[iiliavog 
tcop  svjtazQiödjv  Kajzjiaöoxag,  xoOfiog  rrjg  IxxXrjöiag  rcov  Kai- 
oayeojv  ysvofievog)  befreundet  gewesen  ist. 

S.  409  Z.  22  v  u.    Lies  Jwvvocog. 

S.  425  Z.  8.  Turrianus  schöpfte  aus  dem  Vatic.  1431- 

S.  429  Z.  6  v.  u.  Dräseke  hat  a.  a.  O.  eine  Ausgabe  geliefert. 

S.  430  ad  6).  In  dieser  Schrift  kommt  ein  Isokrates  vor,  den 
Dräseke   (Ges.  patrist.  Abh.  1889    S.  162ff.)  =  Sokrates    fasst 


Uarnack,  Zur  überlieferuiigsgeschichte  der  altchriatl.  Litterafcar.       \  ;> 

und  ihn  mit  den  2a>xQaxiccvoi  im  Dial.  de  recta  in  de  um  fiele  l 
sombinirt.  Diese  hält  er  für  Anhänger  eines  damaligen  Schülers 
des  Marcion,  Sokrates.  Das  ist  sehr  fragwürdig;  es  ist  hier  wohl 
ler  alte  Sokrates  gemeint,  ebenso  wie  bei  Epiphan.  Pariar.  I  t  II 
Einl.  cap.  6:  2mxQaxtxai. 

S.  431  ad  9).  Nach  Dräseke  (a.  a.  0.  S.  87 ff.)  stammt  das 
Stück  von  Vitalius  von  Antiochien. 

S.  431   ad  11).  Inc.:  „Ich  wundre  mich  sehr." 

S.  431  Z.  2  v.  u.  Über  das  Stück  in  Brit.  Syr.  Add.  14577  s. 
Lagarde,  1.  c.  und  Ryssel,  a.  a.  0.  S.  53f. 

S.  432.  Fabricius,  Bibl.  Gr.  VII  p.  258  bemerkt:  „In  Cod. 
Media  XXVI  plut.  9  in  expositione  divinorum  ^raeceptorum  e 
multis  scriptoribus  collectorum,  tum  in  cod.  VIII.  nr.  20  plut.  86 
inter  excerpta  de  spiritu  s.  theologica,  Gregorii  Thaum.  Ix  xyc, 
ajtoxaXvxpbcoq.  ex  xfjc  xaxa  fitgog  Jtiorecog  et  Ix  vov  Xoyov,  ov 
?l  o.Qxq'  'Eyßioxoi  xal  aXXbxQioi.  Precatio  et  exorcismus  ad 
vexatos  ab  immundis  spiritibus  aut  malis  daemonibus  (TlQOöevyr} 

—  Elg  evoyXovfzevovc  vjio  jcvevfzdxcov  axafraQxcov,  nr.  71  aut 
vjto  öai{u6vooi>  jzovtiqwv,  in  alio  eiusdem  exorcismo,  er.  73)  in 
cod.  regio  Matrit.  CV.  (in  quo  plurium  scriptorum  eccles.  exor- 
cismi  sunt  collecti),  fol.  73.  v.  Iriarte  cat.  codd.  Gr.  etc.  p.  422  sq. 

—  Montfaucon  in  Bibl.  mss.  II  p.  1398  D  memorat  Cod.  Gr. 
bibl.  reg.  Taurin.  Gregorii  Thaum.  opusc.  De  angelis,  cuius  nullam 
notitiam  aut  mentionem  deprehendi  in  catal.  Codd.  Gr.  illius  biblio- 
thecae.  —  In  Cod.  Gr.  VIII  nr.  22  Uffenbachiano  inerat  Gregorii 
Thaum.  Narratio  de  CCXII  patribus  Beryti  congregatis.  Inc.: 
rQTf/oQioq  ev  xvqio?  ya'iQow  xal  ygaxpaq  Tjfilv  xolq  öiaxooloiq 
Öccöexa  ayicoxäxoiq  ejtioxojtocq.  v.  Jo.  H.  Maii  Biblioth.  Uffen- 
hach.  ms.  col.  432.  In  catal.  Codd.  Angliae  et  Hiberniae  in  cod. 
VIII.  Barocc.  citatur  Liturgia  Gregorii  Dialogi:  ojioxav  6  leQevq, 
et  in  indice  tribuitur  Gregorio  Thaum"(!). 

S.  432  ad  e)  Inc.:  „Wahnwitzig  und  ohne  Verstand." 
S.  432  ad  c)  Inc.:  „Ego  in  omnibus  tria." 
S.  436  Z.  16.  Lies  1880. 

S.  439  Z.  16  v.  u.  „Exemplaria  Adamantii"  auch  bei  Hieron. 
im  Comm.  zu  Gal.  3, 1. 

S.  443  Z.  20.  Über  die  NTliche  Recension  des  Hesychius  s. 
jetzt  Bousset  i.  d.  Texten  u.  Unters.  XI,  4  S.  75 ff. 


K)     Harnack,  Zur  QberlieferuagsgeBchichte  der  altchrutL  Litteratur. 

S.  459.  Ira  Cod.  Vindob.  bist.  Gr.  7  fol.  12  steht  zwischen 
einem  Abschnitt  =  Const.  App.  V11I,  42 — 40  und  vor  einem  Ab- 
schnitt =  Const.  App.  VIII,  32  ein  Stück,  welches  =  Aegypt.  KO 
c.  47  und  Hippol.  Can.  arab.  32.  Überschrift:  lIe(A  PijOTEMOV.  Inc.: 
XrjQat  xal  jcayd-tvoi,  expl.  uzavTcaq  ytvexat  (s.  Funk,  Tüb.  Quar- 
talschr.  1893  S.  665). 

S.  470  Z.  20.   Lies  Cod.  1280. 

S.  471.  Überschrift:  Methodius. 

S.  478  Z.  13.  Zur  Rede  „in  Hypapanten"  s.  Batiffol,  Ros- 
sano  p.  145. 

S.  480  Schluss:  Nr.  38  In  den  Canones  von  Nicäa  2.  5.  6.  9. 
10.  13.  15.  16.  18.  (19.)  wird  auf  ältere  Canones  (wohl  hauptsäch- 
lich alexandrinische)  verwiesen;  vgl.  ausserdem  agxala  l&rj  (ovv//- 
&£ia)  c.  6.  7.  18  (jtaQCcöoöig  aQxala)  und  öoyfiaxa  x.  xa&oZix?JQ 
x.  djtoöz.  IxxXrjöiac,  c.  8. 

S.  483.  Über  die  alte  jerusalemische  Bischofsliste,  nament- 
lich über  das  Zeugniss  bei  Epiph.  h.  66,  20,  s.  die  vorstehende 
Abhandlung  von  Seh  latter. 

S.  485.  Vgl.  zu  Hegesipp  das  GL  S.  926  Bemerkte  sowie  den 
Katalog  von  Iwiron  (Athos)  nr.  1280  saec.  XVII  (Meyer,  Ztschr. 
f.  KGesch.  XI  S.  155f.):  'ilyrjöljznov  xov  im  xolg  ygovotq  xeov 
cuzoöxoXgjv  axfiaoavxog  vüzo^ivijiiaxcov  e.  Zahn  i.  Theol.  Lit. 
Blatt  1893  Nr.  43,  der  auch  auf  die  konstantinop.  Kataloge  saec. 
XVI,  die  Förster  herausgegeben  hat  (Rostock),  verweist. 

S.  494.  Resch  (Texte  u.  Unters.  X;  2  S.  56)  macht  aufmerk- 
sam, dass  Hall  im  Journ.  of  Bibl.  Litt.  1891  X  p.  153 — 155  zwei 
Citate  aus  dem  Diatessaron  bei  Barhebräus  und  —  durch 
Vermittelung  Ebed  Jesu's  —  bei  Jesudad  nachgewiesen  hat.  Sie 
bezeugen  beide,  dass  Tatian  Mtth.  3,  4  gelesen  hat:  ?}  ös  XQog)// 
avxov  ijv  yaXa  xal  [i£li  ajQtov.  —  In  den  Ew.  Cureton's  heisst 
das  Matth.-Ev.  in  der  Überschrift:  „Getrenntes  Evangelium  des 
Matthäus." 

S.  496  Z.  12.    Lies  Abdullah. 

S.  496.  Hill,  The  earliest  life  of  Christ  ...  Diatessaron  of 
Tatian.  Edinburgh  1894. 

S.  504  Z.  22.  Zahn  hat  mit  Recht  diese  Voten  dem  Brief 
des  Apollinaris  zugewiesen  (Forsch.  V  S.  4 ff.). 

S.  507  Z.  6 f.  S.  die  Untersuchung  dieses  Stückes  und  ähn- 
licher Angaben  bei  v.  Dobschütz,  K?]Qvy{ta  IHxqov  1893. 


Harnack,  Zur  Überlieferungsgeschichte  der  altchristl.  Litteratur.       17 

S.507  Z.21.  Basilius  citirt:  tvxq3  e  rijg  xwv  xQovmv  ejiLxo^ijg. 

S.  524  Z.  20  v.  u.  Dazu  eine  syrische  Übersetzung  und  eine 
Notiz  im  Liber  Chalifarum  (Land,  Anecd.  Sjr.  I  p.  19  des  syr. 
Texts,  p.  118  der  lat.  Übersetzung). 

S.  527.  Martyr.  Hieron.:  „VII  Id.  Januar.:  in  Nicomedia  Lu- 
ciani  presbyteri,  qui  in  quattuor  partes  divisus  est."  Hieron. 
Chron.  z.  ann.  330:  „Drepanum  Bithyniae  civitatem  in  honorem 
mart.  Luciani  ibi  conditi  Constantinus  instaurans  etc." 

S.  529  Z.  20.  Tilleinont  und  Batiffol  haben  sie  beanstandet. 

S.  543.  Zu  Pamphilus  s.  Bousset,  Texte  u.  Unters.  XI,  4 
S.  45 ff.:  „Der  Codex  Pamphili." 

S.  543  Z.  3  v.  u.    Lies  xoiavxrj. 

ß.  544  Z.  1  xo  tevxoq,  Z.  2  [irj  ßaov,  Z.  3  svoeiv  {avxijQa- 
(pov)  ov  oadiov,  öiecpcovrj  de  xo  avxo  ütaXaicoxaxov  ßtßZtov  jiqoq, 
xoöe  xo  xevyoo,  etq  xa  (xiva)  xvoia  ovofiaxa,  Z.  6  ytyyafifievov 
avxov ,  Z.  8  (ejiLöxokwv),  Z.  9  statt  xai  lies  rov.  S.  Zacagni. 
Collect,  monum.  vet.  Rom.  1698  p.  513.  Z.  15  lies  Patm.  270,  cf. 
Robinson,  Philocalia  p.  XVII.  Z.  17 f.  lies  dioQ&coöavxo.  —  Der 
Cod.  Bibl.  Neapol.  II  Aa  7  (XII.  saec.  ?)  enthält  Acta  bis  Apocal. 
Gregory  (p.  627  minusc.  83)  schreibt:  „Textum  olim  cum  codice 
Pamphili  Caesareae  conlatum  esse  profitetur.    Evagrius  scripsit." 

S.  545  oben.  Hieron.,  Praef.  in  Paralip.:  „Mediae  inter  has 
provinciae  Palaestinos  Codices  legunt,  quos  ab  Origene  elaboratos 
Eusebius  et  Pamphilus  vulgaverunt." 

S.  545  Z.  20.  Dass  die  Bibliothek  noch  im  6.  Jahrhundert  be- 
standen hat,  ist  wahrscheinlich;  damals  ist  der  Cod.  H  geschrieben. 

S.  565  Z.  24.  Die  Schrift  ist  einem  Bischof  Theodotus  gewidmet. 

S.  570 f.  Die  Stücke  S  IV,  6  u.  V,  38  auch  im  Cod.  Vindob. 
theol.  Gr.  (Lambec.  42,  Nessel  71). 

S.  573  Z.  21.  Syrisch  giebt  den  Brief  Gwilliam  (Stud.  Bibl. 
Oxf.  II  p.  254ff.)  nach  Tetraev.  Florent.  I  u.  II  Plut.  I  nr.  56.  58. 
Mus.  Brit.  Add.  17213.  17224.  Par.  Syr.  33  (auch  im  jüngeren  Cod. 
Ridl.  Oxf.  New  College;  einst  hat  er  wohl  auch  im  Syr.  Vatic. 
v.  J.  548  gestanden).  Lateinisch  in  Vulg.-Codd.,  s.  auch  Hieron. 
ep.  ad  Damas. 

S.  576  oben.  Im  Cod.  A  sind  dem  Psalter  vorangestellt  Eu- 
sebii  in  psalmos  hypotheses. 

S.  584.  Katalog  von  Iwiron  (Athos)  nr.  12S0  (Meyer,  Ztschr. 

f.  KGesch.  XI  S.  155 f.):   Evöeßiov  zrjq  y.iöaQuaq  ßißXoc  JttQi  xjjq 
Texte  u.  DntersuchuDgen  XII,  1.  9 


lg      llamack,  Zur  OberlieferungH^csclucJite  der  altchriltL  Litteratur. 

T(ßv  tvuyyiXiov  diacpcc  .  .  (?)  dg  rov  jiQO(p?'/Tr/v  rjoalav  Xöyoi  r. 
xovrd.  Jco(t(pv()iov  Xoyoi  X' .  tojilxov  Xoyog  a.  ajioXoyla  vxiq 
coQiyivovg.  X£(>1  fiiov  jiaiiqAXov  rov  {taprvQog  Xoyoi  y .  jeeoi 
(laQTVQiov  (?).    dg  rovg  qv    tyaXfiovc  vjiofivr/fiaza. 

S.  585  Z.  22  v.  u.    Cf.  Batiffol,  Rossano  p.  137.  144. 

S.  590.  Zu  Apollonius'  neuentdeckter  Rede,  die  vielleicht 
schon  Tertullian  und  das  Mart.  Ignat.  Vatic.  benutzt  haben,  s. 
Sitzungsber.  der  K.  Preuss.  Akad.  d.  Wissensch.  27.  Juli  1893  und 
Seeberg  i.  d.  Neuen  kirchl.  Ztschr.  1893  H.  10  S.  836ff. 

S.  591  Z.  7  v.  u.  Auch  die  lugdunensische  Gemeinde  hat  sich 
nach  Zahn,  Forsch.  V,  S.  7,  an  Eleutherus  brieflich  gewendet. 
—  Z.  5  v.  u.  Nach  Zahn  V  S.  56  soll  Victor  der  Verfasser  sein. 

S.  592  Z.  1 7.  Epiph.  h.  55,  8  findet  sich  eine  wichtige  theodo- 
tianische  Satzgruppe  wörtlich,  s.  besonders  den  Abschnitt:  Kai 
Xqiotoq  [itv  tgsXtyr]  —  rijg  evXoyiag. 

S.  592  Z.  11  v.  u.  Zu  Theodotus  bemerke:  Iv  naiöeia  ^EXXrj- 
vtxjj  axQog,  jioXvfiafrrjg  rov  Xoyov. 

S.  598  Z.  3.  Ein  Chirographen  des  Praxeas  wird  von  Ter- 
tullian adv.  Prax.  1  erwähnt. 

S.  605.  Zu  Kaliist:  Im  Lib.  Pontif.  (Duchesne  I  p.  141)  wird 
dem  Kallist  ein  Fastenedict  beigelegt:  „Hie  constituit  ieiunium 
die  sabbati  ter  in  anno  fieri,  frumenti,  vini  et  olei,  seeundum 
prophetiam."     Zu  Kallist  s.  auch  Theodoret,  h.  f.  III,  3. 

S.  605  Z.  20  v.  u.  Schiebe  nach  39  ein:  39b)  Aoyog  eig  rovg 
ovo  Xrjöxdg 

S.  626  zu  21).  Wohl  schon  benutzt  in  Pseudocypriaii's  Schrift 
de  pascha  computus. 

S.  629.  Katalog  von  Iwiron  (Athos)  nr.  1280  (Meyer,  Ztschr. 
f.  KGesch.  XI  S.  155 f.):  rov  ay.  'IjijzoXvtov  Xoyoi  diäyoQoi  xal 
LütiGToXal  dg  zf/v  ddav  yQa<pr\v. 

S.  639  zu  36).  Ein  neues  Stück  des  Danielcommentars  hat 
Achelis  in  Paris  gefunden. 

S.  640.  Zahn,  Forsch.  V  S.  120  hält  den  „kleinen  Daniel", 
den  Hippolyt  nach  Ebed  Jesu  commentirt  haben  soll,  für  ein 
altes  Apocr.  Danielis.  Lightfoot  (Clement  II  p.  350 f.  390)  weist 
auf  eine  syrische  Hdschr.  bei  Wright,  Cat.  of  syr.  mss.  I,  19, 
cod.  miscell.  saec.  XII.,  die  hinter  den  deuterokanonischen  Zuthaten 
zu  Daniel  ein  Fragment  enthält  „aus  dem  kleinen  Daniel  über 
unsern  Herrn  und  das  Ende  (der  Welt)." 


Harnaok,  Zur  tberlieierungsgeschichte  der  altchristl.  Litteratur.      ]Q 

S.  642  Z.  8  v.  u.    S.  Zahn,  Kanonsgesch.  I  S.  320  n.  2. 

S.  640  Z.  12  v.  u.   Lies  1893  II,  2. 

S.  653  Z.  14.  15.    Erwähnt  in  der  Schrift  de  cibis  Jud.  1. 

S.  653  Z.  29.  De  trinitate  ist  wohl  noch  vor  dem  Schisma 
geschrieben,  de  cibis  Jud.  von  einem  secessus  aus  an  die  römische 
novatianische  Gemeinde,  ebenso  wie  de  sabbato  und  de  circumcis. 

S.  053  Z.  15  v.  u.  Tilge  den  ersten  Satz.  Die  Schrift  existirt 
noch  im  Cod.  Petropol.  Q.  v.  I.  39  (unmittelbar  vor  der  lat.  Über- 
setzung der  ep.  Barnabae).  Diese  Zusammenstellung  giebt  um- 
somehr  zu  denken  (s.  auch  Zahn,  Kanonsgesch.  I  S.  324  n.  1),  als 
die  Titel  der  kleinen  Schriften  Novatian's  z.  Th.  auf  die  Leetüre  des 
Bamabasbriefs  hinweisen.  Über  den  Codex  s.  13  eis  heim,  Ep. 
Jacobi  1883  und  Wordsworth,  Stud.  Bibl.  Oxf.  1885  I  p.  113f. 
Unter  dem  Attalus  („de  Attalo")  ist  wohl  der  bekannte  lugdunen- 
sische  Märtyrer  zu  verstehen,  der  gegen  die  enkratitische  Lebens- 
weise eine  Offenbarung  empfangen  hat. 

S.  656  zu  §  33.  Die  römische  novatianische  Partei  hat  auch 
an  ihr  Haupt,  Novatian,  geschrieben,  während  er  sich  in  secessu 
befand  (s.  Novat,  de  cibis  Jud.  1  init.,  welcher  Tractat  die  Ant- 
wort ist).  Novatian  spricht  1.  c.  von  „litterae  et  scripta",  resp. 
von  mehreren  Briefen  („frequentiores  litterae"). 

S.  669  Z.  1  v.  u.  Hier  c.  1  ein  Zeugniss  für  die  ältere  apolo- 
getische Litteratur  der  Kirche. 

S.  671  Z.  10.  Möglich  ist,  dass  eine  „psychische"  Schrift  zu 
Grunde  liegt,  die  Tert.  widerlegt;  ich  zweifle  aber,  dass  sie  be- 
stimmt werden  kann.  Mit  den  letzten  montanistischen  Schriften 
Tert. 's  ist  Epiphan.  h.  48,  2 — 13  zu  vergleichen. 

S.  672  Z.  12  v.  u.  Setze  nach  „repertus"  hinzu:  „Si  a  vobis 
propter  celebritatem  urbis  fuerit  inventus,  quaeso  ne  meam  stillam 
illius  flumini  coinparetis;  non  enim  magnorum  virorum  ingeniis, 
sed  meis  sum  viribus  aestimandus." 

S.  674  Z.  10.  Oehler,  Tertull.  Opp.  1  praef.  p.  XXI  schreibt: 
y,  Graecum  Tertulliani  exemplar  ex  bibliotheca  regis  Hispaniae 
exspeetasse  Pamelium  diseimus  ex  huius  dedicatione  ad  Philip- 
pum  IL  Hispaniae  regem."  Oehler  selbst  spricht  11  p.  748  von 
einer  „fama  mendax".     Bei  Graux  habe  ich  nichts  gefunden. 

S.  679  Z.  15  v.  u.  Auch  in  einem  Leidener  Cod.  sind  „ Ter- 
tulliani declamationes"  enthalten;  sie  sind,  wie  in  derMnemos.  1891 
gezeigt  worden  ist,  ein  quintilianisches  Werk  (Pseudo-Quintilian). 

9* 


20      Harnack,  Zur  Oberlieferungsgeschichte  der  altchristl.  Litteratur. 

S.  G80  Z.  3.  Novatian  zeigt  sich  in  dein  Werk  de  Trinit. 
abhängig  von  Tertull.  Apol.,  adv.  Marc,  de  carne  und  adv.  Prax. 

S.  681  Z.  16  v.  u.  Hieron.  spricht  von  einem  „index  Septimii 
Tertulliani"  ep.  65,  23  ad  Fabiolam,  hatte  also  wohl  einen  voll- 
ständigen Katalog  der  Werke  Tertullian's,  aber  diese  selbst  nicht 
vollständig. 

S.  683.  Über  das  Verhältnis  des  Prudentius  zu  Tertullian  s. 
Brockhaus,  Prudentius  S.  203 — 217,  der  es  sehr  eng  fasst;  da- 
gegen Rösler,  Prudentius  (1886)  S.  243ff. 

S.  685.  Stillschweigend  hat  Leo  I.  in  seinem  Lehrbrief  an 
Flavian  den  Tertullian  ausgeschrieben,  nämlich  adv.  Prax. 

S.  703.  Über  das  Verhältniss  v.  Prudentius  und  Cyprian  s. 
Rösler,  Prudentius  passim. 

S.  716.  Basilius  ep.  188  ad  Amphilochium  erwähnt,  dass  Fir- 
milian  und  Cyprian  im  Ketzertaufstreit  übereingestimmt  hätten. 

S.  724.  Erwähnt  seien  die  zahlreichen  von  den  Confessoren 
ausgestellten  libelli,  die  die  Worte  enthielten:  „communicet  ille 
cum  suis,"  s.  Cypr.  ep.  15,  4;   18,  1;  19,  2;    20,  2;  22,  2;    33,  2. 

S.  726  zu  nr.  30.  Auch  die  Gemeinden  selbst  haben  geschrieben. 

S.  729  zu  nr.  39.  Die  Überlieferung  ist  merkwürdig;  nicht 
nur  giebt  es  eine  griechische  und  syrische  Übersetzung  (s.  S.  716), 
sondern  einige  lat.  Handschriften  bemerken  auch  zu  einigen 
Bischöfen  „Märtyrer"  „Confessor"  oder  Ähnliches,  haben  also 
locale  Nachrichten  aufgenommen. 

S.  743  Z.  6.    Contra  Ruf.  II,  8.  10. 

S.  745.  S.  jetzt  auch  die  Ausgabe  von  Ziwsa,  Optati  Opp. 
Appendix  (1893)  nach  neuer  Vergleichung  des  Parisinus  1711. 

S.  755  zu  §  2.    S.  die  vorstehende  Abhandlung  Schlatter's. 

S.  761  Z.  9.  Siehe  die  Glossen  z.  d.  St.  im  Cod.  Mazarin.  und 
Venet.  338.  Vielleicht  sind  manche  KV  VCitate  auf  die  Dialoge  (nicht 
auf  die  Homilien)  zu  beziehen;  s.  Bigg,  Stud.  bibl.  Oxf.  II  p.  157 ff. 

S.  768.  Vielleicht  sind  unter  „Les  Paroles  de  Juste"  bei 
Mkhithar  (s.  GL  S.  XXXIII)  die  Sixtussprüche  zu  verstehen. 

S.  775.  Man  könnte  hier  das  Gedicht  des  Antonius  adv. 
gentes  einschieben  (nur  überliefert  im  Ambros.  Cod.  der  Ge- 
dichte des  Paulin  v.  Nola,  Edit.  princeps  v.  Muratori,  Anecdot. 
1697,  Gallandi  III  p.  653  sq.,  Oehler  in  seiner  Ausgabe  des 
Minucius,  etc.),  weil  noch  Manche  an  einen  Dichter  Antonius 
um  280  glauben  (s.  Wetzer  u.  Weite  2.  Aufl.  sub  „Antonius" 


Harnack,  Zur  Überlieferungsgeschichte  der  altchristl.  Litteratur.      21 

u.  A.);  allein  das  Gedicht  gehört  höchst  wahrscheinlich  dem 
Paulus  v.  Nola  (s.  Bursian,  Sitzungsber.  d.  Münchener  Akad. 
1880  I,  1,  Ebert,  Christl.-Lat,  LittGesch.  I2  S.  307,  Teuffei5 
S.  1123).    Inc.  „Discussi  fateor  sectas",  expl.  „aeterna  manebit". 

S.  779  zu  §  31.   S.  James,  Texts  and  Studies  II,  3  p.  151  f. 

S.  7S1  Z.   10  lies  513  statt  533. 

S.  781  zu  §  40.  Eine  koptische  Erzählung  „Assumptio  Vir- 
ginis"  ist  dem  Euodius  beigelegt,  s.  James,  Texts  and  Studies 
II,  2  p.  58,  Revillout,  Apocr.  copt.  de  N.T.  p.  75—112. 

S.  787  zu  §  61.  Ein  verlorener  Brief  des  Paulus  von  Athen 
an  Silas  und  Timotheus  wäre  anzunehmen,  wenn  Act.  17,  15  mit 
einigen  Codd.  zu  lesen  wäre:  xal  Zaßovzeg  eniözoZrjv  an  avzov 
noog  zov  SiXav  xal  zov   Tituo&eov. 

S.  788  zu  §  63.  Eine  lat.  Übersetzung  nach  Cod.  Paris.  Nat. 
1631  (Nov.  acq.)  saec.  VIII.  bei  James,  Texts  and  Studies  II,  3, 
s.  auch  seine  Untersuchung  II,  2  p.  20  sq. 

S.  790.  Vom  römischen  Bischof  Telesphorus  schreibt  das 
Papstbuch  (Duchesne  I  p.  129  sq.):  „Telesphorus  constituit,  ut 
ante  sacrificium  hymnus  diceretur  angelicus,  h.  e.  Gloria  in  ex- 
celsis." 

S.  795.  Als  poetische  Stücke  sind  weiter  noch  zu  betrachten 
1  Tim.  3,  16  (og  e<paveoco&r]  ev  öaoxi);  II  Tim.  2,  11 — 13  (ei  ydg 
ovvane&dvofiev);  Ignat.  ad  Ephes.  4,  7,  ferner  ein  Theil  der  GL 
S.  251  aufgeführten  melitonischen  Stücke;  Hippol.  c.  Noet.  18, 
namentlich  aber  Diognet  9  (ovx  efiiörjOev  rjfiäq  —  ftvrjzwv), 
Diogn.  7  (dg  ßaOiXevg  nefinwv  —  vnoozrjöezai),  Diogn.  71  (og 
vno  Xaov  äzLfiao&elg  —  X&Qiq  axigra);  Theoph.  ad  Autol.  III,  15 
(eyxgareia  doxeltai  —  ßaotZevei);  Const.  App.  VIII,  12  (ro  ovofid 
öov  —  naxgog  avrov  und  xal  öeöwxag  avzcp  —  enrjyyeiZoj)\ 
Novat.,  de  trinit.  29  („Hie  est  qui  inexplebilis  —  evangelia  custo- 
dit"  und  „Hie  in  apostolis  —  sanetitate  custodit").  Zu  Clem. 
Alex,  füge  hinzu:  Paedag.  II,  4  (Gesänge  bei  Tisch),  Strom.  I,  1. 
VI,  2  u.  11  und  das  ihm  beigelegte  Lied  auf  den  Pädagogen. 
Zu  Tertull.  füge  de  orat.  28.  Zu  Orig.  füge  Orig.  in  Judic.  hom. 
6  c.  3  u.  Selecta  in  Ps.  118  (Lomm.  XIII  p.  106):  coöneQ  xdJv 
ev&vftovvTaiv  eorl  ro  ipaZleii>  —  evß-v/iel  ydo  zig,  <pr]6iv,  ev 
vfilv,  tyaXXezw  —  ovzco  zb  vfivelv  zcov  &ewoovvza)v  zovg  Xo- 
yovg  zwv  dixaiwiidzaiv  lozlv.  aXXc  zo  (iev  tydlleiv  av&gmnoig 
aoku6Cei,    zo   öe  v\ivelv  dyyeXoig   ?)  zolg  dyyelixov  e%ovGi  ßiov. 


22     Harnack,  Zur  Oberliefeningsgeschichte  der  altchristl.  Litteratur. 

öio  xal  ol  ayoavXovvxig  xoifiivsc  ovx  qxovöav  dyyiXoov  tpaX- 
Xovxwv,  äXX3  avv/ivovvTCOv  xal  Xsyovtwv'  öo§a  iv  viploxoig 
&ecp  xal  xa  e§fjg.  loxi  xolvvv  ev&vula  äjtäfrtia  ywyr/c,  ano 
xwv  tvxoXo~)V  xov  &eov  xal  xojv  aXrfiivvjv  öoy/jaxajv  jiqoo- 
jLVO[i£vr},  vfii'og  6i  toxi  öo^oXoyia.  Wichtig  ist  auch  für  die 
altchristlichen  Gesänge  der  Cod.  A,  in  dem  u.  A.  der  Hymnus 
(Abendlied)  <Po5g  IXaoov  ayiag  steht  (s.  Routh,  Reliq.2  III  p. 
515  sq.  u.  Usser,  Diatr.  de  symbol.,  der  noch  zwei  Psalteria  mss. 
benutzt  hat,  eines  Colleg.  S.  Benedicti  Cantabrig.  und  ein  Bodlej.). 
Diesen  Hymnus  hat  auch  Basilius  de  spiritu  s.  29  erwähnt  und 
sein  hohes  Alter  hervorgehoben.  Basilius  erwähnt  auch  1.  c.  einen 
Märtyrer  Athenogenes,  der  auf  dem  Wege  zum  Feuertod  einen 
Hymnus  gesungen  habe,  den  er  seinen  Gefährten  hinterliess.  Auf 
den  Hymnus,  der  uns  nicht  erhalten  ist  (auch  von  Athenogenes 
wissen  wir  sonst  nichts;  doch  s.  Vita  Euthymii  VII,  21  ed.  de  Boor), 
berief  sich  Basilius  (wie  auf  den  hymnus  vespertinus)  für  die  Lehre 
vom  h.  Geist:  sl  dt  xtg  xal  xov  vpvov  'A&rjvoyivovg  tyvw,  ov 
coöjisq  xl  aXe^rjxrjQiov  (?)  xolg  Gvvovöiv  avxcß  xaxaXtXoLJtev, 
OQfimv  ?/Öt]  jtQog  xrjv  öta  Jivoog  xtXucoöiv,  oiöe  xal  xrjv  xcov 
{/aoxvocov  yva>[i?]v  ojiwg  etyov  jisqI  xov  jcvevf/axog. 

S.  807.  Zu  den  Märtyreracten  vgl.  die  Arbeiten  von  Le  Blant 
und  Egli,  Altchristliche  Studien.  Martyrien  und  Martyrologien 
ältester  Zeit  1887.  Ders.,  Zu  den  altchristlichen  Martyrien  i.  d. 
Ztschr.  f.  wiss.  Theol.  1888  S.  385  ff. 

S.  808.  Über  Verfolgungen  der  Christen  durch  die  Juden 
s.  N.T.,  Martyr.  Polyc.  und  Pionii,  Justin,  Apol.  I,  31.  36.  Dial. 
16.  95.  110.  131—134.   Diogn.  5  etc. 

S.  809  Z.  33.  Martyrium  des  Aurelius  Quirinus  bei  Euseb., 
h.  e.  V,  19. 

S.  812  f.  Verleugnung  des  älteren  Theodotus  Epiphan.  h.  54, 1. 
Nicht  bekannt  ist  das  Zeitalter  des  Märtyrers  Athenogenes  (s.  o.). 
Das  Martyrium  des  Telesphorus  ist  wohl  Tertull.  adv.  Valent.  4 
gemeint.  Das  Martyrium  des  Praxeas  bei  Tertull.  adv.  Prax.  1. 
Wichtig  ist  Scorp.  15:  „Et  si  fidem  commentarii  (d.h.  der  Process- 
acten) voluerit  haereticus,  instrumenta  imperii  loquentur,  ut  lapides 
Hierusalem.  Vitas  Caesarum  (was  für  Biographieen  sind  das?) 
legimus:  orientem  fidem  Romae  primus  Nero  cruentavit  etc.",  s, 
auch  ad  Scapul.  5  (Arrius  Antoninus),  4  (Protocoll  über  einen  an- 
geklagten Christen,  das   dann  der  Richter  Pudens  zerriss).    Acta 


Harnack,  Zur  Überlieferungsgeschichte  der  altchristl.  Litteratur.      23 

Perpet,  praef.:  „Si  vetera  fidei  exeinpla  et  dei  gratiam  testificantia 
et  aedih'eationeni  hominis  operantia  propterea  in  litteris  sunt 
digesta,  ut  lectione  eorum  quasi  repensitatione  rerum  et  deus 
bonoretur  et  homo  confortetur,  cur  non  et  nova  documenta  aeque 
utrique  causae  convenientia  et  digerantur?  etc.".  Pontius,  Vita 
Cypr.  1:  „Durum  erat,  ut  cum  maiores  nostri  plebeiis  et  catecu- 
minis  martyrium  consecutis  tantum  honoris  pro  martyrii  ipsius 
veneratione  tribuerint,  ut  de  passionibus  eorum  multa  aut  ut  prope 
dixerim  paene  cuncta  conscripserint,  utique  ut  ad  nostram  quo- 
que  notitiam,  qui  nondum  nati  fuimus,  pervenirent,  Cypriani  tanti 
sacerdotis  et  tanti  martyris  passio  praeteriretur."  Dass  Cyprian 
der  erste  Bischof  unter  den  Märtyrern  von  Karthago  gewesen 
sei.  sagt  Pontius  c.  19.  —  Cypr.  ep.  21,  4  Statius,  Severianus, 
Numeria,  Candida  (s.  auch  ep.  22,  2).  ep.  22,  2:  Bassus.  Fortunata 
(darnach  ist  Fortunatus  S.  813  Z.  22  zu  corrigiren).  Zu  Aurelius 
S.  813  Z.  27  füge  ep.  38  hinzu.    De  lapsis  13:  Castus  u.  Aemilius. 

S  8 16 f.  Die  2.  (römische)  Form  der  Acta  Ignat.  beginnt: 
3Ev  stet  bvvaxcp  rrjq  ßaöiZeiag  TQaiavov.  Die  1.  (antioch.)  zu- 
erst edirt  von  Ruinart.  Erste  Form  lat.  zuerst  von  Usser, 
zweite  lat.  unvollst,  von  demselben  (Cotton.  Ms.  Otho  D  VIII), 
dann  v.  d.  Bollandisten.  Koptisch  im  Vatic.  copt.  66  u.  Turin. 
Papyr.  1. 

S.  819  (A.chatius)  820  (Cyprian),  821  (Claudius,  Asterius).  Zu 
diesen  Martyrien  hat  Aube,  L'eglise  et  l'etat  T.  III  (1885)  den 
Cod.  Paris.  Lat.  nouv.  acq.  2179  (saec.  IX.  vol  X.)  eingesehen,  zu 
Cyprian  auch  den  cod.  5299. 

S.  820.  Zu  der  Passio  Jacobi,  Mariani  etc.  s.  Aube  a.  a.  0. 
p.  400  f.  u.  die  wichtige,   dort  angeführte  Inschrift  p.  406  f. 

S.  824  oben.  Füge  Passio  S.  Sabini  ein,  B  a  1  u  z  e ,  Miscell  II  p.47. 

S.  826  Z.  30.  Verworfen  im  Decret.  Gelas.  und  von  Nice- 
phorus  v.  Konstantinop.,  s.  Fabricius,  Cod.  apocr.  N.T.  I.  II 
p.  951,  Zahn,  Forsch.  V  S.  111. 

S.  827  Z.  2.  S.  auch  Aube,  L'eglise  et  l'etat  T.  III  (1885) 
p.  507  f.,  der  eine  Pariser  Hdschr.  eingesehen  hat. 

S.  827  Z.  14.  Lies  Parthenius  und  Aube,  1.  c.  T.  111,  der  die 
Codd.  Paris.  Lat.  12  611  und  14  651  benutzt  hat, 

S.  828  Z.  11.  S.  die  Acta  S.  Stephani  papae  et  mart.  ex 
Arm.  Lat.  edita  a  Paulino  Martino.  Anal.  Bolland.  I  p.  470  ff. 

S.  828  Z.  25.     Lies  Marius,  s.  Cod.  Paris.  Lat.  5299. 


24      Harnack,  Zur  Überliefern  n^sjreRchichte  der  altchristl.  Litter atur. 

S.  830  Z.  12.  Verworfen  im  Decret.  Gelas  und  von  Nicephorus 
v.  Konstantinop.,  s.  Fabricius,  Cod.  apocr.  N.T.  I.  II  p.  951, 
Zahn,  Forsch.  V  S.  111. 

S.  830  Z.  16  v.  n.  Lies  Theodotus  .  .  .  Alexandra;  füge  hinzu 
Phaine,  Claudia,  Euphrasia,  Matrona,  Julitta,  Victor,  Sosander. 

S.  833.  Der  Märtyrer  Varus  unter  Maximin,  Bolland. 
19.  Octob.  p.  428. 

S.  836  Z.  5  v.  u.  Nicht  nach  einem  alten  Uncialcodex  (aus 
ihm,  nämlich  dem  Alexandr.,  ist  nur  der  Text  genommen),  son- 
dern aus  zwei  Codd.  Bodlej. 

S.  841  Z.  2  ist  Cod.  Gr.  Vatic.  792  hinzuzufügen. 

S.  851  zu  46).  Eine  apokr.  junge  Apoc.Daniel's  bei  Tisch  en- 
dorf,  Apocal.  apocr.  p.  XXX.  Über  Zahn's  Annahme  eines  alten 
Apokryphon  Daniel's  s.  o.  z.  S.  640. 

S.  851  zu  51).  S.dasVerzeichnissdesMkhithar,GL  S.  XXXIII. 

S.  851  zu  52).  S.  Berger,  Notice  sur  quelques  textes  latins 
inedits  de  l'Ancien  Testament.  Paris  1893.  Etwas  für  den  grie- 
chischen Urtext  soll  man  nach  James,  Texts  and  Studies  II,  3 
p.  127  f.  aus  der  jungen  Apoc.  Sedrach  gewinnen  können,  s.  auch 
1.  c.  II,  2  p.  31  ff.  66. 

S.  852  za  55).  S.  Charles,  The  book  of  Enoch  1893  und 
die  armenischen  Verzeichnisse  GL  S.  XXXIII.  XXXIV.  Die  Exi- 
stenz eines  lateinischen  Henochs  ist  durch  Zahn  (s.  auch  Forsch.  V 
S.  158)  und  James,  a.a.O.  p.  146 ff.  (Cod.  Mus.  Brit.  Lat.  5  E 
XIII  saec.  VIII.)  erwiesen,  s.  auch  Charles  a.  a.  0.  p.  372  ff. 

S.  852  zu  56).  S.  GL  S.  XXXIII.  James  (a.  a.  0.  p.  164  ff ) 
berichtet  über  ein  Stück  aus  dem  lat.  Cod.  Cheltenham.  391 
saec.  XI.  „Oratio  Mosis"  und  leitet  es  aus  der  Assumptio  ab. 

S.  852  zu  57).  S.  R.  Harris,  The  rest  of  words  of  Baruch, 
a  Christian  apocalypse  of  the  year  136  (1889).  Es  soll  benutzt 
sein  in  der  äthiopischen  Apokalypse  des  Zosimus  (James, 
a.  a.  0.  p.  90). 

S.  852  zu  58).    S.  GL.  S.  XXXHI  f. 

S.  853  za  60).  Euseb.,  Praepar.  VI,  64,  ine:  aviyvcDV  yag  hv 
raiq,  vgl.  auch  GL  S.  XXXIII  f.  Oppenheim,  Fabula  Josephi 
et  Asenethae  apoerypha.     Berlin  1886. 

S.  853  zu  61).  S.  das  zu  S.  857  über  die  Apocr.  Zosimi  Be- 
merkte. James  (a.  a.  0.  p.  174  ff.)  ist  geneigt,  das  aus  dem  Cod. 
Cheltenham.  391  entnommene  Stück  „Vision  des  Kenaz"  hierher 


Harnack,  Zur  Überlieferung3geschichte  der  altchristl.  Litfceratur.      25 

zu  ziehen.  Aber  er  verwirft  dann  diese  Hypothese  und  sieht  in 
diesem  Stück  und  in  den  zwei  folgenden  des  Cod.  Cheltenhatn. 
(Klage  der  Tochter  Jephtha's  und  Citharismus  David's  vor  Saul) 
hagiographische  Zusätze  zürn  A.T. 

S.  853  zu  62).    S.  GL  S.  XXXIII. 

S.  856  zu  65).  Beschreibung  des  Antichrists  in  einem  alten 
lateinischen  apokr.  Fragment,  Cod.  Trevir.  36  (datirt  ann.  719) 
fol.  113,  s.James,  a.a.O.  p.  151  f.  Inc.:  „Haec  sunt  signa  anti- 
christi.  caput".  Verwandtschaft  mit  der  Schilderung  im  Cod. 
Sangerm.  Syr.  36  (Lagarde,  Reliq.  Gr.  p.  80),  auch  mit  dem 
Antichrist  in  der  Apoc.  des  Sophonias. 

S.  856  zu  66).  S.  GL  S.  XXXIII.  James,  a.  a.  0.  p.  138  ff. 
(s.  Texts  and  Stud.  II,  2  p.  127)  nach  dem  Cod.  Paris.  Gr.  2419 
saec.  XVI.     Hort  „Adambücher"  im  Dict.  of  Christ.  Biogr. 

S.  857  Z.  24.  Vgl.  dazu  Iren.  IV,  17,  3  u.  Clem.,  Paedag.  III, 
12,  Strom.  II,  18,  s.  James,  II,  3  p.  145. 

S.  857.  Füge  hinzu:  James,  Texts  and  Stud.  II,  3  p.  86 ff. : 
Apokalypse  des  Zosimus  nach  Cod.  Par.  Gr.  1217  saec.  XII.  und 
Bodl.  Canonic.  Gr.  19  saec.  XV.  vel  XVI.  (es  giebt  auch  noch 
einen  Cod.  Mosq.  Synod.  290).  Das  Buch  existirt  auch  slavisch, 
syrisch,  äthiopisch  und  arabisch.  Benutzt  soll  ein  ähnlicher  Stoff 
sein  in  dem  äthiopischen  Conflict  ofMatth.  (Malan,  Conflicts  of 
the  Holy  Apost.  p.  44)  und  bei  Commodian,  Instruct.  II,  1  und 
Carm.  apoiog.  941  ff.  Also  liegt  eine  ältere  (verlorene)  jüdische 
Apokalypse  zu  Grunde,  vielleicht  die  Eldad's  und  Modad's,  wie 
James  p.  93  vermuthet.  Vgl.  über  die  Zosimus- Apoc.  auch  die 
Liste  des  Nicephorus  v.  Konstantinop.  (Fabricius,  Cod.  apocr. 
N.T.  I.  II  p.  951  f.):  rrjv  ajzoxälwpiv  "Eödga  xal  Zcooifiä.  Also 
war   sie  im   9.  Jahrh.  bekannt. 

S.  858  zu  69).  Füge  Hiob  hinzu  (Mai,  Script.  Vet.  nova  coli. 
VII  p.  180  sq.). 

S.  858  zu  74)  u.  S.  861  zu  80)    S.  GL  S.  XXXIV  u.  XXXIII. 

S.  863  zu  81).  Justin,  Apol.  I,  44,  Agathias  VI,  24. 

S.  865.  Positiv  unrichtig  sagt  Julian  (adv.  Christ,  p.  206  B.): 
„Wenn  man  mir  einen  einzigen  namhaften  (Schriftsteller)  jener 
Zeit  aufweist,  der  diese  Leute  (die  Christen)  erwähnt  hat  so  haltet 
mich  in  allen  Stücken  für  einen  Lügner." 

S.  S65  Z.  6  v.  u.  Nerva's  Edict  gegen  die  Delatoren  Dio 
Cassius  68,  1. 


20     Harnack,  Zur  Oberlieferungsgeechichte  der  altchristL  Lifetorator. 

S.  866.  Hier  ist  auch  des  T.  Flavius  Clemens  und  der  Üomitilla 
(Dio  Cassius  67,  14;  Saeton,  Domit.  15)  zu  gedenken  sowie  des 
Schriftstellers  Bruttius  (Christ?),  s.  Euseb.,  Chron.  ad  ann.  2110; 
h.  e.  III,  18;  Malalas  p.  34.  193.  262.  Chron.  pasch.  I  p.  467  sq. 

S.  868  oben.  Euseb.,  Praepar.  IX,  10,  3:  (iexa  de  ra  o  rr/q 
aixftccXcvölaq  errj  KvQoq  IIsqOcov  eßaöiXevoev,  cp  exet  'OX.vfijiiäq 
r)X&ri  ve ' >  °^  &x  r<^v  ßißAiofrrpceov  Aloöo')Qov  xal  xoZv  OaXXov 
xal  KaoroQoq  Iöxoqhdv,  ext  de  üoXvßiov  xäl  <t>Xeyovxoq  eoxcv 
evQeiv,  aXXd  xal  exeqaiv,  olq  efieX?]öev  'OXvfijttdöcov. 

S.  868  Z.  17.    Inc.,  seil,  bei  Eusebius. 

S.  871  Z.  25.  S.  zu  Septimius  Severus  und  Caracalla  auch 
Tertull.  ad  Scapul.  4  (Proculus)  und  Spartian,  Carac.  1. 

S.  872.  Zur  Verfolgung  des  Decius  s.  den  Papyrus  Berol. 
7297,  einen  libellus  des  libellaticus  Aurelius  Diogenes,  Sohn  des 
Satabus  (Sitzungsber.  d.  K.  Preuss.  Akad.  d.  Wissensch.  30.  Nov. 
1893);  ine:  Tolq  sju  xwv  ftvöicov.  Eine  Gerichtsformel  Cypr. 
ep.  66,  4.  Eine  Äusserung  des  Decius  liegt  wohl  der  Mittheilung 
Cypr.  ep.  55,  9  zu  Grunde.  Das  Edict  des  Decius,  welches  im 
5.  Edict  der  letzten  grossen  Verfolgung  copirt  erscheint,  kann 
jetzt  mindestens  theilweise  wieder  hergestellt  werden,  s.  Theol. 
Lit.-Ztg.  1894  Nr.  2.  Zur  Verfolgung  s.  Gregor  Nyss.,  Vita  Gregorii 
Thaum.  bei  Migne  T.  46  p.  944. 

S.  874  Z.  11  v.  u.  Füge  das  (5.)  Edict  Maximin's  ein,  Euseb., 
de  mart.  Palaest.  9,  2  und  dazu  Mason,  Persec.  of  Dioclet.  p.  285. 

S.  875  Z.  9  v.  u.    Mason,  a.  a.  0.  p.  217  f. 

S.  878  Z.  6  v.  u.  Dieser  Vorwurf  ist  bis  in's  5.  Jahrh.  erhoben 
worden  (Christus  habe  aus  Plato  geschöpft).  Gegen  ihn  hat 
Ambrosius  (nach  Augustin  ep.  31,  8)  eine  verlorene  Schrift  verfasst. 

S.  873  Z.  27  u.  28  lies  1876  statt  1879. 

S.  879  Z.  17.    Monotheismus. 

S.  883  Z.  13.    Das  Fragezeichen  ist  zu  tilgen. 

S.  917  Z.  10.    Sibyllen. 

S.  917  Schluss.  Füge  hinzu:  Apokalypse  des  Zosimus  (s. 
Kozak  i.  d.  Jahrbb.  f.  protest.  Theol.  XVII  S.  158  f.,  James, 
Texts  and  Stud.  II,  3  p.  87). 

S.  925  Z.  15  v.  u.    Lies  Z.  19  v.  u. 


Harnack,  Zur  Lberlieferungsgeachichte  der  altchristl.  Litterafcur.      27 


Register. 

S.  937.  Abgar  909.  919  —  Ad  omnes  philosophos  des  Ari- 
stides  99  —  Adambücher  913  —  Advers.  gentes  des  Antonius  775. 

S.  938.  Aelius  Publius  Julius,  Bischof  v.  Debeltus  243  — 
Africanus  893  —  Alexander,  Sohn  des  Antonius  259  —  Ammia 
240  —  Aminonius  Sakkas  406  —  Arnos,  angebl.  Auslegung  des 
Clemens  Alex.  303  —  Ampullianus  928  —  Ananias  Mart.  907  — 
Andreasacten  905.  920. 

S.  939.   Antonius,  Carmen  adv.  gentes  775. 

S.  940.  Aristides  892  —  Arrius  Antoninus  812  —  Aseneth 
915  —  Askewianus  Cod.  918  —  Assumptio  virginis  des  Euodius 
781  —  Athenagoras  lies  256  —  Athenogenes  258.  795.  812  — 
Aurelius  Diogenes  872  —  Aurelius  Quirinius  Martyr  243. 

S.  941.  Barnabasacten  905  —  Barnabasbrief  891  —  Bartholo- 
mäus-Apok.  919,  -Fragen  912,  -Acten  920  —  Baruchapokal.  916 — 
Bileam-Prophetie914  —  Brucianus  Papyrus  918  —  Bruttius  866  — 
Caracalla  871. 

S.  942.    Christi  Streit  mit  dem  Teufel  910. 

S.  943.   Daniel  916  —  David-Apokryphen  914. 

S.  945.   Declamationes  Tertull.  679. 

S.  947.   Dionysius  Alex.  897  —  Domitilla  866. 

S.  948.  Elg  ivoyZovfievovg  xrX.  des  Gregor  Thaum.  432  — 
Elias-Apok.  918  —  Esra  jüngere  Apok.  917. 

S.  949.   Euodius  fuge  hinzu:   „Assumptio  virginis." 

S.  950.  Fabius,  Adressat  der  Schrift  de  fuga  Tertull.'s  670  — 
Felix,  Statthalter  von  Alex.  291  —  Florilegien  842. 

S.  951.  Zu  Gregor  Thaum.  füge  hinzu:  ix  xr/g  äjzoxaZvipeoyg, 
ein  Xoyog,  jtQoöevyj],  exorcismus,  jteQt  ayytXwv,  narratio  de  CCXII 
patribus  Beryti  congreg.,  Liturgia  432  —  Helena  Simon's  153  — 
Henoch-Apok.  913  f.  —  Herraas  891. 

S.  952.  Hiobbuch,  apokr.  915  —  Hippolyt,  Xoyoi  öidcpo- 
qol  Tcal  ejtioroZal  elg  xip  &dav  ygcupf/v  629;  893  ff.  —  Hypomne- 
mata  des  Ambrosius  757  —  Jacobsleiter  915. 

S.  953.  Jacobus,  Herrabruder,  Mart.  u.  Acten  905.  921.  922  — 
Jacobusev.  909  —  Jeremias,  Apokr.  916  —  Jesajas  Ascensio  916  — 
Jesus,  Apokr.  Koptisches  923  —  Ignatius  891.  919,  Martyrium 
919  —  Johannesacten  und  Dormitio  903.  922.  XXXIII  —  Johannes 


28      Harnack,  Zur  Überlieferungsgeschichte  der  altchristl.  Litteratur. 

der  Theol.,  Fragen  911  f.,  Auf  den  Hingang  der  Gottesmutter 
912  —  Joseph,  Tod  des  924  —  Joseph  v.  Arimathia,  Narratio  910  — 
Josephus,  Geschichtsschreiber  917. 

S.  954.  Isokrates  430  —  Judas -Thaddäus,  Acten  921  — 
Julianus  v.  Apamea  240  —  Justin  892. 

S.  955.   Lamechbuch  914  —  Laodicenerbrief  4.  33.  907.  924. 

S.  956.  Aoyoq  xe<paL  jisqI  yvx?js  des  Gregor  Thaum.  431  — 
Lot,  Buch  914  —  Macedonier,  angebl.  Brief  des  Paulus  an  sie 
787  f.  —  Makkabäerbuch  917  —  Marcus,  Mari  906. 

S.  957.  Maria,  Transitus  912.  923  —  Matthäus,  Acten  905. 
906.  920  —  Matthias,  Acten  922  —  Melchisedek- Schrift  914  — 
Metastasis  Johannis  126.  903.  922  —  Methodius  898. 

S.  958.  Moses,  Assumptio  915  —  Narratio  de  CCXII  patribus 
Beryti  congreg.  des  Gregor  Thaum.  432  —  Nathanael  906  — 
Nerva  127  —  Nikodemus,  Ev.  907.  922  —  Noahbücher  914  — 
Novatianer]  füge  hinzu:  Briefe  an  Novatian  — 

S.  959.   Origenes  897  —  Pamphilus  901. 

S.  960.  Papias,  Presbyter  v.  Achaja  892  —  Parallela  Sacra 
842  —  Paulus,  angebl.  Laodicenerbrief  907  —  Paulusacten  903.920. 

921  —  Paulus  Apok.  910  —  Paulus-  und  Thekla,  Acten  904  — 
liegt  äyysXcov  des  Gregorius  Thaum.  432. 

'  S.  962.   Petrus- Acten  und  Mart.  903.  905.  921. 

S.  963.  Petrusev.,  ein  anderes  921  —  Petrus  v.  Alex.  898  — 
Philippusacten  906.  921  —  Philocalia  394  —  Philumene  197  f.  — 
Phlegon]  lies  867  f.  —  Pionius,  Mart.  901. 

S.  964.  Polykarp,  Mart.  74.  892.  919.  —  Praxeas,  Chiro- 
graphen 598  —  Proculus  alter  871  —  Uqoq  pvZaxzrjQiov  ipvx?j$ 
x.  owftarog  des  Gregorius  Thaum.  431  —  IjQOösvxrj  des  Gregorius 
Thaum.  432  —  Proteron  199. 

S.  965.  nQOTQEJirixdg  Jigoq  2eßt}Q£lvav  Hippolyt  607  — 
Quadratus,  Apologie  901. 

S.  966.  Salomo,  Testament  914  —  Saul,  Buch  914  —  Sebaste, 
XL  martt.  901  —  Sententiae  episcoporum  LXXXVII  716  —  Seve- 
rina,  Adressatin  Hipp.'s  621  —  Sibyllen  917  —  Simonacten  921. 

922  —  Smyrna,  Gemeinde,  Brief  817.  892.  919  —  Socrates,  Mar- 
cionit,  und  Socratiten  (??)  191.  430  —  Sophonias,  Apok.  918  — 
Sotas  v.  Anchialus  243  —  Stephanusacten  920. 

S.  967.  Tertullian,  Declamationes  —  Testamente  der  12  Pa- 
triarchen 915. 


Harnack,  Zur  Überlieferungsgeschichte  der  altchristl.  Litteratur.      29 

S.  968.  Theodotus,  Adressat  des  Eusebius  565  —  Theodotus, 
Bischof  v.  Pergamuin]  lies  791  —  Thomasacten  902  —  Thomas- 
ev.  910. 

S.  969.  Zosimusapok.  857.  917  —  Zoticus,  Bischof  v.  Kumane 
241  —  Zoticus,  Presbyter  von  Otrus  240  —  Zum  Ruf  des  Räubers, 
Predigt  des  Aristides  99  —  Zwölf-Apostel-Evangelium  205  ff. 

Zum  Märtyrerverzeichniss:  Aemilius  813  —  Alexander] 
tilge  den  Stern  bei  830  und  füge  ein  Alexandra  830  —  Atheno- 
genes  795  —  Aurelius  Quirinius  809  —  Bassus  alius  813  — 
Castus  813  —  Claudia  830  —  Zu  Cyricus  901  —  Euphrasia  830 

—  Fortunata  alia  813  —  Tilge  bei  Fortunatus  813  —  Zu  Julitta 
901  —  Julitta  alia  830  —  Tilge  bei  Maria  813  —   Marius  828 

—  Lies  Parthenius  —  Phaine  830  —  Sabinus  824  —  Zu  Seve- 
rianus  813  —  Sosander  830  —  Statius  813  —  Theodotus  alius 
830  —  Tilge  Theotocus  830  —  Varus  833  —  Victor]  zu  830 
setze  einen  Stern. 

Bibelhandschriften:  S.  973  Cod.  A  (Alex.)  S.  39.  45.  48  — 
Cod.  A  S.  12.  —  Cod.  Syr.  Curet.  S.  12.  494  —  Neapel  II.  Aa.  7  S. 
544.  — Harlei.  5647  S.288  —  Tetraev.Florent.il!  Plut.  Inr.  56.58, 
Mus.  Brit.  Add.  17213  u.  17224,  Paris.  Syr.  33,  Cod.  Syr.  Vat. 
(nr.?)  v.  J.  548,  Cod.  Ridlei.  Oxf.  New  Coli.  S.  573. 

Griechische  Handschriften:  Athen  191  S.  394  —  Athos, 
Dionysii  91  S.  134.  149  —  Tilge  Iwiron  1182  S.  470  —  Iwiron 
1280  S.  81.  105.  265.  470.  485.  584.  629  —  Zu  Basel  A.  III.  9 
füge  S.  394  —  Berlin  Phillipps  1423  S.  394  —  Zu  Berlin  Phil- 
lipps  1450  füge  S.  229.  415  —  Berlin  Phillipps  1491  S.  387  — 
Berlin  K.  Museum,  Papyrus  7297  S.  872  —  Cambridge,  Trinit. 
Coli.  O.  1.  10  S.  394  —  Constantinopel  523  S.  394  —  Florenz 
V.  3  S.  181.  299  —  Florenz  Laurent.  KK.  I.  39  S.  394  —  Florenz 
LXXXVI  füge  S.  432  hinzu  —  Florenz,  Medic.  XXVI  plut.  9 
S.  432  —  Florenz  Riccard.  K.  I.  13  S.  394  —  Jerusalem  15  S. 
415  —  Lauban  S.  257  —  Leiden  61.  67.  S.  394  —  London  Harl. 
5647  S.  288  —  Madrid  105  S.  432  —  Mailand  Ambros.  A.  165 
S.  394  —  Mailand  H.  101  S.  394  —  Moskau  Bibl.  Synod.  12 
S.  394  —  Moskau  149  S.  45.  49  —  Moskau  290  S.  857  — 
München  52  S.  394  —  München  68  S.  332  —  München  523  S. 
394  —  Oxford  Barocc.  8  füge  S.  432  zu  —  Oxford  Barocc.  26 
füge  S.  416  zu  —  Oxford  Barocc.  142  lies  258  statt  257  — 
Oxford  Bodl.  Canonic.   19   S.  857  —   Oxford  Bodl.  Savil.  11  S. 


30      Haniack,  Zur  Uberlieferungsgeechichte  der  ultchristl.  I-  tteratur. 

394  -  Oxford  Hol-  H  8.  394  —  Oxford  New  Coli  147  8.  394  - 
Paris  456.  457.  458.  459.  940.  941.  942.  943  S.  394  -  Paris  945 
füge  S.  394  zu  —  Paria  1038  (?)  S.  4  IG  —  Paris  1217  8.  S57  — 
Paris  1458  S.  129  —  Paris  2419  8.  856  —  Paris  Suppl.  Grec. 
615  S.  394  —  Paris  Suppl.  Grec?  S.  827  —  Patmos  263  füge 
S.  114  hinzu  —  Patmos  270  S.  394.  544  -  Rheims  78  füge  8. 
386  hinzu  —  Rheims  (?)  S.  367  —  Rom  Barber.  III.  84  8.  394  — 
Rom  Vatic.  385.  388.  429.  1454.  1565  S.  394  —  Rom  Vatic.  389 
füge  S.  394  zu  —  Rom  Vatic.  1431  füge  S.  425  zu  —  Rom 
Vatic.  1553  füge  S.  45  zu  —  Rom  Ottob.  67.  410  S.  394  — 
Rom  Palat.  203  tilge  S.  385  —  Rom  Palat.  205  S.  385  —  Rom 
Reg.  Sueciae  3  füge  S.  394  zu  —  Rom  Reg.  Sueciae  18  lies  S. 
331  —  Turin  B.  I.  6  und  B.  VI.  25  S.  394  —  Turin?  S.  541  — 
Turin?  S.  432  —  Venedig  45  füge  S.  393  zu  —  Venedig  47.  4%. 
122  S.  394  —  Venedig  338  S.  221.  761  —  Venedig  Mitarelli  168 
S.  929  —  Wien  302  füge  S.  385  zu  —  Wien  bist.  Gr.  3  füge 
S.  12  zu  —  Wien  hist.  Gr.  7  füge  459  zu  —  Wien  theol.  Gr.  53 
S.  394  —  Wien  theol.  Gr.  Lambec.  42,  Nessel  71  S.  570. 

Lateinische  Handschriften.  Statt  Augsburg  ?  lies  Augs- 
burg 65  —  Cheltenham  391  S.  852.  853  —  Florennes  S.  40  — 
Leiden?  679  —  London  5  E.  XIII  S.  22.  852  —  London  Otho 
D  VIII  S.  817  —  Oxford  Bodl.?  S.  64  —  Oxford  Bodl.  105  super 
D.  1.  Art.  S.  214  —  Paris  1711  füge  S.  vor  745ff.  ein  —  Paris 
5299  S.  820.  82S  —  Paris  12611  füge  S.  827  zu  —  Paris  14651 
S.  827  —  Paris  Nouv.  acq.  1631  S.  788  —  Paris  Nouv.  acq.  2179 
füge  S.  819.  820.  821  zu  —  Petersburg  Q.  v.  I.  39  füge  S.  653. 
675  zu  —  Rom  Regin.  118  füge  S.  93  zu  —  Trier  36  S.  856  — 
Wien  133  S.  405. 

Arabische  Handschriften.     Paris  80  S.  37. 

Äthiopische  Handschriften.  Brit.  Mus.  Orient.  501.  503 
S.  855. 

Armenische  Handschriften.  Etschmiadzin  S.  64  —  Zu 
Paris  85  füge  S.  387. 

Koptische  Handschriften.  Vatic.  66  S.  816f.  —  Turin 
Papyr.  1  S.  816  f. 

Syrische  Handschriften.  Berlin  Sachau  9  füge  S.  138 
zu  —  Streiche  London  Brit.  Mus.  Orient.  501  S.  855,  503  S.  855 
—  Brit.  Mus.  Syr.  Add.  17215  füge  S.  193  hinzu  —  Rom  Vatic. 
180  S.  788.     Auf  S.  985  Z.  2  statt  576  lies  572. 


Harnack,  Zur  Überlieferungsgeschichte  der  altchristl.  Litteratur.      31 


Verschollene    griechische    Handschriften.      Messina. 
S.  303.  405  —  Uffenbach.  VIII  nr.  22  S.  432. 


Initien: 

a  txwQrjoajjev,  eyQaxpafiev  132. 
AiXioq  üovjtXiog  'lovZiog  243. 
avaßaivovzog  HavXov  elg    136. 
avaözag  de  jcqqA  (34. 
aveyvwv  yaQ  ev  zalg  853. 
avojdsv    fieXXoj     ozavQOj{)?jvac 

128. 
djtexaXvipi  fioi  o  xvQiog  14. 
ItyjyoQioq  tv  xvqIcd  xaiQG>v  432. 
diath'jxT]   zojv  aylcov  zov  Xqc- 

gzov  834. 
öia  zag  altpviöiovq  39  (tilge  öia 

zovg  alcpviöiovg  39). 
eäv  ft?)  Jioirjurjze  13. 
tyxQazsia  döxelzai  795. 
iL  yag  üvvajiE&avofsev  795. 
tXaßsv  Jtaga  zov  xvqlov  49. 
ifie  6  tflzatv  15. 
evezei  Evvazcp  zrjg ßaöiXeiagSlQ. 
tozco  zoivvv  Jtiözog  42. 
EvxaQiozovfiev  001  jiccteq  91. 
exfriözoi  xal  aXXozQioi  432. 
Cij  6  freog  6  ev  zolg  ovgavolg  243. 
■ÜSQeia  lözl  zolg  49. 
xal  ötöojxaq  avzcp  795. 
xal  6  xvgiog  XeyEi  zov  ofioXo- 

yqoavza  49. 


xal  Xqlözoq  fitv  egeZeyr}   592. 
xav  zi  jilavrjd-äjöi  517. 
kaßeze  xal  zag  'EXti/vwv  129. 
Mtliz log  xal  *Aezioq  834. 
////  yiveode  tzeQo^vyovvzeg  3. 
0  xaxmv  tavTov  zi]V  517. 
oXog  6h  o  xodfiog  129. 
ojtozav  6  hgevg  432. 
og  ecpaveQQjfrr]  ev  öagxi  795. 
ozav  exeIvoi   Evwxcovzai  517. 
ov  yctQ  vjtoozaoeig  275. 
ovx  ifiiOTjösv  yftctg  795. 
ovx  et-co&tv  eöziv  438. 
jtäv  yaQ  zo  yEvofiEvov  109. 
jtavza  za  EJiEQXOfiEvcc  001  91. 
jtolog  de  xQv°og  rj  247. 
noXXol  eg  ai;ro5^  loovzai  33. 
jioXXmv  zoivvv  ävscpyjisvwv  41. 
t/  /«(>  £ör^^  X(uoros  128. 
r/g  /«(>  JtaQSJccÖrjfttjoag  42. 
rofs  £jrl  tö5j>  dvöimv  872. 
to  ovo[ia  öov  795- 
<Pg5<;  iXaQov  aylag  795. 
yJlQai  xal  jzaQfrtvot  459. 
<'>xfc'a^og  ajiiQavzog  42. 
ft)<;  ßaöcXevg  Jtt^ijiwv  795. 
wöjtEQ  zolg  fir]dijta>  438. 


communicet  ille  cum   suis  724. 

discussi  fateor  sectas  775. 

ego  in  omnibus  tria  432. 

et  factum  est  anno  XXVI.  in  855. 

et  illi  satisfaciebant  64. 

filios  voci  Micheae  855. 

haec  sunt  signa  antichristi  856. 


hie  est  qui  inexplicabiles  795. 
hie  est  verbum  128. 
hie  in  apostolis  795. 
hyrenaeus  episc.  civitatis  Lugd. 

instruetus  262. 
ich,  o  Fürst,  bin  97. 
ich  wundre  mich  sehr  431. 


32     Harnack,  Zur  Überlieferungsgeschichte  der  altchristl.  Litteratur. 

nuntiandum  vobis  (nicht  nobis)  quia  est  arbor  quaedam  54. 

690.  quibus  cognitis  Petrus  214. 

oceanus   intransmeabilis  est  42.  si  enim  deus  nos  genuit  306. 

post  finem  446.  si  qui  seminat  491. 

praecepit  non  (nicht  nos)  amicos  wahnwitzig  und  ohne  Verstand 

73.  432. 

profetas  dei  et  cum  855. 


Druck  von  August  Pries  in  Leipzig. 


Verlag  der  J.  C.  HINRICHS'schen  Buchhandlung  in  Leipzig. 


Band  I— IV  auf  Seite  II  des  Umschlags. 

V,  1.  Der  pseudoeyprianische  Tractat  de  aleatoribus,  die  älteste  lateinische  christ- 
liche Schrift,  ein  Werk  des  römischen  Bischofs  Victor  I.  (saec.  II.),  von 
Adolf  Harnack.    V,  135  S.    1888.  M.  4.50 

V,  2.    Die  Abfassungszeit  der  Schriften  Tertullians  von  Ernst  Noeldechen. 

Neue  Fragmente  des  Papias,  Hegesippus  u.  Pierius  in  bisher  unbekannten 
Excerpten  aus  der  Kirchengeschichte  des  Philippus  Sidetes  von  C.  de  Boor. 
184  S.    1888.  M.  6  — 

V,  3.    Das  Hebräerevangelium,  ein  Beitrag  zur  Geschichte  und  Kritik  des  hebräischen 

Matthäus  von  Rud.  Handmann.    III.  142  S.    1888.  M.  4.50 

V,  4.    Agrapha.  Aussercanonische  Evangelienfragmente,  gesammelt  u.  untersucht 

von  Alfred  Resch.  —  Anhang:  Das  Evangelienfragment  von   Fajjum  von 

Adolf  Harnack.    XII,  520  S.    1889.  M.  17  — 

VI,  l.  Die  Textüberlieferung  der  Bücher  des  Origenes  gegen  Celsus  in  den  Hand- 
schriften dieses  Werkes  und  der  Philokalia.  Prolegomena  zu  einer 
kritischen  Ausgabe  von  Paul  Kötschau.    VII,  157  S.  u.  1  Tafel.  1889.    M.  5.50 

VI,  2.  Der  Paulinismus  des  Irenaeus.  Eine  kirchen-  und  dogmengeschichtliche  Unter- 
suchung über  das  Verhältnis  des  Irenaeus  zu  der  Paulinischen  Briefsammlung 
und  Theologie  von  Johs.  Werner.    V,  218  S.    1889.  M.  7  — 

VI,  3.    Die  gnostischen  Quellen  Hippolyts  in  seiner  Hauptschrift  gegen  die  Häretiker 
von    Hans  Staehelin. 
Sieben  neue  Bruchstücke  der  Syllogismen  des  Apelles.  —  Die  Gwynn'schen 
Ca.jus-  und  Hippolytus-Fragmente.    Zwei  Abhandlungen  von  Adolf  Harnack. 

III,  133  S.     1890.  M.  4.50 

VI,  4.    Die  ältesten  Quellen  des  orientalischen  Kirchenrechts.    1.  Buch: 

Die  Canones  Hippolyti  von  Hans  Achelis.    VIII,  295  S.    1891.  M.  9.50 

VH,  l.  Die  Johannes-Apokalypse.  Textkritische  Untersuchungen  u.  Textherstellung 
von  Bernh.  Weiss.    VI,  225  S.    1891.  M.  7  — 

VII,  2.  U eber das gnostische Buch Pistis-Sophia.  —  Brodu. Wasser:  die eucharistischen 
Elemente  bei  Justin.  2üntersuchgn  von  Adolf  Harnack.  IV,  144  S.  1890.  M.  4.50 

VII,  3/4.  Apollinarios  von  Laodicea.  Sein  Leben  u.  seine  Schriften.  Nebst  e.  An- 
hang: Apollinarii  Laodiceni  quae  supersunt  dogmatica.  Von  Johs.  Dräseke. 
XIV,  494  S.     1892.  M.  16  — 

VIII,  1/2.  Gnostische  Schriften  in  koptischer  Sprache  aus  dem  Codex  Brucianus  heraus- 
gegeben, übersetzt  u.  bearbeitet  von  Carl  Schmidt.  XII,  692  S.  1893.    M.  22  — 

VIII,  3.  Die  katholischen  Briefe.  Textkritische  Untersuchungen  und  Textherstellung 
von  Bernh.  Weiss.    VI,  230  S.    1892.  M.  7.50 

VIII,  4.  Die  griechische  Übersetzung  des  Apologeticus  Tertullians.  —  Medicinisches 
aus  der  ältesten  Kirchengeschichte.  —  Zwei  Abhandlungen  von  Adolf 
Harnack.    III,  152  S.    1892.  M.  5  — 

IX,  l.    Untersuchungen   über   die  Edessenische  Chronik.    Mit  dem  syrischen  Text 

und  einer  Übersetzung  herausgegeben  von  Ludwig  Hallier.    VI,  170  S. 
Die  Apologie  des  Aristides.    Aus  dem  Syrischen  übersetzt  und  mit  Beiträgen 
zur  Textvergleichung  und  Anmerkungen  herausgegeben  von  Richard  Raabs. 

IV,  97  S.  1892.  M.  8.50 

IX,  2.  Bruchstücke  des  Evangeliums  und  der  Apokalypse  des  Petrus  von  Adolf 
Harnack.    Zweite  verbesserte  u.  erweiterte  Aufl.  VIII  u.  98  S.  1893.  M.  2  — 

IX,  3/4.  Die  Apostelgeschichte.  Textkritische  Untersuchungen  und  Textherstellung 
von  Bernh.  Weiss.    313  S.    1893.  M.  10  — 

X.  Aussercanonische    Paralleltexte  zu  den  Evangelien  gesammelt  u.  untersucht 

von  Alfred  Resch. 

1.  Textkritische  u.  quellenkritische  Grundlegungen.  VII,  160  S.  1893.  M.5  — 

2.  Paralleltexte  zu  Matthäus  und  Marcus.  Beündet  sich  im  Druck. 

XI,  l.  Das  Kerygma  Petri.  Kritisch  untersucht  von  Ernst  von  Dobschütz.  VII,  162  S. 
1893.  M.  5  — 

XI,  2.    Acta  SS.  Nerei  et  Achillei.    Text  u.  Untersuchung  von  Hans  Achelis.  IV,  70  S. 

1893.  M.  3  — 

XI,  3.    Das  Indulgenz-Edict  des  römischen  Bischofs  Kailist  kritisch  untersucht  und 

reconstruiert  von  Ernst  RolfFs.    VIII,  139  S     1893.  M.  4.50 

XI,  4.    Textkritische  Studien    zum    Neuen  Testament   von  Wilhelm  Bousset.     VIII, 

144  S.     1894.  M.  4.50 

XII,  l.    Der  Chronograph  aus  dem    zehnten  Jahre  Antonins.     Von  Adolf  Schlatter. 

IV,  94  S. 
Zur    Überlieferungsgeschichte    der    altchristlichen    Litteratur.       Von  Adolf 
Harnack.    32  S.    1894.  M.  4  — 


TEXTE  UND  UNTERSUCHUNGEN 

ZUR  GESCHICHTE  DER 

ALTCHRISTLICHEN  LITERATUR 

HERAUSGEGEBEN  VON 

OSCAR  von  &EBHARDT  und  ADOLF  HAMACK 

XII.  BAND    HEFT  1 
DER 

CHRONOGRAPH 

AUS  DEM  ZEHNTEN  JAHRE  ANTONIOS 

VON 

ADOLF  SCHLATTER 


ZUR  ÜBERLIEFERÜMSGESCHICHTE 
DER 

ALTCHRISTLICHEN  LITTERATUR 

VON 

ADOLF  HARNACK 


LEIPZIG 

J.  C.  HINRICHS'SCHE  BUCHHANDLUNG 

1894 


TERTULLIAN'8 

GEGEN  DIE  JUDEN 

All- 

EINHEIT,  ECHTHEIT.  ENTSTEHUNG 

ÖEPRÜFt 

VON 

E.  NOELDECHEN. 

DIE 

PREDIGT  UND  DAS  BBIBFFRAGMBNT 

DES 

ARISTIDES 

AUF  IHRE  ECHTHEIT  UNTERSUCHT 

VON 

PAUL  PAPE. 


LEIPZIG 

J.  C.  HINRICHS'SCHE  BUCHHANDLUNG 

1894. 


Verlag  der  .7.  C.  HINRICHS'schen  Buchhandlung  in  Leipzig. 

Texte  und  Untersuchungen  zur  Geschichte  der 

Altchristlichen  Literatur 

herausgegeben  von  Oscar  von  Gebhardt  und  Adolf  Harnack. 

I— III.  IV  1/3.  V— IX.  X  1/2.  XI  XII  1/2.    M.  265.50 

I,  1/2.  Die  Überlieferung  der  griechischen  Apologeten  des  zweiten  Jahrhunderts  in 
der  alten  Kirche  und  im  Mittelalter,  von  Adolf  Harnack.    VIII,  300  S.  1882. 

M.  9  — 

I,  3.  Die  Altercatio  Simonis  Iudaei  et  Theophili  Christiani  nebst  Untersuchungen 
über  die  antijüdische  Polemik  in  der  alten  Kirche,  von  Adolf  Harnack. 

Die  Acta  Archelai  und  das  Diatessaron  Tatians,  von  Adolf  Harnack. 

Zur  handschriftlichen  Überlieferung  der  griechischen  Apologeten.  I.  Der 
Arethascodex,  Paris.  Gr.  451,  von  Oscar  v.  Gebhardt.  III,  196  S.  1883.  M.  6  — 

I,  4.    Die  Evangelien  des  Matthäus   und  des  Marcus  aus    dem  Codex  purpureus 

Rossanensis,  herausgegeben  von  Oscar  v.  Gebhardt. 
Der   angebliche  Evangeliencommentar  des  Theophilus  von  Antiochien,  von 
Adolf  Harnack.    LIV,  176  S.    1883.  M.  7.50 

II,  1/2.  Lehre   der  zwölf  Apostel,    nebst   Untersuchungen  zur  ältesten  Geschichte 

der  Kirchenverfassung  und  des  Kirchenrechts  von  Adolf  Harnack.  Nebst 
einem  Anhang:  Ein  übersehenes  Fragment  der  Jid'axn  in  alter  lateinischer 
Übersetzung.    Mitgetheilt  von  Oscar  v.  Gebhardt.  70  u.  294  S.  1884.  M.  10  — 

(II,  1/2.  einzeln  nur  in  anastatischem  Druck  (1893)  käuflich.) 

II,  3.    Die  Offenbarung  Johannis,    eine  jüdische  Apokalypse   in    christlicher  Be- 

arbeitung, von  Eberh.  Vischer.    Mit  Nachwort  von  Adolf  Harnack.  137  S.  1886. 

[Nicht  mehr  einzeln]  M.  5  — 
II,  4.  Des  heil.  Eustathius,  Erzbischofs  von  Antiochien,  Beurtheilung  des  Origenes 
betr.  die  Auffassung  der  Wahrsagerin  l.  Könige  [Sam.]  28  und  die  dies- 
bezügliche Homilie  des  Origenes,  aus  der  Münchener  Hds.  331  ergänzt 
und  verbessert,  mit  kritischen  und  exegetischen  Anmerkungen  von  Alb. 
Jahn.    XXVII,  75  S.    1886.  (Einzelpreis  M.  4.50);  M.  3.50 

11,5.  Die  Quellen  der  sogenannten  apostolischen  Kirchenordnung,  nebst  einer 
Untersuchung  über  den  Ursprung  des  Lectorats  und  der  anderen  niederen 
Weihen,  von  Adolf  Harnack.    106  S.    1886.       [Nicht  mehr  einzeln.]    M.  4  — 

III,  1/2.  Leontius  v.  Byzanz  und  die  gleichnamigen  Schriftsteller  der  griechischen 

Kirche  von  Friedr.  Loofs.  1.  Buch:  Das  Leben  und  die  polem.  Werke  des 
Leontius  v.  Byzanz.    VIII,  317  S.    1887.  M.  10  — 

III,  3/4.  Aphrahat's  des  persischen  Weisen  Homilien,  aus  dem  Syrischen  übersetzt 

und  erläutert  von  Georg  Bert. 
Die  Akten  des  Karpus,  des  Papylus  und  der  Agathonike.    Eine  Urkunde  aus 
der  Zeit  Marc  Aureis,  von  Adolf  Harnack.    LH,  466  S.    1888.  M.  16  — 

IV.  Die  griechischen  Apologeten. 

1.  Tatiani  oratio  ad  Graecos.    Recens.  Ed.  Schwartz.   X,  105  S.    1888.        M.  2.40 

2.  Athenagorae  libellus  pro  Christianis.    Oratio  de  resurrectione  cadaverum. 

Recens.  Ed.  Schwartz.    XXX,  143  S.    1891.  M.  3.60 

3.  Die  Apologie  des  Aristides.    Recension    und  Reconstruction  des  Textes  von 

Lic.  Edgar  Hennecke.    XX,  64  S.    1893.  M.  3  — 

Partiepreis  M.  2  — 

4.  Theophili  libri  tres  ad  Autolycum.   Recens.  Ed.  Schwartz.  \  InVorbe- 

5.  Iustini  martyris   apologia  et  dialogus  cum  Tryphone  Iudaeo.     (  rpi+nn„ 

Recens.  0.  de  Gebhardt  et  A.  Harnack.  )  ieituu&- 

Diese  Ausgaben  der  Griechischen  Apologeten  sind  nur  mit  kurzem 
sprachlichen  Commentar  und  Registern  versehen  und  sollen  zum  Gebrauch 
bei  Vorlesungen  oder  in  Seminaren  dienen,  weshalb  auch  deren  Preise 
möglichst  niedrig  gestellt  wurden. 

Fortsetzung  auf  Seite  III  des  Umschlags. 


TEKTULLIAFS 


GEGEN  DIE  JUDEN 


AUF 


EINHEIT,  ECHTHEIT,  ENTSTEHUNG 


GEPRÜFT 


VON 


E.  NOELDECHEN. 


LEIPZIG 
J.  C.  HINRICHS'SCHE  BUCHHANDLUNG 

1S94 


Tertullian  wird  stets  citiert  in  der  grösseren  Ausgabe  Oebler's,  Justin's 
Dialog  in  der  Ausgabe  von  Otto. 


Druck  von  August  Pries  in  Leipzig. 


Inhaltsübersicht. 

Seite 
Minleitung. 

1.  Altert'  Polemik  gegen  das  Judentum.  Bekanntschaft  Tert.'a 
mit  derselben.  Ariston  von  Pella.  Testam.  XII  patriarch. 
Barnabasbrief 1—3 

2.  Justin's  Dialog  in  Afrika ' 3—14 

Justin  und  Tertullian  S.  3 — 6.  Bekanntschaft  Tert.'s  mit 
Justin's  Dialog  im  allgemeinen  S.  6 — 9.  Spuren  des 
Dialogs  in  Adv.  Jnd.  a.  im  „echten"  Hauptteil  S.  9 — 10. 
b.  in  den  dem  Antimarcion  und  den  „Juden"  gemein- 
samen Abschnitten  S.  10—13.  c.  in  den  angeblich  un- 
echten Stücken  S.  13 — 14. 

Abhandlung. 

1.  Die  Geschichte  des  Streites  über  Adv.  Jud 14 — 24 

Semler  S.  14 — 15.  Neander  S.  15.  Laufköther,  Böhringer, 
lfauck,  Krüger  S.  15 — 16.  Kaye  S.  16 — 17.  Grotemeyer 
S.  17—18.  Corssen  S.  18—24.  (Verwickelung  des  Pro- 
blems S.  19.  Scripturae  divinae,  creator  S.  20 — 21.  Der 
faselnde  Ausschreiber  S.  21.  Original  und  Copie  S.  22 — 24.) 

_!.  Die  Bekanntschaft  Tert.'s  mit  dem  Judentum  im  allge- 
meinen      24 — 27 

3.  Die  Einheit  von  Adv.  Jud 27—46 

a.  Klammern 27 — 42 

Der  scheinbare  Blödsinn  des  Compilators  S.  27 — 29.  Lö- 
sung%des  Problems :  der  zweite  Teil  ein  Entwurf  S.  29 — 30. 
Der  Judengenosse  und  die  Corona  S.  30 — 35.  populus  gens 
S.  35 — 40.  Christus  qui  venit  S.  40 — 42.  Der  Kurs  durch 
die  Weltgeschichte  S.  42. 

b.  Bänder 42—46 

Christen  keine  Götzendiener  S.  42 — 43.  Tempus  medium 
S.  43.  Danielische  Jahrwochen  S.  44.  Die  Wieder- 
holungen S.  45—46. 


IV 


[nhalteübersicht. 


4.  Das  Verhältnis  zum  Antiinarcion 

Tert.'s  Programm:  er  will  entleihen 

a.  Sachliche  Änderungen  S.  48 — 67.  nationes  nos,  nos  nati 
in  saeculi  desertis;  gentes  nos,  genus  humanum  8.  48 — 51 
Die  Qualifizierung  des  „Venit"  S.  51 — 52.  Getilgter  Ru 
tionalismus.  Erstes  diftero  S.  53 — 55.  Ein  zweites  differo 
S.  55 — 57.  Der  Ketzer  kennt  das  Kreuz  S.  57 — 58.  und 
die  Demutsgestalt  Iesu.  Credantur,  maneant  (magi)  S. 
58 — 59.  Antimarcionitischer  Einschlag:  homo,  vivere 
S.  59—61.  Die  Butterbrotknaben  8.  62—63.  Monta- 
nistischer Einschlag:  der  „Prophet".  S.  63 — 64.  ne  cursum 
demorer  (ipse)  S.  64 — 65.  Judaea,  gens  Judaeorum  S. 
65—66.  Veränderte  Zeitlage  S.  66—67.  Bethesda,  Haeresis 
S.  66—67.     Anm. 

b.  Stilistische  Änderungen.  S.  67 — 74.  Citate  verbessert  S. 
67—68.  Promittat,  praemittat  S.  68 — 69.  Verkürzungen 
S.  69 — 70.  Steigerung  der  poetischen  Prosa  S.  70 — 72. 
Wirkung  von  Philosophemen  S.  72 — 73.  Signum  dignum. 
Subnervare,  rideo.   S.  73—74. 

5.  Die  Zeit 

Methodisches  S.  74—75.  Verhältnis  zur  „Keuschheit"  S. 
75.  zu  dem  „Fasten"  S.  76.  zu  de  res.  carnis  S.  76 — 77.  zu 
adv.  Marc.  V.  S.  77.  zu  den  Einreden  S.  77—80.  zur 
Schutzschrift  S  80 — 83.  zu  ad  nationes  S.  83.  zu  de  ido- 
lolatria  S.  83 — 85.  zu  de  spectaculis  S.  85.  zu  de  baptismo 
S.  85 — 87.  zu  einer  Nachricht  Spartians:  Caracalla  der 
Judenfreund  S.  87 — 89. 
Schluss.  Einheit  und  Echtheit.  Rhetorische  Anlage  der  Schrift 
gegen  die  Juden  S.  89 — 91.  Wichtigkeit  des  Ergebnisses 
S.  91—92. 


Seite 

46—74 
-16- is 
48—67 


67-74 


74-89 


)-92 


Einleitung. 

1.    Altere  Polemik  gegen  das  Judentum. 

Als  am  Ende  des  zweiten  Jahrhunderts  Tertullian  als  Schrift- 
steller auftrat,  war  das  jüdische  Wesen  teils  schon  von  Heiden 
studiert,  teils  zum  Gegenstand  der  Polemik  seitens  der  Christen 
gemacht  worden.  Es  war  ein  syrischer  Grieche,  aus  Apamea  ge- 
bürtig, seines  Xamens  Numenios  *) ,  der  nach  Mitte  des  zweiten 
Jahrhunderts  so  ziemlich  der  erste  der  Heiden  war,  der,  mit 
Kabbinen  verkehrend,  das  Judentum  fleissig  erforschte:  ein  Gegen- 
bild jenes  Celsus,  der  nur  um  weniges  später  die  christliche 
Literatur  mit  so  grossem  Eifer  verfolgte.  Allerdings,  mit  Celsus 
verglichen,  mit  umgekehrtem  Erfolge,  denn  Plato  war  ihm,  phi- 
lonisch,  ein  attisierender  Moses.  Auch  Celsus  selber,  wiewohl  das 
jüdische  Wesen  ihm  Nebensache,  wusste  genugsam  Bescheid  in 
den  alten  heiligen  Büchern,  um  der  alten  Sagen  geschienten  in 
seiner  Art  spotten  zu  können.  Auch  ist  er  selber  schon  Zeuge 
des  Kampfes  der  Juden  und  Christen  und  wundert  sich  bekannt- 
lich nicht  wenig,  wie  auf  gut  abderitisch  die  beiden  um  des  Esels 
Schatten  sich  zanken,  d.  i.  die  Frage  erörtern,  ob  oder  ob  nicht 
der  Messias  bereits  erschienen  sei.  Schon  um  die  Zeit  Hadrian's 
war  ein  Werkchen  ans  Licht  getreten,  das  in  dialogischer  Form 
den  grossen  Gegensatz  durchsprach,  sein  Verfasser  Ariston  von 
Pella.2)  Die  Colloquenten  sind  Jason,  ein  Christ  gewordener 
Jude,  und  Papiscus,  der  Jude  geblieben  ist,  ein  Alexandriner  der 
letztere.  Die  Waffen  waren  Texte  der  Bibel,  der  Sieg  verblieb 
bei   dem  Christen,    denn  Papiscus  lässt  schliesslich  sich  taufen. 


1)  Nicolai  Griech.  Literaturgesch. l  S.  501.   Euseb.  Praepar.  evang.  ed. 
Dindorf  IT,  38  sq.  372  sq.  47.  41.    Mein  Tertullian  S.  2'  3. 

2)  Renan  Origines   VI,  S.  267.     Harnack  Texte  u.  Untersuch.  I,  3 
S.  115—129. 

Texte  u.  Untersuchungen  XII,  2.  \ 


2  Noelclechen,  Tertullinn  □  die  Juden. 

Ob  das  kleine  literarische  Machwerk  eine  geschichtliche  Grund- 
lage hatte,  d.  i.  ob  eine  ähnliche  Verhandlung  je  mündlich  in 
jenen  Tagen  gepflogen  war,  muss  freilich  um  so  dunkeler  bleiben, 
als  jener  erbauliche  Schlussakt  die  didaktische  Absicht  kundgibt. 
Die  Schrift  erntete  Beifall,  freilich  keineswegs  einhelligen.  Von 
Celsus  könnte  man  absehn.  Er  hat  die  Streitschrift  vielmehr 
seines  Hasses  und  Mitleids,  als  seines  Gelächters  für  wert  ge- 
halten.1) Aber  auch  Origenes  später,  der  einigen  Beifall  nicht 
vorenthält,  muss  doch  schliesslich  gestehn,  dass  die  Schrift  nicht 
von  grossem  Belang  ist.  Asien  wird  bald  auch  die  Heimat  eines 
anderen  polemischen  Schriftchens,  das  etwa  zur  selbigen  Zeit  in 
Judaea  verfasst  ward,  und  das  sich  mit  dem  seltsamen  Titel  von 
Testamenten  ankündigt,  die  die  zwölf  Patriarchen  2)  verfasst  hätten. 
Judenfeindlich  aufs  äusserste  und  von  ganzem  Herzen  paulinisch, 
hatte  der  Verfasser  den  Wolf,  der  zum  Arbeiter  des  Herrn  ward, 
um  den  Frommen  Speise  zu  reichen,  in  dem  Heidenapostel  er- 
kannt, der  als  ein  Geliebter  des  Höchsten,  als  alle  Völker  er- 
leuchtend mit  neuer  Erkenntnis,  gepriesen  wird.  Auch  das  war 
der  Schrift  eigentümlich,  dass  das  Henochbuch  oftmals  gerühmt 
ward,  ein  vorchristliches  Werk,  das  ein  jüdisches  Weltreich  er- 
warten lehrt,  welches  letztere,  aufs  höchste  verklärt,  ein  wirklich 
himmlisches  Reich  wird.3)  Nicht  zurück  steht  an  bitterer  Feind- 
schaft der  sogenannte  Barnabasbrief,  auch  er  aus  den  Hadria- 
nischen  Tagen.  Der  Abstand  der  alten  Typen  von  der  neuerdings 
erschlossenen  Idee,  der  grossen  Idee  des  Christentums,  wird 
ziemlich  hämisch  vergrössert.  Die  Gottesherrschaft  in  Israel  ist 
Missverstand  des  göttlichen  Willens.  Gehässig  wird  hier  ein 
Brauch  des  Versöhnungsfestes  entstellt,  und  besonders  die  Ge- 
schichte vom  Sündenbock  dahin  verzerrt  und  verdorben,  als  ver- 
langte die  jüdische  Thorah,  ihn  zu  treten  und  zu  bespeien  4),  wo- 
durch dann  der  Verfasser  ein  Vorbild  des  leidenden  Lammes 
herausbringt. 


1)  Origenes  Contra  Celsum  IV,  52.  Gieseler  K.  Gesch.  4A.  I,  1,  209. 
Keim  Celsus'  Wahres  Wort  S.  55. 

2)  Testamente  der  zwölf  Patriarchen  s.  Grabe  Spicil.  Patrum  Saec.  I 
Tom.  I.  (Oxoniae  1714)  S.  251.  Renan  Origines  VI,  S.  269.  Baur  K.  G. 
der  3  ersten  J.    S.  174.  Anm.  1. 

3)  Dillmann  Das  Buch  Henoch  S.  XXI.  —  Henoch  im  Testam.  XII 
Patr.  s.  Grabe  S.  155. 

4)  Vgl.  Hausrath  Kleine  Schriften  S.  15. 


Einleitung.  3 

Die  genannten  drei  älteren  Schriften  sind  in  Afrika  keine 
Fremdlinge.  Tertullian  hat  sie  sicher  gekannt,  wenn  auch  die 
Spuren  von  zweien  erst  irn  ganzen  spät  bei  ihm  auftauchen. 
Nicht  früher  als  in  „Scorpiace"  und  danach  im  Antimarcion 
kommt  er  auf  die  Genesisstelle  l),  die  die  „Zwölf  Patriarchen" 
erörterten  und  zwar  in  einer  Weise,  die  deutlich  auf  jenes  judae- 
ische  Buch  weist;  ist  doch  sein  Liebling  „Henoch*  ebenfalls 
ein  Liebling  des  letzteren.  Auch  laut  ihm  hat  die  Genesisstelle 
den  ..Benjaminiten-  vorausgeschaut.  Auch  „Papiscus  und  Jason" 
kennt  er.  Wenn  im  späten  Buch  „Gegen  Praxeas"  2)  die  Meinung 
etlicher  auftritt,  dass  das  alte  Genesisbuch  mit  der  Schöpfung 
des  Sohnes  begonnen  habe,  so  ist  das  nach  Lage  der  Dinge  ein 
unverwerflicher  Hinweis  auf  den  alten  „Papiscus  und  Jason", 
in  welchem  nach  verlässlicher  Nachricht  die  gleiche  Ansicht  er- 
örtert ward.  Nun  gar  mit  dem  Barnabasbriefe  ist  er  sicher  schon 
zeitig  vertraut  gewesen.  Eine  Quelle  Tertullians,  abseits  von  dem 
Barnabasbriefe  :5J ,  erörtert  ja  auch  jenen  Sündenbock,  und  man 
konnte  mutmassen  wollen,  dass  er  auch  dies  Stück  dort  her- 
nehme; aber  genauer  besehen,  fehlen  doch  etliche  Züge,  die  dem 
„Barnabas"  zugehören,  und  die  der  Karthager  sich  zueignet. 

Alles  das  sind  Einzelbezüge.  Wesentlich  anders  steht  es  mit 
dem  Dialoge  Justins,  der  ebenso  früh  wie  nachhaltig  auf  diesen 
Schriftsteller  einwirkt. 

2.   Justins  Dialog  in  Afrika. 

a.   Im  allgemeinen. 

Tertullian  hat  Justinus  citiert  als  den  „Philosophen  und  Mär- 
tyrer"4), und,  prägnant  wie  er  zu  schreiben  pflegt,  und  deutlich 
wie  er  Stellung  genommen  hat  zu  „Philosophie"  und  „Marty- 
rium", ist  die  Doppelbezeichnung  vielsagend.  Die  Philosophie 
galt  ihm  wenig,  für  das  Martyrium  schwärmt  er.    Wie  der  Zwil- 

1)  Scorpiace  13  (I,  530,  0.).    Adv.  Marcionem  V,  1  (II,  275,  m.). 

2)  Adv.  Prax.  5  Anfang  (II,  658).  Vgl.  Hieronymus  Quaest.  in  Genes. 
(Pariser  Ausgabe  von  1578  Tom.  III  fol.  317);  Keim  Celsus  S.  55.  Anm.  2. 
Corssen,  Die  Altercatio  Simonis  Judaei  etc.  S.  31. 

3)  Nämlich  Justins  Dialogus  c.  40  (132).  Vgl.  Epist.  Barnab.  cap.  7. 
Adversus  Judaeos  14  (II,  74o,  u.). 

4)  advers.  Valentin.  5  Anfang  (II,  3S7,  u.). 

1* 


4  Noeldechen,  Tertullian'i   Gegen  die  Juden. 

lingsname  verheisst,  so  finden  sich  auch  im  einzelnen  neben  sehr 
erheblicher  Schätzung  doch  Spuren  einer  Kritik,  wie  mittelbar 
sie  auch  sein  mag.  Uie  Naivität  jenes  Alteren,  mit  der  er  die 
Kaiser  bekehren  will,  ist  so  wenig  tertullianisch ,  dass  vielmehr 
der  letztere  weiss,  nie  könne  ein  Kaiser  ein  Christ  sein.  So  kann 
er  auch  die  Kaiser  nicht  schulmeistern,  wie  es  Justinus  gethan 
hatte.  Als  Philosoph,  welchem  Sokrates  und  Musonius  Christen 
sind,  ist  Justin  sein  Geschmack  nicht.  Auch  als  ein  dichtender 
Schöngeist,  denn  Justin  hat  davon  einen  Anflug,  als  ein  halb 
romantischer  Autor,  der  behaglich  Dialoge  zusammenschreibt  mit 
etwas  platonischem  Aufputz,  kann  er  nicht  füglich  sein  Mann 
sein:  denn  gegen  Fiktion  aller  Art  hat  er  zu  deutlich  sich  aus- 
gesprochen.1) Aber  als  derber  Polemiker,  denn  das  ist  Justinus 
trotz  alledem,  als  kundiger  Fechter  mit  Schriftworten  und,  vor 
allem  andern,  als  Blutzeuge  hat  er  seinen  innigen  Beifall. 

Ein  novellistisches  Kleid  trug  namentlich  der  Dialog  des 
Justinus.  Ein  Hebraeer  aus  der  Beschneidung,  aus  dem  heiligen 
Lande  flüchtig  seit  dem  hadrianischen  Kriege,  meist  in  Korinth 
sich  aufhaltend,  begegnet  dem  Manne  von  Sichern  und  bemerkt 
ihm,  er  sei  zu  Argos  von  einem  „Korinthos"  belehrt  worden,  man 
müsse  an  Palliumträgern  nie  gleichgiltig  vorbeigehn.  tig  de  öv 
hööc,  (ptQLGxe  ßgozwv',  ist  die  Gegenrede.  Der  Hebraeer,  Try- 
phon  geheissen,  beliebt  darauf,  sich  bekannt  zu  geben.2)  Der 
romanhafte  Rock  sitzt  freilich  nun  auffallend  lose;  für  die  Frist 
des  sehr  langen  Gesprächs  entschwindet  er  dem  Auge  des  Lesers; 
erst  als  das  Gespräch  sich  zum  Ende  neigt,  wird  ein  Zipfel  der 
poetischen  Hülle  schliesslich  wieder  ergriffen.  Die  beiden  ver- 
abschieden sich,  indem  der  Jude  erklärt,  die  Begegnung  sei  er- 
freulich gewesen,  ja,  indem  er  den  Wunsch  ausdrückt,  eine 
solche  möge  bald  sich  erneuern;  da  Justin  aber  einmal  zur  See 
gehe,  so  möge  er  ihn  nicht  vergessen.  Justin  will  nun  für  ihn 
beten,  dass  er  Jesus  Christus  erkennen  möge.3)    Man  sieht,  eine 


1)  Vgl.  die  Äusserungen  über  die  Acta  Pauli  et  Theclae,  de  baptismo 
c.  17  (I,  636,  u.).  Vgl.  auch  seine  Schätzung  der  „Poeten"  im  allgemeinen, 
sowie  auch  die  besonderen  Äusserungen  in  De  praescr.  39  (II,  37),  nament- 
lich aber  auch  einen  Satz  aus  Adversus  Valentin,  (c.  5.  Schluss,  II,  388,  o.): 
Nemo  tarn  otiosus  fertur  stilo  ut  materias  habens  n'ngat. 

2)  Dial.  cum.  Tryph.  cap«  1. 

3)  Dial.  c.  Tr.  cap.  142  (462). 


Einleitung.  5 

harmlose  Anmut,  die  dem  weitherzigen  Autor  nicht  so  übel  zu 
stehn  scheint,  ist  über  diese  Kundgebung  ausgegossen.  Nur  für 
Tertullian  war  das  nichts.  Korinth  und  Argos  freilich  konnten 
ihn  allenfalls  anheimeln,  da  er  diese  Orte  früh  aufsuchte.1)  Auf 
den  „Juden  aus  der  Beschneidung"  dürfte  er  sein  Augenmerk 
richten,  und  namentlich  seinen  „Judengenossen",  seinen  „Prose- 
lyten"  dagegen  halten,  mit  welchem  er  selbst  colloquiert  hat. 
Doch  sofern  er  die  novellistische  Tünche  hier  wirklich  als  solche 
durchschaut  hat,  war  sie  seiner  Art  nicht  gemäss,  die  gemessener, 
strenger  und  allenfalls  prosaischer  heissen  kann. 

Der  Dialog  bietet  auch  sonst  viel,  was  dem  Tertullian  völlig 
fremd  bleibt.  Wird  er  Entleiher  zu  nennen  sein,  so  treibt  er 
doch  freieste  Auswahl.  Von  der  Höhle,  wo  Christus  geboren  sei2), 
von  dem  Heiland  als  schlichtestem  Handwerker,  von  der  häufigen 
Bezichtigung  Israels,  es  beschneide  und  verändere  das  Schriftwort, 
von  Klagen  über  „Mikrologie",  von  Verhöhnung  der  jüdischen 
Ohnmacht,  die  verfolgte,  wenn  sie  nur  könnte,  vom  Verbot  zu 
colloquieren  mit  Christen,  welches  die  Oberen  ausgegeben,  von 
Vielweiberei  bei  den  Juden  findet  sich  bei  ihm  keine  Silbe. 
Auch  der  unpolemische  Einzelzug,  dass  der  colloquierende  Jude 
die  Lehre  Jesu  studiert  hätte,  findet  keine  Entsprechung  beim 
Späteren.  Wenn  schliesslich  Justin  dem  Tryphon  die  Absicht 
vermeldet,  ein  Buch  zu  schreiben,  in  dem  die  gepflogenen  De- 
batten getreulich  sollten  berichtet  werden,  so  ähnelt  das  äusser- 
lich  freilich  dem  Eingang  der  karthagischen  Streitschrift,  nur 
dass  doch  der  Unterschied  grösser  ist  als  der  flüchtige  Anklang. 
Ein  wirkliches  mündliches  Zwiegespräch,  trotz  des  scheinbar  ge- 
schichtlichen Rahmens,  konnte  kaum  in  den  gröbsten  Zügen  dem 
justinischen  Buche  entsprochen  haben.  Bei  Tertullian  fehlt  der 
Rahmen  oder  mindestens  die  Hälfte  desselben,  aber  das  Gemälde 
ist  glaubhafter.  Nach  dem  einfach  erzählenden  Eingang  folgen 
blosse  Debatten,  und  diese  von  massigem  Umfang;  da  ist  keinerlei 

1)  Vgl.  meinen  Aufsatz:  Tertullian  in  Griechenland  in  der  Zeitschr. 
für  wiss.  Theol.  XXX,  4,  385  ff;  auch  meinen  „Tertullian"  S.  70. 

2)  Die  Stellen  im  „Dialog"  sind  folgende:  Höhle  cap.  78  (204);  Hand- 
werker cap.  88  (306);  Schriftverstümmelung  cap.  71  (240)  cap.  73  (246);  Mi- 
krologie  cap.  115  (384);  Ohnmacht  cap.  IG  (58);  Verbot  zu  colloquieren  cap.  38 
(124,  o.);  Vielweiberei  cap.  134  (442).  cap.  141  (160);  Jude  des  Ev.  kundig 
cap.  10  (38,  O.),  cap.  18  Anfang  (02);  Buch  in  Aussicht  cap.  80  (274). 


(;  Noeklechen,  Tertallian'e  Gegen  die  .luden. 

behaglicher  Abschied,  freilich  auch  keine  Bekehrung,  wie  weiland 
in  „Papiscus  und  Jason".  Aber  die  geschichtliche  Unterlage  ist 
unvergleichlich  solider.  Die  Gesprächsgrundlage  der  Schrift  lässt 
sich  gar  nicht  vernünftig  bezweifeln,  ja  selbst  die  geographischen 
Data  sind  echter,  wahrer,  verlässlicher.  „Korinth  und  Argos" 
Justins  schweben  fast  in  der  Luft,  während  in  den  „Juden"  die 
„Gaetuler"  Y)  den  Horizont  des  Verfassers  verbürgen. 

Bekannt  mit  Justin's  Dialog  zeigt  Tertullian  sich  schon  früh- 
zeitig. Die  Ähnlichkeit  seiner  Ausführungen  mit  denen  des  justi- 
nischen Buches  ist  teils  eine  allgemeine,  wo,  die  Fälle  vereinzelt 
genommen,  Zweifel  allerdings  übrig  bleiben,  teils  eine  so  be- 
sondre, dass  die  Entlehnung  gewiss  ist.  Schon  der  Verfasser  der 
Schutzschrift  hat  den  „Doppeladvent" 2)  wie  Justinus,  und,  ist  der 
Gedanke  zweifellos  ein  Gemeingut  der  Christen,  die  bestimmte 
Formulierung  desselben  wird  auf  den  Alteren  hinweisen.  Auch 
das  Bild  des  wüsten  Judaea:  die  Juden  verbannt  von  Jerusalem, 
die  ganze  Gegend  entvölkert,  die  Wohnstätten  verbrannt,  wie  es 
Justin  gezeichnet  hatte,  malt  die  Schutzschrift  ihm  nach3):  das 
zerstreute,  wandernde  Volk,  ohne  irdischen  und  himmlischen 
König,  darf  die  Scholle  des  Vaterlands  selbst  nicht  als  Pilgrim 
betreten.  Die  „Pflanzschule  unserer  Verlasterung",  jener  empha- 
tische Ausdruck,  mit  welchem  die  Schrift  „An  die  Völker"  die 
Verunglimpfungen  der  Christen  auf  die  Juden  zurückführt,  hat 
offenbar  seinen  Hintergrund  an  mehreren  justinischen  Stellen, 
laut  denen  die  jüdischen  Priester  Verleumder  der  Christengemeinde 
in  alle  Winde  hinaussandten.4)  Auch  jenes  seminare  mendacia 
in  dem  Buch  „An  die  Völker"5)  wird,  auf  die  Juden  gemünzt, 
auf  den  alten  Justin  mit  zurückweisen. 

Um  so  mehr  wird  man  dies  so  beurteilen,  als  auch  im  ein- 
zelnen Ausdruck  der  Sichemite  oft  durchscheint.     So  in    einer 


1)  Advers.  Jud.  7  (714,  u.). 

2)  apolog.  21  (I,  200)  dial.  121  (404)  und  öfters. 

3)  apolog.  21  (I,  196)  dial.  16  (56).    Vgl.  Jesaias  I,  7. 

4)  ad  natt.  I,  14  (I,  335,  m.)  dial.  17  (60,  o.)  108  (363,  o.)  117  (388,  u.). 
—  Vergleiche  beiläufig  auch  Scorpiace  10  (I,  523,  m.):  synagogae  Judaeorum 
fontes  persecutionum  mit  dial.  133  (410,  u.)  rjfxäg  .  .  (povtvsze,  ooüxiq  av 
Xdßrjze  e^ovalav. 

5)  ad.  natt.  I,  6  (1,  315,  u.).  Dass  der  Ausdruck  auf  die  Juden  ge- 
münzt ist,  zeigt  die  Vergleichung  dieser  Stelle  (seminare  mendacia  aemu- 
lationis  ingenio)  mit  apol.  7  (I,  137,  m.)  ex  aemulatione  Judaei. 


Einleitung.  7 

Stelle  der  Schutzschrift.  Der  ruassvolle  Tryphon  Justin's  will 
die  Schandgerüchte  nicht  glauben,  wie  zumal  das  Verzehren  von 
Menschenfleisch:  ov  jciorsvöai  a^iov,  jz6(>()oj  yaQ  7C£%mQ?]xs  r^g 
avdQconivr^  (/ roccoc.  Auffallend  ähnlich  der  Spätere:  Qui  ista 
credis  de  nomine,  potes  et  facere.  Homo  es  et  ipse,  quod  et  Chri- 
stianus. Qui  non  potes  facere,  non  debes  credere.  Homo  est 
enim  et  Christianus,  quod  et  tu. J)  Bei  den  „Karern  und  Phry- 
gern"'  Justins  wird  etwas  Ahnliches  vorliegen:  „wir  sind  kein 
barbarisches  Volk,  wir  sind  keine  Karer  und  Phryger".  Tertul- 
lian:  ..wir  sind  keine  Brahmanen,  keine  indischen  Gymnosophisten. 
keine  Schattenfüssler  und  Hundsköpfe".2)  Das  ist  nicht  Über- 
setzung, das  Verglichene  ist  ja  verschieden.  Augenfällig  jedoch  ist 
die  formelle  Verwandtschaft  und  die  wesentliche  Gleichheit  des 
Grundgedankens.  Erwägt  man  inzwischen  Geschehenes,  die 
geschichtliche  Rolle  der  „Phryger"  innerhalb  der  letzten  Jahr- 
zehnte, andrerseits  die  literarische  von  „Brahmanen  und  Gymno- 
sophisten" bei  zeitgenössischen  Schriftstellern3),  so  wird  man 
sich  darauf  geführt  sehen,  eine  Modernisierung  des  Alteren  bei 
dem  Späteren  anzunehmen. 

Die  Früchte  früher  Lektüre  und  auch  wohl  erneuertes  Studium 
Justins  begleiten  ihn  weiterhin.  Dies  zeigt  sich  im  Antimarcion. 
Das  Verstummen  des  Herrn  vor  Pilatus  wird  durchaus  justinisch 
verknüpft  mit  einer  Jesaiasstelle;  nur  freilich  noch  treuer  den 
Siebzig  hören  wir  den  Späteren  reden.4)  Wenn  ferner  Justin 
den  Pilatus  bei  der  Sendung  Jesu  zum  Antipas  den  Propheten 
Hosea  erfüllen  lässt,  so  erborgt  sich  sein  Jünger  auch  dieses.5) 
Im  fünften  Buch  häufen  sich  Lehnsätze.  Justinus  hatte  bestritten, 
dass  Psalm  110,  1  auf  den  König  Hiskia  zu  deuten  sei,  eine 
Meinung,  die  Tryphon  verfochten.  Auch  Tertullian  bestreitet  es, 
und,  obwohl  es  den  Anschein  gewinnen  könnte,  als  ob  erst  seine 


1)  apolog.  8  (I,  141,  u.)  dial.  10  (53,  o.). 

2)  Karer  etc.  dial.  119  (394,  u.);  Brahmanen  etc.  apolog.  42  (I,  273); 
Hundsköpfe  etc.  apolog.  8  (I,  141,  m) 

3)  Vgl.  z.  B.  die  Gymnosophisten  in  Apulejus1  Florida,  ed.  Elnien- 
horst  S.  343,  Zeile  17  ff,  die  Brahmanen  ebendaselbst  S.  351  Zeile  32.  — 
Vgl.  auch  zu  den  Brahmanen :  Friedländer,  Sittengesch.5  1,458.  Graul 
Die  christl.  K.  an  der  Schwelle  des  Iren.  Zeitalt.'s  S.  15. 

4)  adv.  Marc.  IV,  42  (II,  270,  m.),  dial.  102  (342,  u.). 

5)  adv.  Marc.  IV,  42  (II,  270),  dial.  103  (346.  348). 


g  Noeldechen,  Tertullian'B  Qegen  die  Jaden« 

jüdischen  Zeitgenossen  diese  Stelle  „entwendeten",  bleibt  ent- 
schieden die  Entlehnung  hier  sicher.  Nicht  nur  das  jüdische 
„Wagnis"  ist  beiden  Autoren  gemeinsam,  sondern  auch  die 
Motivierung  der  Juden,  die  sie  für  jene  Deutung  des  Psalms 
bringen:  Hiskia  hat,  wenn  nicht  zu  Gottes,  doch  zur  Rechten 
des  Tempels  gesessen.  Dass  die  Gleichung  tadellos  werde,  ist 
auch  der  Gegengrund  gleich,  mit  welchem  die  jüdische  Ansicht 
über  den  Haufen  geworfen  wird:  Hiskia  war  eben  kein  Priester, 
wie  ihn  doch  die  Psalmstelle  fordert. 1)  Wörtlich  stimmt  ferner 
die  Stelle,  an  der  vom  Abschluss  des  Sehertums  durch  den  Heiland 
geredet  wird. 2)  Zu  einer  Stelle  Justins  bringt  freilich  der  spätere 
Schriftsteller  eine  „evangelische"  Zuthat,  d.  i.  bei  dem  psalmi- 
stischen  „Morgenstern".  Justin  behauptete  lediglich,  dass  der 
Sohn  von  jenem  Sterne  erschaffen  sei.  Dem  Späteren  bedeutet 
das  Psalmwort,  dass  Jesus  zur  Nachtzeit  geboren  ward. 3)  Aber 
die  Anregung  gibt  auch  hier  der  Sichemite  Justinus.  Dem 
Karthager  ist  ja  nichts  mehr  eigen  als  die  Neigung  ältere  Texte  in 
seiner  Weise  herauszuputzen,  sie  in  seinem  Sinn  zu  verschönern. 4) 
Justinisch  wie  tertullianisch  ist  die  Parallele  „Eva,.  Maria". 
Wie  die  „Jungfrau  Eva",  so  sagen  sie,  dem  Bösen  Einlass  ge- 
stattet hat,  so  die  Jungfrau  Maria  dem  Lebenswort;  auch  Gabriel 
und  die  Schlange,  bei  beiden  gleichmässig  auftretend,  verbürgen 
hier  den  Zusammenhang. 5)  Auch  die  Parallelisierung  von  jüdi- 
schen mit  gewissen  christlichen  Sekten  scheint  Tertullian  von 
Justin  zu  haben,  mag  auch  das  jüdische  Sektentum  dem  Späteren 
minder  bekannt  sein  und  die  Gleichung  infolge  dessen  unter 
seinen  Händen  verkrüppeln. 6)     Selbst  in  den  spätesten  Schriften 

1)  dial.  83  Anfang  (282,  m.  284,  o.),  adv.  Marc.  V,  9  (II,  300,  u.).  — 
Vgl.  auch  dial.  33  Anfang  (106). 

2)  adv.  Marc.  V,  8  (II,  297,  o.),  dial.  87  (300,  o.). 

3)  dial.  83  Ende  (284),  adv.  Marc.  V,  9  (II,  300,  u.). 

4)  Vgl.  meinen  Aufsatz  im  Philologus  Suppl.-Bd.  VI,  zweite  Hälfte 
S.  762,  u.  75S,  auch  ebendas.  Anm.  168.  82.  192. 

5)  de  carne  Christi  17  (II,  454),  dial.  100  (336.  338). 

6)  dial.  80  (274.  276):  Sadducaeer,  Genisten,  Meristen,  Galilaeer,  Helle- 
nianer,  Pharisaeer,  Baptisten  werden  mit  christlichen  Sektierern  (diesen  in 
Bausch  und  Bogen)  verglichen.  Bei  Tertullian  (de  res.  carnis  36  Ende;  vgl. 
de  carne  Christi  cap.  1  Anfang)  finden  wir  nur  „Sadducaei  Christi  an orum". 
Die  ihm  sachlich  nicht  geläufigen  andern  will  er  wohl  nicht  unverstanden 
herübernehmen. 


Einleitung.  9 

wird  der  alte  Jnstinus  noch  mitsprechen,  so  namentlich  im  Anti- 
praxeas.  Von  den  drei  Engeln  bei  Abraham  ist  beiden  der  eine 
der  Herrgott '),  wie  auch  manches  Trinitarische  sonst  von  dem 
Sichernden  geholt  ist.2)  Die  Entlehnung  recht  stark  zu  be- 
kräftigen ,  sehen  wir  Tertullian  auch  entschiedene  Fehler  mit- 
machen 3),  während  er  gelegentlich  freilich  auch  Irrungen  still- 
schweigend bessert. 4)  Bewusste  Kritik  wird  nicht  fehlen,  wenn 
der  eine  die  Hexe  von  Endor  als  Bürgin  der  Unsterblichkeit 
anruft,  während  sein  Schüler  in  Afrika  bei  dieser  Hexe  nur 
Lüge  sieht. 5) 

b.   In  Adversus  Judaeos. 

Nachdem  wir  im  vorigen  dargelegt,  wie  klar,  wie  früh  und 
wie  nachhaltig  der  Einfluss  des  Dialogs  auf  Tertullian  im  ganzen 
war,  erörtern  wir  hier  speziell,  wie  gross  die  justinische  Ein- 
wirkung auf  die  angefochtene  Schrift  ist,  auf  die  es  uns  letzt- 
lich hier  ankommt.  Bei  dem  heutigen  Stand  der  Kritik  sind 
zunächst  drei  Teile  zu  sondern,  ein  meist  als  echt  anerkannter, 
ein  angeblich  von  einem  Fälscher  aus  „Marcion  III."  ausgeklaubter 
und  ein  angeblich  von  diesem  Fälscher  aus  seinem  Eigenen  be- 
strittener. 6)     Versparen  wir  nun  auch   die  Erörterung   der  Ein- 

1)  adv.  Prax.  16  (II,  664) :  Ipse  enim  ad  humana  colloquia  semper  de- 
scendit  etc.;  cf.  dial.  56  (180,  u.). 

2)  dial.  129  Ende:  xo  yevvcu/uEvov  zov  yevvwvzoq  dpid-fito  bXSQOv  iori. 
Cf.  adv.  Prax.  13  (II,  669,  m.):  Christus  .  .  .  qui  nurnerum  retro  fecerat, 
factus  secundus  a  patre.  Vgl.  adv.  Marc.  I,  5:  post  unum  enim  numerus, 
exhort.  cap.  7  Anfang:  quod  non  unum  est,  numerus  est.  Denique  post 
unum  incipit  numerus;  apolog.  21:  ita  et  de  spiritu  spiritus  et  de  deo  deus 
modulo  alternum  nurnerum  fecit. 

3)  S.  Justin,  dial.  ed.  Otto  S.  108  Anm.  7. 

4)  Ebendas.  S.  135  Anm.  1. 

5)  Ebendas.  S.  353;  cf.  Tert.  de  anima  57  (II,  647). 

6)  Unbestritten  —  im  ganzen  —  ist  cap.  1 — 8;  das  übrige  constituiert 
das  y.otvov.  gehört  nämlich  auch  „Marcion"  III  zu;  ausgenommen  sind 
Abschnitte  Ton  cap.  9  (II,  725:  sicuti  et  praecursorem  Christi  bis  passu- 
rum  nuntiabat;  II,  726,  u. :  Virtutes  autem  a  patre  bis  sabbatis  faciebat); 
yoii  cap.  10  (II,  727:  dicit  enim  in  Deuteronomio  bis  de  ore  prophetarum, 
II.  730:  nam  quod  in  passione  ejus  bis  Schluss),  von  cap.  11  alles  ausser 
dem  Schluss:  sufficit  hucusque  etc.,  von  cap.  13  alles  ausser  dem  Schluss : 
Igitur  quoniam  adhuc  II,  737.  —  Über  eine  weitere  Complicierung  der  Sach- 
lage durch  Geschmacksurteile  von  Corssen  s.  hier  S.  19  unten. 


IQ  Noeldechen,  Tertullian's  Gegen  die  Juden. 

heit  und  Echtheit  für  später,  so  werden  wir  doch  hier  kaum 
umhin  können,  zunächst  ein  massiges  Vorurteil  für  die  Einheit 
der  Schrift  zu  erwecken,  indem  wir  in  sämtlichen  Abschnitten 
die  justinischen  Spuren  hervorheben.  Zuerst  die  „Homologumena". 

Beschneidung,  Sabbate,  Feste  mögen  freilich  für  Themata 
gelten,  die  mehr  oder  minder  notwendig  beim  Kampfe  mit  den 
Juden  zur  Sprache  kamen.  Aber  schon,  wenn  Adam  und  Abel. 
Henoch,  Lot  und  Noah,  dazu  Melchisedek  als  Zeugen  in  diesen 
Fragen  citiert  werden,  wenn  genau  dieselben  Gewährsmänner 
bei  beiden  Polemikern  aufstehen,  so  ist  die  geschlossene  Phalanx 
ein  sicherer  Beweis  der  Entlehnung.  *)  Wenn  dann  weiter  recht 
bitter  und  bissig  bei  dem  sonst  so  milden  Justin  die  Beschnei- 
dung als  Zeichen  erscheint,  an  welchem  man  Israel  kennen 
sollte,  jenes  schwer  bedrängte  Geschlecht,  das  sich  nicht  mehr 
am  Kidron  darf  sehn  lassen,  wenn  dann  dieser  schreckliche 
Steckbrief  beim  Späteren  ebenso  aussieht,  so  wird  man  den  ge- 
lehrigen Schüler  des  Alteren  schwerlich  verkennen,  zumal  da 
ganz  homolog  dasselbe  Bibelcitat  folgt. 2)  Beide  betonen  auch 
gleichmässig  das  Aufhören  der  Weissagung  mit  den  Tagen  des 
Täufers. 3)  Redet  allerdings  nebenbei  hier  auch  tertullianischer 
Sondergeist,  demzufolge  durch  die  Taufe  des  Herrn  eine  „Weihe 
der  Wasser"  vollzogen  wird,  so  ist  doch  im  ganzen  die  Ähn- 
lichkeit dermassen  stark  und  erheblich,  dass  bewusste  Beziehung 
gewiss  wird. 

Dass  sich  diese  Ähnlichkeit  fortsetzt  bei  dem  angeblich  Ge- 
raubten, in  den  Partien  des  „Freibeuters",  ist  freilich  nicht  zu 
verwundern,  da  die  Stücke  ja  dem  Presbyter  zugehören  zum 
mindesten  in  jener  Gestalt,  die  der  Antimarcion  aufweist.  Dass 
zunächst  die  Jungfraugeburt  uns  früher  wie  später  begegnet, 
bei  Justin  wie  bei  seinem  Jünger,  mag  als  christliches  Erbgut 
zu  gelten  haben  und  an  sich  gar  nichts  beweisen.  Wenn  die- 
selbe prophetische  Stelle  für  diesen  Lehrstoff  verwandt  wird4), 
so  wäre  auch  das  wohl  begreiflich  ohne  wissentliche  Fühlung 
des  Späteren  mit  seinem  älteren  Vorbild.  Ja  wenn  tertullianische 
Eigenart  hier  in  breitem  Mass  sich  entwickelt,  seine  Witze  von 


1)  dial.  19  Anfang  (64.  66),  adv.  Jud.  2  Ende  (II,  704.  705). 

2)  dial.  16  Anfang  (56,  o.),  adv.  Jud.  3  Anfang  (II,  705,  u.  706). 

3)  dial.  51  Ende  (166,  o.),  adv.  Jud.  8  (II,  718,  u.). 

4)  nämlich  Jesaias  7,  10  ff;  s.  dial.  66  (222),  adv.  Jud.  9  Anfang  (720). 


Einleitung.  \  \ 

„Butterbroden"  l)  ihm  allein  auf  Rechnung  zu  stellen  sind,  so 
ist  man  versucht,  das  Verwandte  auf  blossen  Zufall  zurückzu- 
führen. Die  Besprechung  der  vsävig  indessen2),  jener  neuen 
Übertragung  des  Aquila,  wird,  den  beiden  Autoren  gemein,  auch 
hier  den  Zusammenhang  feststellen.  Dieses  letztere  um  so  ge- 
wisser, als  dem  obigen  gleich  auf  der  Ferse  ein  besonders  starker 
Beweis  folgt,  dass  der  Spätere  den  Früheren  ausschreibt.  Wissen 
sie  doch  einhellig  beide,  dass  sowohl  die  „Kraft  von  Damaskus" 
als  auch  die  „Beute  Samariens"  dem  Heiland  dadurch  zuteil 
wird,  dass  die  morgenländischen  Weisen  dem  Kinde  Geschenke 
entgegenbringen. 3)  Ja  die  kühne  Deutung  zu  stützen  nehmen 
beide  ein  anderes  Bibelwort  und  zwar  völlig  dasselbe  in  gleich- 
sam stilistische  Dienste:  wenn  die  Schrift  einen  amoritischen 
Vater  und  eine  hethitische  Mutter  als  Israels  Eltern  bezeichne, 
sei  auch  dieses  doch  bildlich  zu  nehmen  wie  jene  „Beute  Saina- 
riens".4)  Ja  schliesslich  wimmelt  es  hier  von  mikroskopischen 
Einzelzügen,  denn  selbst  die  geographische  Anmerkung  über 
Damaskus  ist  gleichlautend. 5) 

In  den  Grundlinien  gleichlautend  ist  auch  die  Besprechung 
des  Jesusnamens.  Wer  hat,  fragte  Justin,  in  das  Land  der  Ver- 
heissung  geführt?  Doch  Auses,  dann  Jesus  geheissen.  Genau 
so  Tertullian.0)  Auch  wenn  Josua- Jesus  das  Volk  mit  steinernen 
Messern  beschneidet  und  Justin  unter  dem  „ Stein"  den  Felsen 
Jesus  sich  denken  will,  so  hat  sich  dies  Tertullian  in  verkürzter 
Gestalt  zugeeignet.7)  Die  Zusatzbemerkung  Justins s),  dass  an 
Jesu  Worte  zu  denken  sei,  die  von  der  Vorhaut  des  Irrtums 
die  Menschen  gnädig  befreien,  hat  ja  Tertullian  übergangen,  hin- 
gegen die  Notiz  seines  Lehrmeisters,  dass  der  Herr  bei  Propheten 
gar    oftmals    bildlich  als  Felsen  bezeichnet  werde9),   mit    sicht- 


1    adv.  Jud.  9  (721,  m.). 

2)  dial.  07  Anfang  (222),  adv.  Jud.  9  (721,  u.). 

3)  dial.  77  (263  o.),  adv.  Jud.  9  (II,  722,  o.). 

4)  dial.  77  Ende,  adv.  Jud.  9  (723,  o.). 

5)  dial.  78  (268,  o.),  adv.  Jud.  9  (II,  722,  u.).  Man  sieht,  wir  haben  hier 
ein  zusammenhängendes,  Verwandtes  keineswegs  ungeschickt  concen- 
trierendes  und  zusammendrängendes  Excerpt  aus  Justin. 

6    adv.  Jud.  9  (II,  724,  m.),  dial.  75  (254,  m.). 

7)  adv.  Jud.  9  (II,  724,  u.),  dial.  113  (376,  u.). 

8)  dial.  113  (378,  o.). 

9)  petra  enim  Christus  multis  modis  et  tiguris  praedicatus  est  II,  724  u. 


\2  Noeldechen,  Tertullian's  Gegen  die  Juden. 

barem  Anteil  aufgenommen.  Weitere  Spielereien  Justin's,  die 
den  Ausdruck  eben  zu  Tode  hetzen  und  die  Concinnitiit  der  An- 
schauung allzu  entschieden  gefährden  —  man  werde  durch  diese 
Beschneidung  mit  besagten  steinernen  Messern  den  steinernen 
Götzen  entzogen  1)  —  hat  sein  Nachfolger  abgelehnt. 

Auch  was  als  besondere  Feinheit  Tertullian's  erscheinen 
könnte,  die  Bezeichnung  des  Golgathatodes  als  eines  beinahe 
unglaublichen,  schlechthin  „mysteriösen"  findet  sich  —  embryo- 
nisch —  schon  bei  dem  Philosophen  von  Sichern.  Tertullian 
ist  ausführlicher,  deutlicher;  da  der  Tod,  deutlich  geweissagt, 
wirklich  unglaublich  gewesen  wäre,  mussten  die  prophetischen 
Männer  den  Golgathavorgang  „beschatten",  damit  schwer,  wie 
er  zu  verstehn  war,  die  erleuchtende  Gnade  gesucht  werde.  Bei 
Justin  keimt  der  Gedanke,  erst  der  Nachfolger  hat  ihn  entwickelt, 
doch  verbürgen  die  gleichen  Citate  die  bündige  Beziehung  zum 
Vorgänger.  2)  Es  gehört  noch  in  diesen  Zusammenhang,  wenn 
auch  beide  einstimmig  betonen,  dass  keiner  der  Könige  Israels, 
auf  welche  doch  die  Juden  so  gern  messianische  Stellen  beziehen 
möchten,  jemals  irgend  ein  Kreuz  trug.3) 

Geschmückt  wie  das  Wort  des  Jesaias  mit  Butterbrödchen 
der  Kinder  wird,  so  ist  auch  der  Segen  des  Joseph  vom  Kar- 
thager mit  WTitz wort  verbrämt  worden:  das  „Einhorn"  in  jenem 
Segen,  sagt  der  Römer  der  Kaiserzeit,  dem  die  Arena  so  viele 
Tiere  der  Fremde  gezeigt  hatte,  werde  kein  Rhinoceros  sein 
sollen;  auch  ist  es  in  seiner  Manier,  dass  sogar  Vergil  ihm  mit 
herhält.  Justin  ist  .an  alledem  unschuldig.  Dennoch  ist  wieder 
Justin  der  eigentliche  erste  Erreger,  insofern  er  im  „Einhorn" 
bereits  das  Zeichen  des  Kreuzes  gewittert  hat. 4) 

Das  multi  ist  freilich  eigentlich  tertullianischer  Zusatz.  Justin  nur:  iv 
naQaßoXaXq  cap.  113  Ende  (378,  o.). 

1)  ed.  Otto  376,  u. 

2)  dial.  97  (328,  u.):  David  spreche  von  ndQ-oq  und  azavQoq  —  iv 
TiccQaßoXy  ßvozriQiwÖEi;  vgl.  damit  den  Schluss  von  cap.  97:  Xqigtoq,  öid 
xovrov  zov  fivarrjQLOv  cazo&avajv,  tovtsgti  tov  azavQcod-rjvai.  Tertullian 
destilliert  sozusagen  daraus  eine  Doctrin  adv.  Jud.  10  (II,  227,  u.).  —  Die 
Citate  sind  Psalm  22,  17—19  (adv.  Jud.  10,  II,  727,  dial.  97,  328,  u.)  und 
Jesaias  53,  9  (adv.  Jud.  10,  II,  730,  m.,  dial.  97,  328,  u.). 

3)  adv.  Jud.  10  (II,  730,  o.),  dial.  97  Ende. 

4)  „Einhorn"  bei  Justin:  dial.  91  Anfang;  bei  Tert.  adv.  Jud.  10 
(II,  728,  o.);  über  das  Citat  aus  Vergil  s.  Oehler's  Note  ibid.  (Aen.  III,  549). 
Dazu  vgl.  hier  S.  32  Anm.  4. 


Einleitung.  13 

Auch  der  Kampf  wider  Anialek  fesselt  wiederum  Meister 
wie  Jünger.  Josua  kämpft,  Moses  betet,  und  beides  wird  von 
beiden  gedeutet,  und  die  Deutung  ist  völlig  die  gleiche.  Die 
betenden  Hände  besagen  beiden  die  heilige  Kreuzform;  auch  der 
Josua- Jesus-Name  wird  von  beiden  aufs  neue  verwertet. ')  Auch 
die  Unsitte,  zu  wiederholen,  ist  auf  beider  Kerbholz  zu  schreiben; 
wir  werden  sie  für  später  uns  merken  müssen. 

Ein  ganz  besondres  Genüge  aber  thun  sich  Lehrer  und 
Schüler  in  dem  berühmten  mystischen  Satze:  Gott  herrschte  vom 
Holz  her.  Eine  frühzeitige  Einschwärzung  in  den  Text  eines 
Psalmes  ergab  die  erhabene  Vorstellung,  dass  der  grosse  Kö- 
nig Jesus,  schmachvoll  zum  Galgen  erniedrigt,  doch  glorreich 
vom  Schandholze  her  sein  ewiges  Königtum  ausübe.  Dem  Zauber 
dieser  gläubigen  Anschauung,  die  ja  der  Sache  nach  wahr  ist, 
hatte  die  Folgezeit  nachgegeben,  nicht  ohne  dass  freilich  die 
Einrede  gegen  die  „Lesart"  lebendig  blieb.  Beides  erhellt  auch 
bei  beiden.  Justin  klagt,  seltsam  genug,  über  die  unredlichen 
Juden,  die  jenes  „vom  Holz  her"  gestrichen  hätten,  und  sein 
afrikanischer  Jünger  interpelliert  seinen  Colloquenten  bedeutsam, 
ob  er  nicht  jene  Stelle  gelesen  habe.2)  Das  folgende  Scherzwort 
von  „Holzkönig"  gehört  ja  dem  späteren  Witzbold,  der  hier 
wieder  ganz  er  selber  ist.  Aber  Jeremias  11  ist  beiden  wieder 
völlig  gemeinsam,  nicht  nur  überhaupt  als  Citat,  auch  mit  der 
messianischen  Deutung.  Das  erstere  lautet  wie  folgt:  „Werfen 
wir  Holz  in  sein  Brod,  und  tilgen  wir  ihn  aus  den  Lebenden.* 
Die  Deutung  Tertullian's  ist  ja  kühner  als  die  des  Gewährs- 
manns: er  denkt  hier  des  heiligen  Mahls,  indem  er  ein  Quid- 
proquo  von  „Leib"  und  „Brod"  sich  zu  gut  hält.  So  kommt 
denn  das  Wunder  heraus:  „sie  warfen  Holz  in  sein  Brod"  heisst: 
sie  trieben  hölzerne  Pflöcke  in  seinen  heiligen  Leichnam.3)  Auch 
hier  wieder  der  Trieb,  oder  sage  man  selber  die  Unart,  seine 
Vorlage  zu  steigern,  zu  verschönern,  auszubessern. 

Schliesslich  die  Antilegomena  im  Buch  gegen  die  Juden. 
Auch    in    diesen  wenigen   Abschnitten  gibt   der   Sichemite  sich 

1)  dial.  90  (310,  m),  adv.  Jud.  10  (728,  u.  729,  o.). 

2)  dial.  73  Anfang  (240),  adv.  Jud.  10  (II,  729,  m.):  Age  nunc,  si  legisti 
penes  prouhetain  in  psalmis:  Deus  regnavit  a  ligno. 

3)  dial.  72  (211,  m.),  adv.  Jud.  10  (II,  729,  u ).  Die  Stelle  ist  Jeremias 
11,  19:  LXX  ed    van  Ess  S.  820 


14  Noeldechen,  Tertullian'a  Gegen  die  Juden. 

kund  mit  der  gleichen  vollkommenen  Deutlichkeit  wie  in  den 
übrigen  Stücken.  Auch  ist  es  noch  einmal  das  „Holz",  das  er 
von  Justinus  erborgt  hat.  Christus,  so  schrieb  Justin,  ist  der 
Anfang  eines  neuen  Geschlechtes,  das  durch  „Wasser  und  Glauben 
und  Holz"  von  dem  Heiland  wiedergeboren  wird.  Auch  mit 
dieser  justinischen  Trinitas  stimmt  der  Karthager  auf's  völligste. 
Die  Christen,  sagt  er,  trinken  im  Glauben  das  Taufwasser  des 
Leidensholzes.  Mag  das  selber  auch  noch  geschraubter  sein  als 
der  planere  Ausdruck  des  Vorläufers,  die  Gleichung  ist  äusserst 
frappant  und  würde  für  sich  fast  verbürgen,  dass  der  Mann  bei 
Justinus  zu  Gast  ging.  *)  Dazu  kommt  die  Elisageschichte, 
in  welcher  noch  einmal  das  Holz  eine  messianische  Rolle  zu 
spielen  hat. 2) 

Das  Vorurteil  wird  somit  da  sein,  dass  Abschnitte,  die  so 
entschieden,  so  gleichmässig  beflissen  sind,  aus  dem  Dialog  des 
Justin  die  Schriftbeweise  zu  holen,  wirklich  aus  einem  Guss, 
und  aus  einer  Feder  geflossen  sind.  Sollte,  wie  man  ja  vermutet, 
ein  späterer  Anonymus  mitspielen,  Eigenes  mit  Tertullianischem 
dumm  oder  schlau  zusammenschweissend,  er  hätte  den  Kunst- 
griff verstanden,  auch  seine  eigene  Zuthat  aus  einem  Magazin 
zu  bereichern,  aus  dem  vor  ihm  Tertullian  so  starke  Bezüge  ge- 
macht hatte.  Doch  es  gilt  nun  weiter  zurückgreifen  und  die 
neuere  Geschichte  des  Streites  über  die  „Juden"  sich  ansehn. 


Abhandlung. 

1.   Die  Geschichte  des  Streites  über  Adversus  Judaeos. 

Das  Buch  gegen  die  Juden  hat  krause  Geschicke  erfahren. 
Die  neueren  beginnen  mit  Semler,  der  dem  Buche  sehr  wenig 
hold  ist  und  die  mittelmässige  Art  des  kleinen  Machwerks 
bespöttelt. 3)       Diese    Überkritik     eines    Semler     hatte     freilich 


1)  dial.  138  Anfang  (452),  adv.  Jud.  13  (II,  735,  u.). 

2)  dial.  86  (296,  m.),  adv.  Jud.  13  (II,  736,  u.). 

o)  Dissertatio  de  varia  et  incerta  indole  librorum  Q.  Sept.  Flor.  Ter- 
tulliani,  abgedruckt  in  Oehler  III,  620ff.  Der  Abschnitt  über  die  „Juden", 
der  auch  die  synoptische  Zusammenstellung  mit  den  betreffenden  Ab- 
schnitten von  adv.  Marc.  III  enthält,  ebendas.  S.  639—657. 


1.   Die  Geschichte  des  Streites  über  Adversus  Judaeos.  |5 

Methode.  Sein  unbarmherziger  Kehrbesen  ist  für  halbe  Arbeit 
zu  schade.  Dieser  Kritiker  fegte  die  Juden  samt  Antimarcion 
aus,  zerrieb  eine  andre  Schrift  an  Irenaeus'  Ketzerbestreitung, 
eine  dritte —  immer  Tertullian's  —  an  einem  Buch  des  Hippolytus, 
überall  SchwindkT  ertappend,  welche  Schriften  des  christlichen 
Altertums  mit  geschäftiger  Hand  vervielfältigten.  Nur  den 
„Ketzern"  ist  er  allenfalls  holder,  die  bei  Semler  die  Ehre  ge- 
messen, mit  gebildeten  Geistern  von  heute  auf  gleichen  Boden 
zu  treten.  „Was  in  aller  Welt  konnte  Marcion,  was  können 
gebildete  Geister  aus  solchem  Gesudel  nur  lernen!" 

Der  grosse  Grundfehler  ist  ein  gleichsam  klassisches  Unver- 
mögen, den  Massstab  heutiger  Bildung  eine  Weile  beiseite  zu 
legen  und  zunächst  sich  mit  innerer  Teilnahme  in  die  ältere  Welt 
zu  versetzen.  Semler's  Verfahren  ist  ehrlich:  er  weigert  die 
Sympathie  für  jenes  alte  Geschreibsel:  die  allzu  pietätvolle  Vor- 
sicht von  Früheren  sei  hier  verschwendet:  die  Einfalt  und  Klein- 
meisterei  dieser  Schriften  verdient  keine  Schonung.  Bei  allem 
Radicalismus  ist  die  Schrift  Gegen  die  Juden  allerdings  doch 
Semler  verbunden  für  die  fleissige  und  scharfe  Synopse,  die,  das 
Buch  am  Antimarcion  messend,  Späteren  sehr  zu  statten  kam. 

Wie  völlig  verschieden  Neander1).  Jene  radikale  Kritik,  die 
das  Kind  mit  dem  Bade  ausschüttet,  liegt  ihm  in  äusserster 
Ferne.  Die  Bücher  gegen  den  Pontiker  haben  sein  vollstes  In- 
teresse, das  in  einem  besonderen  Buche  sich  ein  schönes  Denk- 
mal gesetzt  hat.  Dagegen  der  Schwesterschrift,  dem  Zwilling 
gleichsam  des  „Pontus",  brachte  er  grössere  Nöte  als  selbst  sein 
schneidiger  Vorgänger.  Die  an  sich  sehr  richtige  Einsicht,  dass 
die  zweite  Hälfte  der  „Juden"  von  der  ersten  merklich  ver- 
schieden ist,  verführte  ihn  zu  der  Annahme,  die  letzte  Hälfte 
des  Buches  sei  die  Compilation  eines  Stümpers,  der,  das  unvoll- 
endete Werk  mit  dem  dritten  Buch  gegen  Marcion  in  seiner 
Weise  zusammenhaltend,  die  Beweisführung  in  diesem  letzteren 
zur  Ergänzung  des  Brachstücks  benutzt  habe. 

Der  grosse  Kirchenhistoriker  hatte  zahlreiche  Nachfolger. 
Selbst   die    katholische   Kirche   stellte   ihm  einen    Gefolgsmann. 


1)  Antignosticus,  Geist  des  Tertullianus  1825,  2.  Ausgabe  1849  S.  458 
u.  403  ff.  (bezw.  1.  Excurs  S.  511  ff.  . 


16  Noeklechen,  TertuUian's  (jegen  die  Juden. 

Laufköther J),  Böhringer2),  Hauck3),  Corssen4)  und  endlich  auch 
Krüger 5)  wandeln  mit  völliger  Zuversicht  in  den  Spuren  Nean- 
ders,  vielleicht  um  so  mehr  unbeirrt  und  um  so  weniger  ange- 
zweifelt, als  keinerlei  Scheu  vor  dem  „Kanon"  hier  die  kritischen 
Schritte  zu  hemmen  braucht,  ja  als  es  allem  Anschein  nach  um 
eine  res  vilis  sich  handelt.  Auch  Corssen  als  neuester  Kritiker 
bekräftigt  das  Urteil  Neander's,  und  Krüger,  der  sich  freilich 
kaum  tiefer  mit  diesen  Sachen  befasst  hat,  findet  die  Ansicht 
absurd,  dass  die  zweite  der  Hälften  echt  sei. 

Trotzdem,  so  ganz  ohne  Fürsprache  ist  der  zweite  Teil  nicht 
geblieben.  Schon  Kaye G)  hat  solche  geleistet.  Er  bemerkt,  dass 
die  Schwierigkeiten,  die  sich  bei  der  Vergleichung  der  „Juden" 
mit  Antimarcion  darbieten,  keineswegs  grösser  werden,  wenn  man 
Tertullian  als  den  Urheber  beider  Werke  betrachte  —  auch  des 
ganzen  Buchs  an  die  Juden  —  als  wenn  man  die  letztere  Schrift 
von  einem  Falsarius  ableite.  Er  hält  es  für  unverständig,  einem 
Schriftsteller  zu  untersagen,  seine  Gedanken  mit  gleichen  Worten 
zum  zweiten  Male  zu  geben,   wo   es   um    dasselbe  sich   handle: 

1)  Im  Artikel  Tertullian  s.  Freiburger  Kirchen  -  Lexicon.  Er  berück- 
sichtigt nur  die  ersten  8  Kapitel  der  Sehr.  adv.  Jud.,  ohne  Kap.  9—14  auch 
nur  mit  einem  Wort  zu  erwähnen,  als  ob  die  Unechtheit  desselben  durch 
Neander  ein  für  allemal  entschieden  sei. 

2)  Die  Kirchengesch.  der  ersten  Jahrhh.  in  Biographien  2.  Hälfte 
2.  Ausg.  Zürich  1864.  Er  spricht  sehr  wegwerfend  von  dem  ganzen 
Buche. 

3)  TertuUian's  Leben  und  Schriften.  Erlangen  1877.  S.  88.  Er  findet 
es  unwiderleglich  (cap.  8),  dass  der  Verf.  zur  Zeit  noch  in  keiner  Weise 
montanisierte.  Über  alle  Zweifel  an  der  Echtheit  scheint  er  selbst  in  Be- 
zug auf  den  ersten  Teil  nicht  hinauszukommen. 

4)  Die  Altercatio  Simonis  Judaei  et  Theophili  Christiani  auf  ihre 
Quellen  geprüft.     Berlin,  Weidmann  1890. 

5)  S.  seine  Anzeige  der  Corssen'schen  Schrift  im  Centralblatt  1890 
No.  45.  Wenn  Krüger  die  der  seinigen  entgegengesetzte  Ansicht  absurd 
nennt  und  zugleich  behauptet,  dass  Corssen  diese  Ansicht  habe  „ausführ- 
licher widerlegen  müssen'1 ,  so  widerspricht  er  sich  selber.  Absurde  Be- 
hauptungen sind  nicht  ausführlicher  Widerlegung  bedürftig;  sie  fallen 
durch  ihre  Ohnmacht. 

6)  De  Tertulliano  et  ejus  scriptis.  So  lautet  die  Überschrift  eines 
Abschnittes  in  der  Historia  Ecclesiastica  saeculor.  II  et  III  ex  Tertulliani 
scriptis  illustrata  ed.  III  Lond.  1845.  Dieser  Abschnitt  ist  abgedruckt  bei 
Oehl.  III,  697 — 729.  Die  uns  hier  angehenden  nicht  eben  zahlreichen  Sätze 
s.  ebendas.  S.  727.  728. 


1.   Die  Geschichte  des  Streites  über  Adversus  Judaeos.  17 

und  dieser  Fall  sei  hier  vorliegend.  Marcion  und  die  Juden, 
von  verschiedenen  Gründen  geleitet,  stellten  ja  beide  in  Abrede, 
dass  Jesus  als  der  Messias  im  alten  Bunde  verkündet  sei.  Hätte 
Tertullian  sich  um  neue  Worte  bemühen  wollen,  blos  um  das 
früher  Erledigte  in  neuem  Aufputz  zu  zeigen,  so  hätte  er  seine 
Müsse  in  vorzüglicher  Weise  verschwendet;  um  so  mehr  als  es 
hier  sich  vor  allem  um  kanonische  Schrift  stellen  handelte. 
Nichtsdestoweniger  ändert  er,  was  die  völlig  veränderte  Front 
zu  verändern  irgend  empfehlen  konnte. 

Auch  deutsche  Verteidiger  gibt  es.  In  einem  Programm 
von  Kempen  hat  Grotemeyer  *)  sich  ausgesprochen,  mit  unver- 
werflichen Gründen  die  Grundlosigkeit  der  Verwerfung  des 
zweiten  Teiles  erhärtend.  Er  erörtert  die  historischen  Zeugnisse, 
bezeichnet  den  Stil  des  Ganzen  mit  Recht  als  tertullianisch,  will 
Nachlässigkeiten  gern  einräumen,  betont  aber  mit  Nachdruck, 
dass  es  ein  und  derselbe  Wurf  ist,  der  diese  Arbeit  gestaltet 
hat.  Einzelne  wichtige  Bänder,  die  die  beiden  Teile  verknüpfen 
und  trotz  kritischer  Keile  zusammenhalten,  hat  er  richtig  gesehen. 
Nicht  ohne  Geschick  legt  er  dar,  wie  der  zweite  Teil  disponiert 
ist:  die  Gedankenordnung  desselben  erhelle  schon  im  sechsten 
Kapitel:  Jesus,  der  geweissagte  Christus,  sei  eben  das  Thema 
des  folgenden.  Die  Einzelgesichtspunkte  sieht  man  im  achten 
Kapitel  hervortreten,  also  noch  in  einem  Abschnitt,  gegen  dessen 
Echtheit  nichts  vorliegt.  Untersucht  sollen  werden  die  Zeiten 
erstens  der  Geburt  Jesu  Christi,  zweitens  des  Leidens  desselben, 
drittens  der  Zerstörung  Jerusalems.  Diese  Dreiteilung  werde  so 
durchgeführt,  dass,  nachdem  im  achten  Kapitel  als  grundlegende 
Weissagung  eine  Danielstelle  besprochen  ist,  welche  die  ge- 
nannten Gesichtspunkte  zusammenfassend  behandelt,  in  den  weiter 
folgenden  Abschnitten  (9 — 13)  die  Gesichtspunkte  einzeln  zu 
Worte  kommen.  Das  neunte  Capitel  erörtert  zunächst  die  nati- 
vitas  Christi,  das  zehnte  sein  Leiden  und  Sterben.  Am  Ende 
des  zehnten  Capitels  erfolge  dann  endlich  der  Übergang  zu  dem 
letzten  Punkte  der  Arbeit:  Jerusalems  endlicher  Untergang  und 

1)  Jahresbericht  des  Gymnasium  Thomaeum  zu  Kempen.  1865.  Der 
..Excurs  über  die  Echtheit  der  Sehr.  adv.  Jud.  und  die  Zeit  ihrer  Ab- 
fassung'4 S.  16 — 26.  Die  Erörterungen  dieses  —  katholischen  —  Gelehrten 
sind  durchaus  leidenschaftslos  und  sachlich,  selbst  dem  „protestantischen 
Bibelkritiker  Semler"  gegenüber. 

Texte  u.  Untersuchungen  XII,  8.  2 


lg  Noeldechen,  Tertullian'e  Gegen  die  Joden. 

die  Zerstreuung  des  Judenvolks.  Den  Schluss  bildet  „zum  Über- 
fluss"  eine  Geisselung  des  jüdischen  Grundfehlers,  dass  Israel, 
den  Doppeladvent,  von  Propheten  geweissagt,  verkennend,  den 
ersten  Advent  in  der  Niedrigkeit  irriger  Weise  beanstande. 
Trotz  mancher  Digressionen  sei  im  ganzen  hier  Klarheit  vor- 
handen, und  schliesslich  die  Einheit  des  Ganzen  bündiger  selbst 
erweisbar,  als  bei  mancher  Schrift  des  Karthagers,  deren  Einheit 
niemand  bemängelt.  Auch  das  leistet  der  Kritiker,  dass  er  sämt- 
liche Neandersche  Gründe,  die  nur  irgendwie  ins  Gewicht  fallen, 
in  der  Hauptsache  gut  widerlegt  hat. 

Dies  etwa  der  Stand  der  Debatte.  Es  erübrigt  nur  noch 
hinzuzufügen,  dass  ich  selber  vor  einigen  Jahren  mich  zu  dieser 
Frage  geäussert  habe.  *)  Die  Einheits-  und  Echtheitsfragen  sind 
freilich  fast  nur  gestreift  worden.  Auch  sind  manche  wichtige 
Punkte  mir  erst  später  zur  Klarheit  gediehen.  Dass  zu  thun 
bleibt,  ist  sicher.  Kaye  sah  vieles  richtig,  aber  er  übersah  doch 
zu  sehr,  dass  die  zweite  Hälfte  der  „Juden"  von  der  ersten  wirk- 
lich verschieden  ist:  den  Wahrheitskern  bei  Neander.  Zudem 
balancierte  bei  Kaye,  formell,  das  Für  und  das  Wider.  Dass  die 
Schale  der  Einheitsgründe  wirklich  zum  Sinken  gebracht  werde, 
wäre  wohl  schliesslich  zu  fordern,  soll  die  Sache  nicht  in  der 
Schwebe,  ein  Non  liquet  das  Resultat  bleiben.  Aller  Einzeler- 
weis zudem  mangelt.  Grotemeyer's  Verdienst  hatte  doch  auch 
seine  Schranken.  Die  Einheit  meist  trefflich  vertretend,  verwirrt 
er  die  Zeitfrage  völlig,  so  dass  sein  Gesamtbild  der  Dinge  doch 
zuletzt  als  unglaublich  sich  darstellt.  Die  „Juden"  sollen  vom 
Autor  aus  Marcion  excerpiert  sein.  Sie  sollen  in  die  „phrygische" 
Zeit  des  karthagischen  Schriftstellers  fallen,  während  montani- 
stische Spuren  mit  keiner  Silbe  erwähnt  werden.  Auch  das 
teilweise  riecht  bei  Neander  ist  ihm,  wie  Kaye,  entgangen. 

Mit  Corssen  kann  man  in  Kürze  sich  füglich  nicht  abfinden 
wollen.  Sein  Verfahren  zeugt  von  Scharfsinn,  seine  Darstellung 
wirkt  fast  bestechend.  Auch  ist  er  der  neueste  Kämpe,  mit  dem 
man  sich  gründlich  wird  schlagen  müssen.  Da  wir  aber  auf 
Corssen'sche  Gründe  vielfach  zurückkommen  müssen,  so  be- 
schränken wir  uns  hier  auf  das  Nötigste.    Zunächst  mangelt  die 


1)  Im  2.  Heft  des  5.  Bandes  der  Texte  u.  Untersuchungen  zur  Gesch. 
der  altchristl.  Lit  von  0.  von  Gebhardt  u.  A.  Harnack. 


1.    Die  Geschichte  des  Streites  über  Ad  versus  Judaeos.  19 

Gründlichkeit,  ein  Mangel,  der  damit  zusammenhängt,  dass  ihm 
die  Behandlung  der  Frage  doch  nur  die  Wege  bereiten  soll,  eine 
andere  Frage  zu  lösen.  Um  die  Sache  aber  beiläufig  abzuthun, 
ist  sie,  jetzt  zumal,  viel  zu  verwickelt. *)  Mit  Behandlung  ein- 
zelner Stellen  wird  man  überhaupt  nicht  mehr  auskommen.  Auch 
die  letztere  ist  mehrfältig  unbillig.2)  Gelegentlich  stösst  man 
auf  Unkunde  des  tertullianischen  Ausdrucks. 3)  Das  Gesamtbild, 
das  Corssen  gewinnt,  leidet  entschieden  an  Künstlichkeit.  „Ge- 
danken- und  Geistlosigkeit  bezeichnen  die  Spuren  des  Frei- 
beuters." Ist  dies  Portrait  von  ihm  fertig,  so  sollte  man  wenig- 
stens meinen,  überall,  wo, er  nicht  plündert  und  mit  den  erborgten 
Federn  eigene  Blossen  verdeckt,  demselben  geistlosen  Antlitz 
dauernd  ins  Auge  zu  schauen.  Aber  diese  Erwartung  ist  trüge- 
risch. Auch  da,  wo  der  Antimarcion  ihm  seine  Scheuern  nicht 
öffnet,  finden  nach  Corssen  sich  Abschnitte,  die  für  dem  Coni- 
pilator  zu  gut  sind:  sie  werden,  meint  Corssen,  dem  Presbyter 
und  nicht  seinem  Plünderer,  zugehören.4)  Gleicht  schon  nach 
Xeander'scher  Ansicht  das  Ganze  einer  Harlekinsjacke:  acht 
Kapitel  untadelig,  sechs  teils  echt,  weil  aus  „Marcion",  teils  un- 
echt, weil  Zuthat  des  Freibeuters,  so  beschert  uns  Corssen  ein 
Viertes,  nicht  zum  grossen  Continuum  der  Anfangskapitel  gehörig, 
nicht  aus  Antimarcion  ausgeklaubt,  auch  nicht  freie  Zuthat  des 
Plünderers,  sondern  echter  Schriftsatz  des  Presbyters.  Zu  solchem 
Ergebnis    zu    kommen   werden    einzelne    Abschnitte   ausgekerbt, 


1)  Er  behandelt  die  Echtheitsfrage  auf  S.  2 — 10  der  angeführten 
Schrift,  und  bei  der  schönen  Knappheit  des  Ausdrucks,  über  die  er  zu  ver- 
fügen weiss,  kommen  recht  zahlreiche  Gesichtspuncte  zur  Sprache.  Trotz- 
dem liess  sich  die  Sache  so  einfach  gar  nicht  erledigen. 

2)  S.  z.  B.  S.  4  Anm.  1.  „Was  hat  es  den  Juden  gegenüber  für  einen 
Sinn"  etc.  Wir  werden  sehen  (s.  hier  S.  23.  S.  29  Anm.  3)  dass  es  sich  von 
cap.  9  an  um  einen  „Entwurf*  aus  der  Hand  Tert.'s  handelt.  Diese  Art 
von  loserem  Ausdruck  ist  in  einem  Entwürfe  verzeihlich.  Eine  „Über- 
M-hriftenmanier"  macht  sich  eben  mehrfach  bemerklich. 

3)  S.  Corssen  S.  8  Mitte  über  ducatus.  Der  Ausdruck  ist  eminent 
tertullianisch.  Deutsch:  „den  Kernpunkt  eures  Irrtums".  Nach  17  s  poeti- 
sierendem  Stil  eigentlich:  euren  prinzlichen  Irrtum.  Vgl.  de  pud.  5  (I,  799) : 
Est  et  mali   dignitas  ....  Pompam  quandam  aspicio  moechiae,   hinc  du- 

im  etc.    Dies   erläutert  sachlich  und  sprachlich.   Zum  Wort  ducatus  s. 
auch  Oehl.  I,  3G0,  u. 

4)  S.  namentlich  S.  9  oben. 


20  Noeldechen,  Tertullian's  Gegen  die  Juden. 

ein  echter  Zusammenhang  hergestellt  nach  dem  Geschinacke  des 
Kritikers,  statt  des  schlechten,  der  vorliegt.  ])  Nun  weiss  man. 
dass  nicht  nur  bei  Anfangern,  nein  selbst  zuweilen  bei  Meistern, 
durch  Tilgung  gewisser  Passagen  das  Ganze  an  Klarheit  ge- 
winnen kann.  Das  Störende  hurtig  zu  streichen  und  dasselbe 
als  unecht  zu  brandmarken  ist  aber  oft  gar  nicht  der  Weg,  den 
authentischen  Text  zu  ermitteln,  die  geschichtliche  Wahrheit 
klar  zu  legen.  Kann  ein  Autor  denn  selber  nicht  fehlen?  Steht 
dieser  über  jedem  Verdacht,  je  der  vollen  Praecision  zu  er- 
mangeln? Will  man  so  ohne  Ende  zerschneiden,  den  einen 
Fetzen  aichend  als  echt,  den  andern  als  unecht  stempelnd,  wo 
bleibt  die  verlässliche  Schranke  gegen  kritische  Willkür  und  reine 
Geschmacksurteile  mit  ihrer  biegsamen  Unart?  Trotz  allem  ver- 
wendeten Scharfsinn  hat  Corssen  auch  sonst  Erstaunliches.  Wenn 
die  „Juden"  scripturae  divinae  statt  des  „creator"  einsetzen,  den 
der  Antimarcion  vorzog,  so  soll  dieser  Ausdruck  „farblos"2)  sein. 
Hat  der  strenge  Censor  vergessen,  dass  grade  die  „heiligen 
Schriften"  in  den  „Juden"  der  Kampf boden  sind,  auf  dem  beide 
Streitenden  fussen  können,  und  dass  dies  ebenso  sicher  im  Anti- 
marcion anders  steht?  Dass  also  beide  Termini  ganz  vortrefflich 
gewählt  sind?  Andererseits  soll  ein  „creator"  aus  Versehen  stehen 
geblieben  sein. 3)  „Siehe,  wie  sämtliche  Völker  aus  dem  Strudel 
menschlichen  Irrtums  zu  dem  Herrn  und  Schöpf  er  gott  auf- 
tauchen!" Die  unglücklichen  „Juden"!  Sie  können  es  Corssen 
nie  recht  machen.  Und  doch  wird  er  schliesslich  hier  nach- 
geben. Er  versuche  hier  „scripturae  divinae"  und  lasse  die 
Volker  der  Erde  zu  den  „heiligen  Schriften"  emportauchen. 
Corssen  schreibt  viel  zu  gut,  als  dass  er  solche  Albernheit  gut 
hiesse.  Er  bedrängt  den  vortrefflichen  Text  mit  der  Scylla  und  mit 
der  Charybdis  und  kann  ihn  doch  nicht  zerscheitern.  Wie  un- 
billig ist  auch  das  andre,  den  „Juden"  zu  mehreren  Malen  die 
schlechteste  aller  Lesarten  ohne  Erbarmen  aufzudrängen  und 
an    viel    besser    bezeugten    und    verständigen    stille    vorbeizu- 


1)  So  vor  allem  S.  4  Anm.  1. 

2)  S.  4  oben. 

3)  S.  8  Mitte.  Auch  sieht  dies  gerade  so  aus,  als  ob  der  Ausdruck 
creator  schlechterdings  nur  im  Antimarcion  stehen  dürfte.  Man  vgl.  aber 
z.  B.  adv.  Hermog.  10  (II,  348,  o.).  Eine  rhetorische  Erweiterung  s.  hier 
S.  31  Anm.  2. 


1.    Die  Geschichte  des  Streites  über  Adversus  Judaeos.  21 

gehn  ');  wie  inconsequent  auch  das  dritte,  dass  die  „  Juden"  wieder 
neben  dem  Zwilling  den  besseren  Text  überliefern  sollen. 2) 

Allerdings  das  vertauschte  „Creator"  bahnt  Corssen  haupt- 
sächlich den  Weg  zu  einem  noch  schlimmeren  Vorwurf  gegen 
den  faselnden  Ausschreiber.  Vergessend  dass  er  „heilige  Schriften" 
statt  des  „Schöpfers"  gesetzt  hat,  lasse  er  appellat  und  vocat, 
den  Praedikatssingular  folgen.'')  Ein  starkes  Stück,  wie  es  scheint. 
Aber,  wie  gewöhnlich  ist's  hier  ein  Tertullian  wie  er  sein  sollte, 
nicht  ein  Tertullian,  wTie  er  war,  den  sich  Corssen  vors  Auge 
gestellt  hat.  Der  letztere  wenigstens  macht  solche  schnöden 
„Fehler"  nicht  selten.  So  hat  er  das  subjektlose  „inquit".  Er 
schreibt  ja  auch  inquit  dominus,  er  schreibt  auch  inquit  apo- 
stolus,  aber,  man  zähle  nach,  er  hat  inquit  allein  gar  nicht 
seltener,  wo  gar  kein  bestimmtes  Subjekt  in  näherer  Nach- 
barschaft vorliegt.4)  Ist  das  nun  gar  Cicero  eigen,  und  heisst 
speziell  bei  den  Vätern  dies  inquit  häufig:  Gott  sagt,  so  kann 
man  allerdings  einwenden:  inquit  ist  nicht  appellat.  Doch  zu- 
nächst steht  auch  ait  ganz  ähnlich 5)  und  zudem  sogar  jubet 6), 
praecepit.7)     Dass    Gott  oder  dass  der  Apostel  in  jubet,  prae- 


1)  S.  Corssen  S.  4  o. :  „beiläufig  gesagt,  ist  aus  dem  nominum  hominurD 
geworden!"  Aber  s.  Oehl.  II,  723  Anm.  43.  Der  Fuldensis  las  ja  nomi- 
num; Rigault  und  Oehl  er  drucken  getrost  nominum.  Warum  hier  den  Un- 
sinn beibehalten,  der  nicht  einmal  gut  bezeugt  ist?  Ähnlich  steht  es  mit 
dem  Citate  bei  Corssen  S.  7  o.:  et  hoc  enim  infantiae  est.  Vgl.  damit  den 
Oehler'schen  Text  S.  722  o.  Hier  fehlt  durchaus  und  mit  Grund  jenes 
„sinnlose  et"  (Corssen  S.  8  Mitte).  —  Auch  bei  Oehler  II,  734  Anm.  6  gibt 
der  Fuldensis  nunc  statt  des  Corssen  S.  9  oben  so  anstössigen  tunc.  In  der 
That  heisst  dies  nichts  andres,  als  sich  die  Windmühlen  aufrichten^  gegen 
welche  man  kämpfen  kann.  —  Über  ein  andres  et  s.  Corssen  25  u.  und 
Oehl.  II,  727. 

2)  S.  Corssen  S.  8  Anm.  2.   S.  6  Anm.  1. 

3)  S.  Corssen  S.  4. 

4)  de  spect.  28  (I,  GO,  o.)  saeculum,  inquit,  gaudebit,  vos  tristes  eritis; 
de  idolol.  12  (I,  86,  o.)  sed  Nolite,  inquit,  cogitare  de  victu. 

5)  de  idolol.  20  (I,  102,  u.)  Sed  ait:  Nomen  aliorum  deorum  ne  com- 
memoremini. 

6)  de  idolol.  14  (I,  91,  o.)  Si  hominibus,  inquit,  vellem  placere,  servus 
Christi  non  essem.  Sed  idem  alibi  jubet,  Omnibus  placere  curemus.  Dass 
der  Apostel  redet  (Gal.  I,  10),  muss  der  Leser  hier  raten. 

7)  de  idolol.  20  (I,  103,  o.)  Hoc  praecepit,  ne  deos  vocemus  illos. 
Dass  Gott  der  praecipiens,   muss   der  Leser  hineindeuten!   —  Ein  inter- 


22  Noeldechen,  Tertullian'g  Gegen  die  Juden. 

cepit  Subjekt  sind,  dies  zu  ahnen  bleibt  Sache  des  Lesers.  Ich 
meine,  wenn  jubet,  praecepit  so  völlig  subjektlos  zu  stehen 
kommen,  so  mögen  appellat  und  vocat  das  gleiche  Schicksal 
wohl  leiden  dürfen,  selbst  wenn  scripturae  divinae,  um  so  mehr 
wenn  scripturae  divinae  ganz  dicht  vorhergehen  sollte.  Da  ähn- 
liche Beispiele  zahlreich  ausserdem  zu  erbringen  sind,  so  muss  der 
verblüffende  Glanz  dieses  starken  Beweisgrundes  stumpf  werden. 
Das  Verhältnis  der  Texte  anlangend  —  der  „Juden"  und 
Antimarcion's  —  hat  Corssen  ein  Schema  verwendet,  das  „Ori- 
ginal und  Copie"  heisst. l)  Ist  „Marcion"  Original,  dann  sind  die 
„Juden"  Copie,  und  umgekehrt  stände  es  umgekehrt.  Aber  es 
fragt  sich  doch  sehr,  ob  dieser  Gegensatz  zutrifft  oder  ob  diese 
Formel  hier  ausreicht.  Zunächst  ist  es  sicher  ein  Bild,  das  auf 
diese  Weise  verwandt  wird.  Ganz  eigentlich  nimmt  man  den 
Ausdruck  bei  den  Künsten  des  Meisseis  und  Pinsels.  Bei  Copien 
der  Maler  und  Bildhauer  ist  der  Nachahmer  aber  beflissen,  mit 
möglichst  täuschender  Ähnlichkeit  seinem  Original  sich  zu  nähern. 
Nur  weil  das  „Räuspern"  ja  leichter  als  der  „feine  Blick" 
zu  copieren  ist,  und  bei  Wiedergabe  des  letzteren  ein  Un- 
vermögen sich  geltend  macht ,  pflegt  der  Copist  allerdings  das 
Original  nicht  zu  erreichen.  Wiche  er  bewusst  davon  ab,  so 
würde  das  Caricatur  geben.  Von  all  dem  ist  hier  nicht  zu  reden. 
Der  „Copist"  verändert  mit  Absicht;  dies  wird  auch  Corssen 
nicht  leugnen;  dass  er  absichtlich  Zerrbilder  gebe,  hat  Corssen 
nirgend  behauptet.  Auch  anderwärts  hinkt  ja  dies  Gleichnis. 
Ist  das  Original  des  Porträts,  der  Büste  der  Copie  überlegen 
und  natürlich  zeitlich  das  Frühere,  so  hat  mancher  Anwalt  der 
„Juden",  der  die  Echtheit  und  Priorität  der  letzteren  gleich- 
massig  aussagt,  keinesweges  behauptet,  dass  die  „Juden"  das  voll- 
kommenere Werk  seien.  Es  steht  bei  den  Werken  der  Feder 
eben  anders  als  bei  Werken  des  Zeichners.  Sollte  zumal  der- 
selbe, der  früher  eine  Arbeit  nur  hinwarf,  sie  durch  irgend  eine 
Ursach  bewogen  zum  zweiten  Mal  in  die  Hand  nehmen,  so  wird 
zehn  gegen  eins  wohl  zu  wetten  sein,  dass,  es  sei  denn,  er  wäre 
altersschwach,   das  Neue  das  Ältere  aussticht.     Wenn  hier  von 


essantes  Beispiel  s.  de  praescr.  16  (II,  17  ganz  oben)  wo  der  Anschein  ent- 
steht, als  führe  Tert.  ein  Herrnwort  auf  den  Apostel  zurück.  „Interdixit" 
vscil.  dominus. 

1)  Corssen  S.  7  oben. 


1.   Die  Geschichte  des  Streites  über  Adversus  Judaeos.  23 

den  ..Juden"  ein  Teil  in  den  späteren  Antimarcion  einfliesst  — 
ein  tributärer  Nebenfluss  gleichsam  —  so  bleibt  der  Antimarcion 
Hauptstrom;  man  wird  ihn  als  reicher  vermuten  und  vielleicht 
von  geklärteren  Wassern;  besteht  man  auf  dem  Corssen'schen 
Schema,  so  wäre  in  der  That  die  „Copie"  hier  die  wirklich  voll- 
kommenere Leistung.  "Will  man  andere  Schemata  durchproben, 
so  bieten  sich  ..verschiedene  Auflagen",  oder  „Concept  und  Rein- 
schrift", oder  „Entwurf  und  Ausführung"  oder  „Vorlesung,  Ab- 
handlung". Von  verschiedenen  Auflagen  weiss  man  beim  Anti- 
marcion  selber;  auch  meldet  der  Schriftsteller  Gründe,  die  zur 
zweiten  und  dritten  geführt  haben.1)  Hier  besteht  ja  der 
Unterschied,  dass  wir  Tertullian  nicht  selber  als  Zeugen  des  Vor- 
gangs verhören  können.  Auch  kann  von  verbesserter  Auflage 
in  der  That  hier  kaum  irgend  die  Rede  sein,  weil  der  vielfach 
ähnliche  Stoff  eine  veränderte  Wendung  erhält  und  ganz  ver- 
schiedenen Dienst  thut.  Mit  Concept  und  Reinschrift  steht's 
ähnlich,  nur  dass  das  Concept  überhaupt  nur  privaten  Brauches 
zu  sein  pflegt,  und  die  Schrift  gegen  die  Juden  —  im  Unter- 
schied von  einer  Auflage  der  Schrift  wider  den  Pontiker  — 
schliesslich  doch  wohl  als  Ganzes,  mit  des  Autors  Gutheissung 
ausgeht.  Das  Schema  „Entwurf  und  Ausführung"  dürfte  ein 
hier  brauchbares  heissen,  doch  weniger  im  Verhältnis  der  „Juden" 
zum  dritten  Buch  wider  Marcion,  als  vielmehr  des  ersten  zum 
zweiten  Teil.  Denn  das  wird  der  Wahrheitsbestandteil  der  Ne- 
ander'schen  Hypothese  sein,  dass  die  zweite  Hälfte  der  „Juden" 
allerdings  nur  Entwurf  geblieben  ist,  eine  rasche  Fixierung  des 
Inhalts  der  eben  gepflogenen  Debatten,  während  nur  die  frühere 
Hälfte  eine  straffere  Form  erhalten  hat.  Im  zweiten  Teil  reflek- 
tiert sich  —  und  das  macht  ihn  grade  so  lehrreich,  das  Hin 
und  Her  der  Debatte,  die  „judengenössische"  Gegenrede,  das 
Dreinsprechen  der  Zuhörer. 

Auf  das  objektive  „Judaei",  das  im  Ton  an  den  ersten  Teil 
anklingt  und  doch  noch  besonders  zu  werten  ist,  müssen  wir 
später  noch  eingehn. 2)  Der  vierte  Gegensatz  endlich  wird 
gleicherweise  ergiebig  sein,  nämlich  „Vorlesungen  und  Abhand- 
lung".   Dass  Corssen  die  „lectiones"  durch  „Abhandlung"  wieder- 


1)  adv.  Marc.  I,  1. 

2)  S.  hier  S.  32  unten. 


24  Noeklechen,  Tertullian1  die  Juden. 

gegeben  hat,  wird  sicher  ein  sprachlicher  Fehler  sein.  *)  Die 
Buchform  im  strengeren  Sinn  liegt  im  Antimarcion  vor  und 
zwar  lediglich  hier.  Auch  heute  pflegt  man  wohl  Vorlesun- 
gen zu  „literarischen"  Arbeiten  umzugiessen,  wie  dies  ohne 
Zweifel  im  Altertum  gar  nicht  selten  geschehen  ist.  Nur  ist 
doch  unser  Fall  ein  besondrer.  Der  Umguss  erfolgt  nämlich 
hier  unter  neuem  literarischen  Leitmotiv  und  erstreckt  sich  keines- 
wegs blos  auf  leise  formelle  Veränderungen.  Jenes  Leitmotiv 
ist  die  Einsicht,  dass  die  „Juden"  neu  zu  verwerten  waren  als 
Vorratshaus  oder  Scheuer,  aus  der  für  das  grössere  Werk  die 
Kosten  zum  Teil  zu  bestreiten  waren.  Auch  wirkt  hier  eine 
Art  von  Caprice.  „Antimarcion"  ist  nämlich  beflissen,  eine  denk- 
bar grosseste  Nähe  zu  dem  Buchstaben  der  „Juden"  fast  um 
jeden  Preis  zu  behaupten,  offenbar  um  dem  Pontiker  darzu- 
thun,  in  welchem  Grade  sein  Denken  dem  verachteten  jüdi- 
schen nahe  kommt.  Dass  hier  blos  Bequemlichkeit  obwalte 
oder  Denkfaulheit  an  den  Tag  komme,  ist  in  jeder  Beziehung 
unzutreffend.  In  den  kleinen  Abänderungen  liegt  zweifelsohne 
System,  und  sie  sind  zum  guten  Teil  geistreich.  In  diesem  be- 
sonderen Sinne  hätten  wir  selbst  hier  ja  drei  Auflagen:  Entwurf, 
Lektionen  und  Abhandlung,  nur  dass  es  sich  meist  so  gefügt  hat, 
dass  nur  der  Stoff  des  Entwurfes  in  die  literarische  Abhandlung 
einströmt,  während  die  „Lektionen"  nur  selten  in  das  eigent- 
liche „Buch"  sich  ergossen  haben.  Den  Erweis  dieser  Anschau- 
ung freilich  muss  erst  das  folgende  führen. 

2.    Die  Bekanntschaft  Tertullian's  mit  dem  Judentum 

im  allgemeinen. 

Die  blosse  Lektüre  Justins,  wie  reichlich  sie  der  Schrift- 
steller ausnutzt,  hätte  schwerlich  genügt,  einen  einigermassen 
tauglichen   Bekämpfer  der  Juden   zu    stellen.     Die  antijüdische 


1)  Corssen  S.  4  oben.  Ich  habe  in  Forcellini  und  sonst  mich  nach 
„lectio"  umgethan,  aber  Corssen's  Bedeutung  „Abhandlung"  nirgendwo  ent- 
decken können.  Vgl.  dagegen  meinen  Aufsatz  im  Philologus  Supplement- 
band VI,  2.  Hälfte:  Die  Quellen  TertuÜVs  etc.  S.  736  Anm.  44.  Der  Aus- 
druck lectiones  steht  —  varronisch  —  für  recitationes.  Über  den  Einüuss 
Varro's  auf  Tertullian  habe  ich  am  angef.  Ort  S.  734 — 737  gehandelt.  Ich 
kann  hier  noch  Oehl.  I,  189  (origines)  u.  Oehl.  II,  604  hinzufügen.  —  Vgl. 
hier  S.  81  Anm.  1. 


2.    Die  Bekanntschaft  Tertullian's  mit  dem  Judentum  im  allgemeinen.    25 

Kundgebung,  so,  wie  dieselbe  uns  vorliegt,  zeigt  deutlich  auch 
etliche  Kenntnisse,  die  aus  jener  einzigen  Quelle  eben  gar  nicht 
zu  schöpfen  waren.  Es  ist  darum  hier  von  Wichtigkeit,  die 
Kunde  von  dem  jüdischen  Wesen,  die  die  „echten"  Schriften  des 
Autors  im  übrigen  uns  zu  sehn  geben,  gleich  hier  kurz  zu  be- 
sprechen. 

Tertullian  zeigt  gute  Bekanntschaft  mit  seinen  jüdischen 
Mitbürgern,  mit  ihren  Lebensgewohnheiten,  mit  der  Schriftaus- 
lecruns  derselben,  mit  den  zahlreichen  Licht-  und  Schattenseiten 
des  merkwürdigen  Volkes.  Von  seiner  geschichtlichen  Würde  ur- 
teilt er  im  allgemeinen  so  hoch,  wie  man  es  von  einem  Christen, 
auch  jener  Tage,  erwartet.  Den  Gewalthabern  Roms  gegenüber 
macht  er  daraus  kein  Hehl,  wenig  hold  wie  der  Römer  dem  un- 
verstandenen Volk  ist.  Er  nennt  sie  die  Hausfreunde  Gottes 
wegen  jener  besonderen  Huld,  die  der  Herr  ihren  Vorfahren  zu- 
wandte. ])  Allerdings  mit  der  letztlichen  Absicht,  die  christliche 
Sekte  zu  schildern,  belehrt  er  die  römischen  Herren  über  alte 
Bibelgeschichten,  auch  über  den  ptolemaeischen  König,  unter  dem 
die  hebräischen  Schriften  übersetzt  und  nutzbar  gemacht  wurden.2) 
Er  kennt  die  römische  Duldsamkeit  gegen  das  Volk  in  der  Fremde, 
weiss,  Ylass  sie  ihre  heiligen  Schriften  an  Sabbaten  öffentlich  vor- 
lesen, er  erwähnt  die  übliche  Kopfsteuer,  schmachvoll  wie  immer 
die  letztere  dem  gebildeten  Römer  erscheinen  mag,  er  wagt, 
grosse  Dinge  zu  hoffen  für  Heiden,  die  an  Sabbaten  zuhören: 
wer  den  Lesungen  beiwohnt,  wird  Gott  finden,  wer  verstehn 
will,  der  wird  auch  glauben. 3)  Er  kennt  mehrere  Sekten,  welche 
—  im  allgemeinen  —  bei  Gott  sind,  und  die  Juden  sind  ihnen 
beigezählt.  Gegenüber  den  Marcioniten,  und  dies  letztere  ist 
freilich  nicht  gleichgültig,  nimmt  er  selbst  keinen  Anstand  zu 
sagen:  der  jüdische  Gott  ist  der  Christengott.4)  Andrerseits 
freilich  betont  er,  und  dies  wieder  vor  den  römischen  Staats- 
männern, den  Unterschied  zwischen  Juden  und  Christen.  Die 
letzteren   nämlich   verschmähen,   obwohl   Verwandte   des  Juden- 


1)  domesticam  dei  gentem  ex  patrum  gratia  apolog.  18  (I,  18G). 

2)  apolog.  18  (I,  185). 

3)  apolog.  18  Schluss.    S.  hier  S.  32  Anm.  2. 

4)  deo  Israelis  et  nostro  de  anima  23  (II,  591,  u.).   Im  Znsammenhang 
ist  von  Apelles  die  Rede. 


26  Noeldechen,  Tertullian'  die  Ju' 

glaubens  *),  im  Schatten  der  berühmten  Gemeinschaft2)  ein  ver- 
stohlenes Dasein  zu  fristen;  sie  haben  den  Mut  ihrer  Meinung 
und  verkriechen  sich  nicht  hinter  Juden.  Hier  gelangt  er  zum 
scheinbaren  Gegenteil  jener  eben  erwähnten  Aussage:  man  diene 
einer  anderen  Gottheit3),  wie  dies  schon  daraus  erhelle,  dass 
der  Christenglaube  noch  jung  ist,  dass  Speisesatzungen  und  Fest- 
tage die  Juden  von  den  Christen  abtrennen,  und  zudem  „das 
Zeichen  am  Körper"  nicht  bei  den  Christen  zu  finden  sei.  Wie 
tief  die  einst  reich  Bevorzugten  von  ihrer  Höhe  gefallen  sind, 
bekundet  ihr  jetziger  Zustand.  4)  Nicht  ohne  sichtbare  Teilnahme 
erwähnt  oder  schildert  er  mehrmals  den  grossen  Trauertag  Israels, 
wie  das  Volk  am  Strande  entlang  zieht,  bis  zum  Aufgang  des 
Abendsterns  fastend  und  in  der  Symbolik  der  Trübsal  eine  Art 
von  Grösse  entfaltend. 5)  Die  täglichen  Waschungen  Israels  — 
statt  der  einen  heilsamen  Taufe  —  die  allezeit  koschere  Mahl- 
zeit, die  Feier  des  heiligen  Ruhetags,  die  Formel  des  täglichen 
Grusses,  der  Schleier  der  Frauen  und  Jungfrauen  —  letzterer  mit 
deutlichstem  Beifall  —  alles  das  kommt  zur  Sprache.  Er  kennt 
die  jüdischen  Grundsätze  über  Mannbarkeit  der  jüdischen  Bräute6) 
und  ist  im  allgemeinen  gewohnt,  überall  die  Sitten  von  Israel 
teils  beifällig,  teils  ablehnend  in  seine  Erörterung  einzuflechten. 
Er  kennt  den  jüdischen  „Schrank"  mit  seinen  heiligen  Schriften 
und  tadelt  es,  dass  man  den  „Henoch"  aus  diesem  Schranke  ver- 
bannt hat.  Er  kennt  auch  das  Judaisieren  von  zeitgenössischen 
Römern,  zumal  ihre  Feier  der  Sabbate,  auch  Israels  Strauss  mit 
Marcion  über  den  „Diebstahl"  der  Vorfahren.  Und  er  kennt 
nicht  zum  letzten  den  Hass  Israels  gegen  die  Christen  und  notiert, 
dass  die  Schauergerüchte  jüdischen  Quellen  entstammen.  Er  hat 
einen  Fall  mit  erlebt,  wo  ein  einzelner  jüdischer  Lotterbube,  ein 
heruntergekommener   Bursche,    bis    zum   Tierkämpfer    herabge- 


1)  nos  quoque  ut  Iudaicae   religionis  propinquos    apolog.  16  (I,  176  . 

2)  sub  umbraculo  insignissiniae  religionis  apolog.  21  (1,  195). 

3)  Er  leugnet  das  eidem  deo  mancipari  der  Christen.   A.  a.  0. 

4)  Dispersi,  palabandi  etc.  I,  196. 

5)  de  jejun.  16  (I,  877);  ad  natt.  I,  13  (I,  334)  orationes  littorales. 

6)  Waschungen  de  orat.  14  (I,  566)  de  bapt,  15  (I,  634);  sabbata  et 
coena  pura  ad  natt.  I,  13  (I,  334);  Gruss  adv.  Marc.  Y,  5  (II,  287,  o.);  Schleier 
de  orat.  22  (I,  576,  o.)  de  cor.  4  (I,  424);  Mannbarkeit  de  virg.  vel.  11 
(I,  899). 


3.    Die  Einheit  von  Ad  versus  Judaeos.  27 

sunken,  die  Person  des  Mannes  von  Golgatha  mit  dummem  Spott- 
bild verhöhnt  hat.  Bei  solchen  Lebenserfahrungen  nimmt  es 
später  beinahe  Wunder,  wenn  endlich  der  gealterte  Mann  jene 
cli ristlich  tr  mitarische  Lehre,  wie  dieselbe  ihm  selber  sich  aus- 
bautet, als  den  einzigen  Unterschied  hinstellt,  der  ihn  von 
Israel  abtrenne.  *) 

Mit  solchem  Vorrat  von  Kenntnissen,  offenbar  auch  aus  Um- 
gang geschöpften  und  teilweise  frühe  erworbenen,  zudem  mit 
biblischem  Wissen,  um  das  er  sich  zeitig  bemüht  hat,  mit  schlag- 
fertiger Rede,  wie  wir  sie  dem  rhetorisch  Geschulten,  dem  Advo- 
katen gern  zutrauen,  musste  wohl  der  Autor  der  Mann  sein,  der, 
wenn  die  Gewohnheit  der  Zeit  zu  Streitunterredungen  führte, 
für  solche  Debatten  mehr  wie  mancher  andre  geschaffen  schien. 

An  diese  Gedanken  anzuknüpfen  wird  sich  später  der  Ort 
finden.  Da  wir  nach  Lage  der  Sache  auf  den  Nachweis  ver- 
zichten dürfen,  dass  der  erste  Teil  unserer  „Juden"  aus  Tertul- 
lian's  Feder  ist,  und  die  Glaubwürdigkeit  seiner  Angabe,  dass 
ein  Streitgespräch  die  Grundlage  bildete,  ohnehin  sich  erhärten 
wird,  so  wenden  wir  uns  nunmehr  sofort  zur  Frage  nach  der 
Einheit  des  Schriftchens  und  erörtern  unter  diesem  Gesichtspunkt 
gewisse  Klammern  und  Bänder,  welche,  den  Keilen  zum  Trotz, 
die  die  neuere  Kritik  hier  eingetrieben,  die  beiden  Teile  der 
Schrift  unzertrennlich  zusammenhalten.  Wir  verstehn  hier  unter 
den  „Klammern"  eine  Reihe  allgemeinerer  Gründe,  welche  jene 
Einheit  verbürgen,  unter  „Bändern"  besondere  und  einzelne, 
welche  die  Wirkung  der  ersteren  zu  verstärken  geeignet  sind. 

3.    Die  Einheit  von  Adversus  Judaeos. 

a.   Klammern. 

Wohl  mit  Bedacht  stellt  Corssen  in  den  Vordergrund  einen 
Umstand,  der,  auf  den  ersten  Blick,  allerdings  aufs  höchste  be- 
fremdlich ist.  Der  Ausschreiber  des  „Marcion"  soll  so  hoch- 
gradig fahrlässig  sein,  auch  selbst  die  äussere  Form  des  zusam- 

1)  Schrank  de  eult.  fem.  I,  3  (I,  705);  judaisierende  Römer  apolog.  16 
(1,  180);  „Diebstahl"  der  Juden  in  Aegypten  adv.  Marc.  II,  20  (II,  109); 
Christenhass  adv.  Marc.  III,  23  (II,  154) :  ab  illis  enim  coepit  infamia,  cf.  apo- 
log. 7  (I,  137):  hostes  et  aemulatione  Judaei;  Spottbild  ad  natt.  I,  14  (I,  335), 
apol.  16  (I,  181);  trinitar.  Lehre  trennend  adv.  Prax.  31  (II,  697):  Quid  enim 
erit  inter  nos  et  illos  nisi  differentia  ista? 


28  Noeklechen,  Tertullian's  Gegen  die  Juden. 

mengeraublen  Textes  in  so  schnöder  Art  zu  verhunzen,  dass, 
während  er  Anfangs  doch  dem  Abhandlungstone  sich  anschliesst, 
welchen  sein  Vorgänger  angeschlagen,  er  sich  rasch  wieder  ver- 
gisst,  die  Form  der  Abhandlung  aufgibt  und  „Marcion"  wörtlich 
abschreibend,  ein  spectes,  quaere,  negabis  gedankenlos  mit  her- 
übernimmt. ])  Der  Karthager  hat  mit  dem  Pontiker  „Brust  an 
Brust  gerungen  und  liebte  es  seinen  Gegner  in  direkter  Rede 
herauszufordern."  Die  „Juden",  die  doch  objektiv  und  abhandelnd 
begonnen  haben,  sollen  ihren  Standpunkt  vergessend  in  die 
andere  Weise  zurückgleiten.  In  der  That  eine  seltsame  Faselei! 
Aber  prüfen  wir  etwas  genauer.  Dass  lectio  schwerlich  je  „Ab- 
handlung" in  der  römischen  Sprache  bedeutet,  bleibe  hier  ganz 
beiseite.  Nicht  aber,  dass  das  Ganze  des  Thatbestands  so  wenig 
gründlich  gegeben  wird.  Der  Sündenbock  von  Plagiator  thut 
nämlich  wirklich  noch  mehr,  er  leistet  eine  Summe  von  Unver- 
stand, die  an  das  Unglaubliche  grenzen  wird,  indem  aus  der  Ein- 
zahl der  Anrede  auch  wieder  im  Umsehn  die  Mehrzahl,  aus 
spectes,  negabis  und  quaere  ein  legitis,  ambigitis2)  wird,  eine 
Mehrzahl,  die  er  zum  wenigsten  aus  „Marcion"  sicher  nicht  aus- 
schreibt. Ja,  auch  das  nicht  genug.  Wir  lesen  des  weiteren 
einmal:  ne  cursum  demorer  ipse3),  „dass  ich  selber  die  Sache 
nicht  aufhalte",  als  sähe  der  Mann  Gespenster,  denn  jenes  ipse 
verlangt  doch,  dass  man  ein  Nicht — ich  daneben  denkt.  Ein- 
mal redet  er  befremdlich  historisch:  At  nos  e  contrario  admo- 
nendos  eos  existimavimus 4),  als  tauche  als  ein  anderer  Popanz 
ihm  eine  Vergangenheit  auf,  die  doch  scheinbar  den  Leser  nichts 
angeht.  Das  will  an  den  Ton  mit  erinnern,  den  der  „Echte"  im 
Eingange    angeschlagen,   wenn   er   habuit    praerogativam 5) ,    ge- 

1)  Corssen  S.  4.  oben. 

2)  vgl.  et  ipsi  legitis  II,  725,  m.  ambigitis  727,  o.  quod  essetis  dicturi 
729,  u.  duritia  cordis  vestri  730.  facturos  vos  prophetavit  731,  o.  cladem 
vestram  731,  m.  quem  respuitis  731,  u.  discite  nunc  739,  o.  nee  poteritis 
740,  m.    (Vgl.  hier  S.  33  Anm.  2.) 

3)  728,  o.  Diesen  sehr  bemerkenswerten  Punkt  habe  ich  bereits  in 
„Texte  u.  Untersuchungen"  a.  a.  0.  hervorgehoben. 

4)  720,  u.  —  Adv.  Marcionem  III,  12,  die  parallele  Stelle  hat  dies 
existimavimus  sehr  wohl  vermieden.  Vgl.  die  Semler 'sehe  Synopse  Oehler 
III,  643,  in.  Der  Antimarcion  hat  eine  analoge  Vergangenheit,  dem  Collo- 
quium  mit  dem  Juden  entsprechend,  nicht  hinter  sich. 

5)  Vgl.  überhaupt  die  Praeterita  des  Eingangs  (II,  701):  proxime  acci- 
dit,  traxerunt,  placuit,  habuit. 


3.    Die  Einheit  von  Adversus  Judaeos.  29 

scliichtlicli  berichtend,  niederschrieb.  So  mag  es  uns  wirklich 
bedünken,  dass  alle  jene  Schineichel-  und  Koseworte,  welche 
den  Freibeuter  zieren  mussten:  „borniert,  ungeschickt,  geistlos, 
plump,  gedankenlos"  1)  matt  sind,  und  wir  eigentlich  „blödsinnig" 
sagen  müssten.  Ein  so  unerhörtes  Verfahren  lässt  sich  kaum 
glimpflicher  kennzeichnen. 

Grade  hier  aber  mag  man  wohl  stutzig  werden.  Freilich, 
wer  will  die  Möglichkeit  ausmessen,  bis  zu  welchem  Grade  von 
Unsinn,  von  Verhöhnung  vernünftiger  Schreibweise  irgend  ein 
beliebiger  Buchräuber  im  Altertum  sich  versteigen  konnte!  Nur 
das  wird  man  billig  verlangen,  dass  die  Wahrscheinlichkeit  eines 
solchen  auch  psychologisch  erwogen  werde,  dass  man  das  Rätsel 
als  solches  möglichst  genau  überdenke  und  geeignete  Wege  ver- 
suche, dies  Stilproblem  wirklich  zu  lösen.  Neander  „nahm"  den 
Freibeuter  „an".2)  Wenn  ein  solcher  Freibeuter  nun  zu  den 
schwer  begreiflichen  Dingen  zählt,  sollte  es  dann  nicht  geraten 
sein,  nach  einer  besseren  Deutung  der  Textthatsachen  sich  um- 
zuthun  ? 

Wir  sagen  ungefähr  mit  Neander,  dass  Tertullian,  der  ge- 
willt war,  den  Rohstoff  seiner  Notizen  über  das  gepflogene  Zwie- 
gespräch in  die  Form  von  Lektionen  zu  giessen,  durch  irgend 
welche  Gründe  veranlasst,  diese  Absicht  nur  teilweise  ausführte. 
Die  zweite  Hälfte  trägt  wirklich  —  und  damit  biegen  wir  frei- 
lich schon  ab  von  den  Bahnen  Neander's,  die  Spuren  eines  Ent- 
wurfs3), der  aus  unmittelbarer  Erinnerung  an  das  Zwiegespräch 
niedergeschrieben  wurde,  während  nur  die  ersten  acht  Haupt- 
stücke in  einer  Überarbeitung  vorliegen,  die  direkt  zur  Vorlesung 
taugte.  Der  Entwurf  charakterisiert  sich  als  Mittelglied  zwischen 
Debatte  und  jener  Vorlesungsform,  in  die  nur  die  erste  Hälfte 
wirklich  hinübergeführt  ward.     Er  spiegelt  dann  auch  getreuer, 

1)  So  bei  Corssen  passim.  Auch  ein  „anders  interessierter  Kopf"  heisst 
der  Plagiator  gelegentlich  S.  19  oben.  Dass  er  dies  entschieden  nicht  ist, 
sondern  vielmehr  auffallend  gleichmässig  interessiert,  sollen  die  ..Klam- 
mern u.  Bänder"  hier  darthun. 

2)  Corssen  S.  4.  Anm.  1. 

3)  Es  war  ein  Mangel  meiner  früheren  Auffassung  dieser  Verhältnisse, 
dass  auch  ich,  wie  Kaye  u.  Grotemeyer,  den  Wahrheitskern  bei  Neander 
nicht  hinlänglich  beachtend,  die  „Juden"  zu  sehr  als  gleichartiges 
Ganze  nahm.  S.  meinen  „Tertullian"  S.  72  unten:  „die  gesamte  (?)  Arbeit 
eine  rohe  Stoffsammlung".    Dies  gilt  nur  von  cap.  9 — 14. 


30  Noeldechen,  Tertullian'e  Gegen  die  Juden. 

als  die  erste  gefeiltere  Hälfte  den  Redeprocess  uns  wieder,  mit 
seinem  Hin  und  Her,  mit  seinem  Für  und  Wider,  zum  Teil  auch 
mit  seinem  Wirrsal.  Und  diese  Gesamtauffassung  wird  durch 
wichtige  Gründe  zu  stützen  sein. 

Wenn  eine  Schrift  dem  Verständnis  entgegenkommt,  indem 
sie  ihren  Anlass  uns  meldet,  wenn  sie  als  Gelegenheitsschrift 
sich  ausdrücklich  uns  ankündigt,  so  ist  es  billig  und  recht,  dass 
wir  sie  scharf  darauf  ansehn,  in  wiefern  grade  dieser  Charakter 
sich  in  derselben  verwirklicht.  Hier  ist  es  ein  „Judengenosse", 
der  sich  als  Hauptcolloquent  in  einem  Gespräche  gestellt  hat, 
und  als  dessen  hauptsächlichen  Widerpart  wir  Tertullian  zu 
denken  haben.  l)  Gesagt  wird  dies  letztere  nicht  mit  ausdrück- 
lichen Worten,  doch  versteht  es  sich  so  sehr  von  selbst,  dass 
Zweifel  daran  nicht  erbracht  sind. 2)  Der  Verfasser  der  Schrift 
bemerkt,  er  habe  zum  Zweck  von  Vorlesungen  den  Inhalt  der 
Debatten  fixiert,  zumal  bei  sich  dehnender  Zwiesprache  auch  aus 
der  Corona  heraus  manche  laute  Stimme  mit  dreintönte  und  die 
Kernpunkte  verdunkelte.3)  Dabei  macht  er  Eingangs  bemerk- 
lich, dass  bei  dem  gepflogenen  Streitgespräch  ihn  grade  der  Um- 
stand gefesselt  habe,  dass  nicht  ein  jüdisches  Vollblut,  sondern 
eben  ein  Judengenosse  mit  ihm  in  den  Kampf  sich  eingelassen. 
Kein  Gedanke  liegt  demgemäss  näher  als  in  der  überlieferten 
Schrift  einer  gewissen  Eigenheit  nachzuspüren,  die  dasjenige 
wiederspiegelt,  was  dem  Verfasser  des  Buchs  den  Fall  sozusagen 
zum  „feinen"  oder  „interessanten"  gemacht  hat.  Was  konnte 
denn  nun  wohl  die  Würze  dieses  besonderen  Falls  sein?  Er 
scheint  zunächst  sagen  zu  wollen,  der  Proselyt  als  solcher  be- 
weist —  schon  durch  sein  blosses  Vorhandensein  —  dass  wirk- 
lich auch  „Nationen"  zum  „Gesetze"  des  Höchsten  sich  wenden, 
und  dies  genüge  vorläufig,  um  Israels  HofTahrt  zu  beugen, 
welches  nicht  müde  werde,  den  „Tropfen  am  Eimer"  zu  schmähen. 


1)  So,  vollkommen  zutreffend,  Grotemeycr  a.  a.  0.  S.  14  Mitte.  Ich 
muss  gestehn,  dass  ich  diese  nach  der  Einleitung  unserer  Schrift  und  der 
gesamten  Sachlage  ziemlich  selbstverständliche  Thatsache  früher  nicht 
richtig  gewürdigt  habe.  S.  meinen  „Tertullian"  S.  72:  Streitgespräch,  „bei 
dem  Tert.  zunächst  als  Zuhörer  beteiligt  war". 

2)  Doch  s.  die  vorige  Anmerkung.  Andre  haben  sich,  so  viel  ich 
weiss,  zu  dieser  Frage  nicht  ausdrücklich  geäussert. 

3)  nubilo  quodam  veritas  obumbrabatur.  adv.  Jud.  1. 


3.    Die  Einheit  von  Adversus  Judaeos.  31 

Auch  mag  dem  Justinusleser,  als  welchen  wir  den  Autor  ja 
kennen,  der  Vollblutjude  Justins  als  willkommener  Gegensatz 
vorschweben:  er  hat  nun  etwas  Neues  zu  bieten  gegenüber  dem 
älteren  Vorbild:  wobei  man  denn  freilich  sich  fragen  wird,  wie 
der  flotte  Entleiher  von  Älterem  die  zahlreich  erborgten  Gedanken 
seinem  neuen  Fall  adaptieren  wird.  Verrät  nun  die  „Anbeque- 
mung" vielleicht  hier  wirklich  den  Anfänger,  so  faselig  zeigt  er 
sich  nicht,  dass  von  ihm  der  Gesichtspunkt  des  Eingangs  spater 
völlig  vergessen  würde. 

Zunächst  kehrt  der  Ausdruck  wieder1),  und  dies  ist  sicher 
nicht  zufällig.  Er  macht  dem  „Proselyten"  bemerklich,  dass  auch 
nach  christlicher  Anschauung,  die  ja  eben  vom  Redner  vertreten 
wird,  der  Schöpfergott2)  allen  Völkern  seine  grosse  Gottesstadt 
aufthue.  Sogar  die  einfache  Thatsache,  dass  solche  Judenge- 
nossen bei  den  Juden  Unterschlupf  finden,  kann  schon  an  sich 
dafür  bürgen,  dass  das  Gesetz,  durch  Moses  gegeben,  von  haus- 
aus weitherzig  war,  und  dass  es  von  hau  saus  mit  nichten  für 
ein  einzelnes  Volk  bestimmt  war.  Jener  Proselyt  kann  hier 
lernen,  dass  der  Anschluss  an  dies  einzelne  Volk  nach  Gottes 
Plane  nicht  not  ist.  Es  ist,  als  ob  er  ihm  zuriefe:  du  drängst 
dich  zum  fleischlichen  Israel,  während  Israels  Heiland  zu  dir 
kommt.  Die  rechten  Proselyten,  bemerkt  er,  sind  die,  die  zu- 
gleich zu  Gott  und  seinem  Christ  Jesus  hinzutreten,  der  nicht 
für  ein  einzelnes  Volk,  der  für  alle  Völker  gekommen  ist. 

Auch  sonst  fehlt  es  schwerlich  an  Spuren,  dass  die  Aus- 
führungen des  Schriftchens  —  und  die  des  Gesprächs,  das  vor- 
ausging —  auf  den  Proselyten  berechnet  sind.  „Augustus,  Tibe- 
rius  Caesar,  Caligula,  Nero  und  Otho",  die  Consuln  Rubellius, 
Fufius3)  sind  eher  für  gebildete  Römer  als  für  jüdisches  Voll- 
blut berechnet,  zumal  Leute  vom  Schlag  des  Josephus,  welche 
in  Palästen  der  Römer  römischen  Schliff  sich  erworben  und  in 
Bibliotheken  der  Römer  römische  Bildung  gesucht  haben,  natur- 
gemäss  Ausnahmen  bleiben  mussten.  Auch  das  passt  zum  Pro- 
selyten, dass  der  Colloquent  hier  gelegentlich  über  „Hebräisches" 


1)  cap.  2  Anfang  (II,  703,  o.),  cap.  4  (II,  708,  m.)  im  Citat  aus  Jesaias. 

2)  Hier  wird  der  Begriff  des  Schöpfers  (vgl.  hier  S.  20.  Anm.  3)  rhe- 
torisch umschrieben:  deus,  universitatis  conditor,  mundi  totius  gubernator, 
hominis  plasmator,  universarum  gentium  sator  II,  703,  o. 

3)  II,  717.  719. 


32  Noeldechen,  Tertullian'fl  Gegen  die  Juden. 

katechisiert  wird.  Mag  sein,  die  Juden  von  damals,  die  Juden- 
Schaft  von  Karthago  soll  gut  Hebräisch  verstanden  haben.  Ein 
„Rabbi  Jizchak"  J)  soll  wissen,  was  z.  B.  „Immanuel"  sagen  will, 
obschon  wohl  die  Septuaginta  auch  für  Vollblutjuden  meist  Quelle 
waren,  an  welcher  d<jren  Schriftdurst  gestillt  wurde:  Tertullian 
setzt  ja  selber  voraus,  dass  auch  römische  Ohren  verstehn  können, 
was  in  den  Synagogen  am  Sabbat  „öffentlich"  vorgelesen  wird. 2) 
Dass  nun  aber  gar  Punier,  Griechen  oder,  was  der  Judengenosse 
doch  wahrscheinlich  wirklich  gewesen  ist,  nämlich  ein  römischer 
Mann,  Hebräisch  sollte  verstanden  haben,  so  dass  es  ihn  hätte 
befremden  müssen,  wenn  ein  taktloser  Nazarener  ihm  Hebräisches 
in  Römisches  umsetzte,  möchte  schwer  glaublich  zu  machen  sein. 
Auch  gewisse  einzelne  Daten  der  Synonymik  der  römischen 
Sprache 3),  welche  in  dem  Schriftchen  zur  Sprache  kommen, 
werden  wie  den  römischen  Redner,  so  den  römischen  Collo- 
quenten  verraten.  Selbst  „virgilische"  Anspielungen4)  werden 
das  Gleiche  vermuten  lassen. 

Dieser  „Proselyt"  erklärt  auch,  warum  „objektiv"  von  den 
Juden,  auch  im  „Entwürfe",  geredet  wird.  Die  „Gläubigen  aus 
dem  Judentum"  sind  Neander  und  Corssen  ein  Anstoss.  Gewiss, 
gesetzt  den  Fall,  dass  ein  einzelner  Nationaljude  oder  auch  meh- 
rere solche  die  Hauptcolloquenten  gewesen  wären,  könnte  man 
es  auffällig  finden,  dass  statt  „Leute  von  eurem  Blut"  vielmehr 
„jüdische  Leute"  gesagt  wird.  Jene  gegenständliche  Weise,  die 
den  ersten  acht  Hauptstücken  eignet,  die  zu  „Lektionen"  geformt 
sind,  würde  hier  anstössig  wirken,  wo  nach  Art  eines  blossen 
Entwurfs,  einer  Skizze  der  Streitunterredung  das  Du  und  das 
Ihr  dazwischenklingt.  Da  ein  Proselyt  colloquiert  und  Geburts- 
juden nur  mitreden,  verschwindet  auch  der  leiseste  Anstoss,  und 
alles  ist  wie  es  sein  soll.5)    Die  „jesusgläubigen  Juden"  sind  um 

1)  Nach  dein  Talmud  ein  karthagischer  Rabbi.  S.  Munter  Pri- 
mordia  Eccles.  Afric.  S.  165.  Ob  er  gleichzeitig  ist,  steht  dahin.  Über  den 
Juden  Poinpejus  Restitutus  u.  dessen  Tochter  Pompeja  s.  ebendas. 

2)  S.  hier  S.  25  Anm.  3. 

3)  S.  hier  S.  35  oben  über  populus,  gens. 

4)  Vgl.  hier  S.  12  Anm.  4. 

5)  An  dieser  u.  ähnlichen  Erwägungen  geht  Corssen  zum  Schaden  der 
Sache  S.  6  oben  vorbei,  wie  es  schon  Neander  gethan  hatte.  Der  „Proselyt'', 
wie  das  „Streitgespräch",  welches  der  Schrift  an  die  Juden  (Corssen  a.  a.  0.) 
voraufging,  werden  überhaupt  zur  Lösung  des  Problems  nicht  herangezogen. 


3.   Die  Einheit  von  Adversus  Judaeos.  33 

so  mehr  hier  dritte  Personen,  als  es  eben  schlechterdings  scheinen 
will,  als  sei  die  Gemeinde  Karthago's  fast  lediglich  heidnischer 
Abstammung  l),  und  als  müsse  man  jüdische  Christen  in  nam- 
hafter Ferne  sich  aufsuchen.  So  ist  der  Ausdruck  denn  ange- 
messen:  die  jüdischen  Christen  sind  Gegensatz  eben  jenes  römi- 
schen Mannes,  der,  zum  Judentume  sich  hinwendend,  zugleich 
von  Jesus  sich  abwendet,  von  seinem  natürlichen  Schutzherrn, 
während  sie,  die  Juden  dem  Blute  nach,  diesem  Jesus  sich  zu- 
wandten. Und  von  hier  aus  fällt  deutliches  Licht  auf  jene  De- 
batte „Immanuel",  die  wir  oben  in  Kürze  gestreift  haben.  Man 
soll,  sagt  Tertullian  mit  Fug  zu  dem  Judengenossen,  bei  dem 
Wort  nicht  bloss  auf  den  Klang  hören,  wie  die  buchstcäbelnden 
Juden2)  (objektiv  wieder  richtig  „Judaei"),  die  die  Namen  Jesus, 
Immanuel  allerdings  different  finden  müssen.  Haben  sie  darin 
recht,  dass  sein  Name  Jesus  genannt  ward,  bei  der  Beschneidung 
des  Kindes,  und  keinesweges  Immanuel,  so  gilt  es  doch  bei  der 
Weissagung  vor  allem  den  Gedanken  berücksichtigen.  Und 
so  ist  ohne  weiteres  klar,  dass  der  Sinn  des  Wortes  Immanuel 
in  Jesus  wirksam  geworden  ist.3)    Die  Vollblutjuden  der  Kirche 


1)  Die  Weise,  wie  das  signaculum  corporis  (die  Beschneidung)  apolog.  21 
(I,  195)  besprochen  wird,  scheint  fast  darauf  zu  deuten,  noch  mehr  das  nos 
gentes,  nationes,  s.  hier  S.  49  Anm.  1. 

2)  adv.  Jud.  9  (II,  720.  721).  Dies  objektive  Judaei  zähle  ich  im  2.  Teil 
11  mal:  dicunt  Judaei  720,  m.;  admonendos  eos  existimavimus,  inducuntur 
Judaei  721,  0.;  inquiunt  (Judaei)  721,  u.;  convincentur  Judaei  723,  m.;  in- 
quiunt  724,  m. ;  filii  Israel  734,  0.;  secundum  Judaeos  734,  u.;  coeperunt 
habere  (Jud.)  736,  m  ;  Judaei  non  agnoverunt  737,  m.;  videant  Judaei  737,  u.; 
cum  pati  praedicarentur  Judaei  73S,  u.  —  Man  vgl.  das  neunmalige  le- 
gitis,  ambigitis  etc.  hier  S.  28  Anm.  2.  —  Um  das  Problem  voll  zu  über- 
sehen, stelle  man  daneben  den  9  mal  auftretenden  Singular:  non  negabis 
721,  0.;  inspicias  721,  m. ;  disce  724,  m.;  inquis  724,  m.;  legisti  729,  m.; 
.quaeres  730,  0.;  aspice  733,  m.;  poteris  733,  u.;  nega  741,  u.  Da  das  objek- 
tive Judaei  offenbar  mit  in  die  Wagschale  der  Abfertigungen  des  Prose- 
lyten  fällt,  so  würde  sich  hier,  auch  rein  numerisch,  der  vorzügliche  Anteil 
des  Hauptcolloquenten  (des  Judengenossen)  spiegeln.  Der  Streit  wäre  frei- 
lich müssig,  ob  sämtliche  Besonderheiten  des  Entwurfs  in  dieser  Beziehung, 
der  singular.  u.  plural.  Anrede  wie  des  objektiven  Hinweises  (Judaei),  das 
thatsächliche  Gespräch  mit  „photograph.  Treue"  wiederspiegeln  oder  nicht. 

3)  Zu  dem  Ausdruck  agitetur  in  Christo  II,  721  ganz  oben  vgl.  de  res. 
carn.  24  (II,  499,  0.),  wo  das  iviQyüoüai  2  Thessal.  2,  7  durch  agitari 
wiedergegeben  wird. 

Texte  u.  Untersuchungen  XII,  2.  3 


34  Noeldechen,  Tertullian'  i  die  Juden. 

d.  i.  die  hebraeischen  Christen,  wenn  sie  ihn  Immanuel  nennen, 
sagen:  mit  uns  ist  Gott,  und  verherrlichen  mit  diesem  Namen 
Jesus,  den  gekommenen  Heiland,  mochte  auch  sein  Rufname 
Jesus  und  durchaus  nicht  Immanuel  lauten.  Jene  gegenständ- 
liche Weise:  die  Juden,  kehrt  übrigens  auch  später  noch  wieder, 
wo  dies  Schriftchen  parenthetisch  sie  anruft:  die  Christen  ent- 
sagten den  Götzen  (die  Juden  mögen  es  sehen,  mögen  davon 
Zeugnis  ablegen). 

Der  „Judengenosse"  erläutert  also  hier  wirklich  ein  gut  Teil. 
Er  erläutert,  ganz  ohne  die  Annahme,  dass  der  Verfasser  seltsam 
gedankenlos  in  die  sachliche  Rede  zurückglitte,  das  objektive 
„Judaei"  des  zweiten  Teiles  vollkommen;  denn,  wie  gegenüber 
dem  Schriftsteller,  dem  einen  Haüptcolloquenten,  sind  auch  für 
den  Judengenossen  Geburisjuden  dritte  Personen.  Andrerseits  hat 
die  pluralische  Anrede,  da,  wie  der  Eingang  bezeugt,  auch  die 
Corona  mit  dreinspricht,  nicht  das  geringste  Befremdliche.  Das 
et  ipse  stimmt  nun  vorzüglich,  fast  nach  tachygraphischer  Art 
eine  Wendung  des  Redenden  abspiegelnd,  das  existimavimus 
ebenso,  insofern  der  Concipient,  den  Autorplural  verwendend,  auf 
die  Debatten  zurückschaut,  deren  Verlauf  er  fixieren  will.  Was 
als  unentwirrbares  Knäuel  von  Unsinn  und  Nachlässigkeiten 
beim  „Freibeuter"  erscheinen  musste,  das  wüste  Du,  Ihr,  Sie  des 
Textes,  verliert  alles  Befremdliche.  Der  Proselyt,  der  ja  sicher 
den  Fall  dem  Autor  pikant  machte,  der  dreinredende  „Kranz", 
von  dem  er  im  Eingang  gesprochen  hatte,  sie  werden  —  psycho- 
logisch —  zu  Klammern,  die  die  beiden  Teile  zusammenhalten. 
Wir  sagen,  den  Speer  umkehrend,  schon  hier  mit  vollem  Be- 
dacht: kein  andrer  als  Tertullian  war  in  gleich  günstiger  Lage, 
den  zweiten  Teil  so,  wie  er  ist,  mit  Gebrechen  und  Vorzügen, 
abzufassen.  Ihm  allein  sind  die  Einzelbedingungen,  unter  denen 
dies  Schriftstück  entstanden  ist,  wie  er  sie  im  Eingang  der  Arbeit 
selber  zur  Darstellung  brachte,  naturgemäss  dauernd  geläufig  und 
instinktiv  gegenwärtig.  Ein  Falsarius  hätte  in  Wahrheit,  jenen 
Einzelbedingungen  Rechnung  tragend,  den  Proselyten  wie  die 
Corona  mit  in  sein  Machwerk  verflechtend  *),  eine  Art  von  Kunst- 
stück geleistet,  wie  es  namentlich  die  leichte  Manier,  wie  sie 
wirklich  hier  herrscht,  nicht  vermuten  lässt. 


1)  und  dies  alles  sozusagen  „sub  rosa". 


3.    Die  Einheit  von  Adversus  Judaeos.  35 

Von  mindestens  gleicher  Bedeutimg  ist  die  zweite  der  Klam- 
mern, ich  meine  die  eigentümliche  Weise,   in  welcher  nicht  nur 

—  gut  rhetorisch  —  der  Schluss  zum  Anfang  zurückbiegt,  son- 
dern auch  Anfang  und  Schluss  durch  das  ganze  Schriftchen 
hindurchklingen. 

Für  den  Eingang  ist  charakteristisch,  dass  in  einer  Stelle 
der  Genesis,  gemäss  jenem  Pressen  und  Drücken,  das  der  Einzel- 
ausdruck oft  leidet,  der  Parallelismus  membrorum  mit  logischen 
Gewichten  behängt  und.  die  Worte  populus,  gens,  statt  als  gleich- 
bedeutend zu  gelten1),  in  verschiedenem  Sinne  genommen  wer- 
den.2) Es  handelt  sich  um  Jakob  und  Esau:  beide  sollen  Nach- 
kommen haben  laut  dem  prophetischen  Wort,  und  die  Scharen 
ihrer  Nachkommen  sollen,  zunächst  ohne  Vorrecht  des  Namens, 
populus  so  wie  gens  —  völlig  promiscue,  heissen.  Diese  Betonung 
der  Gleichheit  beruht  offenbar  auf  der  Annahme,  dass  einer  von 
diesen  Ausdrücken,  wir  vermuten  von  vorn  herein  populus,  den 
vornehmeren  Klang 3)  hat. 

Bei  der  Wichtigkeit,  die  dieser  Unterschied  für  die  Auf- 
fassung dieser  Schrift  hat,  wird  der  tertullianische  Sprachgebrauch 
in  diesem  Betracht  zu  ermitteln  sein.  Die  Wortstatistik  des 
Autors  ergibt  aber  wesentlich  folgendes.  Populus  bedeutet  ihm 
vorwiegend  das  israelitische  Volk4),  wobei  vielleicht  doch  ein 
Schimmer  des  hebraeischen  Sprachgebrauchs  mitwirkt.    Zuweilen, 

1)  Zwischen  populus  gens  besteht  ja  —  s.  das  folgende  —  ein  gewich- 
tiger synonymischer  Unterschied;  auch  im  Sinne  des  Tertull.  ist  dieser  ent- 
schiedenvorhanden. Was  wir  meinen,  ist,  dass  im  Grundtext,  den  Tert. 
ja  nicht  kannte,  und  auch  in  der  LXX  keinerlei  Nötigung  lag,  den  Aus- 
druck begrifflich  zu  pressen.  Das  Hebr.  (Genes.  25,  23)  hat  ö*»*a  und  b^ttsV, 
die  LXX  ed-vrj  u.  z.aol,  das  für  Israel  bezeichnende  üv  kommt  also  hier  gar 
nicht  vor.     Hätte  Tert.  einen  Schimmer  von   diesem  hebr.  Sprachgebrauch 

—  worüber  nichts  Gewisses  sich  sagen  lässt  —  so  hätte  er  diese  Kunde  in 
die  Genesisstelle  hineingeschwärzt,    Vgl.  hier  S.  3S  Anm.  2. 

2)  adv.  Jud.  1  (II,  702). 

3)  Es  ist  charakteristisch,  dass  er  zunächst  offenbar  Gleichheit  der 
beiden  Gemeinden  aussagt  —  der  jüdischen  und  der  christlichen.  Man 
könnte  darin  „Irenik''  finden,  wenn  nicht  einerseits  Israels  Hoffart  höhere 
Ansprüche  machte  und  nicht  andererseits  ein  superare  majorem  filium 
von  dem  filius  minor  (den  Christen)  gleich  darauf  behauptet  würde. 

4)  de  idolol.  3  Schluss;  adv.  Marc.  II.  15  Ende;  adv.  Marc.  IV,  22 
(II,  215,  u.);  ebendas.  24  (II,  224,0.);  de  res.  20  (II,  492,  m.);  ebendas.  27 
(II,  502,  m.,  Citat);  ebendas.  31  Anfang. 

3* 


36  Noeldechen,  Tertullian'e  (legen  die  Juden. 

in  Prophetencitaten,  geht  das  Wort  auf  das  künftige  Gottesvolk, 
also  im  Sinn  des  Citierenden  auf  die  grosse  Christengemeinschaft. 1) 
Populus  Romanus  wird  nirgends  bei  dem  Verfasser  zu  lesen  sein. 
Allerdings  findet  der  Ausdruck  doch  auch  weitere  Verwendung. 
Er  bezeichnet  das  Volk  von  Karthago2),  auch  populus  Aethio- 
pum  liest  man.  Auch  findet  das  Wort  seinen  Gegensatz  wenig- 
stens einmal  an  miles  und  bedeutet  ihm  also  „Civil",  einmal 
auch  in  den  episcopi,  so  dass  es  die  Laienschaft  ausdrückt.  Die 
Worte  ethnicus  populus  bezeichnen  die  karthagische  Heiden- 
schaft, wie  sie  im  Schauhause  versammelt  ist,  und  endlich  steht 
populus  scherzhaft,  wo  er  von  Fünflingen  redet.  Für  uns  von 
besonderer  Wichtigkeit  sind  die  Stellen,  wo  gentes  und  populi, 
geflissentlich  an  einander  gerückt,  an  den  Anfang  der  „Juden" 
erinnern.  In  solchem  Falle  verhört  er  zuweilen  nur  ein  einzelnes 
Schriftwort,  dessen  Parallelismus  er  presst,  gerade  so  wie  in  den 
„Juden",  zuweilen  aber  finden  wir  beides  auch  ausserhalb  blosser 
Citate.3)  Geschraubt  und  lehrreich  zugleich  sind  zwei  verwandte 
Behandlungen  einer  Stelle  des  zweiten  Psalms,  wo  die  nationes 
Pilatus  und  seine  Römer  bedeuten,  während  die  populi  (Plural) 
die  tribus  von  Israel  ausdrücken.4) 

Nationes  sind  beim  Verfasser  zumeist  die  Mengen  der  Hei- 
denvölker, so  dass  bald  Juden5),  bald  Christen6)  den  ausdrück- 
lichen Gegensatz  bilden;  auch  ohne  besonderen  Contrast  sind  es 
„polytheistische  Völker".7)    Da  freilich  die  Nationen  zu  Christus 


1)  adv.  Marc.  IV,  39  (II,  263,  o.). 

2)  apolog.  9  (I,  146,  m.);  de  res.  cam.  42  (II,  531,  o.);  populus  Aethio- 
pum  adv.  Marc.  IV,  13  (II,  188,  o.);  Civil  de  fuga  14  Anfang;  Laien  de 
jejun.  16  (I,  876,  u.);  karthag.  Heidenschaffc  de  spect.  3  (I,  22,  u.);  Fünflinge 
de  anima  6  Ende. 

3)  apolog.  21  (I,  196,  u.):  ex  omni  jam  gente  et  populo  et  loco  cul- 
tores  sibi  adlegeret  deus.  Vgl.  adv.  Marc.  V,  17  (II,  325,  u.);  Judaicum 
populum  et  gentilem,  auch  de  jejun.  5  (I,  858,  o.):  primus  populus  (Israel). 

4)  adv.  Marc.  IV,  41  (II,  270,  m.);  de  res.  carn.  20  (II,  492,  m.). 

5)  de  praescr.  8  (II,  10,  u.);  adv.  Marc.  IV,  1  (II,  161,  o.);  ebendas. 
2  Ende;  ebendas.  25  (II,  227,  o.);  ebendas.  26  (II,  231,  o.);  adv.  Marc.  V,  9 
(II,  301,  m.);  adv.  Prax.  18  (II,  677,  u.). 

6)  de  idolol.  2  Ende;  ebendas.  13  (I,  88,  o.);  de  res.  carn.  39  (II,  516,  u.). 

7)  de  idol.  10  Anfang  dei  nationum;  ebendas.  14  Ende;  ebendas.  21 
Anfang  dei  nationum;  ebenso  22  Anfang;  de  spect.  30  Anfang;  ad  ux.  I,  7 
Ende;  de  pud.  17  (I,  830,  o.);  adv.  Hermog.  7  (II,  346,  o.). 


3.    Die  Einheit  von  Ad  versus  Judaeos.  37 

teils  kommen  teils  künftighin  kommen  werden,  so  bedeutet  das 
Wort  auch  nicht  selten  „die  Beute  des  Herrn  aus  den  Heiden", 
die  „heidenchristliche  Menschheit".1)  Die  Kühnheit  von  nos 
nationes  im  Sinn  von  „wir  Heidenchristen"  findet  sich  freilich 
nur  einmal  und  zwar  in  Adversus  Judaeos  (II,  724).  „Omnes 
nationes"  wird  einmal  vom  Verfasser  selber  erläutert,  wo  es,  bei- 
läufig, heissen  soll:  omnia  hominum  genera  (II,  226,  u.). 

Gentes  und  nationes  sind  ihm  meist  vertauschbare  Ausdrücke. 
Es  heisst  somit  ebenfalls  „ Heiden".  Recht  deutlich  wird  diese 
Vertauschbarkeit,  wenn  beide  Worte  zusammenstehn  2) ;  zuweilen 
tritt  der  Zusatz  extraneae  zu  noch  grösserer  Klarheit  daneben3); 
die  gentilis  idololatria  ist  der  heidnische  Götzendienst.4)  Ein  Unter- 
schied von  nationes  macht  sich  allenfalls  dadurch  bemerkbar, 
dass  gentes  weit  häufiger  einfach  blos  „die  Völker"  bezeichnet, 
abseits  von  aller  Färbung  des  Glaubens.5)  Quidam  gentiles  Scy- 
tharum  sind  einzelne  scythische  „Volksstämme"6),  gentiles  pro- 
prietates  bedeutet  „Volkseigentümlichkeiten".7)  Die  gentes  der 
Schutzschrift  sind  „Völker"  ohne  Rücksicht  auf  Glaubensschat- 
tierung.8) Gens  humana,  gens  hominum  heisst  ihm  das  Menschen- 
geschlecht9); auch  eine  gensdaemonum10)  kennt  er.  Dass  übrigens 
auch  die  gentes  Candidaten  des  Christentums  werden,  überrascht 


1)  de  pud.  12  (I,  815,  u.);  ebendas.  14  Ende;  ebendas.  21  (I,  843,  u.); 
de  praescr.  9  Anfang;  adv.  Marc.  IV,  11  Anfang;  adv.  Marc.  V,  17  (II,  323,  u.); 
de  anima  50  (II,  636,  o.). 

2)  adv.  Marc.  IV,  29  (II,  237,  u.);  ebendas.  39  (II,  264,  u.).  —  Zu  gentes 
Heiden  s.  de  cult.  fem.  II,  11,  Anfang;  de  pud.  14  (I,  822,  ni.);  adv.  Marc. 
I,  7  (II,  54,  u.)  idola  gentium;  adv.  Marc.  IV,  6  (II,  167,  u.);  ebendas.  31 
Ende;  adv.  Marc.  V,  9  (II,  302,  o.);  de  res.  cam.  31  (II,  507,  o.);  ebendas. 
44  (II,  523,  u.);  de  anima  24  Ende. 

3)  adv.  Marc.  IV,  31  (II,  243,  u.). 

4)  adv.  Marc.  TI,  14  Ende. 

5)  apolog.  25  (I,  224,  m.)  Romanorum  tot  de  gentibus  triumphi;  eben- 
das. 37  (I,  250,  u.);  ebendas.  19  (I,  191,  o.)  antiquissimae  gentes;  adv.  Marc. 
IV,  11,  Ende;  de  anima  25  (II,  597,  o.)  barbarae  Romanaeque  gentes. 

6)  apolog.  9  (I,  147,  u.). 

7)  de  anima  20  (II,  588,  m.). 

8)  apolog.  19  (1,  189,  u.). 

9)  gens  hominum  apolog.  26  Anfang;  humana  gens  ebendas.  40 
(I,  269,  m.). 

10)  apolog.  22  (I,  207,  o.). 


;jg  Noeldechen,  Tertullian'a  Gegen  die  Juden. 

nach  dem  obigen  nicht;  nur  gentes  nos  hat  er  nur  einmal  und 
zwar  wieder  in  Adversus  Judaeus  (II,  7)>7,  u.j. 

Unsere  Übersicht  hat  wohl  ergeben,  dass  populus  bei  diesem 
Autor,  wie  eben  auch  sonst  im  Lateinischen,  den  ,, vornehmeren" 
Klang  hat.  Laut  heutiger  Synonymik 1)  ist  populus  das  einen 
Staat  bildende,  ein  politisches  Ganze  ausmachende,  gleichsam 
majestätische  Volk,  das  gemeinschaftliche  Regierung  hat,  durch 
gleiche  Gesetze  verbunden  ist.  Gens  fasst  man  als  Völkercomplex 
und  natio  als  einzelnen  Volksstamm.  Da  unser  Schriftsteller 
populus  vorwiegend  vom  jüdischen  Volk  braucht,  so  ist  man  ver- 
sucht, ihm  ein  Wissen  vom  hebräischen  Sprachgebrauch  beizu- 
legen, wonach  D2  das  Vorrecht  geniesst,  das  Gottes volk  zu  be- 
zeichnen.2) Indessen  die  Sprachgelehrsamkeit  des  Autors  ist 
wesentlich  römisch,  und  so  wird  das  Gerathenste  sein,  um  so  mehr 
als  auch  sein  Colloquent  als  Geburtsrömer  zu  denken  ist,  behufs 
der  Erklärung  der  Stelle  beim  lateinischen  Stil  zu  verharren. 
Die  Muttersprache  wird  beiden  als  nächstes  Medium  gelten. 

Wie  steht  es  nun  in  den  „Juden",  wenn  wir,  ihren  Eingang 
verlassend,  unsern  Weg  durch  das  Schriftchen  fortsetzen?  Wird 
jener  Gedanke  des  Eingangs  in  irgend  einem  Grade  und  Masse 
eine  Führerrolle  behaupten?  Eine  Ausserlichkeit  ist  schon  be- 
zeichnend. Es  gibt  sehr  wenige  Seiten  in  sämtlichen  Teilen 
des  Schriftchens,  auf  denen  nicht  die  beiden  Worte  populus,  gens 


1)  Vgl.  Menge  Lat.  Synonym.2  S.  93,  No.  126.  Schultz  Lat.  Synon.? 
S.  200,  No.  276. 

2)  S.  hier  S.  35  Anna.  1.  Die  LXX  übersetzen  allerdings  öS  gewöhn- 
lieh durch  Xaoq  (Exod.  15,  13;  Deuteron.  4,  20;  7,  6;  32,  36)  und  laoi  steht 
ja  auch  Genes.  25,  23,  aber  freilich  gerade  an  zweiter,  nicht  wie  populus 
bei  Tert.  an  erster  Stelle.  So  ist  auch  nicht  einmal  wahrscheinlich,  dass 
ihm  von  der  durchschnittlichen  Fühlung  der  LXX  mit  dem  Urtext  etwas 
bewusst  ist.  Nur  im  allgem.  weiss  er,  dass  Israel  das  alte  ,.Gottesvolk"  ist. 
Daher  das  ihm  solenne  populus  Israel.  Den  Ausdruck  für  jene  Idee 
(Gottesvolk)  gibt  ihm  sein  ererbtes  Latein  her.  Die  ihm  versunkene  ma- 
jestas  populi  Romani  erlebt  eine  Art  Auferstehung  in  den  umgeformten  Be- 
griffen: populus  Israel  and  populus  nominis  Christi.  Seine  lateinische  Syn- 
onymik anlangend  steht  er  vielleicht  unter  dem  Einfluss  des  Afrikaners 
FLorus  (s.  Teuffel-Schwabe  Gesch.  der  röm.  Literat.4  S.  793.  816,  §  341,  7 
und  348,  4).  Wie  sonst,  z.  B.  im  Gebrauch  des  „post",  so  ist  im  Gebrauch 
von  populus  und  gens  eine  bemerkenswerte  Verwandtschaft  vorhanden. 
Victor  gentium  populus  (rom.)  ist  eine  der  solennen  Wendungen  des  Florus. 


3.   Die  Einheit  von  Ad  versus  Judaeos.  39 

wiederkehrten.  Dass  die  Universalität  der  Erlösung  in  dem  Buche 
zur  Sprache  kommt,  ist  nicht  wohl  zu  bezweifeln.  Trotzdem  lesen 
wir  niemals  den  Ausdruck  genus  humanuni  —  der  dem  Anti- 
marcion  zugehört1),  nie  andrerseits  gens  hominum,  was  doch 
sonst,  dem  poetischen  Stile  des  Autors  gemäss,  ihm  in  Brauch 
ist2);  auch  niemals  omnes  homines,  während  alle  diese  Ausdrücke 
taugen  würden,  die  Allgemeinheit  des  Heilswerks  zu  zeichnen. 
Auch  die  Worte  gentiles  :v)  und  ethnici,  die  der  Verfasser  doch 
sonst  zu  verwenden  pflegt,  wo  er  einzelne  Heiden  bezeichnen  will, 
bleiben  vom  Judenbuch  ausgeschlossen,  was  sich  freilich  schon 
daraus  begreift,  dass  die  Schrift  den  Heiden  als  solchen  einfach 
den  Kücken  zuwendet,  die  Nationen  nur  als  Christentums-An- 
wärter oder -Zöglinge  ansieht,  wie  andrerseits  freilich  auch  daraus, 
dass  alles  persönliche  Glaubensleben  in  diesem  Buche  zurücktritt. 
Das  Christentum  eine  Volkerfrasje ,  so  könnte  man  nicht  ohne 
Grund  den  Grundton  des  Schriftchens  kennzeichnen.  Insofern 
das  „populus  noster"  oder  „populus  nominis  Christi"  gegenüber 
hebraeischem  Hochmut  zunächst  eine  Gleichheit  der  Würde,  die 
Majestät  des  Volksbegriffs  ausspricht,  des  Volks  mit  einer  Re- 


1)  adv,  Marc.  III,  23  cf.  Oehler  III,  656,  unten. 

2)  S.  hier  S.  37.  Anm.  9. 

3)  gentiles  u.  gentilis  bezeichnet  in  ad  ux.  und  de  cultu  fem.  den  ter- 
tullianischen  Damenstil.  S.  Oehl.  I,  677,  u.;  678,  o.;  684,  u  ;  685;  686,  m.; 
6S7,  o.;  688;  689;  690;  692;  693;  694;  695;  I,  715;  719;  729;  730,  0.;  731. 
Nie  schreibt  er  hier  ethnici,  weil  dies  für  Frauen  zu  gelehrt  ist.  Sonst  ist 
ethnici  überaus  häufig.  Es  bezeichnet  die  Heiden  als  einzelne.  Singular: 
I,  832,  m.;  I,  811,  o.;  I,  812,  m.;  I,  104,  u.;  ethnice  I,  810,  m.  Gegensatz 
häufig:  haeretici  II,  452,  o.;  II,  471,  u. ;  II,  472;  II,  473,  o.;  ethnici  u.  pu- 
blicani  II,  180,  u.;  ethnici  u.  psychici  II,  787,  o.  Den  privaten  Char.  des 
Ausdrucks  markieren  die  Stellen  I,  755;  I,  780,  o.;  I,  781,  o. ;  I,  803,  u.; 
I,  812,  m. ;  813,  u.;  816,  o.;  817,  m.;  820,  o.  (in  de  monog.,  exhort.  cast. 
und  pud.).  —  So  auch  in  de  virg.  vel. :  I,  900;  I,  902;  I,  906,  m.  Hier  steht 
nie  nationes.  —  Vgl.  auch  opiniones  ethnicorum  I,  17  (Ansichten  einzelner 
Heiden),  ethnicorum  detractatus  I,  21,  ethnicorum  coetus  I,  59.  —  Die 
ethnici  (nicht  nationes)  schmücken  die  Thüren  bei  den  Kaiserfesten  Kar- 
thago's  I,  92.  Vgl.  auch  I,  51,  II,  117,  I,  906,  u.,  I,  909,  o.  (feminae 
ethnicae).     Christen  werden  an  Merkzeichen  von  einzelnen  Heiden  erkannt 

I,  107.  Paulus,  der  allen  alles  ward,  konnte  doch  idololatres,  ethnicus, 
saecularis  nie  werden  I,  91.  —  Allgemein,  ähnlich  wie  gentes,  steht  es 
freilich  ja  auch:  I,  90,  o.;  I,  91,  u. ;  I,  22;  I,  52;  I,  60;  II,  24;  II,  39;  II,  55; 

II,  032;  II,  637.  —  Vgl.  endlich  ethnicales  literae  I,  25,  ethnica  superstitio. 


40  Noeldechen,  Tertullian'fl  Gegen  die  Juden. 

gierung,  des  Volks  mit  einer  Gesetzgebung,  so  wird  es  nicht 
zufällig  heissen  dürfen,  dass  die  nova  lex  evangelii  und  dass  auch 
der  rex  Christus  mit  besonderer  Emphase  hier  auftreten.  Dass 
aber  dieser  Grundton  des  Ganzen,  durch  „gens"  und  „populus" 
angedeutet  im  Eingang  des  ersten  Kapitels,  durchaus  bis  zum 
Ende  hin  fortklingt,  zeigen  die  „nationes"  und  „populi"  in  den 
Schlusssätzen  der  Arbeit.1)  Die  Kunstform  des  Khetors  wird 
klar,  die  zum  Eingange  zurückbiegt.  —  Der  Falsarius  also  würde 
hier  ein  drittes  Kunststück  geleistet  haben.  Er  accommodiert 
sich  dem  „Echten",  indem  er  bei  Justinus  auf  Borg  geht,  er  be- 
quemt sich  dem  Presbyter  an,  indem  er  die  Winke  der  Einlei- 
tung über  Du,  Ihr,  Sie  sich  zu  Nutze  macht,  und  weiss  mit 
„populus,  gens"  (rex  Christus,  lex  evangelii)  die  authentische  Tonart 
des  wirklichen  karthagischen  Meisters  zu  treffen,  ja  auch  in  dem 
Schlusssatz  des  Ganzen  auf  den  echten  Eingang  zurückzukommen. 
Eine  weitere  Klammer  erkennen  wir  in  dem  „Christus  qui 
venit".  Corssen2)  sieht  vollkommen  richtig,  dass  der  Ausdruck 
Christus  qui  venit  hier  für  die  gesamte  Debatte  von  entschei- 
dender Wichtigkeit  heissen  muss.  Der  Gedanke,  wie  der  Aus- 
druck beherrscht  in  der  That  sämtliche  Abschnitte.  Im  ersten 
Teile  bereits,  den  man  gern  als  den  echten  bezeichnet,  und  der, 
vorwiegend  nicht  christologisch,  die  Beschneidung  und  den 
Sabbat  abhandelt,  macht  dennoch  dies  beherrschende  Thema 
nebenher  sich  bemerklich.  Dasselbe  Thema  behandelt,  vollkommen 
treu  seinem  „Vorgänger",  auch  der  ihm  folgende  „Freibeuter". 
Den  Schluss  macht  vollständig  sachgemäss  der  doppelte  adventus 
des  Herrn.  Nämlich  auch  mit  einem  „venturus"  haben  die  Juden 
nicht  unrecht,  nur  dass  sie  das  unrichtig  auslegen  und  seine  An- 

1)  adv.  Jud.  14  (II,  741).  Gemeint  ist  der  vorletzte  Satz  des  Ganzen. 
Über  den  letzten  Satz  s.  hier  S.  90.  —  Den  populus  noster  s.  II,  709, 
den  populus  nominis  Christi  II,  714,  die  nova  lex  u.  a.  II,  706;  707,  o.; 
711,  u.;  712,  o.;  724,  o.  Zum  rex  Christus  vgl.  714  regnare  (zweimal) 
und-  regnum;  715,  o.:  Christus  omnibus  rex;  procede  et  regna  (Citat) 
II,  723,  u.;  deus  regnavit  a  ligno  (Citat)  II,  728,  m.;  David  intra  unicam 
Iudaeam  regnavit  II,  733,  u.;  cornu,  de  quo  reges  ungebantur  II,  734,  u.; 
et  data  est  ei  potestas  regia  (Citat)  II,  739,  m.;  David  qui  regnavit,  Salomo, 
qui  regnavit  II,  741,  u.  —  Ich  zweifle  nicht,  dass  dies  alles  (populus,  lex, 
rex)  zu  den  leitenden  Ideen  (cf.  certae  lineae  cap.  2,  Anfang)  des  ganzen 
Buches  gehört.     Vgl.  auch  Christus  judex,  Christus  dux  II,  715,  o. 

2)  S.  5  Mitte. 


3.    Die  Einheit  von  Adversus  Judaeos.  41 

kunft  in  Niedrigkeit  nicht  als  Advent  wollen  gelten  lassen.  Man 
kann  ja  in  gewissem  Grade  eine  Art  von  Nötigung  zugeben,  in 
jeder  Debatte  mit  Juden  diesen  Punkt  zu  erörtern.  XS'n  d.  i. 
6  tQyoutvoq  ist  ja  ein  Praedikat  des  „Gesalbten",  auch  darf  man 
vielleicht  den  Celsus  hier  als  Erreger  mit  ansehn.  *)  Trotzdem 
liegt  die  Thatsache  vor,  dass  hier  mit  unvergleichlichem  Nach- 
druck und  gleichsam  besonderer  Schneidigkeit  dieser  eine  grosse 
Gesichtspunkt  immerfort  in  den  Vordergrund  rückt  und  eben 
der  Ausdruck  als  solcher  die  Führerrolle  behauptet.2)  Man 
vergleiche  zumal  auch  Justin,  der  doch  sonst  als  Muster  hier 
vorschwebt,  und  man  wird  den  Unterschied  gross  finden.  Nun 
dreht  freilich  grade  hier  die  Kritik  dem  „Plünderer"  Stricke, 
weil  er  einmal  den  Christus  qui  venit  dem  Judenmund  vindiciert 
hat.  s)  Aber  dieser  Strick  ist  doch  brüchig.  Zunächst  reden 
die  Juden  ja  auch  teilweise  genauer,  und  die  eigentliche  Meinung 
derselben  kann  keines weges  verdunkelt  heissen.  Stellt  man  sich 
selbst  auf  den  Standpunkt,  dass  wirklich  der  Referent  des  Ge- 
spräches die  bündige  Verpflichtung  gehabt  habe,  mit  photo- 
graphischer Treue  oder  tachygraphischer  Sicherheit  den  Wort- 
laut wiederzugeben,  kennt  man  dann  die  colloquierenden  Juden 
Karthago's  so  bis  in  die  Nieren,  um  sie  aller  Ironie  so  bar  zu 
denken,  dass  ihnen  Christus  qui  venit  so  unglaublich  im  Munde 
steht?  Umgekehrt,  sind  sie  so  ernsthaft,  dass  ihnen  jede  Hohn- 
rede fern  liegt,  muss  der  Referent  des  Gespräches  so  kleinlich 
peinlich  bemüht  sein,  die  „ipsissima  verba"  aufzuzeichnen,  wo  ein 
Missverstand  gar  nicht  möglich  ist  und  zudem  die  Kürze  des 
Ausdrucks  diese  Wendung  empfehlen  konnte?  Somit  bleibt 
denn  die  „Klammer"  in  Kraft,  und  das  stetige  Christus  qui  venit, 
durch  alle  Teile  hindurchklingend,  -gehört  zu  den  sicheren  Bürg- 
schaften, dass  ein  Verfasser  des  Ganzen  bis  zum  Ende  hier  redet. 
—  Dass   der  angebliche  Freibeuter  ein   viertes  Kunststück    hier 


1)  Vgl.  hier  S.  1. 

2)  712,  m.  qui  venturus  annuntiabatur;  713  qui  jam  venit;  714,  o. 
qui  jam  venit.  Dies  im  „Echten".  Dasselbe  Thema  behandelt  aber  auch 
der  „Freibeuter":  720,  m.:  iste  qui  venit;  720,  m.  Christi  qui  jam  venit; 
724,  m.  Christi  qui  venturus  creditur;  726,  o.  an  venerit;  726,  o.  qui  venit; 
733  nisi  ille  venisset;  734  qui  jam  venit;  734,  m.  adhuc  non  venit;  740 
passibilis  venit;  741  negant  venisse  Christum;  741,  o.  in  sublimitate  venerit. 

3)  Corssen  S.  5. 


42  Noeldechen,  Tertullian'a  Gegen  die  Juden. 

leisten  würde,  indem  er  einem  wichtigen  Leitgedanken  des  echten 
Verfassers  sich  anschlösse,  mag  hier  in  Kürze  erwähnt  sein. 

Noch  eine  letzte  Klammer  scheint  der  Beachtung  nicht  un- 
wert. Gleich  nachdem  der  Verfasser  im  Eingang  die  Popnlus- 
Frage  erledigt,  spricht  er  den  Vorsatz  aus,  die  gesamte  Juden- 
debatte mit  „festen  Linien"  einzuschränken.  Wir  gewahren  dann, 
dass  er  ab  ovo,  mit  Adam  nnd  Eva  beginnt,  das  Paradiesesver- 
bot in  seiner  Weise  erörtert,  zu  Noah,  Abraham,  Moses  in  be- 
stimmter Zeitfolge  absteigt,  dann  zu  Propheten  sich  wendet,  die 
ihn  zur  nativitas  Christi  und  zur  passio  hinführen,  dass  er  sein 
„Mittelalter"  bis  zu  Vespasianus  datiert  hat,  worauf  mit  Jeru- 
salem^ Untergang  ihm  seine  Neuzeit  heraufzieht. J)  Dass  in 
seinem  eiligen  Kurs  durch  die  Weltgeschichte  nichts  mangele, 
kommt  endlich  der  zweite  Advent,  das  letzte  Gericht  mit  zur 
Sprache.  In  alledem  ist  wieder  System  und  bezeugt  sich  ein 
einiger  Schriftsteller.  Soll  der  Freibeuter  auch  hier  seinem 
Muster  den  Kurs  abgelauscht,  dem  Steuerruder  des  „Echten" 
willige  Folge  geleistet  haben? 

b.    Bänder. 

Klammern  —  etwa  von  Eisen  —  sind  stärker  als  Bänder 
von  Seide.  Bei  der  Kräftigkeit  der  kritischen  Keile  aber,  mit 
denen  wir  hier  es  zu  thun  haben,  werden  wir  dennoch  die  Hülfe 
auch  von  Bändern  zu  schätzen  wissen,  die,  wenn  zahlreich  ge- 
nug, die  Wirkung  erheblich  verstärken.  Wir  können  ziemlich 
zahlreiche  aufweisen. 

Es  ist  ein  Gedanke  des  Eingangs,  dass  jener  populus  minor, 

1)  Auch  für  Tertullian  zerfällt  die  Geschichte  der  Welt  in  Altertum, 
Mittelalter,  Neuzeit,  die  freilich  sehr  eigentümlich  begrenzt  sind.  Für  sein 
Altertum  hat  er  den  Ausdruck  primi  dies  gebildet  adv.  Marc.  III,  21  Ende 
(II,  152,  o.).  Er  sagt  da,  die  Proselyten  seien  a  primis  diebus  zugelassen 
worden  zum  Heil.  Das  wäre  also  wohl:  seit  den  ältesten  Zeiten  Israels. 
(Der  religiöse  Gesichtspunkt  natürlich  beherrscht  seine  Einteilung  der  Ge- 
schichte.) Das  Mittelalter  beginnt  ihm  mit  dem  Kaiser  Tiberius  und  reicht 
bis  Vespasian:  Adv.  Jud.  13  (II,  738,  m.)  und  Adv.  Marc.  III,  23  (II, 
154,  u.).  Offenbar  ist  es  die  Zeit  der  göttlichen  Geduld  mit  Israel.  Die 
novissimi  dies  —  beim  Verf.  ausnehmend  häufig  —  reichen  von  Vespasian 
bis  zur  Gegenwart  (noviss.  dies  z.  B.  II,  151,  m.;  II,  706,  u.  etc.).  Sie 
dehnen  sich  ihm  bis  zum  Weltgericht,  bezw.  bis  zu  dem  von  ihm  be- 
kannten millennium. 


3.    Die  Einheit  von  Aclversus  Judaeos.  43 

der  jüngere  Bruder,  die  Christenheit,  sich  unter  Verwerfung  der 
Götzen  zum  wahren  Gotte  bekehrt  habe.1)  Der  Proselyt  und 
die  Juden  sollen  sich  die  Thatsache  merken:  auch  die  Christen 
sind  sicher  nicht  Götzendiener.  Wie  wichtig  ihm  diese  Be- 
merkung, zeigt  uns  ebenderselbe  Verfasser  —  es  ist  noch  der 
/weifellos  echte  —  indem  er  später  noch  einmal  denselben  Gegen- 
stand anregt  Aber  freilich  auch  der  Falsarius,  als  hätte  er  die 
trefflichste  Fühlung,  nicht  nur  mit  Antimarcion,  den  er  ja  ge- 
flissentlich plündern  soll,  sondern  zugleich  mit  dem  „Echten" 
in  der  Schrift  an  die  Juden,  betont  dieselbige  Thatsache  ganz 
am  Ende  des  Schriftchens  und  zwar  mit  besonderem  Appell  an 
die  Mitwissenschaft  auch  der  Juden.  Der  Falsarius,  wie  man 
anch  immer  die  literarische  Täuschung  entschuldige,  bleibt  wohl 
im  allgemeinen  ein  mendax,  und  das  schwierige  memorem  esse 
hatte  dieser  mendax  geleistet. 

Auch  jenes  „teinpus  medium",  das  Mittelalter  des  Schrift- 
stellers, dessen  schon  oben  erwähnt  ward  (und  welches  im  Anti- 
marcion wie  in  den  „Juden"  zu  lesen  ist),  erweist  sich  als  Band 
oder  Kitt,  der  Echtes  und  Unechtes  bindet.  Im  achten  Kapitel 
war  ausgeführt  —  also  in  einem  authentischen  —  dass  im  15.  Jahr 
des  Tiberius  das  Leiden  des  Christ  sich  zugetragen,  dass  dann 
Caligula,  Nero,  Galba,  Otho  gefolgt  seien  und  die  Vespasianische 
Herrschaft  die  Juden  niedergeworfen  habe.  Dieser  Abschnitt 
der  römischen  Kaiserzeit  wird  im  Anschluss  an  die  Danielwochen 
förmlich  und  ausdrücklich  ausgekerbt,  ohne  dass  hier  schon  dem- 
selben ein  technischer  Ausdruck  geliehen  würde.  Doch  ist  er  des 
Schriftstellers  Mittelalter,  ein  Ausdruck,  der  im  „unechten"  Teil 
folgt.  Der  sogenannte  Falsarius,  und  der  Antimarcion  ebenmässig, 
werden  hier  erst  verständlich,  wenn  die  „echten"  „Juden"  sie 
auslegen.  Die  Anbequemung  des  Fälschers  wäre  hier  um  so 
kunstreicher,  als  kein  schon  geprägter  Ausdruck  ihm  den  An- 
schluss erleichterte,  er  also  dem  Geist  des  Echten  sich  wunder- 
voll gut  adaptiert  hätte. 2) 


1)  noster  populus  minor,  relictis  idolis  ad  eundem  deum  conversus 
est  etc.  cap.  1  Ende  (II,  702,  u.);  vgl.  cap.  3  (II,  707,  m.):  nos  qui  re- 
lictis idolis  ad  deum  conversi  suraus;  cap.  13.  (II,  737,  u.)  gentes  nos 
projecimus  idola  (videant  Judaei). 

2)  s.  II,  719.  738. 


44  Noeldechen,  Tertullian'a  Gegen  die  Juden. 

Doch  fehlt  auch  nicht  wörtlicher  Hinweis  auf  das  Echte  im 
Unechten.  Die  danielischen  Jahrwochen,  im  achten  Kapitel  er- 
örtert, kehren  mit  ausdrücklichem  Rückblick  auf  den  früheren 
Abschnitt  wieder  J) ,  wie  auch  sonst  die  Danielweissagung  noch 
weiter  im  Unechten  auftritt.2)  Auch  ist  dieses  letzte  nicht  Un- 
ordnung, da  das  Danielwort  in  dem  Unechten  einen  neuen  Ge- 
danken erhärten  soll.  Bedenkt  man  die  Kürze  des  Ganzen,  so 
kann  man  wirklich  erstaunen  über  die  stattliche  Zahl  dieser 
Bänder.  Da  schaut  das  Späte  zurück  auf  die  frühere  „Propheten- 
Versiegelung" 3),  da  auf  den  „Tod  aller  Salbung''4),  da  sind  die 
„divinae  scripturae"  ein  unverwerflicher  Leitfaden5),  der  uns 
durch  Dick  und  Dünn,  durch  Echtes  und  Unechtes  führen  kann, 
da  wird  selbst  „eremus"  ein  Leim6),  dessen  Bindekraft  kaum  zu 
verkennen  ist.  Selbst  Corssen7)  liefert  ein  Beispiel,  wo  ein 
supra  memoravimus  deutlich  auf  das  Echte  im  Unechten  rück- 
wärts weist.  —  Der  Falsarius  bewährt  seine  Meisterschaft,  in- 
dem er  Justin,  Antimarcion  und  namentlich  auch  das  Echte  der 
„Juden"  untrüglich  im  Sinn  zu  behalten  weiss. 


1)  Vgl.  II,  715  mit  II,  733,  o.  Itaque  ostendentes  et  numerum  anno- 
runi  et  tempus  LX1I  et  dimidiae  hebdomadarum  adhnpletarum  proba- 
vimus  tunc  venisse  Christum.  Dieses  Perfektum,  das  den  Rückweis  auf 
II,  715  enthält,  hat  völlig  verschiedene  Bedeutung  von  jenem  existima- 
vimus  cap.  9  (II,  720,  u.),  das  nur  auf  Debatten,  nicht  auf  irgend  etwas 
in  dem  früheren  Texte  zurückweisen  kann. 

2)  II,  715,  o.  (cap.  8,  Anfang) :  Dicit  enim  Daniel  (9,  26)  et  civitatem 
sanctam  et  sanctum  exterminari  cum  duce  venture  Cf.  cap.  12  (II,  734): 
Si  autem  jam  nee  unetio  est  illic,  ut  Daniel  (9,  26)  prophetavit  (dicit  enim 
Exterminabitur  unetio)  etc. 

3)  cap.  8  (II,  715,  u.)  ut  signetur  visio  et  prophetes;  II,  718:  signata 
est  visio  et  prophetes  .  .  .  signari  visionem  et  prophetiam  .  .  .  signata  est 
visio  et  prophetia  .  .  .  signante  visionem  et  prophetias  omnes  .  .  signare 
visus  et  prophetiam.  cap.  11  (II,  732,  u.)  signari  visionem  et  prophetiam. 

4)  cap.  8  (II,  719,  m.)  unetio  illic  exterminata  est  post  passionem  Christi; 
cap.  12  (II,  734,  u.)  exterminabitur  unetio. 

5)  divinae  scripturae  702,  m.  722.  723,  o.  733,  o. 

6)  eremus  II,  707,  u.;  725;  727,  m.;  735,  u.  In  gewissem  Masse  ist 
der  viermal  wiederkehrende  Ausdruck  für  adv.  Jud.  charakteristisch.  Der 
Verf.  setzt  sonst  solitudo  (II,  211,  u.),  desertum  (I,  858),  vasta  loca  (I,  175,  u. 
in  einer  Art  von  Citat  aus  Tacitus,  der  in  den  Historien  denselben  Aus- 
druck bietet);  doch  s.  eremus  auch  I,  8,  m.;  I,  73,  o. ;  II,  280. 

7)  Corssen  S.  25. 


3.    Die  Einheit  von  Adversus  Judaeos.  45 

Wohl  könnte,  was  wir  jetzt  hier  erörtern,  an  das  schlimme 
„zweischneidige  Schwert"  mahnen.  Die  Formel:  „Wir  sagten  das 
früher  schon"  scheint  hochgesteigerten  Ansprüchen  des  guten 
Stiles  kaum  angemessen,  und  Gedankenlosigkeit,  Unordnung  er- 
scheint der  Kritik  ja  als  Makel  des  zweiten  Teiles  der  „Juden". 
I  m  eben  genannten  Falle  wird  nun  freilich  solch  Einwurf  kaum 
ernstlich  erhoben  werden.  Auch  die  besten  Autoren,  bedrängt 
von  mancher  Verpflichtung  verschiedene  Gesichtspunkte  durch- 
zuführen auch  bei  gleichen  Objekten,  zahlen  ja  diesen  Tribut 
der  Rückverweisung  nicht  selten.  Doch  gibt  es,  das  ist  voll- 
kommen wahr,  in  diesem  „Entwürfe"  auch  Störendes.  Es  kommen 
Wiederholungen  vor  auch  ohne  ausdrücklichen  Rückweis,  auch 
da,  wo  kaum  zu  ergründen  ist,  ob  das  Alte  unter  neuem  Ge- 
sichtspunkt und  in  neuer  Beleuchtung  erscheinen  soll. l)  Der- 
gleichen gar  noch  zu  preisen  wäre  natürlich  ein  Widersinn,  und 
solche  Wiederholungen  mögen  als  Zerrbild  der  „Bänder"  be- 
zeichnet werden.  Aber  einmal  ist  nicht  zu  vergessen,  dass  jene 
Wiederholungen  meist  sich  auf  Schriftcitate  erstrecken,  und  die 
Wiederholung  von  Eigenem  auf  zwei  Falle  beschränkt  ist.2)  Dies 
sind  Kruditäten  des  Stils,  die  auch  in  dem  blossen  Entwürfe 
noch  Missfallen  erregen  werden.  Nur  freilich  wie  fehlerhaft  ist 
es,  hier  in  diesem  Falle  zu  thun,  als  ob  der  karthagische  Pres- 
byter im  übrigen  die  leibhaftige  Klarheit  eines  durchsichtigsten 
Stils  wäre.  Man  erwäge  nur  Wiederholungen,  wie  im  zweiten 
Buche  vom  Frauenputz,  man  denke  nur  an  das  Verhältnis  der 
„Nationen"  zur  Schutzschrift.  Und  der  zweite  Teil  unserer  Juden 
kann  nur  als  Entwurf  in  Betracht  kommen.  Überhaupt  aber 
gilt  es  beherzigen:  abstrakte  Massstäbe  sind  falsche.  Tertullian 
macht  eben  Fehler.  So  würde  ich  auch  nicht  dafür  einstehn, 
dass  im  echten  zweiten  Kapitel  nicht  der  Stammbaum  Lot's  grob 


1)  Leichter  Art  ist  das  zweimalige  Emmanuel  Nobiscum  deus  cap.  9 
(IT.  720,  u.).  Etwas  störender  das  zweimalige  Citat  von  Ps.  22,  17  exter- 
minaverunt  manus  meas  et  pedes  cap.  10  (II,  727,  m.);  cap.  13  (II,  735,  m.); 
ebenso  von  Jes.  1,  7  derelinquetur  filia  Sion,  sicut  casa  in  vinea  et  sicut 
custodiarium  in  cucumerario  cap.  3  (II,  70G,  0.);  cap.  14  (II,  738,  m.),  wo- 
bei in  der  letzteren  Stelle  der  Ausdruck  ein  wenig  verändert  wird;  ebenso 
von  Psalm  45,  3  cap.  9  (II,  723,  u.);  cap.  14  (II,  739,  u.). 

2)  Vgl.  II,  718  und  733,  0.:  post  enim  adventum  Christi  etc.;  733. 
711.  0.:  sufficit  hucusque  etc. 


46  Noeldechen,  Tertullian'«  Gegen  die  Juden. 

verkehrt  ist1),  wie  Josephs  Geschichte  bekanntlich  ein  Nest  von 
Irrtümern  bietet  und  die  Namen  „Aristodemus,  Hermateles" 
seine  Genauigkeit  lebhaft  verdächtigen.  Wir  nehmen  den  Marin, 
wie  er  ist,  mit  sehr  erheblichen  Vorzügen  und  mit  sehr  erheb- 
lichen Schwächen.  Oder  wäre  Justin's  Dialog  etwa  darum  für 
unecht  zu  achten,  weil  er  hässliche  Wiederholungen  aufweist?2; 
Wir  schliessen  hier  mit  der  Bemerkung,  dass  die  „Hülf- 
losigkeit"  des  Falsarius,  wie  sie  von  Corssen  behauptet  wird, 
wohl  hinreichend  beleuchtet  ist. 3) 

4.    Das  Verhältnis  zum  Antimarcion. 

Ist  die  Einheit  der  „Juden"  gewährleistet,  so  kann  kein 
Zweifel  bestehen,  dass  der  Ändernde  Tertullian  ist  und  dass  der 
Antimarcion  wirklich  nach  dem  Muster  der  „Juden"  geschrieben 
ward.  „Muster"  mag  freilich  wie  Scherz  klingen,  denn  gewiss 
ist  es  ein  unvollkommenes.  „Vorratshaus",  „Speicher"  u.  ä.  würde 
fast  mehr  zutreffen,  Speicher,  aus  dessen  Rohstoff  ein  Teil 
der  Bewirtung  bestritten  wird,  welche  die  grössere  Arbeit  den 
Jüngern  des  Pontikers  auftischt. 

Ehe  wir  den  Motiven  nachspüren,  welche  die  ändernde  Feder 
Tertullian's  hier  geleitet,  muss  ein  Bekenntnis  des  Autors  hier 
gleich  Eingangs  besprochen  werden,  der  mit  hochgradiger  Deut- 
lichkeit sein  förmliches  Programm  dahin  kund  gibt,  dass  er  im 
Antimarcion  aus  den  „Juden"  entleihen  werde.  Man  höre,  was 
Tertullian   sagt   im  dritten   Buch   wider    Marcion. 4)     Es    werde, 


1)  cap.  2  (II,  705,  o.)  probat  et  Loth,  frater  Abrahae.  Über  Joseph, 
Aristodemus,  Hermateles  s.  meinen  Aufsatz  Die  Quellen  Tert.'s  in  seinem 
Buch  von  den  Schausp.  im  Philologus  Suppl.  Bd.  VI,  2.  Hälfte  S.  731.  744  f. 

2)  S.  Justin's  Dialogus  ed.  Otto  S.  91  Anm.  17;  S.  134  Anm.  5. 

3)  Kleinere  stilistische  Bänder,  von  grammatisch-lexikalischen  hier  ganz 
zu  geschweigen,  gibt  es  noch  sonst  eine  Anzahl.  Ich  begnüge  mich  hier 
mit  dem  Hinweis  auf  die  im  „Echten"  wie  im  „Unechten"  vorkommende 
Wendung:  Unde  firmissime  dicit  II,  718,  u.;  II,  733,  o.  Da  beide  Male 
fast  identisch  fortgefahren  wird  (adventum  ejus  signare  visus  et  prophetiam), 
so  kann  man  die  Stelle  allerdings  zu  den  störenden  Wiederholungen  stellen. 
Dass  diese  Wiederholungen  aber  die  Authentie  des  „Entwurfes"'  auch 
nur  im  geringsten  verdächtigen,  ist  etwas,  das  ich  bestreite.  Vgl.  hier 
S.  34  unten. 

4)  adv.  Marc.  III,  7,  Anfang. 


4.    Das  Verhältnis  zum  Antimarcion.  47 

sagt  er,  erlaubt  sein,  dass  Marcion  mit  dem  Juden  zusammen, 
mit  dem  er,  blind  mit  dem  Blinden  zusammen,  in  die  Grube  ge- 
fallen sei,  seines  Irrtums  überführt  werde.  Er  bedingt  so  die 
Erlaubnis  sich  aus,  oder  glaubt,  dass  sie  niemand  verweigert, 
den  Pontiker  mit  dem  Juden,  samt  dem  Juden  zu  züchtigen. 
Der  Gedanke  bleibt  ihm  völlig  präsent  auch  in  den  folgenden 
Abschnitten;  in  veränderter  Form  kehrt  er  wieder.  Im  Rüge- 
oder Schmäheton  heisst  es  —  gleich  in  dem  folgenden  Haupt- 
stück, als  ob  ihm  das  „Blinder  mit  Blindem"  noch  nicht  kräftig 
genug  sei,  Marcion  borge  vom  Juden,  gleich  wie  die  Natter  von 
Vipern.1)  Dann  wieder  im  sechszehnten:  Lerne  auch  hier  mit 
den  Teilhabern  deines  Irrtums,  den  Juden.  Man  darf  darauf 
völlig  verzichten,  in  dem  Singular  jener  Anrede  eine  besondre, 
bewusste  Beziehung  auf  den  Proselyten  von  ehedem,  wie  in  dem 
Plural  solche  auf  den  „Kranz"  von  einstmals  zu  wittern.  Zur 
Zeit  der  Schrift  an  die  Juden  waren  diese  Dinge  ganz  frisch, 
hernach  sind  sie  alt  und  vergangen.  Wohl  aber  kommt  in  Be- 
tracht, dass  die  Formel:  mit  jemand  lernen  oder:  mit  jemand 
gebläut  werden  dem  Tertullian  ganz  solenn  ist.  So  schreibt  er: 
disce  cum  Galatis,  cum  Thessalonicensibus  disce,  er  schreibt: 
cum  Galatis  percuti.2)  Man  sieht:  dies  Lernen  ist  hier  offenbar 
ein  Lernen  aus  Büchern,  aus  geschriebenem  Wort,  und  man 
mag  der  Versicherung  glauben,  dass  dies  bei  ihm  immer  so  steht, 
dass  Ausnahmen  nicht  vorkommen.  Als  Einwand  wäre  ja  denk- 
bar, dass  es  stets  die  Heilige  Schrift  sei,  und  daraus  noch  nichts 
sich  ergebe  für  den  Rückweis  auf  sein  eigenes  Schrifttum.  Auch 
dieser  Einwand  ist  nichtig.  Auf  seinen  Antimarcion  weist  er 
mit  der  nämlichen  Formel :  Cum  Marcione  plenius  disces. 3)  •  Sollte 


1)  Ebendas.  cap.  8  Anfang;  vgl.  cap.  16  (II,  143,  m.). 

2)  Habes  apostolum,  disce  cum  Galatis  de  monog.  6  (I,  769,  m.).  Sic 
et  cum  Galatis  nos  quoque  percuti  aiunt,  observatores  dierum  etc.  de  jej.  2 
(I,  854,  u.)  quae  haec  tempora  cum  Thessalonicensibus  disce.  de  res.  carn. 
cap.  24,  Anfang  (I,  497,  u.). 

3)  de  res.  carn.  14  (II,  484,  in.).  Dass  man  an  diesen  Erwägungen 
bisher  so  völlig  vorbeiging,  ist  mir  beinahe  rätselhaft.  Ich  glaube,  dass 
die  Doppelnatur  jenes  licet  adv.  Marc.  III,  7,  Anfang  (Verburn  und  Par- 
tikel) daran  gleichsam  mitschuldig  ist.  Über  die  grammatische  Fassung 
(„es  wird  freistehn")  darf  aber  kein  Zweifel  sein.  Stellen  habe  ich  in 
Menge;  sie  erscheinen  mir  aber  hier  unnötig. 


48  Noeldeehen,  Tertullian't  Gegen  die  Juden. 

das  alles  Zufall  sein?  Sollte  er  hier  durchaus  von  beliebigen 
Juden  geredet  haben,  von  blossen  idealen  Gestalten  seiner  eigenen 
Einbildungskraft,  allenfalls  auch  von  wirklichen  Juden,  mit  denen 
er  aber  etwa  nur  mündlich,  oder  ganz  privatim  verhandelt  hätte? 
Das  würde  doch  auf  Willkür  hinauslaufen.  Es  hiesse  den  Ver- 
fasser beliebig  von  seinem  eigenen  Stil  trennen,  ihn  sich  selber 
aufsässig  machen,  ihn  sich  selber  untreu  erscheinen  lassen,  und 
zwar  alles  dies  grundlos.  Und  so  wird  denn  freilich  der  Sache 
nach  jener  Judengenosse  von  früher  und  die  lärmende  Corona 
von  früher  und  vor  allem  das  Buch  an  die  Juden,  das  dem  ein- 
stigen Streitgespräch  folgte,  dem  Verfasser  hier  vorschweben, 
um  so  mehr  als  sich  selber  ausschreiben  ihm  durchaus  nicht 
ungewohnt  ist,  als  er  nicht  nur  Justin,  Irenaeus,  sondern  auch 
seine  eigenen  Schriftsätze  zuweilen  zu  zehnten  für  gut  findet. l) 
Nur  freilich  der  mythische  Freibeuter,  jene  kräftige  Sagen- 
gestalt, der  Neander  zum  Leben  verholfen,  verlangt  nun  eben  ihr 
Recht:  hier  grade  soll  er,  sonst  einfältig,  doch  pfiffig  genug  ge- 
merkt haben,  dass  für  ihn  ein  Vorratshaus  offen  sei,  und  dass 
er  sich  nur  zu  bedienen  brauche.  Auf  solcher  blossen  Möglich- 
keit fussend2)  —  die  durch  zahlreiche  triftige  Gründe  doch 
wieder  unmöglich  gemacht  wird,  Hessen  sich  zahllose  Buchräuber 
ohne  jede  Schwierigkeit  herstellen.  Allerdings  jene  Unmöglich- 
keit soll  an  seinem  Teile  noch  weiter  das  hier  folgende  darthun. 

a.   Sachliche  Änderungen. 

Den  Reigen  der  Einzelveränderungen,  welche  wir  im  folgen- 
den durchgehn,  eröffne  „nationes"  und  „nati",  „gentes"  und 
„genus  hominum". 3) 

Wie  auch  immer  der  pontische  Ketzer  sich  dem  jüdischen 
Irrtume   angeschlossen,    es   gab   doch   einzelne   Punkte,    wo    der 

1)  Vgl.  auch,  abseits  von  dem  so  augenfälligen  Verhältnis  des  apo- 
loget.  zu  ad  natt.  und  de  cultu  fem.  II  zu  I  die  ähnlich  programmmässig 
lautende  Stelle  in  adv.  Marc.  V,  10  Anfang:  revertamur  ad  resurrectionem, 
cui  et  alias  quidem  proprio  volumine  satisfecimus  (s.  namentlich  Oehl. 
II,  530,  u.)  omnibus  haereticis  resistentes:  sed  nechic  desumus,  propter 
eos  qui  illud  opusculum  ignorant. 

2)  Vgl.  Corssen  3.  „Bei  dieser  Sachlage  konnte  es  indessen  einer 
geschickten  Hand  nicht  schwer  fallen." 

3)  S.  Semler 's  Synopse  bei  Oehl  er  III,  648.  656. 


4.    Das  Verhältnis  zum  Antirnarcion.  49 

spätere  Antiinareion  das  Erbe  des  Textes  der  ., Juden"  nicht  ein- 
fach antreten  konnte.  Und  hier  sind  es  keineswegs  blos  gewisse 
gröbere  Wandlungen,  die  allenfalls  ein  Falsarius,  der  Umgekehrte 
des  Corssenschen,  aus  seinem  Eigenen  •  leisten  konnte,  sondern 
feinere  Nuancen  des  Stils,  die  nur  Eingeweihte  besorgen  konnten. *) 
Der  Pontiker  war  ein  Heidenchrist  in  des  Wortes  verwegen- 
stem Sinn,  nicht  nur  ein  Ultrapauliner,  sondern  auch  heidnischer 
Herkunft,  ein  Mann  des  „barbarischen'1  Ostens.  Der  Verfasser 
des  Antirnarcion  konnte,  einst  selber  ein  Heide,  unter  diesem 
Gesichtspunkt  gewiss  sich  selber  mit  ihm  zusammenschliessen, 
ihm  als  Bruderparole  „nos  gentes"  seiner  Judenschrift  zubilligen. 
Dennoch  ist  er  hier  vorsichtig,  sich  selber  nicht  aus-,  sondern 
umschreibend.  Aus  dem  älteren  „wir  Heiden"  (wir  Heiden- 
christen) wird  nun  vielmehr  ein  pathetisches:  „unsereins,  Leute 
wie  wir,  geboren  in  den  Wüsten  des  Weltlebens."  Dass  man 
sieht,  dass  System  in  der  Sache  sei,  giesst  er  ebenmässig  ander- 
wärts um.  Nicht  mehr:  wir  Heiden  (wir  Heidenchristen)  haben 
uns  der  Götzen  begeben,  sondern:  das  Menschengeschlecht  hat 
seither  die  Götzen  verworfen.  Ein  Zusammenschluss  mit  dem 
Pontiker  als  heidenchristlichem  Bruder  —  wobei  nolens  volens 
denn  doch  die  religiöse  Nuance  mit  durchleuchten  und  die  blosse 
Geburtsthatsache  einen  weiteren  Beigeschmack  haben  würde  — 
wäre  ja  durchaus  der  Tendenz  des  Bestreiters  des  „Pontus"  zu- 
wider, sie  wäre  das  vollendete  Gegenteil  der  im  „Marcion"  wal- 
tenden Strebungen.  Des  Pontikers  AntiJudentum  soll  ja  bis  aufs 
Messer  bekämpft  werden.  Um  so  weniger  kann  der  Verfasser 
sein  kühnes  nos  gentes  hier  aufwärmen,  das  er  überhaupt  sich 
nur  einmal  Zeit  seines  Lebens  verstattet  hat,  als  inzwischen  sein 
eigner  Sprachgebrauch  sich  bestimmter  fixiert  hatte.     Er  hatte 


1)  Da  der  Text  der  Synopse  von  Semler  vielfach  recht  antiquiert  ist, 
setze  ich  hierher  die  Stellen  aus  Oehler.  Adv.  Jud.  0  (II,  724,  u.):  Nam 
quia  Jesus  Christus  secundum  populuin,  quod  sumus  nos  nationes  in 
saeculo  desertae  commorantes  antea,  introducturus  esset  in  terram  repro- 
missionis.  Adv.  Marc.  III,  16  (II,  143,  m.):  Nam  quia  Jesus  Christus  se- 
cundum populum,  quod  sumus  nos  nati  in  saeculi  desertis,  introducturus 
erat  in  terram  promissionis.  Ferner  Adv.  Jud.  13  (II,  737,  u.)  ex  quo  (seit) 
gentes  nos  dilucidato  pectore  per  Christi  veritatem  projecimus  idola. 
Adv.  Marc  III,  23  (II,  154,  0.)  ex  quo  genus  hominum  dilucidata  per 
Christum  veritate  idola  projecit. 

Texte  u.  Untersuchungen  XII,  2.  4 


5(j  Noeldechen,  Tertullian's  Gegen  die  Juden. 

sein  Buch  An  die  Heiden  (Ad  nationes)  geschrieben.  Nun  ist 
ja  freilich  gewiss,  seit  Aristoteles'  Tagen,  dass  die  Sprachen  nicht 
reich  genug  sind,  um  jede  Schattierung  der  Vorstellung  in  be- 
sonderem Wort  zu  verkörpern,  und  dass  das  einzelne  Wort,  so- 
zusagen ein  geduldiges  Lasttier,  verschiedene  Bedeutungen  tragen 
muss.  Auch  bei  Tertullian  wird  dies  klar  genug.  Die  „majores'* 
der  früheren  Schriften  bedeuten  auf  gut  apulejisch  ihm  die  heid- 
nischen Altvordern  *),  die  majores  (nostri!)  von  später  sind  schliess- 
lich die  christlichen  Vorfahren;  mit  dem  Alters  Wachstum  des 
Glaubens  muss  dieser  Begriff  sich  bald  aufdrängen.  Aber  wie 
viel  leichter  begreift  sich  diese  Nuance  des  Wortgebrauchs. 
Nationes  nos  würde  jetzt  hart  klingen,  nachdem  Ad  nationes 
erschienen  war;  konnte  es  doch  selbst  früher  gewagt  klingen. 
Hier  lag  eine  sprachliche  Aufgabe,  die  offenbar  nicht  ohne 
Dornen,  nicht  ohne  manches  Bedenken  war.  Tertullian  hat 
Hebraei  Christiani  einmal  im  Antimarcion2);  Romani  Christian  i 
niemals,  Graeci  Christiani  niemals,  Christiani  gentiles  niemals, 
Christiani  ethnici  niemals;  sein  Sprach-  wie  sein  Glaubensgefühl 
würde  dagegen  sich  aufbäumen.  Auch  was  man  im  Antimarcion 
liest:  nationes,  quod  sumus  nos3),  kann  nur  die  Ansicht  bestärken, 
dass  es  hier  um  delicatere  Dinge  des  christlichen  Ausdrucks  sich 
handelt.  Der  gemodelte  Stil  des  Späteren  will  wirklich  also 
etwas  besagen.  —  Auch  ein  letzter  hier  denkbarer  Einwurf  wird 
schwerlich  wirklich  verfangen:  warum  so  mit  Worten  spielen, 
warum  nicht  gründlicher  umgiessen?  Als  Synonymiker  wenig- 
stens lernten  wir  den  Autor  schon  kennen,  selbst  auf  unserem 
kurzen  Spaziergang  nur  durch  das  Buch  an  die  Juden.  Seine 
sonstige  philologische  Ader,  spezieller  auch  etymologische,  kann 
man  unschwer  erhärten,  wie's  dem  Schüler  Varro's  beliebt,  Vo- 
cabeln  dann  und  wann  zu  besprechen4),  grammatisch-stilistische 
Kampfgänge  dann  und  wann  auf  sich  zu  nehmen.    So  darf  man 

1)  im  Apologeticum  (I,  133.  134.  136). 

2)  S.  die  Parallelstellen  bei  Corssen  S.  6,  oben. 

3)  So  schreibt  er  adv.  Marc.  III,  21  (II,  151).  Der  Unterschied  zwi- 
schen nos  nationes  (hier  S.  49  Anm.  1)  und  nationes  quod  sumus 
nos  ist  in  der  That  nicht  unerheblich.  Der  erstere  Ausdruck  ist  kühn 
(wir  Heiden  =  wir  Heidenchristen),  der  letztere  behutsam  erläuternd:  die 
Völker,  damit  meine  ich  uns. 

4)  Man  vgl.  seine  Erörterungen  über  den  Gebrauch  von  yvvr\,  über 
ipv/i]  und  xpv/oc,  über  &eög  und  d-teiv,  „cadaver  a  cadendo"  etc. 


4.    Das  Verhältnis  zum  Antiniarcion.  5[ 

ihm  offenbar  zutrauen,  dass  seine  etymologische  Kunde  ihm  die 
Sippe  von  gens  und  genus,  von  natio,  natus  bekannt  gibt.  Ja, 
hier  wirkt  nun  weiter  auch  dasjenige,  was  schon  früher  betont 
ward,  die  stilistische  Laune  noch  mit:  jenem  furchtbaren  Feinde 
der  Juden  seine  Nähe  mit  dem  fleischlichen  Israel  selbst  dadurch 
recht  fühlbar  zu  machen,  dass  er  neben  der  Viper  die  Natter 
mit  fast  identischer  Kost  speist.  Und  so  wird  man,  seinen  Stand- 
punkt verstehend,  selbst  ein  kleines  stilistisches  Prachtstück  der 
bessernden  Feder  hier  anerkennen.  — 

Wie  umgekehrt  aus  den  nati  ein  nationes  entstehen  konnte, 
aus  genus  hominum  gentes,  mögen  die  Gegner  der  Echtheit  aus 
ihrem  Eigenen  zeigen.  Ich  selber  kann  eine  vernünftige  Deutung 
solchen  Vorgangs  nicht  auffinden. 

Zu  den  Änderungen,  welche  den  Geist  und  weniger  den 
Buchstaben  angehn,  ja  welche  sich  als  feine  Schattierungen  der 
alteren  Vorlage  darstellen,  zählt  auch  die  Behandlung  des  „Ve- 
nit"  {)  in  dem  Buch  gegen  Marcion.  Der  Pontiker  und  die  Juden 
vermeinen,  dass  der  jüdische  Christus  noch  aussteht.2)  Auch  dem 
ersteren  entgegnet  sein  Gegner,  das  vielmehr  der  Messias  ge- 
kommen sei,  den  der  Schöpfer  geweissagt.3)  Aber  für  die  Juden 
und  Marcion  lag  doch  die  Sache  verschieden.  Der  Judenmessias, 
geweissagt  von  zweifelhaften  Propheten,  von  denen  der  Pontiker 
kaum  weiss,  ob  sie  mehr  thöricht,  mehr  schlimm  waren,  war  dem 
Marcion  vorwiegend  gleichgiltig:  der  Satz,  dass  er  noch  zu  er- 
warten sei,  war  ihm  vor  allem  ein  Hülfssatz,  dienstbar  seiner 
eigenen  Anschauung,  auf  welchen  besonderen  Wert  zu  legen  ihm 
aber  die  Veranlassung  abging.  Ihm  kommt  es  an  auf  den  Sanft- 
mütigen, den  Herrn  alles  Erbarmens,  der  nach  Kapernaum  nieder- 
steigt, den  Heiland,  der  den  Schöpfer  besiegt  und  den  rauhen 
Gesetzgeber  aussticht.  Dem  entspricht  nun  vollkommen  der  That- 
bestand  in  dem  dritten  Buche  gegen  Marcion.  Das  Gekommen- 
sein oder  Erstkommensollen  spielt  nicht  entfernt  jene  Rolle,  die 
es  in  den  „Juden"  gespielt  hatte.  Zum  öfteren  unterdrückt  er 
das  „Venit",  das  den  „Juden"4)  doch  hoch  obenan  steht,  dieses 


1)  Vgl.  hier  S.  41  Anm.  2. 

2)  Adv.  Marc.  III,  23  Anfang. 

3)  S.  Semler's  Synopse.    Oehl.  III,  665,  o. 

4)  S.  Oehl.  III,  643,  o.;    III,  656,  o.;   vgl.   auch  hier  S.   58  Anm.   3. 
-  Anm.  2. 

4* 


52  Noeldechen,  Tertullian'e  Gegen  die  Juden. 

Buch  mit  seinem  Schalle  erfüllend.  Nur  fehlt  allerdings  wieder 
viel,  dass  das  Venit  später  ganz  ausfiele.  Offenbar  auch  das 
Beiwerk  des  Pontikers  kann  dem  Polemiker  Stoff  bieten.  Dem- 
gemäss  gebraucht  er  es  auch,  um  ihn  ad  absurdum  zu  führen. 
Ja  er  bringt  hier  gelegentlich  Neues  oder  nuanciert  doch  das 
Ältere.  *)  Wenn  der  Christ  des  creator  noch  aussteht,  jener  vor- 
mals prophetisch  verkündete,  so  müssen,  so  insinuiert  er,  auch 
die  alten  prophetischen  Drohworte  noch  in  Zukunft  an  Israel 
wahr  werden.  Wie  können  sie  aber  wahr  werden!  Das  noch 
zu  verlassende  Sion  liegt  ja  heute  in  Trümmern;  die  noch  zu 
verbrennenden  Städte  sind  ja  heute  schon  lange  begraben,  das 
noch  zu  zerstreuende  Volk,  es  irrt  ja  längst  in  der  Fremde.  So 
bringt  er  auch  den  Doppel  ad  vent,  der  die  „Juden"  so  zweck- 
mässig abschliesst,  ja  als  folgte  er  einem  Wink,  den  er  früher 
halb  sich  selber  erteilt  hatte  2),  er  bringt  ihn  hier  gleich  im  Be- 
ginn seines  grossen  Borgs  aus  den  „Juden".  Trotz  alledem  bleibt 
ersichtlich,  wie  die  Frage  ihre  Spitze  verloren  hat.  Der  Hülfs- 
satz  vom  Judenmessias  wird  wesentlich  beiläufig  abgethan.  Denken 
wir  hier  an  den  Plünderer,  der  den  Antimarcion  ausraubt:  thö- 
richt,  wie  man  ihn  schildert,  muss  er  feinfühlig  genug  sein,  den 
von  ihm  gezehnteten  „Marcion"  in  der  Frage  des  Venit  zu  steigern. 
Und,  wenn  das  Magazin  ihm  denn  offen  ist,  warum  langt  er 
nicht  gründlicher  zu,  um  den  Juden  auch  den  Hohn  zu  bieten, 
dass  ihre  Strafen  noch  ausstehen?  Es  Hesse  sich  ja  allenfalls 
sagen:  die  Consequenz,  dass  der  Kelch  des  jüdischen  Leidens 
schon  ausgezecht,  bis  auf  die  Hefen  geleert  sei  und  nun  ferneres 
Leid  nicht  in  Sicht  sei,  wäre  am  Ende  doch  Balsam  für  das  ge- 
marterte Volk,  den  der  Gegner  desselben  nicht  bieten  könne. 
Aber  konnte  der  Hohn  denn  nicht  schliessen:  jene  Drohworte 
heischen  Erfüllung?  Und  so  hätte  denn  doch  der  Entleiher  sich 
seinen  Vorteil  entgehn  lassen.  Soll  das  auch  aus  „Plumpheit" 
geschehn  sein?  In  Wahrheit  erscheint  Antimarcion  auch  hier 
als  Nüancierung  der  „Juden".  Man  vergleiche  die  betreffenden 
Stellen.  Dort:  ein  Retter  aus  Bethlehem?  Ja,  in  Bethlehem 
wohnt  jetzt  kein  Jude  mehr.  Hier:  Israel  ferner  noch  strafen? 
Ja  Avas  bleibt  zu  strafen  noch  übrig?3) 

1)  Oehl.  II,  155,  m. 

2)  Indem    er    nämlich,    obgleich  er  den  Doppeladvent    ganz   zuletzt 
stellt,  sagt,  hier  liege  der  Kernpunkt.    (,,Last  not  least"). 

3)  Die  Stellen  sind:  Oehl.  II,  155,  m.  und  II,  734. 


4.    Das  Verhältnis  zum  Antiuiarcion.  53 

An  einer  Stelle  der  „Juden"  soll  Rationalismus  sich  breit 
machen,  der,  wie  man  durchblicken  lässt,  Tertullian  s  selber  nicht 
würdig  sei. *)  Die  Stelle  soll  dem  Freibeuter  angehören,  der,  wo 
er  von  dem  Eigenen  zuthut,  auf  Plattheiten  verfallt  und  deut- 
liche Blossen  zu  sehn  gibt.  Denn  sicher  aus  Antimarcion  hat 
er  diese  Habe  nicht  hergeholt.  Und  doch  wird  hier  teils  das 
Verhältnis  zum  Antimarcion  klar  sein,  teils  die  Authentie  der 
„Juden"  von  allem  Verdachte  befreit  sein.  Zunächst  gilt  es  be- 
denken, dass  selbst,  wenn  Tertullian,  nach  Verlauf  längerer  Zeit 
zu  einer  Anfängerarbeit  zurückbiegend,  die  gelungeneren  Stücke 
sich  ausschnitte,  die  matteren  aber  verworfen  und  still  beiseite 
gelassen  hätte,  auch  dies  so  ziemlich  begreiflich  wäre.  Gelegent- 
lich mag  dies  gar  zutreffen.  Nur  muss  man  freilich  immer  be- 
achten, dass,  wenn  Stücke  zur  Wiederholung  nicht  taugten  in 
einem  Werk  gegen  Marcion,  es  darum  in  den  „Juden"  nicht  matt, 
nicht  untauglich  zu  sein  brauchte.  So  bezeichnet  denn  Corssen 
mit  Unrecht  als  „flach"  vernünftelnd  den  Abschnitt,  welcher  den 
Fluch  des  Kreuzes  in  den  „Juden"  interpretieren  soll.  Der  Ge- 
danke, dass  Jesus  unschuldig  an  jenem  furchtbaren  Holz  hängt, 
weshalb  wäre  der  flach?  Vielleicht  mag  er  uns  trivial  dünken, 
weil  wir  an  Jesus  nicht  mäkeln.  Den  Juden  gegenüber  war's 
anders.  Oder  hat  Paulus  von  ungefähr  vom  Skandal  des  Kreuzes 
geschrieben?  —  Doch  es  sei,  die  Färbung  der  „Juden"  sei  wirklich 
rationalistisch.  Hat  denn  Tertullian  so  durchaus  keinen  rationalisti- 
schen Anflug?  Sein  Euhemerismus,  was  ist  er,  wenn  nicht  barer 
Rationalismus?  Jene  spöttisch  verliehenen  Götterthrone  (ad  natt. 
II,  14),  was  wären  sie  sonst,  wenn  nicht  rationalistische  Spässe 
und  zwar  von  der  wildesten  Art,  wenn  auch  immer  gegen  Heiden 
geschleudert?  Wie  viel  zahmer  und  vor  allem  vernünftiger  dieser 
„Rationalismus"  der  „Juden"!  Er  bespricht  mit  den  Israeliten 
jenes  schreckliche  Wort:  Verflucht  ist,  wer  immer  am  Holz 
hängt.  Man  bedrängt  ihn  damit,  dass  dies  Wort  über  Jesus 
sichtlich  den  Stab  breche  oder  mindestens,  dass  es  nicht  glaub- 
lich, dass  Gott  seinen  Sohn  so  behandle.  Tertullian  pariert  diesen 
Angriff,  zerstreut,  wie  er  kann,  die  Bedenken,  indem  er  geduldig 
zurückweist  auf  das  im  Texte  Vorhergehende:  es  sei  überhaupt 
da  die  Rede  von  todeswerten  Verbrechen:  wer  als  solcher  Ver- 


1)  S.  Corssen  S.  25.  —  Die  Stelle  in  adv.  Jud.  Oehl.  II,  727. 


54  Noeldechen,  Tertullian'a  Gegen  die  Juden. 

brecher  am  Holz  hängt,  der  und  eben  nur  der  werde  von  dem 
Fluche  betroffen.  Dass  das  Leiden  des  Christ  hier  verflucht 
werde,  daran  sei  nicht  von  ferne  zu  denken:  des  Christ,  der  alle 
Gerechtigkeit  und  alle  Demut  geübt  habe.  Vielmehr  sei  derselbe 
gestorben,  dass  die  Weissagungen  erfüllt  werden.  Gehe  doch 
auf  ihn  auch  das  Psalm  wort:  sie  vergalten  mir  Böses  für  Gutes. 
—  Von  allen  diesen  planen  Erwägungen  steht  freilich  keine 
Silbe  im  „Marcion".  Aber  schwerlich,  nein  sicher  nicht  darum, 
weil  dessen  Verfasser  gemeint  hätte,  jene  Ausführungen  der 
„Juden"  seien  flach  rationalistisch.  Sondern  durchaus  vielmehr 
darum,  weil  der  „himmelstürmende  Riese"  hier  in  gleicher  Weise 
der  Nachhülfe  Tertullian's  nicht  bedurfte.  Jener  Führer  der 
övfifiioovusvoi,  der  Herold  der  owraXacjcmgoi,  was  er  von  Do- 
kese  auch  lehren  mochte,  dachte  nicht  im  geringsten  daran,  an 
der  Demuts-  und  Leidensgestalt  seines  Herrn  irgend  Anstoss  zu 
nehmen;  er  betont  sie  ja  eben  aufs  stärkste.  Dass  sein  Gegner 
also  hier  sich  nicht  ausschreibt,  gehört  zu  dem  völlig  Begreif- 
lichen, ja  das  Gegenteil  würde  absurd  sein.  Und  indem  er  diese 
Stelle  hier  auskerbt,  um  sie  gänzlich  beiseite  zu  lassen,  beweist 
er  uns  hier  noch  aufs  neue,  dass  er  auch  hier  ganz  er  selber 
ist.  Gemäss  seiner  alten  Manier,  dem  Buchstaben  möglichst 
treu  zu  bleiben,  auch  da,  wo  er  geistiger  Weise  die  Front  gründ- 
lich verändert,  vertauscht  er  ein  „rerum  ratio",  was  er  in  den 
„Juden"  gesetzt  hatte  mit  einer  „rerum  probatio".1)  Den  inneren 
Grund  jenes  Fluches,  dem  Jesus  scheinbar  verfallen  ist,  will  er 
an  dieser  Stelle  seines  Antimarcion  schuldig  bleiben,  er  will  zu- 


1)  adv.  Jud.  10,  Anfang  (II,  727,  o.)  Maledictus  omnis  qui  pependerit 
in  ligno.  Sed  hujus  maledictionis  sensum  antecedit  rerum  ratio.  Dicit 
enim  in  Deuteronomio.  etc.  —  adv.  Marc.  III,  18  (II,  146,  o.)  Maledictus, 
inquit,  omnis  qui  pependerit  in  ligno.  Sed  hujus  maledictionis  sensum 
differo,  dignae  sola  praedicatione  crucis,  quia  et  alias  antecedit  rerum 
probatio  rationem.  —  Was  die  —  vom  Verfasser  zweifelsohne  beab- 
sichtigte, meinetwegen  „gesuchte"  —  Nähe  der  Texte  betrifft,  deren  Wort-, 
selbst  Silbenbestand  nahezu  übereinkommt,  während  der  Sinn  ganz  ver- 
schieden, selbst  entgegengesetzt  sich  gestaltet:  so  hat  auch  Corssen  ge- 
legentlich diesen  Umstand  gesehen  und  angemerkt.  Aber  ihm  ist  das 
Plumpheit  des  Freibeuters!  Nichts  kann  irriger  sein  als  dies  letztere.  Eher 
könnte  man  noch  eine  Zärtlichkeit  für  den  einmal  gewählten  Ausdruck  bei 
dem  Verf.  behaupten  wolleu.  Doch  s.  hier  S.  51  oben  („stilistisches  Pracht- 
stück") S.  24,  Mitte  („Caprice").  —  Vgl.  übrigens   auch  hier  S.  79  Anm.  3. 


1.   Das  Verhältnis  zum  Antimarcion.  55 

nächst  liier  die  Thatsachen,  die  „Figuren''  des  alten  Bundes,  die 
den  Herrn  praef  brillieren ,  behandeln;  das  andere  wolle  er  auf- 
schieben: ein  sehr  bezeichnendes  differo,  dem  wir  auch  noch 
weiter  begegnen  werden.  Er  weiss  ja.  dass  der  „Apostolos"  im 
fünften  Buch  gegen  Marcion  auch  seine  Rechte  verlaugt,  dass 
speziell  der  Galaterbrief  ihm  dazu  noch  Anlass  genug  bietet,  die 
reruin  ratio  nachzuliefern,  so  wie  sie  für  den  Pontiker  taugen 
wird.  Auch  vergisst  er  sein  dilfero  nicht;  er  hat  sein  Versprechen 
eingelost.1)  Hier  ist  alles  ganz  wie  es  sein  soll,  die  „Juden",  wie 
Antimarcion.  Dass  Marcion  V,  3  von  dem  Buchräuber  sei's  gar 
nicht  aufgesucht,  sei's,  wenn  er  gesucht,  nicht  gefunden,  sei's, 
wenn  er  fand,  nicht  verstanden  sei,  halte  ich  bei  allem  Respekt  für 
Corssen's  Scharfsinn  für  Wind.  Im  Gegenteil,  hätten  die  „Juden" 
hier  den  Antimarcion  ausgenutzt,  jener  Proselyt  und  der  „Kranz", 
sie  wären  viel  schlechter  bedient  gewesen.  Das  Suum  cuique  ist 
hier  höchst  angemessen  geübt  worden. 

Analog  ist  eine  andere  Abweichung,  insofern  auch  sie  mit 
bedingt  ist  durch  den  viel  umfassenden  Aufriss  des  grösseren 
Werks  gegen  Marcion  gegenüber  dem  viel  engeren  Rahmen  der 
kleinen  Schrift  gegen  die  Juden;  wrobei  wir  noch  einmal  den 
Vorteil  haben,  wie  oben  bei  dem  disce  cum  Galatis,  disce  cum 
Marcione,  „cum  ipso  licebit  Judaeo"  den  Verfasser  über  die  Gründe 
seines  Verfahrens  selbst  abzuhören.  Es  handelt  sich  zunächst 
in  den  „Juden"2)  um  ein  doppeltes  Werk  des  Erlösers,  das  Pre- 
digen und  das  Wnnderthun.  Dieser  Lehrstoff  wird  fast  nur  ge- 
streift, und  das  ist  in  den  „Juden"  wohl  weise.    Eine  irgendwie 


1)  S.  die  Synopse  von  Corssen,  S.  25,  oben. 

2)  adv.  Jud.  9  (II,  726,  m.)  duplici  eniru,  nisi  fallor,  operatione 
distinctuni  eum  legimus,  praedicationis  et  virtutis.  Sed  de  utroque  titulo 
sit  disposituru.  (Oehler's  Text  ist  hier  gut;  man  vgl.  den  kritischen 
Apparat)  Itaque  specialiter  dispungamus  ordinem  coeptum,  docentes  prae- 

dicatorem  adnuntiatum  Christum Virtutes  autem  facturum  a  patre  etc. 

—  adv.  Marc.  III,  17  (II,  145,  m.)  Oportet  actum  ejus  (Christi)  ad  scriptu- 
rarum  regulam  recognosci,  duplici,  ni  fallor,  operatione  distinctum,  prae- 
dicationis  et  virtutis.  Sed  de  utroque  titulo  sie  disponam,  ut,  quo- 
niam  ipsum  quoque  Marcionis  evangelium  discuti  placuit,  de 
speciebus  doctrinarum  et  signorum  illuc  differamus,  quasi  in  rem  prae- 
sentem.  Hie  autem  gener aliter  expungamus  ordinem  coeptum  etc.  Folgt 
neben  dem  praedicator  der  medicator  Christus  (der  bessere  Gegensatz)  und 
zwei  ganz  kurze  Jesaiasstellen. 


56  Noeldechen,  Tortullian's  Gegen  die  Juden. 

breitere  Ausführung  der  evangelischen  Wunder  und  der  evan 
gelischen  Lehrreden  hätte  sein  Auditorium  wohl  in  „böhmische 
Dörfer"  geführt  und  ihres  Eindrucks  verfehlen  müssen.  Jene 
„vorgezeichneten  Linien",  die  sich  der  Verfasser  gezogen,  haben 
dies  zweckmässig  ausgeschlossen.  Allgemein  bekannt  wie  sie 
sind,  dies  scheint  er  in  den  „Juden"  zu  sagen,  mögen  jene  beiden 
Gesichtspunkte  zunächst  als  festgestellt  gelten.  Doch  belegt  er 
sie  hier  im  Vorbeigehn  „speziell"  mit  Jesaiasstellen,  die  erstere 
die  Predigt  des  Christ,  die  letztere  dessen  Wunder  behandelnd. 
Hier  trägt  sich  noch  das  Besondre  zu,  dass  die  Wunder  des 
Christ  bei  Jesaias  !)  gleichsam  so  disponiert  sich  ergeben,  dass 
ein  Ausblick  auf  das  Detail  des  Evangeliums  nahe  liegt,  ein  Aus- 
blick, den  freilich  die  „Juden"  —  programmmässig  —  nicht  aus- 
beuten. Ganz  anders  nun  Antimarcion,  aber  gar  nicht  minder 
verständlich.  Er  hat,  so  sagt  er,  beschlossen  —  der  Verfasser 
des  Antimarcion  —  das  Botschaftsbuch  Marcion's  abzuhandeln; 
so  vertage  er  „Lehre  und  Wunder"  des  Herrn  eben  bis  dahin; 
wenigstens  das  „Speziellere".  Auch  hier  setzt  er  sein:  differo. 
Jetzt  will  er  nur  „generell"  mit  allerkürzestem  Schriftwort  so- 
wohl den  „medicator  Christus"  als  den  praedicator  erledigen:  er 
kann  sich  ja  im  folgenden  auslegen  und  die  „Uberschriften- 
manier"  der  kleineren  Schrift  an  die  Juden,  namentlich  in  Sachen 
der  Botschaft,  gegen  reichere  Behandlung  vertauschen.  So  weit 
dürfte  alles  sehr  klar  sein.  Minder  könnte  es  einleuchten,  warum, 
wenn  zunächst  doch  auch  hier  wieder  zweimal  Jesaias  reden  soll, 
die  Auswahl  der  Stellen  geändert  ist.  Aber  einmal  sind  die  ge- 
wählten doch  kürzer,  und  zweitens  wird  zumal  bei  der  einen  der 
Beweggrund  des  Tausches  ganz  deutlich  sein.  Er  hat  sich  die 
„Blinden  und  Tauben,  die  Stummen  und  Lahmen"  des  Seherworts, 
jene,  wie  wir  oben  andeuteten,  so  völlig  „evangelisch"  geordneten 
Wunderzeichen  des  Herrn  für  sein  folgendes  viertes  Buch  auf- 
gespart, in  dem  er  sie  getreulich  auch  nachliefert  (II,  225,  o.). 
Auch  dies  wäre  demgemäss  durchsichtig.  Nur  ein  Formpunkt 
will  noch  Erledigung.  Formell  hat  der  Antimarcion  die  „Juden" 
teils  auf  den  Kopf  gestellt,  teils  doch  wieder  in  bekannter  Ma- 
nier die  denkbar  grosseste  Nähe  zu  deren  Buchstaben  eingehalten. 


1)  nämlich  35,  4,  der  adv.  Jud.  9  (II,  726,  u.)  citierten  Stelle,  die  der 
Antimarcion  hier  (III,  17)  nicht  bringt. 


4.    Das  Verhältnis  zum  Antimarcion.  57 

Dort  —  „Juden"  —  ein  sit  clispositum:  diese  Sache  sei  abgemacht. 
Im  andern  Fall:  sie  disponam:  ich  werde  die  Anordnung  so  treffen. 
Dort  —  ,, Juden"  —  ein  specialiter:  ich  will  diese  allgemeinen 
Gesichtspunkte  hier  gleich  spezieller  belegen.  Hier  umgekehrt: 
generaliter:  ich  werde,  mir  einzelnes  vorbehaltend  —  die  Blinden, 
die  Lahmen,  die  Tauben  für  das  Evangelium  aufsparend  —  hier 
vorläufig  nur  allgemein  die  Sache  mit  Schriftwort  belegen.  — 
Die  Ähnlichkeit  jenes  differo  in  dem  einen  und  dem  anderen* 
Falle,  wo  er  abbiegt  vom  Texte  der  „Juden",  die  Ähnlichkeit 
jener  Vertröstungen  auf  das  vierte  wie  fünfte  Buch  braucht  man 
nur  einfach  hervorzuheben,  um  klarzustellen,  dass  hier,  wie  sonst, 
allerdings  „System  in  der  Sache  ist'1. 

An  dem  Führer  der  oviuiui6oviuevoi  orientieren  sich  übrigens 
sonst  auch  noch  manche  Einzelveränderungen.  Die  ,,Juden"  bieten 
ausführlich  einen  grösseren  Abschnitt  Ezechiels  '),  ausführlich  in 
der  Weise  Justins,  nur  dass  diesem  dieses  Citat  fehlt.  (Es  scheint 
der  Autor  versagt  sich,  den  Justin  da  völliger  auszuschreiben, 
wo  Justin  in  grösserer  Breite  eine  alte  Weissagung  wiedergibt, 
aber  thut  sich  im  Citieren  Genüge,  wo  er  dieses  selbständig  thun 
kann.)  Er  bringt  das  hebräische  „Thammuz",  und  er  bringt  das 
hebräische  Elam,  so,  dass  man  kaum  weiss,  wie  viel  Klarheit  er 
über  diese  Worte  besessen  hat.  Der  Kern  des  langen  Citats  ist 
in  dem  Sinne  des  Autors,  dass  das  heilige  ,,Zeichen  des  Tau"  auf 
den  Stirnen  von  Männern  Jerusalems  sie  vor  einem  Strafgericht 
schützen  soll,  das  über  ihre  Landsleute  kommen  wird,  ziemlich 
ähnlieh  jenen  blutigen  Thürpfosten  in  der  alten  aegyptischen 
Heimsuchung.  Da  die  Septuaginta  hier  lediglich  das  Wort  örj- 
uelov  gesetzt  haben,  damit  das  *n  des  Hebräischen  zweifellos 
richtig  wiedergebend,  so  möchte  es  schwer  sein  zu  sagen,  wie 
Tertullian  zu  der  Kunde  kommt,  dass  HT\  wie  GrjfteTov  so  Tau 
heisst  (des  Alphabetes  ultima  littera)  wie  er  also  zum  „Signum 
Tau"  in  seinem  Texte  gekommen  ist;  erst  ein  Späterer2)  ist  sich 
hier  klarer  und  weiss,  dass  das  ältere  n  die  Form  eines  Kreuzes 
gehabt  hat.     Ob   nun  dürftige  Kunde   von   letzterem  Tertullian 

1)  aclv.  Jud.  11.    Ezech.  S,  12—18;  9,  1—6. 

2)  Hieronym.  Comin.  in  Ezech.  III,  cap.  IX,  4.  sq.  antiquis  Hebrae- 
oruin  literis,  quibus  usque  hodie  utuntur  Saniaritani,  extrema  Thau  litera 
crucis  habet  similitudinem,  quae  in  Christianorum  frontibus  pingitur  et  fre- 
quenti  manus  inscriptione  Signatur. 


58  Noeldecli^n,  Tcrtuli  tagen  die  Jaden. 

hier  mit  vorgeschwebt,  geschöpft  etwa  aus  dem  Verkehr  mit 
einzelnen  Judengelehricn  oder  wie  es  sonst  sich  verhalten  mag: 
er  sagt,  dass  das  „mystische  Zeichen"  in  mancherlei  Art  früh  g<  - 
predigt  sei,  in  welchem  alles  höhere  Leben  der  Menschheit  seit 
Anfang  beschlossen  war,  ein  Zeichen,  dem  freilich  die  Juden 
den  Glauben  beharrlich  verweigern  sollten:  worauf  eine  Penta- 
teuchstelle  zu  weiterer  Bekräftigung  nachfolgt.  Dies  alles  wird 
kürzer  behandelt  in  dem  Werke  gegen  den  Pontiker,  den  er  mit 
Thammuz  und  Elam  naturgemäss  nicht  bewirtet;  auch  so  scheint 
es  wie  ein  salto  mortale,  wenn,  vielleicht  dem  Griechen  zuliebe, 
hier  direkt  ein  „griechisches  Tau"  steht,  gleich  als  ob  zu  dem 
Verbürgten  zu  zählen  wäre,  dass  Ezechiel  griechisch  geschrieben 
habe:  dass  das  griechische  Tau  ein  Kreuz  sei,  war  ja  dann  gar 
nicht  mehr  zweifelhaft.  Die  Hauptsache  aber  wird  die  sein,  dass 
den  „ungläubigen"  Juden,  von  denen  soeben  geredet  ward,  die 
„gläubigen"  Marcioniten  in  dem  neuen  Werk  gegenüber  treten. 
Hier  ergreift  er  beinahe  mit  Pathos  Marcion's  christliche  Bru- 
derhand, eine  Hand,  die  kein  Jude  ihm  bieten  konnte.  Die  Ketzer 
kennen  das  Zeichen,  so  mögen  sie  nun  weiter  erkennen,  dass 
der  Schöpfer  seinen  Christus  geweissagt,  welcher  am  Kreuze 
gestorben  ist.1) 

Dem  obigen  durchaus  parallel  ist  auch  das  Verhältnis  der 
Texte,  wo  die  Demut  Christi  in  Frage  kommt. 2)  Die  ..Juden" 
sagen  hier  einfach:  wenn  der,  welcher  alle  Demut,  Geduld  und 
Stille  bewähren  wird,  von  den  Propheten  gezeichnet  ist,  und  ein 
solcher  Mensch  nun  gekommen  ist,  wird  dieser  nicht  Gottes 
Christ  sein?  Der  Pontiker  war  anders  zu  nehmen.  Man  darf 
ihm  durchaus  zugestehen,  dass  die  Demut,  Geduld  und  Stille 
des  Herrn  bei  ihm  völlig  gewürdigt  wird,  und  darum  darf  man 
ihm  zumuten,   dass   er   schliesslich   in    Jesaias'  Worten    seinen 


1)  Vgl.  die  Stellen  in  meiner  „Abfassungszeit"  etc.  S.  87  Anni.  4.  5. 
6  (adv.  Jud.  11  (II,  732,  u.),  adv.  Marc.  III,  22  (II,  153,  in.) 

2)  Vgl.  Semler 's  Synopse  bei  Oehler  III,  649,  u.;  adv.  Marc.  III,  17 
(II,  145,  o.).  Expostulo  autem  de  proposito,  si  das  ei  omnis  hurnili- 
tatis  et  patientiae  et  tranquillitatis  intentionem,  et  ex  his  Esaiae 
erit  Christus?  adv.  Jud.  9  (II,  726,  o.).  Expostulo  etiam,  ut  qui  a  pro- 
phetis  praedicabatur  ex  Jesse  genere  venturus  et  omnem  humilitatem 
et  patientiam  et  tranquillitatem  esset  exhibiturus,  an  vener it?  Zu  be- 
achten ist  hier  auch  das  im  Antimarcion  als  unwesentlich  unterdrückte 
venturus  und  venerit.     Vgl.  hier  S.  51  Anm.  4. 


4.    Das  Verhältnis  zum  Antimarcion.  59 

eigenen  Christus  noch  finden  werde.  Der  Unterschied  liegt  auf 
der  Hand.  Die  ältere  Schrift  an  die  Juden  ist  naturgemäss  hier 
auch  die  kältere:  hier  handelt  man  sachlich  und  nüchtern  von 
Weissagung  und  Erfüllung  und  fragt,  wie  beides  sich  reime, 
wahrend  Marcion  s  Ketzer- Weltkirche,  das  „Ungeziefer  des  Hauses1', 
aber  dorn  des  Hauses  des  Herrn,  sympathisch  und  warm  wie  sie 
immerhin  den  stillen  Jesus  ans  Herz  drückt,  eine  wärmere  Be- 
gegnnng  erfahren  muss.  —  Mit  der  kleinen  Correctur  von  cre- 
dantur  in  maneant  steht  es  ähnlich.  Sie  hat  nämlich  sicher  zu 
thun  mit  dem  hurtigen  „Schwämme"  des  Marcion,  welcher  die 
Kindheitsgeschichten  so  unnachsichtig  hinweswischt.    Die  Juden 

O  O  CT 

als  ganze  Extraneer  werden  von  dem  Schriftsteller  aufgefordert. 
an  die  Magi  der  Botschaft  zu  glauben,  während  er  den  Mar- 
cion aufruft,  die  Magi  stehen  zu  lassen.1)  Hat  auch  nur 
Matthaeus  die  Magi  und  fehlen  dieselben  ja  auch  im  unver- 
stünmielten  Lucas,  so  schwebt  doch  dem  Verfasser  des  „Marcion" 
die  solidarische  Art  vor,  in  welcher  alle  Kindheitsgeschichten 
miteinander  verknüpft  sind.  Jener  seltsame  Marcion- Heiland, 
der  nach  Kapernaum  niedersteigt,  jenes  kräftigste  Wunder  der 
Wunder,  war  eben  den  Anfangskapiteln  der  beiden  Evangelien 
feindlich.  —  Auch  hier  trägt  der  Weg  von  den  „Juden"  zum 
..Marcion"  den  Stempel  der  Wahrheit.  Die  umgekehrte  Richtung 
des  Weges  können  wir  nicht  immer  verfolgen,  wenigstens  nicht 
mit  ausdrücklichen  Worten.  Wir  bezweifeln,  dass  sie  ähnlich 
wahrscheinlich  ist. 

Eine  härtere  Nuss  sind  die  Änderungen  derjenigen  Stelle 
der  „Juden",  die  jenen  Magi  voraufgeht.  Es  handelt  sich  um 
die  „Kraft  von  Damaskus"  und  um  die  „Beute  Samariens",  die 
laut  prophetischem  Wort  dem  Messias  zum  Raub  werden  sollen.  2) 


1)  S.  Seniler  bei  Oehler  III,  G45.  Zu  dem  „maneant"  im  Antimar- 
cion kann  man  u.  a.  vergleichen  Cicero  de  off.  3,  12:  maneat  ergo,  quod 
turpe  sit,  id  nunquam  esse  utile.  Forcellini:  maneat  =  inconcussum 
sit  et  irrefutabile. 

2)  Semler  bei  Oehler  111.  644.  adv.  Jud.  9  (II,  721);  adv.  Marc.  III,  13 
(II.  138,  o.).  Die  Sätze,  die  hier  vor  allem  in  Betracht  kommen,  lauten: 
„Juden":  Ante  est  enim  inspicias  aetatis  clemonstrationem,  an  virum  jam 
exhibere  ista  aetas  possit,  nedum  imperatorem.  Antimarcion:  Ante  est 
enim  inspicias  aetatis  clemonstrationem,  an  hominem  jam  Christum  ex- 
hibere possit  (fehlt:  ista  aetas!)  nedum  imperatorem.  Weiterhin:  „Juden": 
Knimvero  si  nusquam  hoc  natura  concedit,  ante  militare  quam  vivere,  ante 


()0  Noeldechen,  Tertullian's  Gegen  die  Juden. 

Dem  Verfasser  erfüllt  sich  dies  Wort  in  eben  jenen  Magi  des 
Orients,  die  Gold,  Weihrauch  und  Myrrhen  dem  Kinde  J< 
entgegentragen.  Indem  die  „Juden"  voraussetzen,  dass  eben  diese 
Deutung  gesichert  und  unanfechtbar  dastehe,  erörtern  sie  die 
Unmöglichkeit,  in  sichtlich  satirischer  Tonart,  dass  ein  Kind 
schon  den  Feldherrn  spiele,  wie  dies  doch  die  wörtlichen  Aus- 
leger des  Propheten  zu  wollen  scheinen:  die  figürliche  Deutung 
sei  notwendig.  Nimmermehr  kann  das  Kind  schon  den  Mann 
machen  (virum  facere),  geschweige  denn  gar  den  Feldherrn,  der 
die  „Kraft  von  Damaskus"  erobert  und  „Samariens  Beute"  im 
Sturm  nimmt.  Die  Natur  verstattet  es  niemals,  das  Kriegshand- 
werk zu  betreiben,  ehe  man  die  Kinderschuhe  auszog.  Hier 
corrigiert  Antimarcion  zunächst  das  „virum"  in  „hominem",  und 
setzt  dann  statt  „virum  facere"  ein  sehr  viel  dunkleres  ,,vivere". 
Man  scheint  übersetzen  zu  müssen:  Wer  kann  kämpfen,  ehe  er 
Mensch  ist,  wer  führt  Krieg,  bevor  er  das  Leben  hat?  Aller- 
dings kann  ja  homo  auch  „Mann"  heissen,  in  engerer  Begrenzung 
selbst  „Fusssoldat",  dann  wäre  von  den  Varianten  die  erstere 
zweifelsohne  belanglos  und  die  Änderung  lediglich  Laune.  Doch 
die  zweite  Wandlung  des  Textes,  das  „vivere"  macht  wieder 
stutzig,  da  es  eben  „System"  zu  verraten  scheint.  Und  so  sieht 
man  sich  doch  wohl  zurückgedrängt  zu  jener  obigen  Fassung 
und  vor  die  Frage  gestellt,  was  der  Änderer  eigentlich  sagen 
wollte,  denn  vivere  im  Sinne  von  „Mann  sein"  wird  schwerlich 
zu  erhärten  sein.  Ich  meine,  dieses  vivere  zwingt,  an  jenen  Do- 
ketismus  zu  denken,  der  ja  zu  den  markantesten  Zügen  der  poli- 
tischen Lehre  gehört  hat.  Marcion  leugnet  Geburt,  auch  Kind- 
heit und  Kindheitsgeschichten.  So  scheint  denn  dem  Lehrer  des 
Scheinleibs  der  Verfasser  auch  an  unserer  Stelle  sein  Christus- 
Phantasma  vorzurücken,  welches,  Mensch  wie  Mann  doch  nur 
scheinbar,  nach  Kapernaum  absteigt.  Der,  allerdings  versteckte, 
Gedanke  würde  dann  etwa  der  sein:  bei  dem,  der  überhaupt 
mit  der  Menschheit  des  Heilandes  gar  keinen  Ernst  macht, 
ist  auch  die  Überlegung  absurd,  ob  er  etwa  als  Kriegsheld  er- 
scheinen   werde.     Wer    die    Kindheitsgeschichten   leugnet,   wem 

virtutem  Damasci  sumere  quam  patrem  nosse)  sequitur  ut  figurate  pronun- 
tiatum  videatur.  Antim.:  Enimvero  si  nusquam  hoc  natura  concedit,  ante 
militare  quam  vivere,  ante  virtutem  Damasci  sumere  quam  patris  et  matris 
vocabulum  nosse,  sequitur  ut  figurata  pronuntiatio  videatur. 


4.    Das  Verhältnis  zum  Antiniarcion.  ßl 

Christus  de  coelo  expositus,  semel  grandis,  „nur  Gott"  ist1),  der 
verlegt  sich  die  Schlüssel  zur  Weissagung,  die  eben  auf  die 
Magier  hinzielt  und  zur  Krippenwiege  geleitet.  Allerdings  gibt 
es  noch  ein  Ihm  lenken.  Die  Stelle,  die  wir  eben  heranzogen, 
kann  insofern  untauglich  scheinen,  ja  als  alles  obige  umstürzend, 
als  grade  der  Ausdruck  homo  dort  im  nächsten  Zusammenhang 
..Mann"  heisst.  2)  Nur  müsste,  wer  darauf  Wert  legt,  auch  das 
gleich  darauf  folgende  nachlesen,  wo  die  Bedeutung  aufs  deut- 
lichste  umschlägt  und  drei  Mal  homo  „der  Mensch"  ist.3)  Und 
so  bleibe  ich  doch  dabei  stehen:  Tertullian  weicht  hier  der  Ver- 
suchung, das  „Dens  tantuni"  des  Marcion  hier  in  rascher  Weise 
mit  einzumischen,  wodurch  freilich  wirkliche  Schiefheit  in  die 
folgenden  Witzworte  kommen  muss.  Denn  die  Spässe  über 
ßutterbrodk nahen,  die  etwa  im  Pontus  zu  Felde  ziehn,  passen 
ja  freilich  nur  dann,  wenn  homo  gleich  vir  genommen  wird, 
und  wenn  vivere  hiesse  ein  Mann  sein.  Der  Text  der  „Juden" 
allein  ist  den  Butterbrodknaben  ganz  angemessen,  der  Anti- 
niarcion nimmermehr.  Als  Ergebnis  betrachte  ich  folgendes: 
Spezifisch  Antipontisches  ist  hier  in  den  Text  der  „Juden"  hinein- 
gewebt, ohne  dass  eine  völlig  concinne  Behandlung  der  Sache 
herauskäme.  Und  dies  ist  freilich  kein  Wunder.  Hiess  es  uns 
bereits  früher  ein  Kunststück,  den  Sichemiten  so  auszubeuten, 
dass  doch  jener  „feine  Fall"  des  Judengenossen  zum  Recht  kam, 
so  war  es  erst  recht  ein  Kunststück,  hier  im  heissen  Kampf  mit 
dem  Pontiker  bei  Benutzung  einer  eigenen  Arbeit  die  Frontver- 
änderung durchzuführen.  Dass  hier  Risse  und  Lücken  sich  zeigen 
würden,  war  von  hausaus  wahrscheinlich.  —  Für  uns  das  Wich- 
tigste ist.  dass  der  Text  der  „Juden",  der  „Urtext",  sich  hier  als 
der  concinnere  ausweist. 


1)  adv.  Marc.  IV,  21  (II,  214,  o.). 

2)  (Jesus  nicht)  diu  infans,  vix  puer,  tarde  homo,  sed  de  caelo  expo- 
situs, semel  grandis,  semel  totus,  statim  Christus,  spiritus  et  virtus  et  deus 
tantum. 

3)  Christus  heisst  da:  vermis  et  non  homo  .  .  Et  merito  (Christus) 
se  pro  suo  homine  deposuit,  pro  imagine  et  similitudine  sua  .  .  .  ut,  quo- 
niam  homo  non  erubuerat  lapidem  et  lignum  adorans  etc.  Wenigstens 
die  beiden  letzten  Male  kann  man  nicht  füglich:  „Mann"  übersetzen.  Die 
ganze  Stelle  zeigt  die  bekannte  Incommensurabilität  zweier  verschiedener 
Sprachen. 


02  Noeldechen.  Tertnllian'a  Gegen  die  .luden. 

Nach  Neander  und  Corssen  (S.  6)  freilich  sollen  grade  die 
..Hutterbrodknaben"  nur  im  Antimarcion  tauglich  sein.  Sie  sollen 
Ergänzung  des  Bildes  sein,  welches  Tertullian  im  Eingang  des 
ersten  Buchs  gegen  Marcion  von  der  Heimat  des  Pontikers 
zeichnete.  Man  erinnert  an  einzelne  Züge  jenes  lichtlosen  Schauer- 
gemäldes, an  jene  „Kannibalen"  des  Pontus,  an  die  Mädchen, 
die  lieber  zum  Kampf  als  in  die  Brautkammer  ziehn  wollen,  an 
die  ewigen  pontischen  Nebel,  die  kein  Strahl  der  Sonne  durch- 
dringe. Dazu  soll  denn  das  Spottbild  gut  passen,  das  Tertullia- 
nischer  Witz  —  in  den  „Juden"  sowohl  wie  im  „Marcion"  findet 
sich  diese  Ergötzlichkeit  —  hier  zu  bieten  für  gut  findet,  „Eine 
andere  Sache  ist  es,  wenn  die  Kinder  bei  euch  in  den  Kampf 
stürzen,  von  der  Sonne  gebräunt,  statt  des  Salböls,  sodann  mit 
Windeln  umpanzert  und  mit  ButterbrÖdchen  besoldet,  so  dass 
sie  eher  zu  kämpfen  als  die  Brust  der  Mutter  zu  zerren  wissen." 
Nun  fährt  aber  Corssen  in  Wahrheit  mit  seinem  Rückweis  doch 
übel.  Er  betont  die  verschleierte  Sonne  in  dem  Schreckensbilde 
des  Pontus,  jene  ewig  von  Nebeln  verhüllte,  und  an  dieser  ver- 
dunkelten Sonne  sollten  pontische  Kinder  gebräunt  werden? 
Tertullian,  statt  sich  jenes  Gemälde  im  dritten  Buche  zurückzu- 
rufen, hat  hier  mindestens  einen  der  Einzelzüge  jenes  Gemäldes 
vergessen.  Und,  scheinen  die  „Amazonen"  des  Eingangs  zu 
den  „Butterbrodkriegern"  zu  passen,  sich  zu  ihnen  wenigstens 
besser  zu  reimen  als  jene  ewigen  Nebel,  so  bleibt  doch  durch- 
aus zu  beachten,  dass  jenes  geographische  Zerrbild,  im  Eingang 
vom  Pontus  entworfen,  im  Sinne  des  Pontusbekämpfers  in  bit- 
terem Ernste  zu  nehmen  ist,  während  hier  diese  Säuglings- 
soldaten auch  im  Sinne  des  Schriftstellers  Spässe  sind.  Von  ganz 
spezifischem  „Salz",  das  in  dieser  Scherzrede  liegen  soll,  grade 
mit  Bezug  auf  den  Pontus,  wird  somit  nimmer  zu  reden  sein. 
Die  Juden  werden  reichlich  so  gut  diese  Posse  beherbergen 
können,  wie  die  spätere  grössere  Arbeit.  Ist  es  doch  ein  jüdi- 
scher Seher,  der  die  Butterbrodfrage  heraufbeschwört1),  ein  heiliges 

1)  Jesaias  7,  15  ßovzvQOV  xal  fiiki  cpayszai  xzX.  Dies  wird  citiert 
adv.  Jud.  9  (II,  720,  o.),  wie  überhaupt  mehrere  Sätze  aus  Jes.  7,  13  ff., 
wozu  8,  4  hinzutritt.  Dieses  butyrum  et  mel  manducabit  ist  der  einzige 
wirkliche  Ausgangspunkt  für  das  Witzwort  von  den  „Butterbrodjungen'1 
(butyro  stipendiati  II,  721,  na.).  Im  Antimarcion  (II,  138,  m.)  finden  sich 
die   „Butterbrodjungen"   nun  auch,    aber  Jesaias   7,  15  wird  mit  keinem 


4.    Das  Verhältnis  zum  Antimarcion.  (33 

Buch  Israels,  an  das  diese  Witze  sich  anlehnen.  Und  nun  muss 
man  freilich  bedenken,  welche  Züge  die  Judengeschichte  des 
letzten  Jahrhunderts  geboteu  hatte.  Verzweiflungskämpfe  in 
Cjpern,  Cyrenaica  und  anderer  Orten,  Verzweiflungskämpfe  dar- 
auf nicht  minder  im  Heiligen  Lande.  Dass  diese  geschicht- 
lichen Züge  dem  Autor  völlig  geläufig  sind,  zeigt  z.  T.  Adversus 
Judaeos,  zeigt  auch  der  Antimarcion,  zeigt  das  Apologeticum. 
Denn  freilich  den  Juden  der  Gegenwart,  ohne  Rückblick  auf 
ihre  Geschichte,  solche  „Butterbrodkrieger"  zu  bieten,  wäre  mehr 
als  kindisch  und  possenhaft,  wäre  herzlos  grausam  gewesen. 
Aber  Israel  hatte  den  Kriegspfad,  binnen  Menschengedenken, 
betreten,  es  hatte  wirklich  den  Kriegsmann,  und  zwar  einen  wilden, 
abgegeben.  l)  Liegen  jene  amazonischen  Kämpfe  dem  Verfasser 
in  räumlicher  Ferne,  so  diese  der  Juden  in  zeitlicher:  die  phan- 

sch-ironische  Ader  hat  in  beiden  Fällen  hier  Spielraum. 
Denn  freilich  an  „sich  prügelnde  Kinder''  mit  Grotemeyer  zu 
denken,  hiesse,  das  gebe  ich  zu,  den  Sinn  dieser  Stelle  verkennen 
und  ohne  Ursach  dem  Autor  ein  Unmass  von  Albernheit  auf- 
bürden. 

Von  sonstigen  kleineren  Umprägungen  will  ich  noch  vier 
hier  erwähnen.  Die  erste  derselben  zeigt  den  Montanismus  ge- 
schäftig, welchem  der  Bekämpfer  des  Marcion  seinerseits  schon 
verfallen  ist.     Zum  montanistischen  Einschlag  gehört  zumal  der 

Worte  herangezogen.  Jesaias  7,  14;  4,  8  stehn  dort  freilich  zu  lesen  (II, 
:  doch  die  Butter  und  der  Honig  des  Prophetenworts  fehlen.  Erst 
nachträglich  treten  sie  auf  (II,  139,  in.).  Dies  dürfte  genügen,  um  die 
Verlässlichkeit  von  Neander's  u.  Corssen's  Bern,  in  dieser  Beziehung  zu 
würdigen.  Auch  hier  zeigt  sich  vielmehr  der  Text  des  Buchs  an  die  Juden 
als  der  innerlich  und  wesentlich  concinnere.  Der  Borg  des  Antimarcion 
springt  durchaus  in  die  Augen. 

1)  Moniinsen  Rom.  Gesch.  V,  S.  542.  Nicht  volle  50  Jahre  nach 
der  Zerstörung  Jerusalems,  im  J.  11Ö  erhob  sich  die  Judenschaft  am  östl. 
Mittelmeer.  Hauptsitze  der  Empörung  Kyrene,  Kypros,  Ägypten.  Ziel: 
Ausrottung  der  Römer  wie  Hellenen.  In  Kyrene  sollen  220,000,  auf  Kypros 
gar  240,<  I  '  I  Menschen  von  den  Juden  umgebracht  worden  sein.  Später 
folgten  bekanntlich  die  furchtbaren  Hadrianischen  Kriegszeiten.  Dass  Tert. 
diese  kannte,  wird  nicht  erst  zu  beweisen  sein.  Auf  Tert.'s  gescbichtl. 
Bildung  im  allgem. ,  und  namentlich  auch  die  Kaiserzeit  anlangend ,  bin 
ich  etwas  näher  eingegangen  in  „Tertullian  und  die  Kaiser".  (Mauren  - 
brecher's  Histor.  Taschenbuch  1888  S.  159 — 193)  und  „Tertullian's  Ge- 
burtsjahr- ;in  Hilgenfeld's  Z.  8.  für  w.  Th.  XXIX,  2  S.  207—223). 


04  Noeldechen,  Tertullian'e  Gegen  die  Ju 

„Prophet",  den  er  aus  Jesaias  vorlangt,  da,  wo  er  doch  in  de] 
„Juden",  dieselbe  Stelle  citierend,  solchen  Bezug  nicht  gemacht 
hatte.  Der  Herr,  so  heisst's  in  den  „Juden"1;,  hat  Jerusalem 
und  den  Juden  „unter  anderem"  auch  entzogen  den  findigen  Archi- 
tekten, welcher  die  Gemeinde ,  den  Tempel  Gottes  erbaut,  die 
heilige  Stadt  mitsamt  der  Behausung  des  Höchsten.  „Unter 
anderem",  schreibt  er  geflissentlich,  denn  der  griechische  Text 
bot  viel  mehr,  etwa  noch  „den  Starken  und  Riesen,  den  Krieger, 
den  Richter,  Propheten."  Der  Antimarcion  folgt  dem,  wieder- 
holt auch  das  „unter  anderem",  erstreckt  aber  die  Auswahl  be- 
zeichnend genug  etwas  weiter,  nämlich  eben  auf  den  „Pro- 
pheten", der  ihm  neuerdings  so  sehr  am  Herzen  liegt.  Wir 
werden  demnächst  ja  beobachten,  dass  der  Autor  des  grösseren 
Werks  es  seine  Sorge  hat  sein  lassen,  überhaupt  den  genaueren 
Anschluss  an  die  Septuaginta  durchzusetzen,  während  er  vorher 
in  den  „Juden",  wohl  mehr  aus  dem  Gedächtnisse  schöpfend,  sich 
darin  minder  exakt  zeigt.  Um  so  merkwürdiger  ist,  wie  ich  meine, 
hier  diese  parteiische  Auswahl. 

Wie  hier  der  Montanist  sich  bemerklich  macht  in  dem  Zu- 
satz eines  einzelnen  Wortes,  so  in  Tilgung  eines  einzelnen  Worts 
der  Verfasser  eines  grösseren  Buchs  im  Unterschied  vom  Con- 
cipienten  des  Entwurfs  eines  Gespräches.  Ein  einfacher  Tilgungs- 


1)  S.  Seniler  bei  Oehler  III,  656,  u. :  adv.  Jud.  13  (II,  737,  u.).  Ab- 
stulit  enim  dominus  sabaoth  in  Judaeis  et  ab  Hierusalem  inter  cetera  et 
sapientem  architecturn ,  qui  aedificat  ecclesiam  dei  templurn  et  civitatem 
sanctam  et  dornuni  do-mini.  —  adv.  Marc.  III,  23  (II,  154,  o.):  Abstulit 
enim  dominus  sabaoth  a  Judaea  et  ab  Hierusalem  inter  cetera  et  pro- 
phetam  (vorangestellt!)  et  sapientem  arcliitectum,  spiritum  scilicet  sanctum, 
qui  aedificat  ecclesiam,  templurn  scilicet  et  domum,  et  civitatem  dei.  — 
Jesaias  3, 1  ff.  (van  Ess  768):  Idov  6  öeoTtözrjq  xvQioq  oaßaa)&  d(pe?.el  drto 
^IsQOvoaXijß  xal  and  zi\q  'Iovöalaq  tayvovza  xal  loyvovoav,  loyvv  uqzov 
xal  loyvv  vöazoq,  ylyavza  xal  loyvovza,  xal  av&Qwnov  TCOÄ£fxiozrjv,  xal 
öixaozrjv,  xal  UQ0^7izr\v  xal  ozoyaozijV,  xal  TtQSoßvztQOV  xal  tzsvztjxovz- 
aQyov,  xal  9av(xaozbv  ovßßovXov  xal  oocpbv  aQytzäxzova  xal  ovvezov 
dxQoazi)v.  Dass  er  hier  auswählt,  ist  begreiflich.  Ursprünglich  hatte 
ihn  das  Bild  vom  Tempel  (Gemeinde-Tempel)  angezogen:  die  jüdische  Ge- 
meinde hat  keinen  Bauherrn  mehr.  Neuerdings  steht  der  ., Prophet"  auf 
der  Tagesordnung:  in  Israel  ist  die  Prophetie  tot.  Die  Christen  haben 
ihren  Montanus,  ihre  Priscilla  etc.  (Man  vgl.  den  Eingang  von  de  praescr. 
haer, :  conditio  praesentium  temporum  etc.;  auch  apolog.  39  (I,  256): 
praesentium  temporum  qualitas  etc.) 


4.    Das  Verhältnis  zum  Antimarcion  (35 

strich  vertreibt  jenes  ipse  der  Juden,  dem  wir  schon  im  vorigen 
Abschnitte  besondre  Beachtung  zu  widmen  hatten.  Wir  lesen 
in  den  „Juden"  die  Worte  ne  cursurn  demorer  ipse,  während  im 
Antiniarcion  dieses  ipse  verschwunden  ist.  Der  ganze  Finalsatz 
ist  merkwürdig.  Als  advokatisch  Geschulter,  als  geübter  Debat- 
tierer und  Redner  von  hausaus  geeignet  für  Streitreden,  und  als 
solcher  auch  in  den  Kampf  mit  dem  Judengenossen  hinabge- 
stiegen, sind  ihm  Wendungen  wie  diese:  „ich  will  gar  nicht 
reden"  oreläuficr,  umi  analog  ist  wohl  diese:  ich  will  die  Debatte 
nicht  aufhalten.  In  dem  Buch  gegen  den  Pontiker  wiederholt 
er  diese  Worte  zum  Teil;  ne  cursuni  demorer,  schreibt  er,  denn 
dies  Hess  sieh  allenfalls  selbst  in  dem  späteren  Buche  noch  hören. 
Aber  das  ipse  freilich  war  in  dem  Buche  nicht  leidlich.  *)  Der 
Pontiker  selber  ist  tot,  und  wie  phantasievoll  lebendig  er  ihn 
auch  als  Gegner  sich  hinstellt:  da  er  nie  mit  ihm  „colloquiert" 
hat,  wäre  das  ipse  jetzt  sinnlos. 

Wenn  er  weiter  ein  „Judaeam"  der  „Juden"  in  die  „gens 
Judaeorum"  geändert  hat2),  so  erscheint  der  Unterschied  schmal, 
und  doch  ist  es  schwerlich  ganz  zufällig.  „David",  so  schrieb  er 
zunächst,  „hat  allein  in  Judaea  geherrscht",  nur  innerhalb  des 
Landes  Judaea.  „David  herrschte  allein",  so  hat  er  später  ge- 
schrieben, „innerhalb  des  Volkes  der  Juden".  Verbürgt  ist  zu- 
nächst nun  die  Thatsache,  dass  seit  den  Hadrianischen  Tagen 
das  Land  einen  neuen  Namen  führte. 3)  Syria  Palestina  war  die 
offizielle  Bezeichnung,  während  der  Name  Judaea  ausser  Gebrauch 
kommen  sollte:  letzteres  ein  Bruchstück  der  Strafen,  die  über 
die  Rebellen  ergangen  waren.  Die  Historia  Augusta  ihrerseits 
kennt  denn  auch  überhaupt  kein  „Judaea":  wo  irgend  vom  Lande 
geredet  wird,  heisst  das  Land  Palestina.  Auch  ist  der  nun- 
mehrige Sprachgebrauch  Tertullian  gar  nicht  unbekannt.  Redet 
er  zu  Heiden  im  „Pallium",  so  spricht  er  von  Palestina4);  auch 

1)  vgl.  in.  „Abfassungszeit"  etc.  S.  86.  87  oben.  —  Zur  rhetorischen 
Phrase  vgl.  u.  a.  selbst  Tert.'s  halben  Namensvetter:  Acta  Apostol.  24,  4: 
%va  /bttj  inl  Tilelöv  ae  iyxonzü).    So  Tertullus  vor  Felix. 

2    Oehl.  III,  (35:,. 

3)  Freilich  doch  wieder  auch  einen  sehr  alten:  den  alten  herodo- 
tischen  Namen,  das  Syrien  der  Philister  oder  Syria  Palestina.  Mommsen 
Roem.  Gesch.  V,  54(3. 

4)  Aspice  ad  Palestinam  de  pallio  2  (I,  922,  o.).  —  Syria  Palestina 
apolog.  5  (I,  130). 

Texte  u.  Untersuchungen  XII,  2.  5 


(36  Noeldechen,  Tertullian's  Gegen  die  Juden. 

„Syria  Palestina"  ist  anzutreffen.  Allerdings  ist  er  nicht  conse- 
quent  und  hatte  wohl  kaum  dazu  Ursach,  denn  amtliche  Namen 
der  Art  haben  selten  wohl  reissenden  Kurs  und  finden  an  der 
Macht  der  Gewohnheit  und  der  Trägheit  des  Herkommens  Gegner. 
Bringt  die  Schutzschrift  einmal  „Judaea",  so  freilich  dort  in 
einem  Nexus,  wo  „Palestina"  kaum  tauglich  war  x)  und  „Judaea" 
die  jüdische  Herrschaft,  das  jüdische  Reich  bezeichnete:  aber  ein 
andres  Mal  steht  es  doch  anders,  und,  wenn  er  „Galilaea"  als 
Landschaft  den  römischen  Grossen  erläutert ,  so  traut  er  ihnen 
offenbar  zu,  dass  sie  gleich  sein  „Judaea"  verstehn  werden.2) 
In  den  mehr  esoterischen  Schriften  braucht  er  um  so  mehr  den 
veralteten,  eigentlich  verpönten  Ausdruck3),  und  es  hiesse  wohl 
willkürlich  klügeln,  wollte  man  darauf  Gewicht  legen,  dass  dies 
teils  in  Citaten  geschehe,  teils  da,  wo  von  Zeiten  die  Rede  ist, 
die  hinter  Hadrianus  zurückliegen.  Wird  doch  David's  Judaea 
ganz  zweifellos  —  ausnehmend  weithin  —  zurück  liegen.  Undenk- 
bar wäre  ja  nicht,  dass  ihm  doch  grade  hier  die  Erinnerung  an 
den  gültigen  Ausdruck  die  Feder  führe.  Nur  wahrscheinlicher  ist 
etwas  andres:  dass  correctere  geschichtliche  Kunde  ihm  später 
die  ältere  Wendung  als  unhistorisch  erscheinen  Hess.  Denn  David 
hat  bekanntlich  sein  Reich  weit  über  Judaea  hinaus  bis  zu 
Euphratwassern  erweitert.  „Innerhalb  des  jüdischen  Volkes"  war 
mit  grösserer  Richtigkeit  auszusagen. 

In  Kürze  ein  viertes  und  letztes  Stück.  Wenn  Justin's  König 
von  Assur  beim  Autor  der  „Juden"  den  Teufel  meint,  „der  die  Heiligen 
vom  Glauben  hinwegscheucht",  der  Antimarcion  aber  zum  „Hero- 
des"  Justins  zurückbiegt4),   so   ist  das  vermutlich  begründet  in 


1)  apolog.  26  (I,  225,  u.)  postremo  si  Romanae  religiones  regna  prae- 
stant,  nunquam  retro  Judaea  regnasset  despectrix  coinmunium  istarum  divi- 
nitatum. 

2)  apolog.  21  (I,  203,  u.)  cum  discipulis  autem  quibusdain  apud  Ga- 
lilaeam,  Judaeae  regionem,  ad  quadraginta  dies  egit  docens  eos  quae  do- 
cerent  (in  de  anima  Oehl.  II,  582  hält  er  „Galilaea"  nicht  für  erläuterungs- 
bedürftig). 

3)  apud  Bersabe  Judaeae  de  jej.  9  (I,  863,  u.);  cf.  de  monog.  16  (I, 
786,  u.);  adv.  Marc.  IV,  8  (II,  172,  o.);  ebenclas.  19  (II,  206,  u.)  sed  et  census 
constat  actos  sub  Augusto  nunc  in  Judaea  per  Sentiuin  Saturninuin;  adv. 
Marc.  III,  23  (cf.  Oehl.  III,  656,  u.),  wo  der  LXX  gefolgt  wird. 

4)  Vgl.  m.  „Abfassungszeit"  etc.  S.  84  Anm.  7.  —  Über  den  Teich 
Bethesda  wird  ebendaselbst  S.  85  geredet,   worauf  hier  zu  verweisen  ge- 


4.   Das  Verhältnis  zum  Antimarcion.  (57 

inzwischen  veränderter  Zeitlage.  Denn  sind  die  „Juden"  auch 
schwerlich  während  scharfer  Verfolgung  geschrieben,  so  fällt 
der  Antimarcion  sicher  in  Zeiten  besonderer  Stille.  Da  die  Christen 
jetzt  gar  nicht  „gescheucht  werden",  schien  die  älteste  Wendung 
entsprechender. 

b.   Stilistische  Änderungen. 

Den  Stil  betreffen  die  Wandlungen,  denen  die  Citate  an- 
heimfallen, alt-  wie  neutestamentliche.  Mit  einer  einzigen  Aus- 
nahme1), wo  die  grössere  Eleganz  des  Ausdrucks  wohl  solche 
Abweichung  anriet,  wird  hier  folgerichtig  verfahren,  so  dass  der 
Antimarcion  stets  die  Septuaginta  genau  oder  wenigstens  genauer 
zu  bringen  pflegt.  Wir  schliessen  daraus  mit  Recht,  dass  der 
jüngere  Verfasser  gewöhnt  war,  zumal  in  jenem  „Entwurf",  mehr 
aus  dem  Gedächtnis  zu  schreiben,  und  dass  er  sich  später  auf- 
legte, für  die  eigentlich  literarische  Leistung  eine  Nachprüfung 
zu  veranstalten.  Auch  mag  etwa  später  ein  Fonds  von  ge- 
steigerter Sicherheit  mitwirken,  so  dass  ihn  nach  öfterem  Lesen 
die  Memorie  besser  bediente.  So  verfährt  der  Verfasser  bei 
Psalmstellen  2),  so  wird  einmal  eine  Jesaiasstelle  in  bezeichnender 


nügen  muss.  Dagegen  sei  noch  mit  einem  Worte  erwähnt  die  Differenz 
von  secta  („Juden'")  und  haeresis  (Antimarcion).  S.  Sem ler  bei  (Dehler 
III,  651,  u.  Das  dort  beigebrachte  Septuaginta- Citat  lautet  (Genesis  49,  5): 
2v(j.£(i)v  xal  Aeii  äöskipol  ovvexbXtaav  döixlav  EqcuQeGEcog  avxwv.  Die 
„Juden"  sagen  für  das  letzte:  ex  sua  secta,  Antimarcion  ex  sua  haeresi. 
In  diesem  scheinbar  wörtlicheren  Anschluss  an  die  LXX  wird  wohl  ein 
Seitenhieb  auf  den  Haeretiker  nicht  zu  verkennen  sein.  Die  Juden  haben 
„Secten"  (vgl.  die  „Pharisaeer,  von  denen  im  Zusammenhange  der  „Juden" 
—  s.  Oehl.  III,  651  —  ausdrücklich  die  Rede  ist),  aber  sie  haben  keine 
„Haeretiker".  Auch  hier  ist  schliesslich  der  Weg  vom  Antimarcion  zu  den 
„Juden"  so  unwahrscheinlich  wie  möglich.  Bei  Revision  seiner  Citate  (s. 
das  gleich  folgende)  hat  der  Verf.  den  Seitenhieb  ausgeteilt. 

1)  s.  Oehler  III,  640.  adv.  Jud.  14  (II,  739,  u.)  omnes  nationes  terrae 
secundum  genus  et  omnis  gloria  servient  illi;  adv.  Marc.  III,  7  (II,  130,  u.) 
omnes  nationes  terrae  secundum  genera  et  omnis  gloria  famulabunda; 
Daniel  7,  14  avxcö  öov'/.evoovolv. 

2)  s.  m.  Abfassungszeit  84  Anm.  5.  In  Psalm  45,  5  bringt  er  sogar 
zwei  Correcturen  an.  S.  Oehl.  III,  647.  m.  „Juden":  et  deducet,  inquit,  te 
magnitudo  dexterae  tuae;  Antimarc:  et  deducet  te,  inquit,  mirifice 
dextera  tua.     LXX:  böjiyrjoec  ob  &av{xaoz(öq  rj  öe£id  aov. 

5* 


(58  Noeldechen,  Tertuüian'a  Gegen  die  Juden. 

Weise  vervollständigt.1)    Auch  in  einem  Abschnitt  der  „Könige" 

steigert  er  die  Genauigkeit  deutlich.2]  Auch  zwei  Evangeiien- 
worte  werden  später  dem  Grundtext  genähert,  ja  eins  dieser 
beiden  sogar  mit  Preisgebung  früheren  Wortspiels.  Eine  Ver- 
besserung nicht  des  Citats,  wohl  aber  der  Art  seiner  Einführung 
findet  sich  ganz  entschieden,  wo  er  in  den  „Juden"  vergessen 
hatte,  dass  aus  zwei  Kapiteln  geschöpft  war.  In  Jesaias  7,  4 
könnte  man  auf  Sachliches  fahnden,  vielleicht  Dogmatisches 
witternd,  wo  das  patrem  nosse  der  „Juden"  in  dem  anderen  Werke 
verändert  und  patris  et  matris  vocabulum  nosse  gesetzt  wird. 
Indessen  Formelles  genügt  hier:  der  Text  der  Septuaginta  kommt 
später  genauer  zum  Ausdruck.  Wie  wir  consequente  Verbesse- 
rung, so  müssten  die  Gegner  der  Echtheit  consequente  Verlotte- 
rung annehmen,  deren  ihr  literarischer  Dieb  sich  hier  schuldig 
gemacht  hätte.  Eine  solche  Consequenz  der  Verschlechterung 
will  an  sich  nicht  besonders  einleuchten.  Die  Nachlässigkeit 
als  solche  pflegt  inconsequent  zu  verfahren.  Vor  Augen  liegende 
Texte  —  wie  ein  solcher,  der  Antimarcion,  doch  hier  offenbar 
zu  denken  wäre  —  pflegt  sie  nicht  mit  solcherlei  Gleichmass, 
wie  es  hier  vorläge,  zu  schädigen,  das  Bessere  und  Correctere 
gleichsam  grundsätzlich  verwüstend.  Ein  absichtliches  Schlechter- 
machen hat  auch  die  Kritik  nicht  behaupten  wollen. 

Kleinere  Nuancen  des  Stils  sind  etwa  praemittat,  promittat.  3j 
In  den  „Juden"  verweist  er  den  Gegner  in  den  nächsten  Bibel- 


1)  Oehl.  III,  645,  o.:  malitiae  non  assentaturi.  Dies  soll  (Corssen  8) 
der  Freibeuter  nicht  verstanden  haben  (?).  Auch  Jes.  42,  6  (elq  öiad-ijxrjv 
yevovg)  wird  in  adv.  Marc,  wörtlicher  (in  dispositioneni  generis)  wieder- 
gegeben, während  die  „Juden"  schreiben  generis  mei  (cf.  Oehl.  II,  722,  o.; 

II,  139,  o.). 

2)  s.  Oehl.  III,  655,  u.  (adv.  Marc.  20.  adv.  Jud.  14  in  fine).  LXX 
1  Kön.  7,  12.  13.  kzoi/udoco  zrjv  ßaoiXEiccv  avzov.  avzög  olxoöo/utjoel  (xoi 
olxov  zcö  ovd[/.azl  fiov,  xal  dvoQ&toow  zov  &q6vov  avzov  elq  zbv  aiwva. 
Jud.:  thronus  in  aevum;  A n t i m.  throuiis  in  aevum  et  regnum  in  aevuin. 
Selbst  dominus  statt  deus  (III,  652,  u.)  bedeutet  engeren  Anschluss  an  die 
LXX.  —  Zur  „Preisgebung  des  Wortspiels"  —  im  Interesse  der  Genauigkeit 
des  Textes  —  s.  Abfassungsz.  83.  Anm.  2.  Daneben  vgl.  Oehl.  III,  647: 
missurus  in  terram  (Schwert  senden,  nicht  Frieden).  Die  „Juden"  haben 
(s.  fr.  „venit"):  quando  venturus  in  terras.  —  ,,Zwei   Kapitel"  s.  Oehl. 

III,  643.  —  Zu  Jes.  7,  4.  s.  Oehl.  III,  644.  (van  Ess  S.  772). 

3)  Oehl.  III,  643,  u.  (adv.  Jud.  9.,  adv.  Marc.  III,  13). 


4.    Das  Verhältnis  zum  Antimarcion.  69 

Zusammenhang,  der  Antimarcion  lässt  den  Nexus  der  Stelle  bei- 
seite und  spricht  generell  von  Verheissung,  die  vom  Pontiker 
nicht  verstunden  werde.  Auch  das  kennen  wir  schon:  die  Er- 
örterung des  nächsten  Zusammenhangs  in  dem  Buch  an  die  Juden, 
den  grösseren  und  weiteren  Ausblick  in  dem  Werk  gegen  Marcion. 
Nocli  mehr  reine  Formsache  ist,  es,  wenn  bei  Schilderung  ältester 
Kriegführung  ein  Zusatz  ..de  curru"  l)  hinzutritt,  der  den  Wagen- 
kampf mit  hineinzieht,  wodurch  das  geschichtliche  Bild,  das  er 
vorführen  wollte,  an  Leben,  und  zugleich  die  Diktion  jener  Stelle 
entschieden  an  Rundung  gewonnen  hat.  Auch  hier  fragt  man 
sich  billig,  ob,  den  Vorgang  umgekehrt  vorgestellt,  eine  so  syste- 
matische Schädigung  eines  besseren  Textes  erhört  wäre,  zumal 
an  absichtlichen  Unfug  von  der  Kritik  nicht  gedacht  wird.  Oder 
soll  der  Verderber  auch  hier  seinen  Text  „nicht  verstanden" 
haben  ? 

Die  Nachhülfen  des  Stils  sind  ziemlich  häufig  Verkürzungen. 
Der  breitere  und  geringere  Ausdruck  gehört  dem  Buch  an  die 
Juden,  der  knappere  dem  späteren  Meister  einer  gedrängteren 
Rede.  Es  stehe  hier  ein  Satz  aus  den  „Juden"2):  petra  enim 
Christus  multis  modis  et  figuris  praedicatus  est.  Da  nun  aber 
weder  die  Urschrift  (die  „Juden")  noch  die  gefeiltere  und  ge- 
modelte Reinschrift  diese  multi  modi  erörtern  will,  die  letztere 
nur  die  figurae,  und  auch  diese  in  verändertem  Sinne,  da  zudem 
überhaupt  jene  „modi"  dem  Sichemiten  verdankt  wurden,  auf 
dessen  nackte  Versicherung  die  „ Juden"  die  Behauptung  herüber- 
nahmen, war  Verkürzung  ein  ersichtlicher  Fortschritt:  es  ist,  als 
ob  prunkender  Ballast,  ein  ziemlich  gehaltloser  Hinweis  auf 
breiteren  biblischen  Hintergrund,  kurzer  Hand  über  Bord  flöge. 
Prägnanter  und  kürzer  sind  auch  die  Hebraei  Christiani  im  „Mar- 
cion" —  auf  die  Kühnheit  des  Ausdrucks  ward  hingewiesen  — 
gegenüber  einem  Urnschweif  der  „Juden." 3)  Dass  planmässig 
gekürzt  wird,  beweist  auch  noch  manches  andere.  So  das  non 
expectabile  nomen  in  dem  Buch  wider  Marcion. 4)    „Wie  geschieht 


1)  Oehl.  III,  644,  o. 

2)  cap.  9  (II,  724,  u.).    Dagegen  adv.  Marc.  III,  16  (II,  143,  u.)  ganz 
kurz:  petra  enim  Christus. 

3)  „Juden":  Nam  qui  ex  Judaismo    credunt  Christo.     Vgl.  Corssen  6, 
oben.     (Die  Stellen:  adv.  Marc.  II I,  12.  adv.  Jud.  9  (II,  721,  o.). 

4)  adv.  Marc.  III,  lfj,  Anfang. 


70  Noeldechen,  Tertullian'a  Gegen  die  Juden. 

es",  so  redete  Israel  einsl  in  Ad  versus  Judaeos,  „dass  doch  der 
erwartete  Christ  bei  Propheten  nie  Jesus  genannt  wird  und 
der  angeblich  gekommene  den  Namen  Jesus  geführt  hat?" l) 
Also  wiederum  bündige  Knappheit  neben  früherer  breiter  Aus- 
führlichkeit. Anscheinend  leichtere  Kürzung,  doch  nicht  ganz 
ohne  sachlichen  Hintergrund  ist  das  spätere  „Hieremias"  für 
„Deus  per  Hieremiam."  2)  In  den  „Juden"  bewegt  sich  die  Dar- 
legung auf  der  gemeinsamen  Grundlage,  die  ihm  in  den  „Juden" 
verstattet  ist:  dass  Gott  durch  Propheten  geredet  hat  in  seinen 
„Heiligen  Schriften."  Beim  Pontiker  hat  Hieremias  mit  Jesus  gar 
nichts  zu  schaffen,  er  gehört  ja  nur  der  „gerechten",  nicht  der 
„gütigen"  Gottheit.  Die  gemeinsame  Basis  fehlt  hier  und  kann 
nicht  im  Umsehen  geschaffen  werden.  Das  „Gott  durch  Hiere- 
mias" kann  er  dem  „Pontus"  nicht  aufdrängen.  Endlich  hat  eine 
nutzlose  Gründlichkeit,  sozusagen  eine  verletzende  Deutlichkeit 
im  Antimarcion  fallen  müssen.  Wenn  Ezechiel  Israel  anredet: 
dein  Vater  ist  Amoriter  und  deine  Mutter  Hethiterin,  so  war  ja 
der  Zusatz  entbehrlich,  dass  dies  nicht  wörtlich  zu  nehmen  sei. 
Derselbe  ist  später  gestrichen  worden. 3).  Der  umgekehrte  Weg 
zu  den  „Juden"  vom  Antimarcion  her  setzte  teils  consequente 
Verwässerung  einer  mehr  gesammelten  Redeweise,  teils  auch  — 
„non  expectabile  nomen"  —  ein  gewisses  Verständnis  voraus, 
wie  der  „einfältige"  Freibeuter  ein  solches  doch  gar  nicht  be- 
sitzen soll. 

Naturgemäss,  zumal  wenn  bedacht  wird,  dass  vielleicht  ein 
volles  Jahrzehnt  zwischen  beiden  Schriften  gelagert  war,  haben 
auch  noch  andre  Gesichtspunkte,  diese,  wie  viele  der  früheren, 
instinktiv  und  rasch  sich  hervordrängend,  gewiss  im  einzelnen 
mitgewirkt,  um  dem  späteren  Buch  auch  stilistisch  einen  Sonder- 
charakter zu  leihen.  An  poetischer  Färbung  des  Stils  gebrach 
es  gelegentlich  nicht  bereits  dem  älteren  Schriftwerk.  Wenn 
die  Heiden  „aus  dem  Strudel  des  Irrtums4)  zu  dem  Herrn  und 


1)  adv.  Jud.  9  (II,  724,  m.). 

2)  Oehl.  III,  653. 

3)  S.  Oehl.  II,  723,  o.,  Oehl.  III,  656. 

4)  Strudel  des  Irrtums  adv.  Jud.  12,  Anfang;  Kriegswut  cap.  3  (II, 
707,  m.);  aufleuchten  ebendas. ;  Christus  erglänzend  cap.  9  (II,  721,  o.); 
erblühender  Purpur  de  idol.  18  (I,  100,  oben.);  Lichter  apol.  11  (I,  158,  o.); 
Nacken  de   pall.  3  (I,  926,  o.);   flos  virginum  de  virg.   vel.  7  (I,  893,  m.); 


4.    Das  Verhältnis  zum  Antimarcion.  71 

Schöpfergott  auftauchen'',  wenn  „das  Neue  Gesetz  die  Kriegswut 
in  die  Lust  am  Ackerbau  unischafft",  wenn  „das  Halten  des  Neuen 
Gesetzes  zum  Gehorsam  des  Friedens  aufleuchtet",  wenn  Christus 
der  Welt  „erglänzt",  so  sind  das  ziemliche  Proben  jener  poetisie- 
renden  Prosa,  die  überhaupt  dem  Verfasser  so  eigen  ist.  Nach 
den  vorliegenden  Spuren  hat  sich  später  diese  Neigung  gesteigert. 
Unter  anderem  „erblüht"  ihm  der  Purpur,  und  es  „erblühen"  die 
Lichter,  es  „erblühen"  die  Nacken  von  Edelstein,  und  es  gibt 
ihm  eine  „Blüte"  der  Jungfrauen.  Es  „blitzt  und  donnert  hinein 
in  die  Welt  die  selige  Botschaft",  „aus  dem  Mutterschosse  der 
Blindheit  treten  die  Völker  hervor  und  erbeben  vor  dem  Lichte 
der  Wahrheit."  Die  „Gerechtigkeit",  einst  in  Kinderschuhen,  „er- 
glüht durch  die  Botschaft  zur  Jugendkraft",  und,  wie  „Thränen- 
regen"  und  „Mondestrost"  ihm  überkühn  nicht  erscheinen  wollen, 
so  „fliegt"  ein  karthagisches  Weib  hinein  in  den  Brand  ihrer 
Vaterstadt.  Wenn  diese  entwickelte  Neigung  auch  die  Um- 
arbeitung der  „Juden"  zu  ihrer  Zeit  mit  beeinflusst,  so  darf  das 
füglich  nicht  Wunder  nehmen.  In  der  That  ist  der  „Tau  der 
Gnadengaben"  eins  der  neuen  stilistischen  Lichter,  welche  der 
Redaktor  jetzt  aufsetzt.  Ganz  gemäss  der  ihm  eigenen  Manier, 
an  dem  Buchstaben  der  Urschrift  möglichst  enge  zu  kleben, 
wird  aus  prioribus  —  roribus,  aus  den  „früheren1)  Gaben  der 
Gotteshuld"  ein  „Tau  der  göttlichen  Gnaden."  Hier  ist  man 
zudem  noch  imstande,  die  wahrscheinliche  Genesis  dieses  Quid- 
proquo  zu  verfolgen.  Bereits  im  Kapitel,  das  nachfolgt,  tritt 
derselbe  „himmlische  Tau"  in  dem  Segen  Isaaks  auf  und  zudem 
in  einem  Zusammenhang,  der  so  ausdrücklich  wie  möglich  wieder 
auf  die  „Juden"  zurückweist. 2)  Man  könnte  vielleicht  es  gewagt 
finden,  den  voraufgehenden  Abschnitt  aus  dem,  der  folgt,  zu  er- 
läutern. Doch  bedenken  wir,  dass  Antimarcion  uns  in  dritter 
Auflage  vorliegt,  dass  der  Verfasser  aus  dem  Vollen  arbeitet 
und  sein  Plan  durchaus  überdacht  ist,   so  wird   wohl  glaubhaft 

blitzen  (evangelio  coruscante)  de  anima  49,  Ende;  donnern  (intonuit  evan- 
gelium)  de  pud.  12,  Anfang;  Mutterschoss  apol.  39  (I,  261  f.);  Gerechtig- 
keit erglühend  de  virg.  vel.  1  (I,  884,  u.);  Thränenregen  de  res.  carn.  58, 
Anfang;  solatiurn  lunae  adv.  Hermog.  29,  Anfang;  in  incendium  patriae 
devolavit  ad  mart.  4  (I,  12,  m.). 

1)  vgl.  Abfassungsz.  83.  Anm.  1. 

2)  adv.  Marc.  III,  24  (II,  157,  m.).   Die  Zurückweisung  auf  die  „Juden" 
liegt  in  dem  posterior  et  praelatior  populus  etc.     Vgl.  adv.  Jud.  cap.  1. 


72  Noeldechen,  Tertullian'g  Gegen  die  Juden. 

erseheinen,  dass  ihm  hier  die  „kommende"  Stelle  schon  in  dem 
Vorigen  vorschwebt.  —  Wie  der  Freibeuter  aus  roribus  sein  prio- 
ribus  machen  sollte,  erscheint  mir  weit  weniger  durchsichtig.  Er 
müsste  bewussten  Anstoss  an  der  Kühnheit  des  Ausdrucks 
nommen  haben,  und,  die  planere  Wendung  zu  formen,  ein  ge- 
wisses Sprachgeschick  aufbieten,  also  grade  diejenige  Eigenschaft, 
die  man  am  meisten  ihm  aberkennt. 

Ist  der  Stil  hier  blühender,  kräftiger  als  in  den  älteren 
„Juden",  so  könnte  eine  andere  Änderung  auf  den  ersten  Blick 
nüchterner  scheinen.  Eine  Allheit  der  Geistesbezeugungen 
vindiciert  er  in  den  „Juden"  dem  Heiland,  er  begnügt  sich  mit 
einer  Verschiedenheit  in  dem  Buch  wider  Marcion.1)  Eine 
Steigerung  kann  das  nicht  heissen.  Andrerseits  wird  ein  Rück- 
gang der  Schätzung  der  Gaben  des  Herrn  nicht  zu  denken  sein. 
Auch  hier  ist  indessen  kein  Grund,  nach  Art  Corssen's  so  eilig 
etwa  dem  Texte  der  „Juden"  einen  Ausnahme-Vorrang  zu  leihen, 
indem  man  die  Fetzen  der  Texte  in  abstrakter  Vereinzelung  auf- 
fasst.  Viel  besser  geht  man  den  Merkzeichen  von  des  Autors 
Entwickelung  nach,  wie  oben  den  poetischen  Stil,  so  hier  den 
philosophischen  anlangend.  Denn  auf  philosophische  Fäden, 
die  er  seinem  Ideengang  einverleibt,  werden  wir  hier  uns  gewiesen 
sehn.  Zunächst  will  ja  nicht  viel  besagen,  wenn  der  Ausdruck 
universitas  (Allheit)  ihm  in  späteren  Schriften  vorwiegend  das 
ganze  „Weltall"  bedeutet 2),  wobei  denn  ein  „Weltall  von  Gaben" 
ihm  überschwenglich  erscheinen  könnte.  Denn  universitas  „Welt- 
all" gehört  bereits  auch  den  „Juden"  (cap.  2  Anfang).  Wichtiger 
ist,  dass  eine  Lehre,  aus  der  griechischen  Weisheit  entnommen, 
ihm  grade  im  Kampf  gegen  Marcion  besonders  hülfreich  geworden 
war:    die   Lehre   von   diversitates   (contrarietates)   im  Weltall. 3) 


1)  Oehl.  III,  649,  m.  (adv.  Jud.  9.,  adv.  Marc.  III,  17).  „Juden":  uni- 
versitas spiritalium  documentorum ;  Antim. :  diversitas  spiritalium  docu- 
rnentorum. 

2)  apolog.  21  (I,  198,  o.);  adv.  Marc.  II,  2.  Anfang;  adv.  Hermog.  32 
(II,  367,  u.),  de  res.  carn.  13,  Anfang. 

3)  adv.  Marc.  IV,  1  (II,  161,  u.) :  nee  mundum  saltem  recogitare  potuisti, 
nisi  fallor,  etiam  apud  Ponticos  ex  diversitatibus  struetum  aemularum 
invicem  substantiarum.  Vgl.  die  contrarietates  elementorurn  adv.  Marc. 
11,29,  Ende;  contrarietates  nati  et  innati,  visualitatis  et  caecitatis,  juventae 
et  seneetae,  sapientiae  et  insipientiae  de  anima  29,  (II,  603,  u.).  Zu  urri- 
versus,  diversus,  contrarius  vgl.  auch  de  anima  8,  Anfang  (II,  566  f.). 


4.    Das  Verhältnis  zum  Antiniarcion.  73 

Speziell  gegen  Marcion  kämpft  er  für  den  Deus  bonus  et  justus, 
damit  diversitates  in  Gott,  sozusagen  polarische  Gegensätze  inner- 
halb der  Gottheit  verfechtend.  Und  hier  springt  wohl  schon  in  die 
Augen,  wie  die  „Diversität  der  Charismen"  in  Jesu  Person  zu 
verstehn  ist.  Auch  er  ist  ihm  bonus  et  justus,  wie  er  andrer- 
seits tapfer  und  demütig,  ernst  und  milde  zugleich  ist.  An  diesen 
Gedankenprocess  des  Verfassers  selber  gemessen  kann  denn 
schliesslich  der  Ausdruck  diversitas,  dem  Vorwurf  der  Mattheit 
entrückt,  in  der  That  als  die  bessere  Wendung,  weil  als  die 
praegnantere,  dastehn. 

Doch  wir  eilen  zum  Ende.  Selbst  jenes  signum  und  dignum, 
wie  es  Antimarcion  bietet,  lässt  sich  trotz  Corssen  j)  verteidigen. 
Wo  immer  die  überlieferte  Lesart  einfachen  Widersinn  bietet, 
wird  man,  die  Ehre  des  Autors  gegen  Abschreiberunglimpf  ver- 
fechtend, zur  Conjectur  sich  bequemen;  wo  hingegen  dies  minder 
der  Fall  ist,  wird  man  wohl  wiederholt  überlegen,  ehe  der  be- 
quemere Weg  der  raschen  Vermutung  beschritten  wird;  dieser  letz- 
tere ist  um  so  verlockender,  als  er  auch  geistreicher  scheinen  will. 
In  diesem  Fall  fehlt  doch  viel,  dass  die  Lesart  Widersinn  böte. 
Der  „Zeichen"  von  Gott  giebt  es  mancherlei:  „monstruose"  und 
nicht  monstruose.  Das  „monstruose",  so  heisst's  hier,  sei  von 
Gottes  Seite  her  „würdiger".  Ja,  müsste  hier,  was  ich  nicht 
leugne,  der  Text  der  „Juden"  in  Wahrheit  als  der  innerlich  con- 
cinnere  gelten,  so  würde  mir  daraus  noch  nicht  folgen,  dass 
Tertullian  jenes  dignum  nicht  dennoch  selber  geschrieben  hat. 
Man  vergleiche  die  Lesart  vivere,  welche  wir  früher  erörtert,  und 
was  von  Incongruenzen  bemerkt  ward,  welche  da,  wo  ein  jüngerer 
Text  einen  älteren  aufnimmt,  sich  einstellen.  An  Versuchungen 
zu  jenem  dignum  fehlte  es  dem  Verfasser  mit  nichten:  das  Deo 
dignum  war  längst  ihm  zum  Lieblingsthema  geworden.2)  Es 
wäre  zudem  nicht  undenkbar,  dass  die  massvolle  Schätzung  der 
„Zeichen",  wie  der  Mann  sie  gelegentlich  ausspricht,    an  dieser 


1)  S.  Corssen  S.  7.  Anm.  Vgl.  adv.  Jud.  9  (II,  721,  u.):  Signum  autem 
a  deo,  nisi  novitas  aliqua  monstruosa  fuisset,  signum  non  videretur.  adv. 
Marc.  III,  13  (II.  139,  0.):  Signum  autem  a  deo,  nisi  novitas  aliqua  mon- 
struosa, tarn  dignum  non  fuisset. 

2)  Vgl.  u.  a.  das  dreifache  digne  Scorpiace  3,  Anfang;  das  deo  in- 
digna  adv.  Prax.  16  (II,  675,  m.).  Das  sind  nur  geringe  Proben,  wie  sie 
mir  augenblicklich  zur  Hand  sind. 


74  Noeldechen,  Tertullian'i  m  die  Juden. 

Stelle  mit  anklingt ])  und  die  paronomastische  Neigung  dazu  das 
übrige  thäte.  —  Nicht  bedeutend  ist  die  Veränderung,  wenn  statt 
„subnervare"  der  „Juden"  ein  „nervös  succidere"  eintritt.2)  Das 
erstere  ist  afrikanischer,  speziell  apulejischer  Ausdruck.  So  mag 
der  noch  jüngere  Autor  hier  apulejisch  geredet  haben.  Nur  dasfl 
doch  der  Madaurenser  mit  dem  Wort  ein  „entkräften"  bezeichnet 
und  von  „Sehnen  durchschneiden"  nichts  sagen  will:  also  doch 
wieder  wirkliche  Besserung.  Nebenbei  sei  noch  erwähnt,  dass 
ein  „valde  absurdum"  der  „Juden"  durch  des  Autors  solenneres 
„rideo"  in  dem  späteren  Werke  ersetzt  ist.3). 

5.    Die  Zeit. 

Aus  dem  vorigen  konnte  erhellen,  dass  die  Schrift  Ad  versus 
Judaeos  vor  209  4)  geschrieben  ist.  Gegen  Grotemeyer'sche  Selt- 
samkeit: die  „Juden"  gehören  dem  Phryger,  wird  auf  den  „Pro- 
pheten" zu  weisen  sein,  den  erst  Antimarcion  einschmuggelt.  Auch 
habe  ich  früher  die  Zeitfrage  bereits  ausdrücklich  erörtert  und  die 
Schrift  den  frühesten  beigesellt.  Ich  habe  hier  nichts  zurück- 
zuziehn,  was  irgendwie  von  Belang  wäre.  Trotzdem  giebt  es 
freilich  Gesichtspunkte,  die  teils  mir  früher  entgangen  sind,  teils 
auch  an  der  früheren  Stelle  nicht  hinreichenden  Raum  fanden. 
Bei  der  Schwierigkeit  dieser  Zeitfragen,  bei  ihrer  Verknüpftheit 
zugleich  mit  den  Fragen  der  Einheit  und  Echtheit,  bei  dem  Um- 
stand, dass  der  einzige  Kritiker,  der  die  Einheit  bündig  vertei- 
digte, in  der  Zeitfrage  geirrt  hat,  will  ich  hier  weiter  ausholen 
und  zunächst  bei  der  ferneren  Darlegung  die  Schrift  als  flot- 
tierendes Gut,  der  Verankerung  harrend,  betrachten.  Der  Rest 
unserer  Untersuchung  stehe  auf  eigenen  Füssen  und  verschmähe 
zunächst  selbst  die  Hülfen,  die  die  früheren  Abschnitte  leisten 
könnten.  Nur  wenn  eine  Menge  von  Linien,  von  den  Schriften 
des  Autors  ausgehend,  nach   einem  Punkte  zusammenlaufen,  wird 

1)  S.  meinen  „Tertullian"  S.  281  f.  Adv.  Marc.  III,  3,  Anfang.  Da  diese 
Erörterung  grade  im  3.  Buch  wider  Marcion  voraufgegangen  war,  so  er- 
scheint es  mir  sehr  wohl  denkbar,  dass  die  Erinnerung  nachwirkt.  Die 
Bedeutung  der  virtutes  und  signa  (s.  II,  124,  ganz  o.)  hatte  er  Marcion 
gegenüber  im  Interesse   der  Betonung  der  Weissagungen   herabgesetzt. 

2)  Oehl.  III,  651.  —  LXX:  evevQoxonrjoav. 

3)  Oehl.  III,  646. 

4)  D.  i.  vor  adv.  Marc.  III. 


5.   Die  Zeit.  75 

ein  möglichst  begründetes  Facit  in  Betracht  der  Zeit  gewonnen 
sein.  Um  selbst  die  mindest  wahrscheinlichen  Zeiträume  mit  zu 
durchforschen,  beginnen  wir  mit  den  spätesten  Schriften,  um 
Schritt  für  Schritt  von  da  aus  zu  den  frühern  uns  rückwärts 
zu  wenden. 

Weit  von  den  „Juden"  getrennt  erscheint  da  die  Schrift  von 
der  Keuschheit.  Und  doch  enthält  sie  Gedanken,  die  wohl  zur 
Vergleichung  herausfordern.  Jene  nämlichen  Sohne  Rebekka's, 
die  die  Schrift  an  die  Juden  erörtert,  sie  geben  in  massiger  Um- 
formung auch  dem  Späten  noch  Leitgedanken,  mit  denen  der 
römische  Gegner,  bekanntlich  Kallist,  bekämpft  wird.  Es  han- 
delt direkt  sich  hier  freilich  um  das  Gleichnis  vom  Verlorenen 
Sohn,  das  aber,  wie  die  Stelle  erhärtet,  in  sehr  erkenntlicher 
Weise  an  die  Söhne  Rebekka's  heranrückt. *)  Aber  wie  spröde 
verhält  sich  die  späte  Schrift  zu  den  „Juden".  Schon  das  be- 
deutet doch  fast  Verleugnung  eigener  Vergangenheit,  wenn  for- 
mell die  frühere  Ansicht  als  eine  fremde  behandelt  wird.2)  Da 
ihm  jetzt  durchaus  daran  liegt,  den  verlorenen  Sohn  als  den 
Heiden,  der  zu  Christus  sich  wendet,  zu  deuten,  aber  um  keinen 
Preis  als  den  Christen  „der  zweiten  Busse"  3),  so  muss  ihm  die 
ältere  Form  jetzt  unter  den  Händen  zerbrechen.  Der  verlorene 
Sohn  ist  ihm  freilich  das  christlich  gewordene  Heidentum,  wie 
der  jüngere  Sohn  in  den  „Juden"  ihm  ja  dasselbe  bedeutet  hatte. 
Aber  da  eben  der  Christ  doch  nie  in  die  Fremde  hinauswandert, 
um  dann  am  heimischen  Herde  noch  schliesslich  den  Vater  zu 
finden,  so  wird  hier  ein  Vorbehalt  not,  dieser  Sohn  muss  hier 
qualifiziert  werden.  In  dieser  Qualifizierung  liegt  denn  auch  in 
der  That  eine  Welt  von  inzwischen  bestandenen  Kämpfen,  von 
innerkirchlichem  Streit.  Die  einfältige  "Weise,  laut  welcher  der 
jüngere  Sohn  alle  Heidenchristen  bedeutete,  das  „nos  nationes" 
der  „Juden"  liegt  hier  in  weitester  Ferne. 

1)  Dies  zeigt  sich  (de  pud.  8.  II,  807)  schon  in  der  äusseren  Form: 
„Duos  enim  populos  in  duobus  filiis  collocant,  Judaicum  majorem.  Chri- 
stianum  minorem".  Vgl.  adv.  Jud.  cap.  1  (II,  702):  major  populus,  i.  e. 
Judai'cus  ....  minor  populus,  id  est  Christianus.  Selbst  darin,  dass  die  in 
die  Augen  fallende  Analogie  mit  den  Ausführungen  der  „Juden"  ihm  hier 
nicht  in  den  Sinn  kommt  (ganz  anders  adv.  Marc.  III,  24.  II,  157),  scheint 
sich  die  grosse  Zeitferne  anzukündigen. 

2)  „collocant"  s.  die  vorige  Anmerkung. 

3)  vgl.  auch  meinen  „Tertullian"  S.  468. 


7(J  Noeldechen,  Tertullian'    Gegen  die  .Juden. 

Ahnlich  verhält  sich  die  Fastenschrift.  Die  „Juden"  erör- 
terten einst  einen  Fall  der  Geschichte  Zippora's.  Dass  diese,  von 
dem  Engel  genötigt,  ihren  Sohn  auf  der  Reise  beschnitten  hat, 
konnte,  so  hiess  es  dort,  ein  Gesetz  nicht  für  Israel  gründen.1) 
In  den  „Fasten"  erlebt  man  den  Umschlag  dieser  ihm  nun  ver- 
alteten Ansicht:  insofern  ein  Einzelgelübde  —  sogar  ein  blosses 
Gelübde  —  „durch  die  Autorität  des  Genehmigers"  allerdings 
später  Gesetz  wird. 2)  Ist  dies  das  vollendete  Gegenteil  seines 
dereinstigen  Grundsatzes,  so  ist  späte  Consequenz  einer  Eigenart, 
die  schon  in  den  „Juden"  hervortritt,  nämlich  seiner  spielenden 
Deutung  des  grossen  Liebesgebotes 3) ,  dass  sich  dem  alternden 
Manne  der  Wortsinn  desselben  verflüchtigt.  Die  Etappen  dieser 
Verflüchtigung  bis  zu  der  Fastenschrift  hin  lassen  sich  genügend 
verfolgen.  Hatte  er  in  den  „Juden"  die  Nächstenliebe  einfach 
auf  Selbstliebe  ausgedeutet,  allerdings  auf  rechte  und  heilige,  so 
ist  es  Nüancierung  der  Anschauung,  wenn  der  Seele  des  Men- 
schen sein  Körper  als  wertester  Nächster  gezeigt  wird4),  oder, 
kühner,  der  Herrgott  selber  als  „nächster  Verwandter"  betrachtet 
wird. 5)  All  dies  weist  zurück  auf  die  Grundstelle,  wo  einst  die 
Paradiesesgeschichte  zu  der  Frage  gedrängt  hatte,  wie  bei  der 
Einsamkeit  Adams  das  Liebesgebot  wohl  in  Kraft  trete,  bezw. 
wie  Moses  zu  Adam,  Sinai  zu  Eden  sich  stelle. 

Als  weitere  spätere  Ausdeutung  eines  Urtextes  der  „Juden" 

1)  adv.  Jud.  3.  Consideremus  itaque  quod  non  potuerit  unius  in- 
fantis  coacta  circumcisio  omni  populo  praescribere  et  quasi  legem  hujus 
praecepti  condere. 

2)  de  jej.  11  (I,  868,  o.)  tarnen  et  votuin,  cum  a  deo  acceptatum  est, 
legem  in  posterum  facit  per  auctoritatem  acceptatoris. 

3)  adv.  Jud.  2  (II,  703,  m.):  si  proximum  diligerent,  id  est  semet 
ipsos. 

4)  de  res.  carn.  63  (II,  550,  m.)  quid,  anima,  invides  carni?  Nemo 
tarn  proximus  tibi,  quem  post  dominum  diligas;  vgl  ebendas.  9  (II,  479,  u.) 
diliget  carnem  tot  modis  sibi  proximam. 

5)  Scorp.  3  (I,  504,  o.)  itaque  tria  milia  hominum  a  parentibus  pro- 
ximis  caesa,  quia  tarn  proximum  parentem  deum  offenderant.  —  In 
de  jej.  3,  Schluss  scheint  sich  ein  schli essliches  Facit  dieser  spielenden  Be- 
handlung anzukündigen.  Seimus  .  .  .  quam  facile  dicatur,  Opus  est  .  .  . 
diligam  deum  et  proximum  tanquam  me.  Darin,  dass  Phrasen  leicht  sind, 
hat  er  ja  zweifellos  recht.  Aber  es  ist  doch  bezeichnend,  dass  man  dem 
strengen  Faster,  der  mit  dem  Wortlaut  des  Liebesgebotes  doch  auch  ein 
leichtes  Spiel  getrieben   hatte,   dies  Liebesgebot  „unter  die  Nase  reibt." 


5.   Die  Zeit.  77 

erscheint  in  resurrectio  carnis  die  Fassung  des  Heiligen  Landes 
im  Sinne  von:  Leib  des  Erlösers.  Hier  hatten  die  „Juden"  ja 
schon  neben  „Rationalismus"  auch  Mystik.  Sie  gingen  aus  von 
dem  Psalmwort:  die  Erde  gab  ihre  Segnungen,  um  mit  echt 
tertullianischer  Eile  zur  Genesis  hinüberzubiegen:  gemeint  sei  in 
jenem  Psalmwort  die  terra  virgo  der  Thorah,  die  noch  nicht  von 
Regen  befeuchtet,  von  Wolkenbrüchen  befruchtet,  den  Rohstoff 
zu  Adam  geliefert,  grade  wie  nachher  der  Messias  von  einer 
anderen  Virgo  geboren  ward. j)  Sehr  ähnlich  resurrectio  carnis. 
Die  Juden,  sagt  diese  Schrift,  hoffen  nur  auf  irdische  Dinge  und 
verstehn  unter  heiliger  Erde  die  Scholle  des  jüdischen  Bodens, 
während  diese  heilige  Erde  vielmehr  das  Fleisch  unseres  Herrn 
ist.  Diese  kühne  verblüffende  Mystik  fliesst  aus  der  früheren 
Quelle;  überraschend  im  nächsten  Zusammenhange,  geformt  und 
fertig  hervortretend  wie  Minerva  aus  Jupiters  Haupte,  ist  sie  nur 
recht  zu  verstehen  mit  den  „Juden"  als  Auslegern.  Die  Nüan- 
cierung  ist  klar:  an  die  Stelle  der  terra  virgo  tritt  das  Land  von 
Dan  bis  gen  Berseba,  und  beide  sind  schliesslich  Symbole  des 
heiligen  Leibes  des  Meisters. 

Sehr  belehrend  ist  „Marcion"  V. 2)  Der  Gedanke  der  „Juden" 
wird  aufgenommen,  dass  mit  der  Erscheinung  des  Herrn  die  Zeit 
der  „Gaben"  zu  Ende  geht.  Aber  wie  neu  ist  der  Zusatz,  jener 
vorsichtige  Vorbehalt,  dass  eben  dieses  Ende  der  Gaben  doch 
nur  für  Israel  gelte.  Wie  bestimmt  wird  die  Ansicht  hier  ab- 
gewiesen, dass  auch  in  der  christlichen  Kirche  die  Zeit  der  Gaben 
vorbei  sei.  Nach  jedem  ähnlichen  Vorbehalt  sucht  man  in  den 
„Juden"  vergeblich,  so  vergeblich  wie  nach  dem  „Propheten", 
den  erst  Antimarcion  nachliefert.  Und  dennoch  sollen  die  „Juden" 
ein  montanistisches  Buch  sein! 

Dass  auch  der  „praelatior  populus"  im  dritten  Buch  gegen 
Marcion  auf  die  „Juden"  zurückweist,  als  Reminiscenz  an  die- 
selben und  zugleich  als  praeguanteste  Kürzung,  wird  zum  Ge- 
wissen zu  zählen  sein. 3) 

Wichtiger  sind  freilich  für  uns  die  früheren  Schriften  des 
Autors.    Zunächst  und  vor  allem  die  „Einreden"  mit  ihrer  Notiz 


1)  adv.  Jud.  12  (II,  735,  m.)  vgl.  de  res.  carn.  26  (IL  501,  m.). 

2)  adv.  Marc.  V,  8  (II,  297),  vgl.  adv.  Jud.  8.  13.  (II,  718,  738).     Zu- 
satz: „quantum  ad  Judaeos". 

3)  Vgl.  Oehl.  II,  157  mit  Oehl.  II,  702. 


78  Noeldechen,  Tertullian'8  Gegen  die  Juden. 

über  Streitgespräche1),  die  zu  ihren  Zeiten  im  Schwang  sind. 
Eine  Streitrede  ging  ja  voran  auch  dem  Buche  Adversus  Judaeos. 
Freilich  die  Colloquenten  sind  andere:  dort  der  Judengenosse 
samt  Anhang,  und  hier  gnostische  Ketzer.  Aber  schon  das  ist 
bemerkenswert,  dass  in  irgend  einer  Weise  auch  hier  eine  Schrift, 
das  Buch  von  den  Einreden  nämlich,  als  Gesprächsniederschlag 
dasteht.  Erwägt  man  auch  die  Streitunterredungen  im  zeitlich 
benachbarten  „Götzendienst"2),  so  scheint  sich  bezeichnend  ein 
Zeitraum  von  Disputationen  zu  bieten,  dem  bei  Lebzeiten  des 
Autors  kein  ähnlicher  mehr  zur  Seite  steht.  Das  Wichtigste 
aber  wird  sein,  dass  der  Schriftsteller  jetzt  eine  Abneigung  gegen 
solche  Gewohnheit  gefasst  hat,  und  dass  das  Gespräch  mit  dem 
Juden  eine  ähnliche  Verstimmung  zurückliess.  Die  Zwiesprachen 
mit  den  Ketzern  bereiteten  ihm  lediglich  „Kopfschmerzen";  bei 
der  Streitunterredung  mit  Israel  erfasst  ihn  ein  ähnliches  Miss- 
behagen, wenn  bei  dem  Lärm  der  Debatten  „die  Wahrheit  durch 
Nebel  verdunkelt  wird". 3)  Dass  dabei  die  Methode  der  Streit- 
reden, die  ihm  so  wenig  behagt  haben,  durchaus  eine  ähnliche 
war,  ergiebt  sich  mit  völligster  Deutlichkeit:  in  einem  wie  dem 
anderen  Falle  ward  mit  Schriftgründen  gestritten.  Am  bittersten 
redet  er  doch  nun  in  Bezug  auf  die  Debatten  mit  Ketzern.  Eine 
Reihe  von  Einzelerfahrungen  bildet,  wie  es  scheint,  eine  Leiter, 
auf  deren  äusserste  Sprosse  er  tritt  zur  Zeit  jener  „Einreden": 
fort  mit  sämtlichen  Schriftdebatten  gegenüber  der  Gnosis!  Und 
dass  er  an  literarische  nicht  denkt,  scheint4)  der  Antimarcion 
darzuthun,  auch  resurrectio  carnis,  auch  de  carne  Christi  u.  a. 
Die  Verstimmung,  die  ihn  beherrscht,  scheint  wirklich  wesent- 
lich eingeschränkt  auf  disputatorische  Kampfgänge:  diese  Streit- 


1)  cap,  15  hunc  igitur  potissimum  gradum  obstruimus  non  adinit- 
tendi  eos  ad  ullam  de  scripturis  disputationem.  Ja  er  sagt  (cap.  16) 
der  Apostel  sowohl  wie  der  Herr  verbieten  —  indirekt  —  jede  Disputation 
mit  Haeretikern.  Auch  komme  nichts  dabei  heraus,  als  stomachi  eversio 
aut  cerebri.  —  Dass  von  mündlichen  Verhandlungen  und  zwar  zunächst 
ausschliesslich  von  solchen  die  Rede  ist,  zeigt  II,  16  ganz  unten:  novis 
vocibus  aures  accommodare. 

2)  de  idolol.  17  (I,  97,  m.)  hinc  proxime  disputatio  oborta  est,  an  ser- 
vus  dei  alicujus  dignitatis  aut  potestatis  administrationem  capiat. 

3)  aclv.  Jucl.  1. 

4)  doch  s.  die  obige  Anm.  1. 


5.   Die  Zeit.  79 

form  scheint  ihm  verleidet.  So  will  es  kaum  glaublich  dünken, 
dass  gleichviel,  ob  Jude  ob  Gnostiker  zu  disputieren  gesonnen 
sind,  er  nach  den  Einreden  noch  in  fernere  Wortkämpfe  willigt, 
mit  anderem  Wort,  dass  die  „Juden"  nach  den  Einreden  fallen. 
Hat  er  wirklich  seinen  Vorsatz  befolgt,  mit  den  Gnostikern  min- 
destens mündlich  nicht  in  fernere  Debatten  sich  einzulassen  — 
und  nichts  zeigt,  dass  er  ihm  untreu  ward  —  so  wird  er  die 
Juden  kaum  glimpflicher  in  dieser  Beziehung  behandelt  haben, 
denen  er  ja  niemals,  wie  Marcion,  die  christliche  „Bruderhand" 
bieten  kann. 

Noch  ein  anderer  Grund  wird  befürworten,  die  „Juden"  vor 
den  Einreden  anzusetzen.  Es  mag  ja  wenig  bedeuten,  dass  das 
Wort  vom  Tropfen  am  Eimer  in  so  stark  contrastierender  Weise 
in  beiden  Schriften  verwandt  wird:  in  den  „Juden"  das  stolze 
Judentum,  sich  hinter  dem  Propheten  verschanzend,  seinen  Hoch- 
mut an  Jesaias  nährend,  hier  die  Heiden,  nach  des  Schrift- 
stellers Ansicht,  nichts  vor  dem  Herrn  als  solch  Tropfen.1) 
Wichtiger  ist,  dass  die  Einreden  eine  Art  hermeneutischen  Fort- 
schritts gegenüber  den  „Juden"  bekunden ,  nämlich  in  Formu- 
lierung des  Grundsatzes:  kein  einziges  einzelnes  Gotteswort  sei 
so  diffusen  Characters,  dass  man,  dessen  Wortlaut  betonend, 
den  Sinn  der  Worte  vergessen  dürfe. 2)  Dies  ruft  uns  die  „Juden" 
zurück ,  da ,  wo  sie  so  „rationalistisch"  das  „Holz  des  Fluchs" 3) 
aus  dem  Nexus  der  einzelnen  Stelle  erläuterten,  wie  das  des  Man- 
nes Gewohnheit  in  dem  Judenbuche  gewesen  ist.  Wäre  jetzt  der 
allgemeinere  Grundsatz  der  Einreden  ihm  schon  geläufig,  ich 
meine,  hier  war  es  am  Platz  diesen  Grundsatz  bestimmt  zu  ver- 
werten, ja  ich  meine,  er  wäre  verwertet  worden:  auch  jenes  Wort 
von  dem  Fluch  ist  nicht  so  diffusen  Charakters,  dass  man,  den 
Wortlaut  betonend,  den  Sinn  darüber  vergessen  darf.  Gewandter, 
principieller  verfährt  er  —  geraume  Zeit  nach  den  Einreden  — 
im  Antimarcion  wirklich,  indem  er  die  mystische  Einzigkeit  des 
Kreuzesfluches  hervorhebt 4),  und  so  dem  exegetischen  Grundsatz 

1)  vgl.  de  praescr.  8  (II,  10,  u.)  mit  adv.  Jud.  1. 

2)  de  praescr.  9,  Anfang:  nulla  vox  divina  ita  dissoluta  est  et  dif- 
fusa, ut  verba  tantum   defendantur,   et  ratio  verborum  non  constituatur. 

3)  vgl.  hier  S.  54  Anm.  1. 

4)  sed  hujus  maledictionis  sensum  dirt'ero,  dignae  sola  praedica- 
tione   crucis  adv.  Marc.  III,   18  (II,  146,  o.).     Das  ist  eben  das  entschie- 


&0  Noeldechen,  Tertullian'fl  Gegen  die  Juden. 

der  Einreden  grössere  Ehre  macht.     Die  geringere  Gewandtheit 
der  „Juden"  weist  diesen  einen  früheren  Platz  an. 

Auch  die  Sohutzschrif't  deutet  nach  rückwärts.  Will  man 
allgemeinere  Gründe  geschichtlicher  Art  hier  zulassen,  so  ergib! 
sich  im  ganzen  als  wahrscheinlich,  dass  die  Judenfrage  erörtert, 
das  Gespräch  mit  dem  Juden  gehalten  wurde,  ehe  die  heidnische 
Feindschaft  ihr  Haupt  mächtig  erhoben  hatte.  Ohne  Not  enga- 
giert man  sich  nicht  in  Kämpfe  mit  anderen  Gegnern,  während 
grade  ein  gewaltiger  Mann  uns  den  starken  Fuss  auf  den  Kopf 
setzt.  Was  die  „Juden"  von  heidnischer  Feindschaft  wirklich 
durchblicken  lassen  *),  reicht  auch  nicht  entfernt  an  das  Bild,  das 
die  Schutzschrift  so  machtvoll  entrollt  hat.  Auch  von  den  frischen 
Erfahrungen,  welche  die  Schutzschrift  vermeldet,  von  jenem  jü- 
dischen Buben,  welcher  den  Erlöser  verhöhnt  hat,  sieht  im  Ge- 
spräch mit  dem  Juden  nicht  die  mindeste  Spur  durch.  Anderer- 
seits zeigt  schon  die  Schutzschrift  ihn  zweifellos  im  Besitz  einer 
so  umfassenden  Kunde  von  jüdischer  Art  und  Besonderheit,  dass 
es  leicht  fällt,  den  Anwalt  der  Christen  gegenüber  den  heidnischen 
Machthabern  auch  als  früheren  Christentums- Anwalt  gegenüber 
den  Juden  zu  denken.  Fastenpraxis,  Beschneidung,  Sabbate 
werden  gestreift,  also  grade  auch  solche  Materien,  welche  die 
„Juden"  behandeln.  Dazu  kommt  noch,  dass  ähnliche  Vor- 
lesungen, wie  die  in  den  „Juden"  erwähnten,  zu  deren  Behuf 
die  Debatten  ja  nachträglich  fixiert  wurden,  auch  in  der  Schutz- 
schrift erwähnt  werden. 2)  Allerdings,  wie  die  Streitgespräche, 
von  denen  die  Einreden  bandeln,  mit  Gnostikern,  nicht  mit  Israel 
in  Karthago  geführt  werden,  so  haben  die  „Lektionen"  der 
Schutzschrift  nicht  mit  der  Judenbekämpfung,  sondern  sicher 
mit  der  Befehdung  der  Christen  durch  Heiden  zu  thun  gehabt. 
Es  ist  hier  die  Rede  von  Vorlesungen,  welche  „auf  dämonische 
Eingebung"  in  Karthago  gehalten  werden,  welche  „Gottes  Wege 
verhöhnen*4  und  deren  „Gelärme  vom  Übel  ist."     Die  Lesenden 


denste   Gegenteil  einer  dissoluten  und   diffusen  Fassung  des  Wortes. 
Man  vergleiche  hier  Corssen  S.  25. 

1)  Die  einzige  Stelle  steht  cap.  9  (II,  723,  m.)  diabolum  qui  ad  hoc 
se  regnare  putat,  si  sanctos  a  religione  dei  deturbat. 

2)  (daemones)  dispositiones  etiam  dei  et  tunc  prophetis  contionantibus 
cxcerpunt  (oder  exceperunt?)  et  nunc  lectionibus  resonantibus  carpunt. 
apol.  22  (I,  209,  o.). 


5.    Die  Zeit.  81 

sind  zweifellos  Heiden,  und  der  Vorgang  erinnert  durchaus  an 
das  geistige  Leben  der  Hauptstadt,  an  jene  Vorleserwut,  die  am 
Tiberstrande  zuhause  war,  an  die  Menge  von  Recitatoren,  die 
von  Thorheit  und  Eitelkeit  strotzten.  l)  Waren  jene  Lektionen 
Karthago's,  von  welchen  die  Schutzschrift  geredet  hat,  wie  ge- 
sagt, zweifellos  heidnische,  auf  das  Unheil  der  Christen  gemünzte, 
so  hatte  die  Macht  der  Zeitsitte  doch  auch  christliche  Kreise  er- 
griffen, und  Tertullian  hat  selber  der  Vorlesersippe  mit  angehört. 
Die  „Juden"  vermelden  die  Absicht,  das  Ergebnis  der  Juden- 
debatten für  „Vorlesungen"  zu  nutzen.  Ja  viele  seiner  früheren 
Schriften,  nämlich  auch  abseits  von  den  „Juden",  sind  als  Vor- 
lesungen gedacht  und  zunächst  für  solche  benutzt  worden.*2) 
Erst  später  weicht  diese  Gewohnheit  der  direkt  literarischen  Ar- 
beit, wo  dann  das  „lectcr*  der  Anrede 3)  die  neue  Thatsache  klar- 
stellt. Die  Schutzschrift  dürfte  als  Zeitgrenze  in  diesem  Punkt 
zu  betrachten  sein.  „Spectacula",  „Cultus"  sind  Vorträge,  die 
Einreden  sind  es  schon  nicht  mehr.4)  Damit  scheint  denn 
die  kritische  Stimmung,  die  aus  der  Schutzschrift  herausredet 
über  heidnisches  Vorleser- Unwesen,  sich  vortrefflich  zusammen 
zu  reimen.  Diese  Form  der  geistigen  Mitteilung,  gemissbraucht 
wie  er  sie  sieht  durch  jene  „dämonischen"  Vorleser,  wird  von  Stund 
an  ihm  minder  sympathisch.  Das  Missbehagen  am  Vorlesen  zieht 
jetzt  weitere  Kreise;  er  betritt  in  der  Schutzschrift  selber  den 
„Weg  schweigender  Kundgebung."5)  Auch  daraus  möchte  ich 
schliessen,  dass  jene  „Lektionen"  der  „Juden",  zu  denen  er  sein 
Zwiegespräch  umschuf,  der  Schutzschrift  selber  voraufgingen: 
ein  Ergebnis,  parallel  jenem  anderen,  dass  das  Disputieren  ihm 
leid  wird. 


1)  Vgl.  hier  S.  24  Anm.  1,  auch  Martin  Hertz  Renaissance  und 
Rococo  in  der  röm.  Lit.  Berlin  1865.  S.  29.  Allerdings  auch  glänzende 
Vorträge  wussten  solche  Virtuosen  zu  halten.  Näheres  s.  auch  bei  Fried  - 
länder  Sittengesch.  Roms  III,  372  fg. 

2)  S.  meinen  Aufs.  Kultus-Stätten  und  -Reden  der  Tertullianischen 
Tage  in  Luthardt's  Z.  S.  für  k.  W.  u.  k.  L.  1885.  S.  207. 

3)  auch  wohl  inspector  (II,  335,  u.). 

4)  haec  in  fide  veritatis  cum  otio  perlegentibus  pax  et  gratia  dei 
nostri  Jesu  Christi  in  aeternum.    Schluss  von  de  praescr. 

5)  liceat  veritati  vel  oeculta  via  tacitarum  literarum  ad  aures  vestras 
}>ervenire  apolog.  1  (I,  133,  o.).  Der  Gegensatz  von  Vorlesungen  schwebt 
hier  allerdings  nicht  direkt  vor. 

Texte  n.  Untersuchungen  XII,  2.  6 


§2  Noeklechen,  Terfcnlliaa'c  Gegen  die  Ju. 

Unterstützt  wird  die  obige  Ansicht  durch  zahlreich«-  andere 
Daten,  die  zunächst  spezieller  beweisen,  dase  Gedankenkreise  der 

„Juden"  durchaus  schon  der  Schutzschrift  mit  zugehören. x)  So 
weist  die  „vermehrtere  Zucht44  auf  die  Streitschrift  in  Gedanken 
wie  Ausdruck2),  die  „gehörnten  Götter*  der  Schutzschrift  er- 
innern an  die  hier  nur  noch  kühnere  Streitschrift,  die  selbst  den 
„gehörnten  Christus''  niederzuschreiben  gewagt  hat.  s)  Wenn  die 
Schutzschrift  die  Verehrung  von  „Holz"  auf  das  Conto  der  Hei- 
den gesetzt  hat,  so  scheint  ihm  der  „Holzkönig"  vorzuschweben, 
den  er  als  dumme  Entstellung  des  „Königs  am  Holze"  ins  Auge 
fasste.  4)  Hilft  ihm  „Vergil"  in  den  „Juden",  so  ist  das  begreif- 
lich bei  dem,  der  jedenfalls  auch  in  der  Schutzschrift  den  Man- 
tuaner  citiert  hat. 5)  Ist  der  Doppeladvent  des  Christ  ihm  der 
wichtigste  Streitpunkt  der  „Juden",  so  liegt  ihm  auch  in  der 
Schutzschrift  der  Kernpunkt  des  Kampfes  schon  hier.'')  Wen 
die  Rechnung  der  Danieljahrwochen  im  Buch  an  die  Juden 
stutzig  macht,  der  vergleiche  auch  hier,  wie  die  Schutzschrift 
das  Zeitalter  Mosis  herausrechnet,  Berechnungen,  langweilig, 
weitläufig,  nach  Ansicht  des  Autors,  nicht  schwierig. 7)  Selbst 
ein  synonymischer  Unterschied,  so  besonders  bezeichnend  und 
wichtig  für  die  Gesamtauffassung  der  Streitschrift.  —  wir  meinen : 
populus,  gens  —  findet  sich  auch  in  der  Schutzschrift.8)   Kommt 


1)  Schon  das  sine  nomine,  sine  deo  rege  apol.  21  (I,  196)  klingt  in 
merkwürdiger  Weise  an  einen  Grundgedanken  der  „Juden"  an.  S.  hier 
S.  40.  Anm.  1. 

2)  adv.  Jud.  2  (II,  704,  o.)  quid  enim  mir  am,  si  is  äuget  disci- 
plinam  qui  instituit?  vgl.  apolog.  21  (I,  197,  o.)  ob  disciplinae  au- 
ctioris  capacitatem. 

3)  apolog.  21  (I,  197)  deum  patrem  passus  est  squamatum  aut  cor- 
nutum  aut  plumatum;  vgl.  ad  natt.  I,  14  (I,  335,  u.)  de  bove  et  de  ariete 
et  hirco  cornuti  dei;  vgl.  auch  (inhaltlich)  de  spect.  23  (I,  55,  o.):  Sa- 
turno  et  Isidi  et  Libero  (sämtlich  gehörnte  Götter).  —  Die  Stelle  in  adv. 
Jud.  10(11,  728,  m.):  (Christus)  hoc  more  cornutus;  vgl.  ebendas.  cap.  13 
(II,  737,  o.)  cornua  crucis. 

4)  apolog.  16  (I,  177):  cum  lignum  aliquod  propitiatur  etc.;  adv. 
Jud.  10  (II,  729):  ne  forte  lignarium  aliquem  regem   significari  putetis. 

5)  adv.  Jud.  10  (II,  728,  m.)  mit  Oehler's  Note;  vgl.  überhaupt  den 
früher  citierten  Aufsatz  im  Philologus  S.  739 — 741. 

6)  Vgl.  I,  200  und  II,  739. 

7)  Vgl.  I,  188.  190.  191.  mit  II,  717  ff. 

8)  populus,  gens  s.  I,  196,  II,  702  (allerdings  auch  II,  19S,  II,  492). 


5.    Die  Zeit.  83 

dazu  noch,  dass  auch  die  Schutzschrift  mit  Justins  Dialog  sich 
bekannt  zeigt,  also  mit  der  wichtigsten  Fundgrube,  aus  der  die 
Streitschrift  geschöpft  hatte  *),  so  wird  die  Ideengeineinschaft  als 
eine  erhebliche  gelten  müssen.  Erwägt  man  endlich  gebührlich 
die  völlig  verschiedene  Front,  (dort  Heiden,  hier  Juden  die  Gegner), 
so  wird  wahrscheinlich  gemacht  sein,  dass  die  zeitliche  Nähe 
der  Schriften  eine  entsprechend  erhebliche  ist,  oder  dass,  das 
vorige  mitgerechnet,  die  Streitschrift  ein  wenig  früher  als  die 
Schutzschrift  verfasst  ist. 

Die  „ Nationen ;',  der  Schutzschrift  benachbart,  darf  man  in 
Kürze  behandeln.  Die  „Pflanzschule  unserer  Verlästerung",  wie 
dort  die  Judenwelt  heisst,  erinnert  in  Gedanken  und  Ausdruck 
an  unsere  Judenbekämpfung  2)  und  zeigt  wie  die  „Juden"  zugleich 
den  alten  justinischen  Hintergrund.  Die  „Assyrer,  die  Meder  und 
Perser,  die  Aegypter  und  endlich  die  Römer"  in  ihrem  stattlichen 
Aufmarsch  können  kaum  die  Verwandtschaft  verleugnen,  welche 
sie  mit  einem  Abschnitt  der  Danielrechnung  verbindet. 3)  Und, 
was  die  Hauptsache  sein  wird,  schon  der  Titel  von  Ad  nationes 
bezeichnet  jenen  wichtigen  Markstein  in  dem  Wortgebrauche 
des  Schriftstellers,  welcher  fast  gebieterisch  hindert,  die  „Juden" 
gegenüber  den  „Völkern"  als  die  spätere  Kundgebung  anzusetzen. 

De  idololatria  ist  wichtig,  insofern  hier  Gedanken  des  Autors 
über  den  Kriegsdienst  als  Knechts  dien  st  nach  Art  der  „Juden" 
zur  Sprache  kommen,  umsomehr  noch,  als  dies  im  Unterschied 
von  späteren  Schriften  geschehen  ist.  gind  abstraktere  Frei- 
heitsgedanken dem  jüngeren  Schriftsteller  eigen  4),  so  nun  ganz 
besonders  dem  „Götzendienst".  So  betont  dieses  Buch  ja  den 
Unterschied  zwischen  Joseph  und  Daniel  einer-  und  „Christi  Ge- 
freiten" andererseits  •-»)  und  bespricht  die  Frage  vom  Kriegsdienst 

1)  Vgl.  I.  198  {köyov  TCQoßdXteiv)  mit  Dialogus  ed.  Otto  S.  203. 

2)  ad  natt.  I,  14  (I,  335)  quod  enim  aliud  genus  seminari  est  in- 
famiae  nostrae?  —  adv.  Jud.  13  (II,  73S,  o.)  ab  illis  enim  incepit  infamia. 

3)  ad  natt.  II,  Schluss;  vgl.  adv.  Jud.  8  (II,  717). 

4)  apolog.  34  (I,  240)  Ceterum  liber  sum  illi  (imperatori) ;  vgl.  die  Er- 
örterungen in  de  fuga  12  (I,  487,  m.)  a  tributariis  scilicet,  non  a  liberis 
debitus.  Man  vergleiche  auch  den  Standpunkt  Sperat's  in  den  Scillitaner- 
acten:  er  kennt  nur  den  „König  Jesus". 

5)  jam  nunc  qui  de  Joseph  et  Daniel  argumentaris,  scito,  non  semper 
comparanda  esse  vetera  et  nova,  rudia  et  polita,  coepta  et  explicita,  ser- 
vilia  et  liberalia.  Nam  illi  etiam  condicione  servi  erant;  tu  vero  nullius 
servus,  in  quantum  solius  Christi  de  idolol.  18  (I,  99). 

6* 


s  ]  idechen,  Tertullian  die  Jud 

im  Sinn  einer  [mmunitäi  der  Christen  vom  „kriecht Ischen"  Söldner- 
iuiii.  Es  findet  einen  mächtigen  Unterschied  zwischen  Je 
Nave  vor  Alters  und  den  Dienern  des  anderen  Jesus,  der  Petro 
das  Schwert  aus  der  Hand  nahm.1)  Mit  dem  Hinweis  auf  jü- 
dischen Kriegsdienst  den  Kriegsdienst  der  Christen  besehöni 
heisst  ihm  einfach  auf  Spässe  sich  legen.  Dies  ist  völlig  der 
Standpunkt  der  „Juden".  Nachdem  er  den  ewigen  Sabbat,  wie 
einst  Justinus,  erörtert,  bemerkt  er,  von  „knechtischem"  Werk 
müsse  man  allezeit  feiern.2)  "Was  ihm  „knechtisch"  bedeutet, 
wird  ausgeführt:  solch  knechtisches  Werk  sei  der  Kriegsdienst  '■'). 
ein  Werk,  das  nach  Gottes  Gebot  in  alten  Tagen  erlaubt,  aber 
neuerdings  nun  verboten  sei.  Diese  völlige  Gleichheit  der  An- 
schauung wird  nun  gerade  dadurch  so  wichtig,  dass  der  spätere 
Schriftsteller  zweifellos  seinen  Standpunkt  etwas  verschoben  hat. 
Er  retraktiert  ihn  nun  dahin,  nämlich  in  der  Schrift  von  dem 
Kranze,  dass  Kriegsniann  werden  verpönt,  aber  Kriegsmann 
bleiben  erlaubt  sei.4)  Hat  auch  das  Buch  wider  Marcion,  die 
„Juden"  bezeichnend  verändernd5),  jener  Kranzschrift  Rechnung 
getragen,  so  stehen  die  „Juden"  selber  durchaus  bei  der  Schrift 
von  dem  Götzendienst  auf  jenem  früheren  Standort,  der  den  Kriegs- 
dienst völlig  in  Bann  thut.  Selbst  jenes  Paradiesesverbot,  in  den 
„Juden",  (wie  wir  sahen),  erörtert,  findet  in  der  Schrift  von  dem 
Götzendienst  eine  bündige  Stil-Parallele,  so  dass  der  benachbarte 
Ursprung  auch  dadurch  wahrscheinlich  gemacht  wird.  Wie  den 
„Juden"  die  Gebote  vom  Sinai  in  dem  Eden-Verbote  beschlossen 


1)  Moses,  Aaron,  Johannes  mögen  an  den  Kriegsmann  erinnern,  agmen 
agit  et  Jesus  Nave  (dieser  mehrfach  in  den  ,, Juden"'),  bellavit  et  po- 
pulus,  si  placet  ludere,    de  idolol.  19  (I,  101,  u.). 

2)  adv.  Jud.  4  (II,  708,  o.)  unde  nos  intelligimus  magis  sabbatizare 
nos  ab  omni  opere  servili  semper  debere. 

3)  II,  709:  nee  dubium  est  opus  servile  eos  (populum  Israel)  operatos, 
cum  praedas  belli  agerent  ex  dei  praeeepto. 

4)  de  cor.  11  (I,  444)  plane  si  quos  militia~  praeventos  fides  posterior 
invenit,  alia  condicio  est. 

5)  Lehrreich  ist  die  Vergleichung  von  adv.  Marc.  II,  21,  Schluss  (II, 
110)  mit  den  obigen  Stellen  der  „Juden".  Statt  des  opus  servile  der 
Juden  tritt  hier  ein  humanum  ein.  Noch  wichtiger  ist  adv.  Marc.  IV.  12 
(II,  185):  statt  des  opus  servile  steht  ein  opus  humanum  oder  ein  opus 
tuum,  quod  quisque  ex  artificio  vel  negotio  suo  exequitur.  Auf  eine  ge- 
nauere Analyse  können  wir  uns  hier  nicht  einlassen. 


5.   Die  Zeit.  85 

sind,  so  begreift  hier  der  Cultus  der  Götzen  eine  Musterkarte  von 
Sünden:  Mord,  Ehebruch,  Trug,  Ungerechtigkeit,  Trunkenheit1): 
also  ganz  die  gleiche  Manier,  das  Eine  in  eine  Vielheit  zu  spalten 
und,  mehr  oder  minder  mystisch,  geheimen  Zusammenhang  auf- 
zuspüren. 

Mit  den  „Schauspielen"  naht  nun  die  Zeit,  in  welcher  wir 
nach  dem  bisherigen  die  Schrift  an  die  Juden  vermuten  mussten. 
Auch  hier  klingen  die  „Juden"  an.  „Aegypten",  sagen  die  „Juden'', 
„heisst  bei  Jesaias  öfter  der  gesamte  bewohnte  Erdkreis  mit  Hin- 
weis auf  einen  Fluch  und  einen  herrschenden  Aberglauben". 2) 
Sehr  ähnlich  das  Buch  von  den  Schauspielen:  „Aegypten  und 
Aethiopien  wird  die  Drohung  Gottes  zu  teil,  während  alle 
Fündigen  Völker  —  „a  specie  ad  genus"  verstanden  werden". 
Die  nahe  Verwandtschaft  des  Ausdrucks  wie  des  Gedankens  ist 
einleuchtend:  nur  dass  doch  der  biblische  Hintergrund  im  Schau- 
spielbuche erweitert3)  und,  was  nicht  ganz  ohne  Wichtigkeit, 
das  logische  Schema  gegeben  wird.  Die  „Juden"  scheinen  ver- 
vollständigt, Gedanke  und  Ausdruck  gefördert,  und  somit  die 
Ansicht  bestärkt  zu  sein,  dass  wir  nicht  nur  in  namhafte  Zeitnähe 
der  Schrift  an  die  Juden  gelangt  sind,  sondern  auch  dass  die 
„Juden"  doch  früher  als  die  Schrift  von  den  Schauspielen  ausgehe. 

Auch  die  Schrift  von  der  Taufe  liegt  nahe,  wie  mannig- 
fach zu  erweisen  steht.  Aber  während  soeben  die  „Schauspiele" 
uns  Symptome  gezeigt  haben,  die  zu  den  „Juden"  zurückweisen, 
deutet  hier  alles  darauf,  dass  die  „Juden"  der  Taufschrift  ge- 
folgt sind.  Dies  beweist  schon  die  Weise,  wie  die  „Juden" 
die  „Taufe"  aufnehmen.  Der  Christus  sanctificans  aquas  ist  eine 
prägnante  Verkürzung  eines  Lieblingsgedankens  der  Taufe.  Auch 
die  piscina  Bethsaida,  in  den  „Juden"  flüchtig  vorbeiziehend  als 
ein  Beispiel  entzogener  Gnaden,  nimmt  die  breitere  Erörterung 
auf,  die  in  der  Taufe  voranging.  Das  Gleiche  findet  auch  statt 
in  Bezug  auf  das  Leidensholz  bezw.  den  Christ  als   das   „Holz". 


1)  de  idolol.  1. 

2)  adv.  Jud.  9  (II,  723.  o.)  sie  et  Aegyptus  nonnunquain  totus  orbis 
intelligitur  apud  illuin ,  superstitionis  et  maledictionis  elogio.  Vgl.  de 
speetac.  3  (I,  23,  u.)  cum  Aegypto  et  Aethiopiae  exitium  comminatur, 
utique  in  ornnem  gentem  peccatricem  praejudicat,  si  omnis  gens  peccatiix 
est  Aegyptus  et  Aethiopia.  a  specie  ad  genus  etc. 

3)  Aethiopien  anlangend  mag  Ezech.  30,  5  vorschweben. 


86  Noeldechen,  Tertallian'c  Gegen  die  Juden. 

welches  bitteres  Wasser  zu  süssem  macht;  bei  der  petra  Christus 
steht's  ebenso.  [)  Ähnlich  ist  ferner  die  Weise,  wie  die  Taufe 
des  Herrn  besprochen  wird,  wie  auch  sonst  noch  an  Ecken  und 
Enden  die  Verwandtschaft  der  Bücher  hervorbricht.  Zwei  Stücke 
des  „Kleides  des  Glaubens",  so  lautet  der  in  der  „Taufe"  formierte 
etwas  seltsame  Ausdruck2),  —  soll  heissen  des  Glaubens  Be- 
ziehung auf  Geburt  und  Leiden  des  Herrn  —  kehren  nicht  nur 
im  „Judenbuch"  wieder,  sondern  sie  treten  hier  auf  mit  disposi- 
tioneller Bedeutung  und  mit  begrifflichem  Nachdruck.  3j  Wenn 
auch  das  chrisma  des  Königs  und  Priesters4)  ähnlich  erörtert 
und  der  Wortvorrat  beider  Schriften  als  ein  verwandter  befunden 
wird,  so  wird  wie  die  Priorität  so  die  Nähe  der  Taufschrift  ver- 
bürgt sein. 

Um  so  mehr,  als  auch  noch  ein  Einzelzug  von  echtester 
Beweiskraft  hinzukommt.  Von  des  Herrn  Advent  in  der  Niedrig- 
keit am  Schlüsse  der  „Juden"  handelnd,  hebt  der  Verfasser  her- 
vor, dass  der  Teufel  den  Judas  berückte,  und  bemerkt,  dass  der 
erstere  diesen  „selbst  nach  der  Taufe  versucht  hatte." 5)  Ich  meine, 
diese  letzte  Bemerkung  ist  zunächst  der  Erklärung  bedürftig, 
und  sie  wird  im  Bannkreis  der  „Juden"  ihre  volle  Erklärung 
nicht  finden  können.     Dem  Juden  gegenüber  erscheint   die  Be- 


1)  Hier  habe  ich  einige  Sätze  fast  unverändert  aus  „Abfassungszeit" 
S.  47  herübergenommen. 

2)  de  bapt.  13,  Anfang.  Abraham's  Glaube  war  eine  fides  nuda  ante 
domini  passionem  et  resurrectionem.  At  ubi  fides  aucta  est  credendi  in 
nativitatem,  passionem  resurrectionemque  ejus,  addita  est  ampliatio 
sacramento  .  .  .  vestimentum  quodammodo  fidei. 

3)  adv.  Jud.  8,  Anfang:  itaque  requirenda  tempora  praedictae  et  fu- 
turae  nativitatis  Christi  et  passionis  ejus  et  exterminii  civitatis  Hieru- 
salem;  cap.  9,  Anfang:  incipiamus  igitur  probare  nativitatem  Christi  etc.; 
cap.  10.  Anfang:  de  exitu  plane  passionis  ejus  ambigitis.  Dass  der  Verf. 
auf  die  Auferstehungsgeschichten  in  den  „Juden''  nirgends  ausführlich  ein- 
geht, ist  wohl  ebenso  ein  Beweis  seiner  Weisheit,  wie  dass  er  das  Detail 
der  Heilungswunder  beiseite  liess.  Dagegen  ist  das  exterminium  Hierusalem 
etwas  Greifbares.  Man  vgl.  übrigens  auch  de  virg.  vel.  1,  wo  das  vesti- 
mentum fidei  charakteristisch  erweitert  ist. 

4)  II,  734,  u.   I,  626. 

5)  adv.  Jud.  14  (II,  740,  o.)  diabolus  .  .  auctor  scilicet  Judae  traditoris, 
qui  eum  etiam  post  baptismum  temptaverat;  adv.  Marc.  III,  7 
(H,  131,  m.)  diabolus  auctor  scilicet  Judae  traditoris,  ne  dicam  etiam 
post  baptisma  temptator. 


5.   Die  Zeit.  87 

merknng  ausnehmend  überflüssig;  der  Teufel  als  furchtbarer  An- 
stifter und  Judas  als  schrecklich  Verführter  hätten,  so  will  uns 
bedünken,  dem  Juden  gegenüber  genügt.  Das  Bedürfnis  des 
jüdischen  Widerparts  konnte  jenen  Zusatz  kaum  eingeben.  Spricht 
doch  selber  die  Botschaft  nie  von  der  Taufe  des  Judas  und  bleibt 
es  doch  Theologumenon,  dass  der  Verräter  getauft  war.  Anders 
steht's,  wenn  wir  fragen,  ob  nicht  in  der  Seele  des  Schriftstellers, 
im  Zusammenhang  seiner  Beschäftigungen,  in  Verbindung  mit 
gewissen  Problemen,  welche  ihn  kürzlich  beschäftigten,  der  sonst 
befremdliche  Zusatz  seine  volle  Erklärung  wird  finden  können. 
Und  hier  bietet  die  Taufschrift  ihre  ausgezeichnete  Hülfe.  Diese 
Taufschrift  war  es  gewesen,  welche  die  Frage  erörtert  hatte,  ob 
die  Apostel  getauft  waren. 1)  Randvoll  von  diesen  Erwägungen, 
wie  immer,  auch  hier  ganz  er  selber,  sein  volles  Herz  wie  sein 
Him  auch  in  jenen  jüdischen  Kreis  tragend,  redet  er  mehr  von 
der  Taufe,  als  an  sich  hier  wohl  zu  erwarten  stünde,  colportiert 
er  auch  den  Lieblingsgedanken  von  dem  getauften  Verräter. 
Aus  den  „Juden"  ist  dann  dieser  Liebling  auch  in  Antimarcion 
eingewandert,  mit  nur  geringer  Nuance,  einer  Nuance,  die  selber 
Nuancen  der  Schrift  von  der  Taufe  zurückruft. 

Andere  Einzelgründe  für  diese  Datierung  der  „Juden",  vor 
der  Schrift  von  den  Schauspielen  und  nach  der  Schrift  von  der 
Taufe,  mit  anderen  Worten  die  Ansetzung  195 — 196  habe  ich 
früher  dargelegt.2)  Adversus  Judaeos  wird  einerseits  vor  den 
Partherkrieg  fallen,  andrerseits  nach  der  Gründung  der  römischen 
Provinz  Numidien  (194)  und  sicher  nach  Teilung  der  Syriae,  welche 
der  Kaiser  Sever  194  verfügt  hatte.  Indem  ich  hier  auf  Wieder- 
holung der  Einzelheiten  verzichte,  erörtere  ich  noch  einen  Punkt, 
der,  bisher  nirgends  gewürdigt,  als  geeigneter  Schlussstein  sich 
anbietet. 

Man    weiss    nämlich    aus    Spartianus 3) ,    dass    Caracalla    als 

1)  de  bapt.  12  (I,  630 — 632).  Zu  einer  sicheren  Entscheidung  kommt 
er  nicht.  „Nunc  sive  tincti  quoquo  modo  fuerunt  sive  illoti  perseverave- 
runt.*'  —  Trug  er  diese  „esoterische"  Frage  überhaupt  in  das  Religions- 
gespräch mit  dem  Judengenossen  hinein,  so  war  es  allerdings  die  massivere 
indicativische  Fassung  ftemptaverat),  welche  sich  am  meisten  empfahl;  adv. 
Marc.  III,  7  werden  dann  die  subtileren  Zweifel  von  de  bapt.  12  mit  an- 
klingen. 

2)  S.  Abfassungszeit  S.  48.  49.  155. 

3)  Antoninus  Caracallus  cap.  1. 


gg  Noeldechen,  Tertullian'a  Gegen  die  Juden. 

Knabe,  jener  nach  Tertullian  christiano  lacte  Genährte,  als  sieben- 
jähriger Knabe  mit  dem  jüdischen  Wesen  verwickelt  ward.  Sein 
Spielgenoss,  lautet  die  Nachricht,  ein  Knabe  —  vielleicht  etwas 
älter  als  sieben  Jahr  —  wurde  wegen  Judaisierens,  auf  Anlass 
des  Kaisers  Sever  und  zugleich  seines  eigenen  Vaters,  in  heftiger 
Weise  gezüchtigt.  Der  feinfühlige  Prinz,  auf  den  man  gr< 
Hoffnungen  setzte,  dessen  freundliches  Wesen  ihn  einst  bei  Volk 
und  Senat  beliebt  machten,  habe  lange  dem  Kaiser  und  dem 
Vater  des  Knaben  gegrollt:  so  tief  sei  die  Kränkung  des  Spiel- 
gefährten von  dem  jungen  Prinzen  empfunden  worden.  So  weit 
die  freilich  dürftige  Nachricht.  Da  Antonin  Caracalla  1SS  ge- 
boren war  und  zwar  am  vierten  April1),  so  liegt  jener  fragliche 
Vorfall  zwischen  Frühjahr  195  und  Frühjahr  196.  Dass  der 
letztere  zeitig  bekannt  ward,  wird  man  für  wahrscheinlich  halten. 
Prinzenlaunen  sind  anziehend  und  machen  leicht  von  sich  reden: 
auch  liegt  im  Bericht  Spartian's  wohl,  dass  der  judaisierende 
Knabe  notabler  Familie  zugehörte,  ein  Umstand,  dann  gleichfalls 
geeignet,  die  Anekdote  in  Kurs  zu  bringen.  Jede  massig  lebendige 
Anschauung  vom  Verkehr  zwischen  Rom  und  Karthago  wird 
auch  dies  als  probabel  erscheinen  lassen,  dass  auch  in  der  Haupt- 
stadt von  Afrika,  wo  zahlreiche  Juden  zuhause  waren,  das  Tages- 
gespräch sich  den  Fall  in  ergiebiger  Weise  zu  Nutze  machte. 
Handelte  es  sich  in  Italien  um  Judai'sieren  des  Römerknaben, 
so  weiss  Tertullian  ja  sein  Teil  von  juda'isierenden  Römern,  zu- 
nächst wohl  der  eigenen  Heimat.  Einen  solchen,  der  den  heid- 
nischen Vorfahren  ausdrücklich  den  Rücken  zukehrend,  zum  Mono- 
theismus bekehrt  war,  führt  uns  seine  kleine  Schrift  vor.  Die 
Combination  liegt  sehr  nahe,  dass  jenes  Gespräch  in  Karthago 
gar  in  ursächlichem  Nexus  mit  dem  römischen  Vorfall  gestanden 
hat.  Nicht  grade,  dass  der  Judengenosse  erst  frisch  auf  den 
Eindruck  der  Nachricht  von  dem  „Judenfreund"  Caracalla  zum 
Judentum  convertiert  war,  wohl  aber,  dass  er  sich  vorwagte, 
während  jenes  Gerede  noch  frisch  war.  Die  Zeit  stimmt  auf 
das  genaueste:  195 — 196  sind  jene  Schläge  gefallen,  die  des 
Prinzen  Gemüt  so  verletzt  haben:  196  ist  das  Jahr,  das  als  das 
weitaus  wahrscheinlichste  sich  für  jene  Debatte  ergab,  deren 
Niederschlag  unsere  Schrift  ist.  Eine  Analogie  der  Berühmtheit 
der  beiden  Fälle  ist  einleuchtend,  des  italischen  und  afrikanischen; 

1)  Tillemont  Histoire  des  Einpereurs  ITT  S.  24. 


Schluss.  89 

von  ersterem  ist  hier  vorlier  geredet,  von  letzterem  reden  die 
„Juden'*,  die  eine  praerogativa.  einen  ganz  eigentümlichen  Vor- 
zug des  Gesprächs  in  dem  Umstand  erblicken,  dass  hier  ein 
Judengenosse,  nicht  ein  Geburtsjude  auftrat.  Will  man  andrer- 
seits freilich  Beweise  aus  dem  vorliegenden  Schriftstück,  dass 
der  überseeische  Vorfall,  dass  jener  reizbare  Prinz  und  die  Prügel 
seines  Jugendgefährten  in  solchem  Zusammenhang  standen  mit 
jenem  Gespräch  in  Karthago,  so  hiesse  dies  doch  wohl  zu  viel 
fordern.  Wir  haben  die  Vorgeschichte  des  Buches  gegen  die 
Juden;  wir  wissen,  dass  es  sich  anlehnte  an  das  fragliche  Streit- 
gespräch: eine  Vorgeschichte  der  Vorgeschichte  wird  allerdings 
nicht  geliefert.  Was  man  sicher  wird  ablehnen  dürfen,  ist  der 
überkritische  Zweifel,  ob  Spartian  nicht  vielleicht  doch  am  Ende 
die  Christen  mit  den  Juden  verwechselt,  ob  jenes  gezüchtigte 
Kind  zum  Christentume  geneigt  habe.  Dazu  zeigt  er  sich 
sonst  doch  zu  sicher  in  der  Unterscheidung  von  Christen-  und 
Judentum.    (S.  Spartiani  Severus  cap.  17.)   . 

Schluss. 

Der  Leser,  der  diesen  Darlegungen  bis  hierher  sein  Auge 
geliehen  hat,  weiss,  dass  die  Echtheit  der  „Juden"  als  Ganzes 
nicht  mit  erörtert  ward. J)  Die  Echtheit  des  ersten  Teiles  wird 
eben  so  vorwiegend  eingeräumt,  dass  wir  nicht  Wasser  ins  Meer 
oder  ..Zucker  nach  Magdeburg"  tragen  wollten.    Mit  dem  Erweise 

1)  Dieser  Erweis  lässt  sich  —  auch  grammatisch -lexikalisch -stilis- 
tisch —  zu  vollster  Genüge  führen.  Hier  nur  ganz  weniges.  Wo  immer 
der  Text  der  ,, Juden"  vom  Antimarcion  abweicht,  d.  i.  im  allgemeinen  stets 
da,  wo  letzterer  der  Kürzung  beflissen  ist,  ist  auch  der  Ausdruck  der 
„Juden"  durchaus  tertullianisch.  Vgl.  porrigere  111,651  (11,728,  11,146). 
Dazu  1,  69.  199,  o.  275,  u.  SOS.  720.  831.  II,  15S  m.  269,  m.  317,  u.  354,  o. 
538.  562,  u.  626,  m.  670,  u.;  gestire  III,  644,  u.  (II,  721,  II,  139).  Dazu 
1,  113.  115.  121.  227.  649,  u.  676,  o.  812.  843.  II,  120.  162.  173,  o.  210. 
349,  o.  556,  u.  721;  regno  mit  dem  Dativ  (Antimarc.  impero)  III,  656,  m. 
(II,  741,  u.  II.  150,  u.).  Dazu  I.  392,  o.;  provoco  cum  accus.  (Antim.  pro- 
voco  ad)  III,  643  (II,  720.  II,  137  =  Adv.  Marc.  III,  12  Anfang).  Dazu  Adv. 
Marc.  IV,  Anfang.  (Das  häufigere  prov.  ad  s.  II,  158.  320, o.  356,  o.);  ambigere 
III,  650  (II,  727.  II,  145)  ist  selten  bei  Tert.  (öfters  ambiguitas  II,  383,  o. 
550.  551),  findet  sich  aber  auch  II,  682,  m.;  peccantia  delictorum  adv. 
Jud.  9.  10  ist  nur  dort  zu  lesen,  aber  vgl.  audientia,  volentia,  significantia; 
diftidentia,  sufterentia,  congruentia,  convenientia,  ignoscentia,  sufficientia, 
multinubentia,  multivorantia,  apparentia,  delinquentia,  accidentia  und  das 
häufige  concupiscentia. 


9()  Noelclechen,  Tertullian's  Gegen  die  Juden. 

der  Einheit  der  beiden  Teile  des  Buches  konnte  die  Echtheits- 
frage als  gleichzeitig  erledigt  gelten.  Dass  die  Aufzeigung  der 
Motive,  welche  so  zahlreiche  Änderungen  im  Antimarcion  ein- 
gaben, bei  der  Echtheitsfrage  sehr  mitspricht,  wird  man  wohl 
allseitig  zugestehn.  Auch  die  Besprechung  der  Zeitfrage  konnte 
gar  nicht  umhin,  stillschweigend  gleichfalls  die  Echtheit  des  Ganzen 
mit  zu  erhärten.  Indessen  ein  allgemeiner  Gesichtspunkt,  für 
dessen  genaue  Besprechung  sich  bisher  keine  Stelle  geboten  hat, 
mag  hier  noch  am  Schlüsse  zur  Sprache  kommen,  um  so  mehr 
als  derselbe  direkt  mit  der  Einheit  und  Echtheit  zu  schaffen  hat 
und  so  die  vielleicht  noch  vorhandene  Lücke  zu  füllen  geeignet 
ist.  Als  durchaus  tertullianisch  erweist  sich  nämlich  dies  Schriftchen, 
insofern  sein  formeller  Aufbau  schlechthin  dem  Karthager  gemäss 
ist.  Es  gilt  das  ganz  insbesondere  von  seinem  Eingang  und  Ende. 
Genau  so  wie  in  de  Corona  und  sehr  ähnlich  wie  in  de  fuga 
wird  ein  äusserer  Anlass  zum  Ausgangspunkt;  selbst  die  Worte 
sind  beinahe  gleichlautend. 1)  Und  genau  so  wie  in  de  Corona 
beliebt  es  dem  Verfasser  auch  hier  nicht,  nach  sonstigen  stilisti- 
schen Mustern  am  Schlüsse  zum  Anfang  zurückzubiegen 2)  und 
auf  jenen  äusseren  Anlass  die  Blicke  des  Lesers  zurückzulenken. 
Vom  endlichen  Geschicke  des  Tapfern,  der  in  de  Corona  gefeiert 
ward,  erfahren  wir  nicht  eine  Silbe,  schon  darum  nicht,  weil  sein 
Process  offenbar  nicht  zu  Ende  gediehen  war.  Von  irgend 
welchem  äusseren  Erfolge  des  Gesprächs  mit  dem  Judengenossen 
wird  ebenmässig  geschwiegen;  mochte  doch  auch  hier  nichts  zu 
melden  sein,  was  dem  Autor  der  Rede  wert  schien.  Allfällig  be- 
herrscht den  Verfasser  in  beiden  Fällen  die  Sache,  und  der 
persönliche  Anteil  geht  wesentlich  im  sachlichen  unter.  Insofern, 
könnte  man  sagen,  verläuft  sich  der  geschichtliche  Anlass  in 
beiden  Büchern  im  Sande;  wer  auf  Thatsachen  erpicht  ist,  wird 
sich  hier  spärlich  bedient  sehn.  Trifft  nun  aber  in  dieser  Be- 
ziehung das  solenne  Gleichnis  der  Schlange,  welche  sich  selbst 
in  den  Schwanz  beisst,  trifft  jener  Kreislauf  des  Stiles,  ein  Symbol 
seiner  Vollkommenheit,  in  beiden  Büchern  nicht  zu,   so  fehlt  es 


1)  „Juden" :  proxime  accidit,  disputatio  habita  est  etc. ;  de  cor. :  pro- 
xime  factum  est,  liberal itas  praestantissimorurn  iruperatorum  expungebatur 
in  castris. 

2)  vgl.  hier  S.  40.  Anm.  1.  Wir  unterschieden  schon  dort  zwischen 
vorletztem  und  letztem  Satz. 


Schluss.  91 

doch  liier  wie  dort  nicht  au  deutlichem  rhetorischen  Abschluss. 
Hier  ist  ja  die  Analogie  tertullianischer  Schriften  sehr  mächtig. 
In  den  „Juden"  wie  in  de  Corona,  in  fast  sämtlichen  Büchern 
des  Schriftstellers  läutet  es  gleichsam  zum  Schluss:  Parallelen 
uud  Antithesen,  wohlgezimmerte  Alternativen  oder  blendendes, 
bissiges  Witzwort  *)  verkünden,  dass  der  Ausgang  zur  Hand  ist. 
Irgend  ein  rhetorischer  Donnerkeil,  zum  mindesten  eine  ge- 
schmücktere  Wendung  entlässt  den  Leser  am  Schlüsse.  So  ist's, 
wie  gesagt,  denn  auch  hier.  So  entwurfsmässig,  so  locker,  so 
sehr  nach  rückwärts  gewendet  zu  dem  Hin  und  Her  des  Gespräches 
der  zweite  Teil  sich  auch  geben  mag,  diesen  Stempel  der  rheto- 
rischen Kunstform,  als  stehe  er  selbst  beim  Entwurf  in  ihrem 
stilistischen  Banne,  beliebt  der  Verfasser  ihm  aufzudrücken.  Er 
wählt  hier  die  Alternative  in  jener  erweiterten  Form,  die  nicht 
zwei-  sondern  dreierlei  wahlfrei  lässt,  wie  genau  dergleichen 
noch  einmal  in  dem  Buch  von  der  Einehe  wiederkehrt.  So 
kommt  denn  ein  Schluss  hier  heraus,  der,  wenn  wir  früher  Er- 
örtertes hier  ins  Gedächtnis  zurückrufen,  sich  in  doppelter  Hin- 
sicht kunstreich  zeigt.  Jenes  populi  nationes  des  Eingangs 
klingt  wieder  im  vorletzten  Schlusssatze,  und  das  dreimal  er- 
tönende aut,  als  dringende  Instanz  des  letzten,  vollendet  schliess- 
lich das  Ganze.  Diese  so  formulierte  Instanz  ist  dem  Autor  auch 
vollkommen  gegenwärtig  zur  Zeit,  wo  er  den  Pontiker  angreift: 
sie  gehört  in  die  Reihe  der  Anlehen,  welche  zu  machen  er  gut 
fand.  Aber  gleich  als  könne  er  sich  später  eine  gewisse  Ver- 
schwendung gestatten,  streut  er  jene  Alternative  in  die  Mitte 
eines  Kapitels.2)  Eine  neue  Antithese  beschliesst  dann,  nicht 
eben  fern  von  dem  obigen,  das  dritte  Buch  gegen  Marcion. 

Fragen  wir  nach  dem  Ertrag  der  bisherigen  Untersuchung, 
so  könnte  uns  die  Meinung  begegnen,  er  müsse  schon  darum  ge- 
ring heissen,  weil  denn  doch  die  Schrift  an  die  Juden,  sie  sei  nun 

1)  Parallele  de  fuga  (I,  492)  de  pat.  (I,  615)  de  poenit.  (I,  665)  de  ex- 
hort.  east.  (1,  757).  —  Antithese  adv.  Marc.  IV  (II,  273)  adv.  Marc.  V 
(II,  335)  adv.  Valent.  (II,  422)  de  anima  (II,  650)  ad  mart.  (1, 14)  ad  natt.  I 
(I,  348)  ad  natt.  II  (I,  398)  de  test.  animae  (I,  412)  de  cor.  (I,  457)  ad  ux.  1 
(I,  682);  Alternative  de  inonog.  (I,  787);  Witz  de  pud.  (I,  847)  de  jej. 
(I,  879)  adv.  Herrn.  (II.  378). 

2)  allerdings  nicht  mathematisch  zu  nehmen.  S.  adv.  Marc.  III,  22. 
Es  ist  der  drittletzte  Satz.  Immerhin  ist  das  nicht  nur  nicht  Buchende, 
sondern  auch  nicht  einmal  Kapitelschluss. 


».12  Noeldechen,  Tertullian  V  Gegen  die  Juden. 

echt  oder  unecht,  teilweise  echt,  teilweise  unecht,  hie  und  da 
kunstreich  im  einzelnen  oder  echterer  Kunstform  ganz  bar,  zu  den 
erheblichen  Leistungen  Tertullian's  nicht  gehöre.  Es  lässt  sich 
darauf  erwidern,  dass  für  die  geschichtliche  Forschung  das  schlecht- 
hin Kleine  nicht  da  ist.  Nicht,  was  die  Schrift  an  sich  wert  ist, 
ist  zudem  hier  die  Hauptfrage:  vielmehr  wie  sie  entstanden,  wann 
und  von  wem  sie  geschrieben  ist.  Ist  sie  minderwertig  zu  nennen, 
so  wird  dieser  Minderwert  selber  das  Gesamtbild  des  Autors  be- 
einflussen, und  ein  Stückchen  von  seiner  Glorie  könnte  Tertulliau 
immer  missen.  Die  Kritik  war  wirklich  beflissen,  Tertullian 
gleichsam  zu  entlasten,  ihn  vom  Verdacht  zu  befreien,  dass  er 
Schriften  wie  diese  verbrochen  habe,  aber  diese  Bemühung  war 
überflüssig.  Ahnlich  war  man  früher  bereits  mit  den  „Valenti- 
nianern"  verfahren,  nur  dass  diese  heute  erfolgreich  ihr  altes 
Odium  abschütteln.1)  Geschmacksurteile  der  Art  werden  auch 
weiterhin  weichen  müssen.  Sollen  hier  Vergleiche  erlaubt  sein,  so 
kann  man  aus  dem  Altertum  selber  das  „Deo  dignuni"  heranziehn; 
auch  dieser  Massstab  war  angethan,  subjektivem  Belieben  anheim- 
zufallen. Oderman  magdesNoetos  berühmte  Frage  vergleichen:  Was 
thue  ich  eigentlich  Schlimmes,  wenn  ich  Christus  verherrliche? 
Wissenschaftlich  ebenso  wertlos  sind  Verherrlichungen  von  Schrift- 
stellern auf  Kosten  der  geschichtlichen  Wirklichkeit.  Zudem  wird 
sich  schliesslich  herausstellen,  dass  das  Streitobjekt  gar  nicht  so 
klein  war,  um  das  es  hierorts  sich  handelte.  Die  Frage  nach  Echt- 
heit und  Einheit,  wie  nach  der  Entstehung  der  „Juden"  erscheint 
von  entschiedener  Wichtigkeit  für  das  Gesamtverständnis  des 
Schriftstellers.  Als  echt  und  einheitlich  dargethan  und  richtig  in 
den  Process  der  Entwickelung  seines  Urhebers  eingefügt,  ist  das 
Buch  „gegen  die  Juden"  als  Erkenntnissmittel  unschätzbar,  zeigt, 
wie  der  Mann  gearbeitet,  und  gestattet  wie  kaum  etwas  andres 
einen  Einblick  in  seine  WTerkstatt.  Losgelöst  von  diesem  Schrift- 
steller gliche  das  Werk  allerdings  wohl  einer  fast  wertlosen 
Planke,  die  im  wüsten  Strome  der  Zeit  schwimmt.  Genommen 
als  das,  was  sie  ist,  wird  die  Arbeit  ein  wertvoller  Baustein,  der 
sich  als  vollkommen  passlich  in  das  grössere  Gefüge  mit  einrückt. 

1)  Namentlich  war  Munter  (Primordia  Eccles.  African.)  geneigt,  die 
„Valentiniani"  Tertullian  abzusprechen.  Später  finden  wir  Harnack  und 
Lipsius,  die  sonst  die  ,,Val."  anlangend  in  Einzelfragen  von  einander 
abweichen,  in  der  Anerkennung  der  Echtheit  ganz  einig. 


DIE 

PREDIGT  UND  DAS  BRIEFFRAGMENT 

DES 

ARISTIDES 

AUF  IHRE  ECHTHEIT  UNTERSUCHT 
VON 

PAUL  PAPE. 


Texte  u.  Untersuchungen  XII,  2.  7 


Was  man  von  dem  Apologeten  Aristides  vor  Auffindung 
seiner  Apologie  wusste,  war  sehr  gering  und  ging  lediglich  zu- 
rück auf  die  kurze  Mitteilung  des  Eusebius  in  seiner  Kirchen- 
geschichte IV.  33.  Die  Mitteilungen  des  Hieronymus  in  De 
viris  ill.  20  und  Ep.  70, 4  sind  offenbar  nur  eine  willkürliche 
Ausschmückung  dessen,  was  er  aus  Eusebius  überkommen  hat; 
denn  gelesen  hat  er  jedenfalls,  das  geht  aus  der  ganzen  Art  und 
Weise  des  Berichtes  hervor,  die  Apologie  nicht. 

Erst  im  Jahre  1878  gaben  die  Mechitaristen  zu  S.  Lazzaro 
ein  in  einer  armenischen  Handschrift  des  10.  Jhs.  gefundenes 
Fragment  der  Apologie  heraus,  zugleich  aber  eine  in  einer  an- 
deren Handschrift  des  12.  oder  13.  Jhs.  (Vetter,  theol.  Quartal- 
schrift 82)  gefundene  Homilie  „Ad  latronis  clamorem  et  crucifixi 
responsionem."  Der  Irrtum  der  Herausgeber,  welche  Aristeay 
in  der  Überschrift  derselben  lasen,  ist  durch  die  genaue  Unter- 
suchung von  Vetter  richtig  gestellt,  welcher  nach  eigener  Ein- 
sicht in  den  Codex  Aristite  gelesen  hat.  Dies  wird  auch  bestätigt 
durch  den  Codex  von  Etschmiadzin,  welcher  den  Namen  des 
Philosophen  richtig  bringt.  Diese  Handschrift  enthält  genau  das- 
selbe Bruchstück  der  Apologie,  wie  die  zuerst  erwähnte  Hand- 
schrift. Martin  in  Pitra,  Analecta  sacra  IV,  gab  aus  einem 
armenischen  Codex  zu  Paris  ausserdem  noch  ein  nur  wenige 
Zeilen  umfassendes  Fragment  aus  einem  auch  den  Namen  Aristi- 
des  tragenden  „Sendschreiben  an  alle  Philosophen". 

Während  nun  die  Echtheit  der  Apologie  durch  Auffindung 
eines  vollständigen  syrischen  Textes ,  sowie  eines  grosse  Teile 
umfassenden  griechischen  in  der  Erzählung  „Barlaam  und  Josa- 
phat"'  ausser  Zweifel  gestellt  ist,  ist  die  Homilie  von  vornherein 
auf  starken  Widerspruch  gestossen  (bes.  Harnack,  Texte  und 
Untersuchungen  I.  i  und  RE.),  ja  selbst  katholische  Gelehrte,  wie 
Himpel  (theol.  Quartalschr.  80)  wagten  nicht,  für  die  Echtheit 


4  Pape,  Die  Predigt  und  das  Brieffragment  des  Aii-tides. 

derselben  einzutreten.  Allerdings  fehlte  es  bis  vor  kurzem  an 
einer  eingehenden  Untersuchung  dieses  im  Falle  der  Echtheit 
hochwichtigen  Literaturdenkmals,  bis  endlich  Prof.  Zahn  in  Er- 
langen in  seinen  „Forschungen  z.  Gesch.  d.  neutest.  Kanons"  V. 
S.  415 — 37  die  Homilie  und  das  Brieffragment  zum  Gegenstande 
einer  Untersuchung  machte ,  in  welcher  er  die  Echtheit  beider 
Schriftstücke  auf  das  entschiedenste  behauptete.  Mit  derselben 
Frage  beschäftigte  sich  sodann  der  Erlanger  College  Zahns,  Prof. 
Seeberg,  in  seiner  kleinen  Schrift  „Der  Apologet  Aristides" 
1894,  nahm  in  allen  wesentlichen  Punkten  dessen  Aufstellungen 
auf  und  suchte  sie  nur  ausführlicher  zu  begründen. 

Trotz  der  Sicherheit  nun,  mit  welcher  beide  Gelehrte  ihre 
Behauptungen  aufgestellt  und  ihre  Schlüsse  gezogen  haben, 
scheint  es  geboten,  diese  Festsetzungen  nochmals  einer  genauen 
Untersuchung  zu  unterziehen,  da  es  den  Anschein  hat,  als  sei 
eine  grosse  Anzahl  bedeutender  Schwierigkeiten,  welche  sich  der 
Anerkennung  der  Echtheit  in  den  Weg  stellen ,  gar  nicht  oder 
nicht  genug  gewürdigt  worden,  ebenso,  dass  die  Tragweite  und 
der  Umfang  der  Schlussfolgerungen  zu  den  für  sie  vorgebrachten 
Argumenten  in  keinem  Verhältnis  stehen. 

Schon  was  die  Anordnung  des  Stoffes  betrifft,  Hesse  sich 
ein  Einwand  erheben.  Beide  Forscher  stellen  die  Untersuchung 
über  das  kleine  Brieffragment  voraus.  Nun  lässt  sich  darüber 
allein  nicht  viel  sagen,  da  die  drei  Zeilen  zu  wenig  Anhaltspunkte 
bieten.  Wenn  man  sich  über  die  in  dem  kleinen  Stücke  ent- 
haltenen dogmenhistorischen  Schwierigkeiten  hinwegsetzt  oder 
sie  nicht  anerkennt,  ist  es  ein  leichtes,  die  Existenz  der  ganzen 
Schrift  und  ihre  Echtheit  zu  behaupten,  und  man  hat  dadurch 
den  Vorteil,  für  die  Untersuchung  der  Homilie  bereits  mit  zwei 
als  echt  erwiesenen  Aristidesschriften  operieren  zu  können.  (See- 
berg S.  11.  Die  Tradition  der  Armenier  wird  als  unverdächtig 
bezeichnet,  nachdem  sie  sich  bereits  an  der  Apologie  und  an  dem 
Sendschreiben  als  richtig  erwiesen  habe).  Dagegen  lässt  sich  aber 
einwenden,  dass  es  richtiger  ist,  die  Homilie,  welche  der  Unter- 
suchung weit  mehr  Anhaltspunkte  bietet,  zuerst  zu  behandeln, 
da  von  ihrer  Echtheit  oder  Unechtheit  ein  weit  besserer  Schluss 
auf  die  Glaubwürdigkeit  des  Brieffragments  gezogen  werden 
kann,  als  umgekehrt.  Denn  wenn  sich  die  Homilie  als  unecht 
erweist,  dann  wird  die  Tradition  betreffs    des  Briefes  von  vorn- 


L'ape,  Die  Predigt  und  das  Brieffraginent  des  Aristides.  5 

herein  als  höchst  verdächtig  erscheinen,  während  es  für  die 
Homilie  nur  von  untergeordneter  Bedeutung  ist,  ob  das  Frag- 
ment anzuerkennen  sei  oder  nicht,  da  jene  die  Grundlagen  für 
ihre  Beurteilung  lediglich  in  sich  selbst  trägt.  Es  wird  dem- 
nach in  erster  Linie  die  Homilie  einer  eingehenden  Untersuchung 
zu  unterziehen  sein,  und  da  müssen  wir  vor  allem  die  Haupt- 
stütze der  Aufstellungen  Zahns  und  Seebergs,  die  Traditionsfrage, 
in  Erwägung  ziehen. 

Beide  Gelehrte  bezeichnen  die  Tradition  als  unverdächtig. 
Der  Apologet  Aristides  sei  keine  Berühmtheit  gewesen,  dass  man 
ihm  hätte  derartige  Schriftstücke  zuschreiben  können;  auch  lege 
die  gelehrte  Überlieferung  dem  Aristides  keine  Homilie  bei;  das 
Schweigen  des  Eusebius  habe  keine  Bedeutung,  da  er  ja  auch 
über  die  Apologie  nicht  aus  eigener  Anschauung  berichte.  Gegen 
diese  Ausführungen  kann  folgendes  eingewendet  werden:  Mögen 
nun  die  beiden  in  Frage  stehenden  Schriften  echt  sein  oder  nicht 
—  schon  die  Thatsache,  dass  von  allen  Kirchen  des  Altertums 
die  armenische  allein  uns  3  Schriftstücke  unter  dem  Namen  des 
Aristides  aufbewahrt  hat,  verbürgt  uns,  dass  der  Name  Aristides 
bei  den  Armeniern  einen  guten  Klang  hatte.  Welche  Umstände 
diese  besondere  Wertschätzung  veranlasst  haben,  wissen  wir 
allerdings  nicht,  doch  dies  fällt  auch  hier  keineswegs  ins  Gewicht, 
da  wir  ja  über  das  Leben  und  die  Geschicke  der  armenischen 
Kirche  der  ältesten  Zeit  überhaupt  nur  sehr  spärlich  unterrichtet 
sind.  Jedenfalls  aber  war  es  einer  der  ältesten  Namen  der  christ- 
lichen Litteratur,  und  es  konnten  ihm  daher  sehr  wohl  in  dog- 
matisch-polemischem Interesse  Schriftstücke  untergeschoben  wer- 
den. So  haben  z.  B.  die  Apollinaristen  bei  ihren  Fälschungen 
am  Ende  des  4.  Jhs.  nicht  nur  berühmten  Schriftstellern,  wie 
Justin  und  Athanasius,  ihre  eigenen  Schriften  untergeschoben, 
sondern  auch  dem  als  Schriftsteller  gar  nicht  berühmten  Felix, 
Bischof  von  Rom  [Harnack,  Gesch.  d.  altchristl.  Litteratur 
S.  659  f.].  Allein  nicht  sowohl  darauf  wird  man  sich  zu  berufen 
haben,  als  auf  die  Beobachtung,  dass  ein  christlicher  „philo- 
sophus  Atheniensis  aus  der  1.  Hälfte  des  2.  Jhs." — als  welchen 
man  den  Aristides  kannte  —  kein  homo  ignobilis  war,  sondern 
für  theologische  Fragen  aller  Art  ein  homo  nobilissimus.  Reichte 
er  auch  nicht  ganz  an  den  Dionysius  Areopagita,  assecla  Pauli 
apostoli,  heran,  so  kam  er  ihm  doch  nahe. 


6  Pape,  Die  Predigt  und  das  Brieffragment  des  Aristides. 

Allerdings  schreibt  die  gelehrte  Tradition  dem  Aristides  keine 
Homilie  zu;  aber  dass  dies  zu  Gunsten  der  Echtheit  spreche,  ist 
nicht  ersichtlich.  Denn  wenn  nach  Zahn  die  armenische  Tradition 
auf  eine  griechische  des  5.  Jhs.  zurückgeht,  und  die  Homilie, 
sowie  die  Epistel  um  jene  Zeit  in  „Kappadocien  und  Konstanti- 
nopel" unter  dem  Namen  des  Aristides  vorhanden  war,  so  er- 
scheint es  doch  merkwürdig,  dass  sich  von  dieser  Tradition  keine 
Spur  in  der  griechischen  Kirchenlitteratur  erhalten  haben  sollte. 
Denn  wenn  diese  Tradition  auf  Richtigkeit  beruht,  dann  kann 
sie  nicht  erst  im  5.  Jh.  entstanden  sein,  dann  muss  auch  in 
früherer  Zeit  bereits  neben  der  Aristidesapologie  von  einer 
Aristideshomilie  und  einem  Aristidessendschreiben  an  alle  Philo- 
sophen gesprochen  worden  sein,  und  dann  ist  es  wunderbar,  dass 
dem  Eusebius,  der  die  Tradition  betreffs  der  Apologie  kannte, 
diejenige  betreffs  der  anderen  Schriften  unbekannt  geblieben  sein 
soll.  Wenn  ferner  Seeberg  anlässlich  der  vielfachen  Berührungen 
der  Homilie  mit  der  13.  Katechese  des  Cyrill  von  Jerusalem  es 
für  durchaus  nicht  verwunderlich  erklärt,  dass  Cyrill  (350 — 86) 
die  Homilie  des  Aristides  gekannt  haben  könne,  so  erheben  sich 
gerade  daraus  wieder  neue  Schwierigkeiten  gegen  die  Tradition. 
Wenn  nämlich  die  Homilie  im  4.  Jh.  in  Jerusalem  bekannt  war, 
ist  es  wiederum  unerklärlich,  dass  ein  Forscher  wie  Eusebius, 
ein  palästinensischer  Bischof,  davon  nichts  gewusst  hat.  Noch 
merkwürdiger  aber  wäre  es,  dass  Hieronymus,  der  ja  alle  Littera- 
turnachrichten,  deren  er  habhaft  werden  konnte,  emsig  sammelte, 
von  dem  Vorhandensein  einer  solchen  Homilie  nichts  gehört 
haben  sollte,  obwohl  er  sich  seit  384  in  Palästina  und  vielfach 
in  Jerusalem  aufgehalten  hatte  und  mit  einem  Nachfolger  Cyrills, 
dem  Bischof  Johannes,  eine  Zeitlang  in  engstem  Verkehre  stand. 

Es  muss  demnach  gegenüber  jenen  Behauptungen  gesagt 
werden,  dass  es  erstens  durchaus  nicht  befremden  kann,  wenn 
dem  Aristides  in  der  armenischen  Kirche  Schriften  untergeschoben 
worden  sind  —  zumal,  wenn  sich  zeigen  sollte,  dass  sie  sich 
gegen  die  theologische  Richtung  wandten,  welche  die  Armenier 
am  stärksten  bekämpften,  die  Nestorianer  — ,  und  dass  zweitens 
das  Schweigen  der  gesamten  griechischen  Litteratur  nicht  so 
bedeutungslos  ist,  als  es  von  Zahn  und  Seeberg  dargestellt  wird. l). 

1)  Nur  nebenbei  sei  auf  die   Schwierigkeit   aufmerksam   gemacht,   die 
sich  ergiebt,    wenn  man    sich   die   Art  der  ältesten  Überlieferung  der  so 


Pape,  Die  Predigt  und  das  Brieffraginent  des  Aristides.  7 

Das  Ergebnis  in  betreff  der  Traditionsfrage  könnte  also 
etwa  so  gefasst  werden :  für  die  Annahme  der  Echtheit  ergiebt 
sich  ans  ihr,  wenn  genügende  innere  Gründe  vorhanden  sind, 
gerade  kein  Hindernis;  andrerseits  aber  kann  aus  der  Tradition 
kein  irgendwie  erhebliches  Argument  für  die  Echtheit  gezogen 
werden,  wenn  derartige  Gründe  fehlen  oder  gar  gegenteilige 
gefunden  werden  sollten. 

Demnach  wird  der  Schwerpunkt  der  ganzen  Frage  auf  der 
Untersuchung  der  inneren  Merkmale  ruhen  müssen.  Der  erste 
Anhaltspunkt,  der  sich  uns  darbietet,  die  Homilie  auf  ihre  Zu- 
gehörigkeit zu  Aristides  zu  prüfen,  ist  ein  Vergleich  mit  der 
Apologie  desselben  Schriftstellers.  Es  werden  demnach  diese 
beiden  Schriften  daraufhin  zu  betrachten  sein,  ob  beide  von 
einem  und  demselben  Verfasser  herrühren  können. 

In  diesem  Punkte  ist  das  von  Zahn  und  Seeberg  gebotene 
Material  sehr  gering.  Zahn  begnügt  sich,  abgesehen  von  zwei 
Punkten  (Annagelung  und  Schrifterwähnung),  auf  welche  später 
zurückzukommen  sein  wird,  mit  der  Bemerkung  in  Punkt  5  des 
Schlussresultates:  „Es  fehlt  nicht  an  bemerkenswerten  Berüh- 
rungen in  Gedanken  und  Ausdruck  zwischen  der  Predigt  und 
der  Apologie;  jedenfalls  besteht  keine  nachweisbare  Ver- 
schiedenheit in  Bezug  auf  die  Denkweise  und  den  Bil- 
dungsgrad zwischen  dem  Verfasser  der  einen  und  der 
anderen  Schrift."  Für  die  letztere  Behauptung  ist  Zahn  aller- 
dings den  Beweis  schuldig  geblieben,  leider,  denn  es  wird  sich 
zeigen,  dass  sich  gerade  von  diesem  Punkte  aus  gewichtige  Be- 
denken gegen  die  Identität  der  Verfasser  ergeben. 

Die  von  Seeberg  angeführten  Berührungspunkte  werden 
nicht  so  schwer  ins  Gewicht  fallen,  um  die  gegenteiligen  Be- 
denken aufheben  zu  können.  Denn  teils  giebt  er  selbst  zu, 
dass  manches  auf  Zufall  beruhen  mag  (S.  11.  2),  zumal  wir 
nicht  wissen  können,  wie  weit  derartige  Ähnlichkeiten  im  Aus- 
drucke auf  den  armenischen  Übersetzer,  beziehungsweise  Be- 
arbeiter oder  Verfasser,  zurückzuführen  sind,  teils  sind  die  vor- 
kommenden Berührungen  mancher  Gedanken  (z.  B.  die  Bezeichnung 

kurzen  Homilie  vorstellen  soll.  War  sie  stets  mit  der  Apologie  verbunden 
—  dann  müsste  die  Kunde  von  ihr  auch  zu  Eusebius  gekommen  sein  — , 
oder  hat  sie  für  sich  circuliert  —  dann  ist  ihre  Erhaltung  schwer  begreif- 
lich — ,  oder  war  sie  mit  Werken  anderer  Schriftsteller  verbunden? 


8  Pape,  Die  Predigt  und  das  Brieffragment  des  Aristid. 

der  Juden  als  Mörder  des  Herrn)  ziemlich  natürlich,  und  BpecieL1 
dieser  Gedanke  ist  ein  so  selhstverständ] icher  und  geläufiger,  dasfl 
diese  AhrUchkeit  kaum  auffallen  kann. 

Manche  der  Berührungspunkte  endlich,  die  Seeberg  anführt, 
sind  in  der  That  sehr  wohl  anfechtbar.  Wenn  in  beiden  Schriften 
die  Kraft  des  göttlichen  Wortes  betont  wird,  ist  dies  erstens 
durchaus  kein  merkwürdiger  Gedanke,  zweitens  aber  ergiebt  sich 
bei  genauerer  Betrachtung  der  betreffenden  Stellen  ein  wesent- 
licher Unterschied.  Wenn  der  Apologet  von  der  Kraft  spricht, 
die  über  dem  Evangelium  ist,  IL  7,  die  aus  den  Schriften  der 
Christen  auf  den  Leser  ihre  Wirkung  ausübt,  XVI.  5.  XVII.  1,  so 
ist  das  doch  etwas  wesentlich  anderes,  als  wenn  der  Prediger  1. 2 
von  der  geheimnisvollen  Kraft  der  Rede,  nämlich  der  Worte  des 
Schachers  und  der  Antwort  des  Gekreuzigten,  oder  VI.  2  von  dem 
lebenschaffenden  Worte  Christi  spricht,  denn  an  keiner  dieser 
beiden  Stellen  ist,  wie  dort,  von  der  Kraft  des  Schriftwortes 
die  Rede. 

Während  Ap.  I.  6  die  Unmöglichkeit  ausgesprochen  wird, 
dass  Gott  einen  Gegner  habe,  weil  keiner  stärker  sei  als  er,  ist 
in  der  Predigt  bloss  der  Gedanke  als  unsinnig  hingestellt,  dass 
Gott  und  Christus  gegenseitig  Widersacher  sein  könnten;  also 
auch  hier  eine  wesentliche  Differenz. 

Ebensowenig  stimmt  die  Berührung  von  Hom.  IV.  2  „ver- 
gänglich und  verdorben",  wo  von  der  menschlichen  Natur  die 
Rede  ist,  mit  Ap.  III.  3  „vergänglich,  und  auflösbar",  wo  von 
der  Natur  der  Elemente,  aus  welchen  die  Götterbilder  verfertigt 
werden,  gesprochen  wird. 

Demnach  wird  man  behaupten  müssen,  dass  von  Berührungen 
und  Ähnlichkeiten,  abgesehen  von  verschwindenden  Ausserlich- 
keiten,  nicht  die  Rede  sein  kann.  In  der  That  braucht  man  nur 
die  beiden  Schriftstücke  auf  ihren  Inhalt,  auf  den  Standpunkt 
ihrer  religiösen  und  theologischen  Auffassung  zu  betrachten: 
trüge  die  Predigt  nicht  gerade  den  Namen  des  Aristides  in  der 
Überschrift,  so  wäre  wohl  niemals  jemand  auf  den  Gedanken 
gekommen,  sie  dem  Verfasser  der  Apologie  zuzuschreiben.  Wir 
brauchen  nur  zu  sehen,  was  für  Persönlichkeiten  uns  aus  jeder 
der  beiden  Schriften  entgegentreten,  um  die  tiefgehenden  grund- 
sätzlichen Verschiedenheiten  zwischen  beiden  zu  erkennen. 


Pape,  Die  Predigt  und  das  Brieffragment  des  Aristides.  9 

Vor  allem :  was  für  ein  Christentum  stellt  uns  der  Apologet  dar? 

Er  geht  in  seiner  Apologie  von  seinem  philosophischen 
Gottesbegriff  aus,  den  er  Kap.  1  ohne  specifisch  christliche  Mo- 
mente darstellt,  und  leitet  dann  über  zu  einer  Betrachtung  der 
verschiedenen  Menschengeschlechter:  Heiden  (Barbaren,  Griechen 
und  Ägypter),  Juden  und  Christen,  um  sie  daraufhin  zu  prüfen, 
welche  von  ihnen  dem  eingangs  aufgestellten  reinen  Gottes- 
begriffe am  nächsten  kommen.  Was  er  bei  dieser  Aufzählung 
von  den  Christen  zu  sagen  weiss,  sind  nur  einzelne,  einer  Glaubens- 
formel entnommene  Punkte,  die  er  jedoch  in  charakteristisch 
referierender  Weise  vorbringt  („es  heisst,  dass  er  herabgekommen 
ist  im  heiligen  Geist  vom  Himmer',  „und  sie  sagen,  dass  er  nach 
drei  Tagen  auferstanden  und  emporgefahren  ist",  etc.). 

Nun  legt  er  der  Reihe  nach  die  Religionen  der  verschiedenen 
Völker  dar,  und  zwar  sind  von  den  17  Kapiteln  der  Apologie  11 
(3 — 13)  der  Bekämpfung  der  heidnischen  Mythen  und  Religionen 
gewidmet;  dann  folgt  ein  die  Juden  behandelndes  Kapitel,  in  dem 
der  Apologet  eine  nur  sehr  mangelhafte  und"  oberflächliche 
Kenntnis  des  Judentums  verrät.  Die  drei  letzten  Kapitel  bringen 
endlich  eine  Darlegung  des  Christentums,  welche  nicht  nur 
räumlich,  sondern  besonders  auch  inhaltlich  überaus  dürftig  ist. 
Sie  besteht  aus  einer  Reihe  ziemlich  zusammenhangslos  anein- 
ander gereihter  sittlicher  Vorschriften,  Betonung  des  sittlichen 
Wandels  der  Christen,  und  dass  sie  es  seien,  die  die  Wahrheit 
gefunden  hätten  und  um  derentwillen  überhaupt  noch  die  Welt 
bestünde,  Zurückweisung  der  gegen  die  Christen  ausgestreuten 
Verleumdungen;  er  schliesst  mit  einer  Aufforderung  zur  Be- 
kehrung im  Hinblick  auf  das  kommende  Gericht. 

Die  Düiitigkeit  dieser  Darlegung  fällt  in  die  Augen.  Der 
Apologet  ist,  wie  er  selbst  verrät,  in  erster  Linie  durch  seinen 
philosophischen  Gottesbegriff  vom  Heidentum  abgekommen  und 
für  das  Christentum  gewannen  worden,  da  er  eingesehen  hat, 
„dass  diese  allein  der  Erkenntnis  der  Wahrheit  nahe  sind", 
XV.  i.  XVI.  i.  Ein  zweites  Moment  neben  dem  philosophischen 
ist  das  ethische.  Er  fühlt  sich  von  den  streng  sittlichen  Grund- 
sätzen der  Christen  angezogen,  weil  sie  seiner  ethischen  Grund- 
anschauung entsprechen,  während  die  im  Heidentum  herrschende 
Unmoral  ihn  abstösst.  Dass  das  Christentum  auch  noch  andere 
Momente  enthält,  ja  dass  der  Kern  desselben  überhaupt  nicht  in 


10  Pape,  Die  Predigt  und  das  Brieffragment  des  Aristid*-. 

seiner  philosophischen  und  ethischen  Seite  ruht,  ist  ihm  nicht 
bewusst.  Die  wenigen  Berührungen  einer  positiven  Seite  des 
Christentums  beschränken  sich  auf  einzelne  Punkte  seines  Glau- 
bensbekenntnisses und  eine  Andeutung  in  XVII.  1:  „hinsichtlich 
des  Restes  finden  sich  in  ihren  andern  Schriften  Worte,  die  zu 
schwer  sind  zu  sagen,  auch  dass  sie  ein  Mensch  wiederhole, 
welche  nicht  nur  gesagt,  sondern  auch  geschehen  sind." 

Vor  allem  aber,  und  darauf  kommt  es  hier  besonders  an, 
fehlt  die  Erwähnung  der  hohen  Bedeutung  des  Glaubens.  Die 
Christen  glauben  an  Gott,  den  Schöpfer  aller  Dinge,  ....  von 
welchem  sie  empfangen  haben  die  Gebote ,  welche  sie  be- 
obachten wegen  der  Hoffnung  und  Erwartung  der  zukünftigen 
Welt,  XV.  2,  sie  beobachten  die  Gebote  ihres  Messias  mit  grossem 
Eifer,  sie  leben  gerecht  und  ehrbar,  XV.  9,  sie  bemühen  sich, 
dass  sie  gerecht  werden,  als  solche,  die  erwarten,  dass  sie  ihren 
Messias  sehen  und  von  ihm  empfangen  werden  die  Verheissun- 
gen  XVI.  2. 

Erkenntnis,  Gerechtigkeit  und  Vergeltung;  andere  Merkmale 
des  Christentums  kennt  er  nicht.  Dem  gegenüber  muss  die  Be- 
trachtung der  Homilie  geradezu  überraschen.  Dort  der  ausge- 
prägteste monotheistische  Moralismus  —  in  edler  Gestalt,  wie 
bei  den  Apologeten  überhaupt  — ,  hier  eine  rein  dogmatische 
Glaubenspredigt  ohne  den  für  das  2.  Jahrhundert  charakteristi- 
schen Moralismus:  das  ist  ein  tiefgehender  Zwiespalt,  dem  gegen- 
über alle  eventuellen  äusserlichen  und  sprachlichen  Berührungen 
in  den  Hintergrund  treten.  Noch  mehr  Gewicht  erhält  dies 
Argument  gegen  die  Identität  der  Verfasser,  wenn  man  betrachtet, 
was  für  ein  Glaube  es  ist,  von  dem  der  Prediger  so  ausschliess- 
lich handelt;  es  ist  nämlich  keineswegs  etwa  ein  paulinischer 
Glaubensbegriff  (wo  das  dogmatische  hauptsächlich  im  „Beweise" 
steckt),  von  dem  der  Verfasser  hier  ausgeht,  sondern  der  Glaube, 
von  dem  er  spricht,  ist  der  an  bestimmte  dogmatische  For- 
meln; und  dadurch  weist  die  Predigt  nicht  nur  von  Aristides, 
sondern  überhaupt  von  seiner  Zeit  weg;  denn  ein  so  ausschliess- 
lich betonter  dogmatischer  Glaube  deutet  auf  einen  bereits  weit 
fortgeschrittenen  Stand  der  dogmengeschichtlichen  Entwicklung 
—  auf  welchen,  wird  in  einem  späteren  Abschnitte  zu  unter- 
suchen sein. 

Dadurch  wird  aber  auch   der  Einwand   hinfällig,   dass  sich 


Pape,  Die  Predigt  und  das  Brieffragment  des  Aristides.  \\ 

diese  Differenzen  durch  den  verschiedenen  Zweck  der  beiden 
Schriftstücke  -erklären  lassen.  Denn  der  Zweck  einer  Predigt 
bietet  keinerlei  Anhaltspunkt  für  die  Annahme,  dass  er  den 
Prediger  veranlasst  haben  könnte,  so  weit  über  den  Horizont 
seiner  Zeit  hinauszuschreiten,  was  dem  Apologeten  auch  kaum  zu- 
zutrauen wäre.  Auch  der  gewählte  Text  hätte  einen  Mann  von 
den  Anschauungen  des  Apologeten  nicht  zwingen  können,  sich 
auf  einen  ihm  so  fremden  Boden  zu  stellen.  Es  lässt  sich  keinerlei 
Erklärung  für  die  wunderliche  Thatsache  finden,  dass  an  keinem 
Punkte  der  Predigt  die  theologische  Grundrichtung  des  Redners 
zum  Vorschein  kommt,  wozu  doch  auch  dieser  Text  Gelegenheit 
genug  bietet  (z.  B.  bietet  die  Predigt  nirgends  eine  hier  doch 
naheliegende  Reflexion  darüber,  dass  der  zum  Heil  Gelangte  gerade 
ein  Räuber  war,  dass  also  seine  bisherige  Lebensführung  sich  in 
direktem  Gegensatze  zu  den  sittlichen  Forderungen  des  Christen- 
tums, die  bei  Aristides  doch  obenan  stehen,  bewegt  hat,  und 
noch  vieles  Andere  könnte  man  nennen,  was  ein  Prediger  des 
2.  Jahrh.  sich  schwerlich  hätte  entgehen  lassen). 

Noch  ein  Zweites  kommt  hier  in  Betracht,  was  eine  umfang- 
reichere Vergleichung  ermöglicht  —  es  ist  der  Schrift  gebrauch. 
Eine  Thatsache  fällt  sofort  in  der  an  interessanten  Eigen- 
tümlichkeiten überhaupt  so  reichen  Apologie  auf.  Der  Apo- 
loget bringt  kein  einziges  Citat,  trotz  seiner  vielen  Hinweisungen 
auf  die  Schriften  der  Christen,  IL  7,  XV.  1,  XVI.  3, 5,  XVII.  1.  Was 
er  von  diesen  Schriften  kennt,  ist  nur  aus  einzelnen  Anklängen 
und  Berührungen  zu  entnehmen,  an  welchen  die  Ausbeute  aber 
auch  herzlich  gering  ist.  Er  hat  nach  eigener  Aussage  die 
„Schriften  der  Christen"  gelesen.  Aber  sehr  eindringlich  mag  die 
Beschäftigung  mit  ihnen  nicht  gewesen  sein,  sonst  hätte  sich  ihm 
an  der  einen  oder  der  anderen  Stelle  ein  Citat  aufdringen  müssen. 
Betrachtet  man  zunächst  die  alttestamentlichen  Anklänge,  so 
ergiebt  sich  das  überraschende  Resultat,  dass  solche  fast  gar  nicht 
vorhanden  sind.  Der  Anklang  an  1.  Petr.  3.  10  in  XVII.  6  hat 
nur  eine  äusserst  entfernte  Ähnlichkeit  mit  Ps.  34.  u,  und  so 
erübrigt  nur  noch  eine  Stelle,  die  allerdings  an  Jerem.  31.  33  er- 
innert (das  „In  die  Sinne  schreiben").  Jedoch  selbst  da  ist  es 
zweifelhaft,  ob  es  nicht  auf  Hebr.  8.  10  zurückzuführen  sei,  wo 
die  betreffende  Stelle  aus  Jer.  citiert  ist.  Damit  sind  aber  auch 
die  alttestamentlichen  Berührungspunkte  bereits  erschöpft,  und 


12  Pape,  Die  Predigt  und  dae  Brieffragment  des  Aristidee. 

diese  geringe  Bekanntschaft  mit  dem  Alten  Testament  stimmt 
vollkommen  überein  mit  seiner  geringen  Kenntnis  vom  Juden- 
tum, XIV.  Berührungen  mit  griechisch  geschriebenen  Apokry- 
phen, IL  Makk.  und  Ep.  Jerem.  schliessen  den  ganzen  alttesta- 
mentlichen  Gedankenkreis  ab. 

Auch  von  des  Aristides  Bekanntschaft  mit  dem  Neuen  Testa- 
ment lässt  sich  nicht  viel  sagen,  wenn  auch  etwas  mehr.  Die 
deutlichsten  Anklänge  gehören  der  epistolischen  Litteratur  an, 
und  zwar  in  erster  Linie  der  paulimschen.  So  ganz  deutliche  Be- 
rührungen mit  dem  Römerbrief:  III.  2  —  Rom.  1.  25  (largavatv 
r(]  xrioai  naoa  top  xrlöavra),  IV.  1  —  Rom.  1.  23  (av  o{/oiojtuaTi 

alxOVOQ,     (p&(XQTOV    CCV&QCOJIOV),    XV.  2    Rom.  11.    36    (tg     ctvrov 

xal  öV  avrov  xal  aig  avrov  rä  navra),  sowie  wahrscheinlich 
auch  zum  Colosserbrief:  XV.  22  —  Col.  3.  12  (ranaivo^Qoovv?/, 
jzQavT7]q),  XIV.  4  —  Col.  2.  16  (av  fiaoai  aoQtfjg  rj  vovfir/viag  rj 
öaßßcczcov).  Weitere  Beziehungen  wären  noch  XIII.  3  —  I.  Thim. 
6.  16,  XVII.  4  —  I.  Thim.  1.  13  (ro  nooragov  ovra  ßAäöcpr/fiov  etc. 
aXXa  aZarjfrrjv,  ort  dyvocov  anolrjöa  av  dnioria),  XV.  9  —  Tit.  2. 12. 
Nur  sehr  schwach  klingen  311  XVII.  2  —  I.  Petr.  2.  20.  XVI.  6  — 
I.  Petr.  3.  10.  Von  Interesse  ist  ferner  die  Thatsache,  dass  die 
Berührungen  mit  unseren  Evangelien  lediglich  dem  matthäischen 
Redestoffe  angehören:  XV.  5  —  Matth.  7.  12,  5. 4J;  XVI.  2  —  Mt.  6.2 
in  Verbindung  mit  13.  di.  Damit  sind  auch  die  Beziehungen  zum 
Neuen  Testamente  erschöpft.  Besonders  bemerkenswert  hiebei 
ist  jedoch  das  gänzliche  Fehlen  johanneischer  Gedanken,  die  voll- 
kommene Unbekanntschaft  mit  irgendwelcher  Logoslehre.  Denn 
die  von  Seeberg  behauptete  Verwandtschaft  in  IL  6  mit  Joh.  3.  13. 
6.  38.  42.  xaraßccg  an  ovoavov  beruht  auf  einem  Ausdruck,  der 
im  Zusammenhange  steht  mit  einer  Reihe  von  Aussagen  über 
Christus,  welche  ganz  den  Eindruck  machen,  ?ls  gehörten  sie 
einer  Bekenntnisformel  an,  die  der  Apologet  anführt  (Sohn  Gottes, 
herabgekommen  im  heiligen  Geist  vom  Himmel,  zog  Fleisch  an 
von  einer  hebräischen  Jungfrau,  und  es  wohnte  in  eines  Men- 
schen Tochter  der  Sol  1  Gottes;  [12  Jünger],  von  Juden  durch- 
bohrt, starb,  wurde  begraben^  nach  3  Tagen  auferstanden,  empor- 
gefahren, Jünger  gehen  in  die  Welt  und  lehren  von  seiner 
Majestät).  Wäre  nun  das  xaraßccg  an  ovgavov  an  dieser  Stelle 
nicht  Bestandteil  der  Formel,  sondern  Eigentum  des  Verfassers 
aus  seiner  Bekanntschaft  mit  Johannes,  so  würde  gerade  hier  das 


Pape,  Die  Predigt  und  das  Brieffraginent  des  Aristides.  13 

Fehlen  der  Logosidee  kaum  erklärlich  sein.  Und  wenn  man  auch 
nicht  behaupten  kann,  dass  das  Auftreten  des  Logosgedankens 
überall  die  Kenntnis  des  Johannesevangeliums  verbürge,  so  be- 
steht die  Behauptung  um  so  mehr  zu  Recht,  dass  die  Nichtkenntnis 
der  Logoslehre  eine  Bekanntschaft  mit  dem  4.  Evangelium  direkt 
ausschliesst.  Wir  werden  sofort  sehen,  von  welcher  Wichtigkeit 
gerade  diese  Thatsache,  dass  der  Apologet  kaum  unsere  Evan- 
gelien überhaupt,  geschweige  denn  irgend  etwas  Johann eisches 
gekannt  habe,  für  die  Beurteilung  des  Verhältnisses  der  Predigt 
zur  Apologie  ist. 

Wie  aber  steht  es  in  der  Predigt  mit  dem  Schriftgebrauch  ? 

Dieser  ist  nämlich  ein  Hauptpunkt  der  Zahn-Seebergschen 
Beweisführung  für  die  Echtheit  der  Predigt.  Zahn  findet  in  der 
Anführung  von  Sachen  und  Worten  eine  „Natürlichkeit  und 
Naivetat",  „nachlässige  Freiheit,  Frische  und  Naivetät",  welche 
nur  auf  das  2.  Jahrh.  passe.  Auch  Seeberg  erwähnt  die  Freiheit, 
mit  welcher  der  Prediger  citiert;  ferner  das  Bestreben,  alle  Züge 
der  neutestamentlichen  Geschichte  im  Alten  Testament  geweissagt 
zu  finden. 

Was  gleich  den  letzten  Punkt  be trifft,  so  ist  das  Bestreben 
allerdings  sehr  alt,  aber  es  ist  auch  für  spätere  Zeiten  etwas 
ganz  Gewöhnliches.  Ausserdem  steht  es  hier  anders.  Denn  der 
Prediger  macht  keinerlei  Versuch,  die  Einzelheiten,  die  er  von 
den  Propheten  geweissagt  sein  lassen  will,  irgendwie  auf  be- 
stimmte prophetische  Aussprüche  zurückzuführen,  und  selbst  See- 
berg erklärt  es  für  zweifelhaft,  an  welche  prophetischen  Aus- 
sprüche man  hinsichtlich  mancher  der  erwähnten  Thatsachen 
denken  solle;  die  ganze  Stelle  macht  den  Eindruck,  als  ob  der 
Redner  in  der  That  nur  in  oratorischem  Schwünge  für  alle  diese 
Begebenheiten  auf  die  alten  Propheten  zurückgewiesen  habe,  wie 
es  in  der  alten  Kirche  jederzeit  üblich  war,  ohne  sich  selbst  über 
die  einzelnen  Beziehungen  wirklich  klar  zu  sein.  Bei  einer  Pre- 
digt aus  der  1.  Hälfte  des  2.  Jahrhunderts,  wo  das  Schwergewicht 
noch  auf  dem  Alten  Testamente  lag,  müsste  man  ein  genaueres 
und  formelleres  Eingehen  auf  die  alttestamentlichen  Beziehungen 
erwarten;  diese  Predigt  jedoch  steht  ganz  auf  neutestarn entlicher 
Grundlage.  Der  Rückblick  auf  die  Propheten  erscheint  beinahe 
nur  als  rhetorisches  Beiwerk. 

Was  die  „Natürlichkeit,  Frische  und  Naivetät"  der  Schriftbe- 


I  1  Pape,  Die  Predigt  und  das  Brieffragmenl  de«  Aristides. 

handlung  anlangt,  so  lässt  sich  darüber  wenig  sagen,  denn  der- 
artige Urteile  sind  in  der  Regel  Geschmackssache  und  entbehren 
der  positiven  Grundlagen,  die  zu  einer  Diskussion  darüber  not- 
wendig sind. 

Ein  Punkt  jedoch,  welcher  im  Vergleiche  mit  der  Apologie 
besonders  auffallend  ist,  muss  beim  Lesen  der  Homilie  sofort  zu 
genauerer  Betrachtung  und  Untersuchung  anregen.  Um  so  mehr 
wird  man  sich  überrascht  finden,  dass  sowohl  bei  Zahn,  wie  bei 
Seeberg  eine  Erörterung  darüber  vergeblich  gesucht  wird.  Da 
das,  um  was  es  sich  hier  handelt,  für  die  Untersuchung  der 
Predigt  neben  ihren  dogmengeschichtlichen  Verhältnissen  die 
erste  Stelle  einnimmt  und  mehrmals  mit  grösster  Auffälligkeit 
hervortritt,  scheint  ein  Übersehen  ausgeschlossen  zu  sein.  Man 
muss  daher  annehmen,  dass  die  Beobachtung  für  die  beiden  Kri- 
tiker nicht  ins  Gewicht  fällt.  Ich  meine  nämlich  die  im  Ver- 
hältnis zur  angeblichen  Abfassungszeit  frappante  Erscheinung  der 
fast  ausschliesslichen  Benutzung  johanneischer  Sprüche  und  Ge- 
schichten. Es  würde  schwer  fallen,  irgend  eine  stichhaltige  Er- 
klärung für  die  Erscheinung  zu  finden,  dass  der  Apologet,  für 
den,  wie  oben  gezeigt  wurde,  eine  Kenntnis  johanneischer  Ge- 
danken, geschweige  denn  des  Erzählungsstoffes,  nicht  nachweisbar 
ist,  eine  solche  Predigt  gehalten  habe. 

Und  wiederum  weist  diese  Erscheinung  nicht  nur  von  der 
Person ,   sondern  auch  von  der  Zeit  des  Aristides  hinweg;  nicht 
etwa,  als  ob  hier  über  die  Frage  gesprochen  werden  sollte,   ob 
jemand  um  140  eine  solche   Bekanntschaft  mit  dem  Johannes- 
evangelium gehabt  haben  könne  —  aus  einer  so  strittigen  Frage 
Hesse  sich  niemals  ein  beweiskräftiges  Argument  ziehen  — ,  aber 
die  Art,  wie  hier  Johannes  verwendet  wird,  spricht  entschieden 
gegen  die  Annahme  eines  so  frühen  Ursprungs.    Es  werden  hier 
nicht  etwa  blos   johanneische  Herrenworte   angeführt,    sondern 
Geschichten,  und  zwar,  dies  ist  die  Hauptsache,  als  streng  dog- 
matische Beweisstücke.     Es  handelt  sich   dem  Prediger  darum, 
für  sein  Dogma,  das    er  hier  behandelt,  den    Wahrheitsbeweis 
zu  erbringen,    und  er  erbringt   ihn   nicht,    was   man  bei    einer 
Schrift  vor  150  erwarten  dürfte,  aus  dem  Alten  Testament  und 
den  Herrenworten,  sondern  seine  Beweisstücke  sind  neutestament- 
licher,  ja  speciell  johanneischer  Erzählungsstoff.  Und  wenn  oben- 
drein später  noch  gezeigt  werden  wird,  um  welches  Dogma  es 


l'ape,  Die  Predigt  und  das  Brieffragment  des  Aristides.  15 

sich  hier  handelt,  so  kann  nur  das  eine  Urteil  gefällt  werden, 
dass  diese  Erscheinungen  für  die  angegebene  Zeit  schlechthin 
nnbelegbar  und  in  sich  ganz  unwahrscheinlich  sind.  Dies  wird 
durch  eine  weitere  Thatsache  gestützt.  Nachdem  der  Prediger 
sein  Dogma  durch  neutestamentliche  Stellen  bekräftigt  hat,  sagt 
er  VII.  3:  „Denn  jener  beiden  Gebahren  und  Thaten  stehen  vor 
dir,  da  sie  immerfort  in  den  priesterlichen  Büchern  vorge- 
tragen und  gelesen  werden."  4:  „Diese  gewähren  durch  so  wohl- 
geordnete, mustergiltige  Beweise,  wie  deren  vorgelegt  wurden, 
dir  die  Überzeugung  etc.u 

Der  Ausdruck  „priesterliche  Bücher'',  libri  sacerdotales,  in  der 
eventuellen  griechischen  Urschrift  yQa^fiara  oder  ßißXla  tsgarixa, 
wird  nun  von  beiden  Verteidigern  der  Echtheit  als  gewichtiges 
Argument  für  eine  möglichst  frühe  Abfassungszeit  hervorgehoben. 
Beide  versetzen  den  Ausdruck  in  eine  Zeit,  wo  der  Name  für 
die  Evangelien  und  die  heiligen  Schriften  (Zahn),  die  Bezeichnungen 
für  das  Neue  Testament  (Seeberg)  noch  nicht  fest  geprägt  waren. 
Beide  setzen  den  Ausdruck  in  Beziehung  zu  der  von  Valentin 
gebrauchten  Bezeichnung  örjfioöia  ßißXla  für  die  profane  Litte- 
ratur,  ferner  zu  den  bei  Clemens  Alexandrinus  sich  findenden 
Ausdrücken  wie  isgarixä  xaAovfteva  ßißkia  für  die  hieratische 
Litteratur  der  Ägypter,  und  yayQafifieva  ev  rrj  exxhjola  etc. 
Zahn  gelangt  hierdurch  zu  der  Schlussthese  3:  „Die  Benennung 
der  neutestamentlichen  Schriften  oder  der  Evangelien  als  ßtßA'ia 
Isqcltvxo.  ist  zu  keiner  Zeit  so  begreiflich,  als  im  Zeitalter  Justins 
und  Valentins." 

Was  zunächst  den  Ausdruck  anlangt,  so  muss  allerdings 
zugestanden  werden,  dass  er  an  sich  —  in  welche  Zeit  man  auch 
gehen  mag  —  auffallend  ist.  Aber  bevor  man  den  sprachlichen 
Ausdruck  überhaupt  in  den  Kreis  seiner  Argumente  ziehen  kann, 
müsste  es  doch  erst  einem  Kenner  der  armenischen  Sprache  und 
Litteratur  anheimgestellt  werden,  zu  untersuchen,  ob  diese  Be- 
zeichnung nicht  etwa  durch  armenische  Spracheigentümlichkeiten 
erklärt  werden  kann,  und  ob  sie  nicht  überhaupt  eine  Geschichte 
in  der  armenisch -kirchlichen  Litteratur  hat.  Und  schliesslich 
kommt  es  doch  weniger  auf  den  Ausdruck  an,  als  darauf,  was 
er  bezeichnen  soll.  Zu  diesem  Punkte  machen  sowohl  Zahn,  wie 
Seeberg  wertvolle  Zugeständnisse,  indem  ersterer  es  etwas  vor- 
sichtig auffasst  als  eine  Bezeichnung  der  Schriftgattung,  zu  welcher 


]  i;  Pape,  Die  Predigl  and  das  Brieffragment  des  Aristidi 

die  Evangelien  gehören,  letzterer  es   geradezu   als  Bezeichnung 

für  das  Neue  Testament  erklärt. 

In  der  That  kann  nicht  gut  etwas  anderes  gemeint  sein,  als 
eine  Gesamtheit  von  Schriften,  von  denen  die  Evangelien  einen 
integrierenden  Bestandteil  bilden,  und  die  in  dogmatischen  Fragen 
die  höchste  Norm  darstellen,  mit  anderen  Worten:  der  neute- 
stamentliche  Kanon,  wie  dies  ja  Seeberg  und  im  wesentlichen 
auch  Zahn  zugiebt.  Und  wenn  beide  die  Schrift  auf  Grund 
dieses  Ausdruckes  in  eine  Zeit  setzen  wollen,  wo  die  Bezeich- 
nungen für  das  Neue  Testament  noch  nicht  fest  geprägt  waren, 
so  muss  es  doch  wenigstens  eine  Zeit  gewesen  sein,  wo  bereits 
ein  Neues  Testament  existierte,  was  für  die  1.  Hälfte  des  2.  Jhs. 
bisher  noch  nicht  nachgewiesen  ist,  wovon  vielmehr  so  ziemlich 
das  Gegenteil  erwiesen  ist.  Aber  selbst  zugestanden,  dass  um 
150  das  Neue  Testament  fix  und  fertig  existiert  hatte  —  die  Be- 
hauptung, der  Ausdruck  „hieratische  Schriften"  für  neutestament- 
liche  Schriften  sei  zu  keiner  Zeit  so  begreiflich,  als  im  Zeitalter 
Justin's  und  Valentin's,  ist  so  fragwürdig,  um  nicht  mehr  zu  sagen, 
dass  ich  sie  bei  allem  Respekt  vor  der  Gelehrsamkeit  Zahn's 
ihrem  Schicksal  überlassen  zu  dürfen  glaube.  Dies  Beweisstück 
für  die  Echtheit  der  Predigt  zerfliesst  nicht  nur,  vielmehr  bleibt 
es,  was  es  immer  gewesen  —  ein  starkes  Argument  gegen  die 
Echtheit. 

Gewiss,  es  erübrigt  noch  manche  Schwierigkeit  in  betreff 
des  Schriftgebrauches.  Vor  allem  die  veränderte  Form  der  Citate: 
„Alles  ist  jetzt  vollendet",  Joh.  19.  30  nach  19.  28.  „Du  ein  ge- 
wöhnlicher Mensch",  Joh.  10.  33.  „Glaube  an  die  Herrlichkeit 
Gottes",  Joh.  11.  40,  sowie  endlich  das  Textwort:  „Gedenke  meiner. 
Herr,  in  deinem  Reiche",  Luk.  23.  42.  Als  auffallend  kann  auch 
bezeichnet  werden,  wie  der  Prediger  die  Kreuzigungserzäh- 
lungen von  Lukas  und  Johannes  verbindet,  in  einer  Weise. 
als  ob  diese  beide  zum  Predigttexte  gehörten,  wobei  er  den 
Ruf  des  Schachers  aber  hinter  das  „Es  ist  vollbracht"  setzt. 
Ja,  es  macht  stellenweise  beinahe  den  Eindruck,  als  schöpfe 
er  hier  gar  nicht  aus  verschiedenen  Quellen,  namentlich  bei 
Kap.  I,  wo  er  schreibt:  „Der  Verkündiger  des  Evangeliums  sagt", 
und  nun  folgt  eine  Reihe  von  Einzelheiten  der  Kreuzigungsge- 
schichte, die  aus  den  verschiedenen  Evangelien  zusammengetragen 
sind:  Annagelung  (Joh.  20. 25),  Menge  der  Juden  (Lc.  23. 25),  Kriegs- 


Pape,  Die  Predigt  und  das  Brieffragnient  des  Aristides.  17 

mann  mit  der  Lanze  am  Kreuze  Wache  haltend  (Matth.  27.  36? 
Joh.  19.  34?),  Galle  (Matth.  27.  34.  Mc.  15.  23),  Natur  der  Elemente 
verwandelt  (?),  Finsternis,  Zerreissen  des  Vorhangs  (synopt.),  Tei- 
lung der  Kleider  (allg.),  Looswerfen  (Joh.  19.  24),  Scharen  der 
Himmlischen  erschreckt,  Erheben  der  natürlichen  Wesenheit  der 
Lber-  und  Unterirdischen  (Matth.  27.  52.  53?). 

Der  Prediger  stellt  also  durch  einen  Ausdruck  wie  nuntius 
evangelii  oder  praedicatio  evangelica  seinen  aus  allen  4  Evan- 
gelien zusammengestellten,  mit  daselbst  nicht  auffindbaren  eigen- 
tümlichen Bestandteilen  und  Wendungen  vermischten  Bericht 
als  einen  einheitlich  evangelischen  dar.  Aber  die  aus  solchen 
Erscheinungen  sich  ergebenden  Schwierigkeiten  würden  auch 
durch  die  Annahme  der  Echtheit  der  Predigt  nicht  beseitigt  sein, 
und  andererseits  kann  in  betreff  der  ungenauen  Citate  darauf  hin- 
gewiesen werden,  dass  es  ja  bei  einer  Predigt  nicht  sehr  auffallen 
kann,  wenn  nach  dem  Gedächtnis  citiert  wird;  bei  den  anderen 
oben  erwähnten  Erscheinungen  könnte  man  ausserdem  fragen, 
ob  sie  sich  nicht  etwa  als  Reminiscenzen  an  eine  Evangelien- 
harmonie erklären  Hessen,  wie  solche  im  Privatgebrauch  gewiss 
vielfach  in  Verwendung  standen. 

Mögen  jedoch  diese  Auffälligkeiten  welche  Erklärung  auch 
immer  finden,  auf  keinen  Fall  vermögen  sie,  und  darauf  kommt  es 
hier  in  erster  Linie  an,  die  Argumente  irgendwie  zu  erschüttern, 
welche  zeigen,  dass  bei  den  unausgleich baren  Differenzen  in  reli- 
giöser Anschauung,  Schriftkenntnis  und  Schriftgebrauch  zwischen 
Apologie  und  Homilie  von  einer  Identität  des  Verfassers  wie  der 
Abfassungszeit  nicht  gesprochen  werden  kann. 

Es  bleibt  nun  die  weitere  Aufgabe,  zu  untersuchen,  ob  sich 
in  der  Predigt  Angaben  und  Anhaltspunkte  finden  lassen,  wel- 
cher Zeit  sie  etwa  zuzuweisen  sei.  Zwei  Punkte  werden  hiebei 
zu  besprechen  sein:  auf  welche  äusseren  Zeitverhältnisse  sie  deutet, 
und  in  welchen  Zeitpunkt  der  dogmengeschichtlichen  Entwick- 
lung sie  sich  einfügt. 

Ein  Teil  der  von  Zahn  und  Seeberg  als  positive  Anzeichen 
hohen  Alters  der  Predigt  angeführten  Erscheinungen  hat  sich 
bereits  in  dem  Vorhergehenden  erledigt  (Schriftgebrauch,  ßißXla 
iSQarixa  etc.).  Nunmehr  wäre  noch  ein  Punkt,  der  von  beiden, 
besonders  energisch  von  Zahn,  als  Beweis  vorkonstantinischer 
Abfassung    hervorgehoben  wTird.    Nämlich   die  Art    und  Weise, 

Texte  u.  Untersuchungen  XII,  2.  8 


lg  Pape,  Die  Predigt  und  das  Brieffragmenl  dei  Aristid« 

wie  das  Annageln  bei  der  Kreuzigung  Christi  vom  Prediger  betont 
wird,  im  Gegensatze  zu  der  Art  des  Vorganges  bei  anderen  Sterb- 
lichen, I.  b.  Daraus  wird  geschlossen,  dass  der  Prediger  noch  eine 
eigene  Anschauung  von  dem  gewöhnlichen  Vorgange  der  Kreu- 
zigung gehabt  habe,  denn  in  späterer  Zeit  habe  die  Kreuzigung 
Christi  einfach  als  Typus  für  diese  Todesart  überhaupt  gegolten, 
man  sei  sich  nicht  mehr  bewusst  gewesen,  dass  zwischen  der 
Annagelung  Christi  und  der  gewöhnlichen  Exekution  eine  Diffe- 
renz bestanden  habe.  Folglich  müsse  der  Prediger  noch  vor  der 
Abschaffung  der  Kreuzigung  durch  Konstantin  gelebt  haben.  Da- 
gegen lasst  sich  einwenden:  Das  Motiv,  warum  der  Prediger  die 
Annagelung  so  sehr  als  etwas  Einzigartiges  darstellt,  ist  die 
Überzeugung,  dass  gerade  dies  Moment  in  besonderer  Weise  ge- 
weissagt ist,  wie  es  auch  das  einzige  ist,  welches  er  aus  der 
Reihe  anderer  I.  4  speciell  hervorhebt.  Dabei  mag  auch  das  Be- 
streben mitgewirkt  haben,  welches  sich  später  aus  seinem  dog- 
matischen Standpunkt  erklären  wird,  die  Lage  Christi  in  diesem 
Momente  als  ganz  ungewöhnlich  und  ausserordentlich  peinlich 
und  beschränkt,  als  den  Gipfelpunkt  menschlichen  Leidens  hin- 
zustellen. Ausserdem  ist  nicht  ersichtlich,  warum  jemand  nur 
aus  eigener  Anschauung  eine  solche  Auffassung  gehabt  haben 
könne.  Denn  die  Annagelung  war  durchaus  nicht  so  eigenartig, 
wie  der  Prediger  es  vorführt.  Da  das  Wie  der  Exekution  in  der 
Regel  ganz  der  Willkür  der  damit  beauftragten  Soldaten  über- 
lassen war,  bestimmte  Regeln  über  die  einzelnen  Momente  der 
Ausführung  gerade  bei  dieser  Todesart  überhaupt  nicht  existierten, 
so  lasst  sich  mit  Bestimmtheit  annehmen,  dass  das  Annageln  an 
Stelle  des  Anbindens  oder  beides  zugleich  gewiss  auch  ander- 
weitig als  bei  Christus  vorgekommen  ist.  Und  gerade  der  Um- 
stand, dass  der  Prediger  auf  Grund  der  alttestamentlichen  Weis- 
sagung diesen  Vorgang  bei  Christus  als  ein  Unikum  hinstellt, 
Hesse  sich  eher  als  Argument  dagegen  anführen,  dass  der  Pre- 
diger eine  eigene  Anschauung  von  der  Sache  gehabt  habe,  als 
dafür.  Und  wenn  dafür  ins  Feld  geführt  wird,  dass  diese  Predigt 
der  einzige  Ort  sei,  wo  auf  den  gewöhnlichen  Vorgang  des  An- 
bindens hingewiesen  wird,  so  lasst  sich  dagegen  schliesslich  immer 
noch  fragen:  warum  soll  z.  B.  ein  Syrer  oder  Armenier  keine 
Kenntnis  von  dem  Vorgange  der  Kreuzigung  gehabt  haben,  auch 
nach  Konstantin,   da  in  dem  benachbarten  Persien   diese  Todes- 


Pape,  Die  Predigt  und  das  Brieffragment  des  Aristides.  19 

strafe  noch  lange  Zeit  gebräuchlich  war?  Ein  wirkliches  Argu- 
ment für  eine  vorkonstantinische  Abfassung  kann  dieser  ganz 
untergeordnete  Punkt  demnach  auf  keinen  Fall  bilden. 

Wohl  aber  ergiebt  sich  aus  der  Predigt  selbst  ein  Anhalts- 
punkt, welcher  sie  jedenfalls  zeitlich  weit  vorrückt.  Wenn  wir 
mit  unserer  Predigt  die  einzige  Homilie  vergleichen,  welche  aus 
dem  Zeitalter  stammt,  in  das  jene  verlegt  wird,  so  ergiebt  sich, 
auch  abgesehen  von  dem  dogmatischen  Standpunkt,  von  der 
ganzen  religiösen  Auffassung,  eine  gewichtige  Differenz.  Eine 
Reihe  von  Stellen  des  sogenannten  11.  Clemensbriefes  zeigt,  dass 
die  Christen,  an  welche  jene  Predigt  gerichtet  war,  noch  in  leben- 
digster Berührung  mit  dem  Heidentum,  sowie  in  lebhaften  Aus- 
einandersetzungen mit  ihm  standen,  ja  man  kann  annehmen,  dass 
der  Prediger  selbst  früher  Heide  gewesen  ist;  namentlich  I.  6 — 8, 
111.  i,  X.  5,  XIII.  i—4,  XVII.  i,  XVIII.  2,  wie  auch  andere  auf  die 
heidnische  Zeit  bezügliche  Momente  (Verfolgungen  V.  i — 4  [gegen 
Seeberg  S.  24],  Wettkämpfe  und  Spiele  VII.  i — 4),  was  ja  für 
eine  Predigt  des  2.  Jhs.  selbstverständlich  ist;  in  unserer  Homilie 
aber  würden  wir  vergebens  nach  derartigen  Anzeichen  suchen. 

Aristides    selbst    war   nach    der  Apologie  XVI.  5   ursprüng- 
lich Heide,   und  bei   einer  in  der   1.  Hälfte   des    2.  Jhs.   gehal- 
tenen Predigt  ist  anzunehmen,   dass  dies  auch  bei  der  überwie- 
genden Mehrheit  der  Zuhörer  der  Fall  war.    Dann  aber  wäre  es 
eine    der   wunderlichsten,   unerklärlichsten  Erscheinungen,    dass 
das  Heidentum  und  das  Verhältnis,   in    dem  Redner  und  Hörer 
zu  ihm    stehen,   mit   keiner  Silbe    berührt   wird.    Ja,    die  Pre- 
digt lässt  darauf  schliessen,  dass  der  Redner  es  zu   seiner  Zeit 
überhaupt  nicht  mehr  mit  Heiden  zu  thun  hat.    Denn  die  Predigt 
war  im   altkatholischen  Zeitalter  der  Hauptbestandteil  des  exo- 
terischen  Gottesdienstes,  es  musste  ihr  daher  bei  der  Gegenwart 
von  Xichtchristen  in  der   Regel  ein  apologetischer  und  missio- 
nierender Charakter  anhaften.    Unsere  Predigt  nun  hat  sich  die 
Aufgabe  gesetzt,  die  Gottheit  des  Gekreuzigten  gegen  ihre  Leugner 
zu  verteidigen;    dabei  ist  bloss  von  „Bekennern  des   Menschen", 
flehen,  „die  mit  jüdischem,  geblendetem  Auge  die  Menschwer- 
dung ansehen",  die  Rede,    also  nur  gegen  Häretiker  wird  pole- 
misiert, während  man  doch  gerade  bei  diesem  Punkte  auch  eine 
^  erteidigung  gegen  diejenigen  erwarten  muss,  denen  es  mit  der 
uTösste  Anstoss  war,  einen  gekreuzigten  Menschen  als  Gott  an- 

8* 


2()  Pape,  Die  Predigt  und  das  Brieffragmeni  dei  Ari-tides. 

zubeten,  das  Heidentum;  und  wenn  die  Predig!  VII.  s  vom  Lasier 
des  Unglaubens  spricht,  so  meint  sie  keineswegs  Nichtchristen, 
sondern  solche,  die  dem  Räuber  zur  Linken  folgen,  welcher  in 
charakteristischer  Weise  nicht  als  ein  Nichtbekehrter,  sondern 
als  ein  Abtrünniger  hingestellt  wird,  VII.  2:  „Denn  er  hat  sich 
getrennt  und  von  der  Stimme  des  Gekreuzigten  abgewandt", 
„er  hat  sich  auf  die  linke  Seite  geschlagen".  Entgegen  der 
Zahnschen  Schlussfolgerung,  die  er  aus  der  Betonung  der  An- 
nagelung  zieht,  dass  die  Predigt  vorkonstantinisch  sein  müsse. 
glaube  ich  aus  dem  Vorhergehenden  den  entgegengesetzten  Schluss 
ziehen  zu  dürfen,  dass  sie  nur  nachkonstantinisch  sein  kann. 

Was  die  Behauptung  Seebergs  betrifft,  S.  13,  die  Schilderung, 
die  Justin  von  der  ältesten  christlichen  Gemeindepredigt  entwirft, 
als  vovfrsola  xal  jiQoxlrjöic,  rrjq  rcov  xalcov  xovxow  jUifirjOecog, 
lese  sich  wie  auf  Grund  dieser  Predigt  verfasst,  so  muss  dem 
doch  entgegnet  werden,  dass  diese  Predigt  mit  ihrer  strengen 
Durchführung  des  zu  Grunde  gelegten  Textwortes  und  ihrer  dog- 
matisch-polemischen Tendenz  weit  über  den  Rahmen  der  von 
Justin  vorgestellten,  an  die  Schriftvorlesung  ziemlich  lose  ange- 
knüpften praktischen  Ermahnung  hinausgeht.  Ich  verstehe,  wie 
ich  in  aller  Bescheidenheit  sage,  die  Behauptung  Seebergs  eben- 
sowenig, wie  die  obige  Zahns,  „hieratische  Schriften"  sei  ein  in 
der  Mitte  des  2.  Jahrh.  besonders  passender  Ausdruck  für  das 
Neue  Testament. 

Alle  vorhergegangenen  Betrachtungen,  welche  die  Predigt 
weitab  versetzen  von  der  Person  und  der  Zeit  des  Aristides,  er- 
halten vollauf  ihre  Bestätigung  durch  die  dogmengeschichtliche 
Untersuchung  der  Predigt.  Dass  die  bereits  vor  16  Jahren  auf- 
gefundene Predigt  erst  jetzt  durch  Zahn  und  Seeberg  eine  ein- 
gehende Behandlung  erfahren  hat,  findet  seine  Ursache  darin, 
dass  sie  beim  ersten  Anblick  den  Eindruck  eines  in  antinestoria- 
nischem  Interesse  abgefassten  Machwerkes  hervorrief.  Dass  dieser 
Eindruck  ein  sehr  mächtiger  gewesen  sein  muss,  dafür  bürgt  die 
Thatsache,  dass  man  sich  so  allgemein  —  bei  einer  im  Falle  ihrer 
Echtheit  so  überaus  wichtigen  Schrift  —  mit  jener  durch  den  ersten 
Eindruck  bewirkten  Überzeugung  begnügte  und  es  so  lange 
Zeit  brauchte,  bis  die  Predigt  überhaupt  einer  näheren  Unter- 
suchung gewürdigt  wurde. 

Die  beiden  Forscher,   welche  für    die  Echtheit  der  Schrift 


Pape,  Die  Predigt  und  das  Brieffragrnent  des  Aristides.  21 

eintraten,  vermögen  diesen  Eindruck  auch  nur  dadurch  abzu- 
schwächen, dass  sie,  namentlich  Seeberg,  einige  der  verdächtigen 
Formeln,  wie  „Gott  von  Gott",  „wahrer  Gott",  „Bekenner  des 
Menschen",  „wahre  Menschwerdung  des  Immanuel"  auf  die  Rech- 
nung des  armenischen  Übersetzers  schieben.  Dabei  muss  aber 
gefragt  werden:  sind  wir  überhaupt  berechtigt,  solche  Streichungen 
vorzunehmen?  Doch  nur  dann,  wenn  derartige  Ausdrücke  zu 
dem  übrigen  Inhalte  in  direktem  Widerspruche  stehen,  wie  das 
freoTOXog  der  Apologie.  Die  dogmengeschichtliche  Untersuchung 
erst  wird  ergeben,  ob  die  betreffenden  Ausdrücke  als  mit  ihrer 
Umgebung  unverträglich  entfernt  werden  müssen. 

Die  Entkräftung  der  Behauptung,  dass  die  Homilie  antinesto- 
rianisch  sei,  wird  von  beiden  Gelehrten  in  ähnlicher  Weise  ver- 
sucht. Zahn  erklärt  es  für  eine  lächerliche  Beschreibung  der 
Xestorianer,  ihnen  den  Selbstwiderspruch  vorzuhalten,  dass  ein 
von  Natur  sterblicher,  geteilter,  vergänglicher  Mensch  solche 
Wirkungen  erzeuge;  von  zwei  Naturen  sei  nicht  die  Rede,  das  Wort 
divisus  sei  nicht  in  nestorianischem  Sinne  gebraucht.  Der  Pre- 
diger stelle  das  Bekenntnis  auf,  dass  der  dem  Leibe  nach  Ge- 
kreuzigte nicht  ein  blosser  Mensch,  sondern  Gott  und  Gottes 
Sohn,  Gott  von  Gott  und  Logos  sei,  nur  dieser  könne  das  ver- 
schlossene Paradies  wieder  öffnen;  die  Lehre,  dass  Christus  bloss 
ein  hervorragender  Mensch  sei,  erkläre  er  für  einen  Beweis  jüdi- 
scher Blindheit.  Gleichstarke  Bekenntnisse  der  Gottheit  Christi 
seien  vielfach  in  der  nachapostolischen  Litteratur  vorhanden, 
jene  bekämpfte  Lehre  habe  es  im  2.  Jh.  gegeben  (Cerinth),  der 
Ausdruck  &ebg  ix  &sov  (den  Seeberg  streichen  will)  sei  der 
Sache,  „ungefähr"  auch  dem  Wortlaute  nach  im  2.  Jh.  heimisch 
gewesen  (Theoph.  ad  Autol.  IL  22). 

Genauer  setzt  sich  Seeberg  mit  der  dogmatischen  Frage 
auseinander.  Er  gesteht  zu,  dass  der  erste  Eindruck  sehr  wohl 
die  Predigt  als  antinestorianisch  erscheinen  lassen  konnte;  er  er- 
kennt im  Gegensatz  zu  Zahn,  dem  eine  solche  Polemik  gegen 
Nestorianer  lächerlich  erscheint,  an,  dass  derartige  Gedanken  in 
der  Polemik  gegen  diese  sehr  beliebt  waren.  Er  erklärt  es  ferner 
für  gewiss,  dass  der  Übersetzer  die  Predigt  in  diesem  Sinne  auf- 
gefasst  habe,  wendet  sich  aber  doch  gegen  die  Behauptung  des 
antinestorianischen  Ursprungs  der  Predigt.  Dem  Prediger  handle 
es  sich  nur  darum,    dass    Christus,    der  Gekreuzigte,   Gott  war. 


22  Pape,  Die  Predigt  und  das  Brief&agmenl  det  Aribtid. 

Das  Verhältnis  der  beiden  Naturen  sei  ausser  Acht  gelassen. 
Kurz,  es  finden  sich  keine  wirklichen  Spuren  einer  antinestoria- 
nischen  Polemik.  Ebenso  führt  es  Seeberg  als  unwahrscheinlich 
durch,  dass  die  Predigt  sich  gegen  Monarchianer  richte.  Ei 
lassen  sich  endlich  in  der  Zeit  des  Aristides  Anschauungen  finden, 
auf  welche  diese  Polemik  passe:  der  heidnische  Widerspruch 
(warum  fehlt  dann  jeder  Hinweis  auf  das  Heidentum?),  die  jüdische 
Anschauung,  und  dann  die  auch  bei  Christen  sich  findende  Auf- 
fassung, dass  Christus  bloss  ein  Mensch  gewesen  sei  (Cerinth, 
Gnostiker).  Die  Gedanken  der  Predigt  passen  also  ganz  auf 
jene  Zeit. 

Tritt  man  nun  zu  selbstständiger  Untersuchung  an  die  Predigt 
heran,  so  rnuss  man  sich  von  vorn  herein  klar  machen,  dass  man 
unter  der  Form  einer  Predigt  nicht  eine  systematische  Darlegung 
der  gegnerischen  Lehre  und  eine  ebensolche  Bekämpfung  derselben 
Punkt  für  Punkt  erwarten  darf,  dass  ferner  eine  derartige  Polemik 
immer  mehr  populär  gehalten  ist,  und  es  sich  also  für  uns  nicht 
darum  handeln  kann,  ob  die  erhobenen  Vorwürfe  die  Nestorianer 
wirklich  treffen,  sondern  ob  es  in  jener  Zeit  landläufige  Vorwürfe 
gegen  sie  waren.  Das  giebt  Seeberg  selbst  zu,  und  wir  wissen, 
dass  gerade  die  armenische  Kirche  am  schärfsten  gegen  jene 
Richtung  aufgetreten  ist.  Der  Ausdruck  .,Bekenner  des  Menschen" 
war  daselbst  terminus  technicus  für  Nestorianer.  auf  der  Synode 
zu  Valarsapat  um  490  wurde  beschlossen,  mit  ihnen  zu  verfahren 
wie  mit  Juden  (Ter  Mikelian,  d.  armen.  Kirche  in  ihren  Bezie- 
hungen z.  b}^zant.,  Leipzig  1892,  S.  47,  ferner  zu  vergl.  Cyrill,  Adv. 
Nest.  V.  i.  Migne  76.  Col.  212).  Dass  ihnen  hauptsächlich  die 
Erniedrigung  Christi  zu  einem  blossen  Menschen  vorgeworfen 
wurde  (Cyrill,  Anath.  V.  VII.),  beweisen  die  ihnen  gegenüber  ge- 
bräuchlichen Anschuldigungen  der  samosatenischen,  wie  der  photi- 
nianischen  Ketzerei  (Serm.  Nest.  b.  Marius  Mercator,  Migne  4S. 
Sermo  IV.  S.  785,  Sermo  XII.  S.  848  ff.,  Epist.  Mar.  Merc.  S.  775, 
Dissert.  Mar.  Merc.  de  blasphem.  Nest.  S.  924),  und  diese  Kampfes- 
weise ist  nicht,  wie  Zahn  annimmt,  lächerlich,  sondern  vielmehr 
perfid,  doch  war  das  in  der  Zeit  der  christologischen  Streitig- 
keiten eine  alltägliche  Erscheinung.  (Über  die  ungerechten  Vor- 
würfe vgl.  die  Reden  des  Nestorius  adv.  Proclum  1.  c.  S.  782 — 
801  V.  7.  VII.  i.  23).  Die  in  Kap.  IV.  V.  bekämpften  Leute  können 
also  sehr  wohl  Nestorianer  sein. 


Pape,  Die  Predigt  und  das  Brieffragment  des  Aristides.  23 

In  erster  Linie  handelt  es  sich  aber  darum,  zu  sehen,  ob 
die  den  betreffenden  Gegnern  entgegengestellte  positive  Lehre 
auf  Antinestorianer  passt.  Wenn  nun  Seeberg,  wie  oben  gezeigt 
wurde,  es  so  darstellt,  ..es  handle  sich  gar  nicht  darum,  dass  der 

Gekreuzigte,  als  solcher,  Gott  war ,  sondern  lediglich  darum, 

dass  er  überhaupt  Gott  ist,  und  nicht  ein  Mensch,  wie  alle  andern 
auch";  so  gerät  er  doch  in  einen  leisen  Widerspruch  mit  sich 
selbst,  wenn  er  gleich  auf  der  folgenden  Seite  es  betont,  „wie 
der  Prediger  mit  so  viel  Eifer  sich  gerade  dagegen  wendet,  dass 
„der  Gekreuzigte"  ein  blosser  Mensch  gewesen  sein  soll."  Dies 
letztere  ist  auch  in  der  That  die  richtige  Einsicht.  Der  Prediger 
spricht  nicht  von  Christus  überhaupt,  sondern  von  „dem  Ge- 
kreuzigten." Es  ist  interessant,  wie  er  sich  besonders  bemüht, 
diesen  Punkt  immer  wieder  hervorzuheben.  Dreizehn  mal,  wo  er  von 
der  Person  Christi  spricht,  nennt  er  ihn  meist  schlechthin,  einige- 
male  als  Apposition,  den  „Gekreuzigten",  und  nur  vier  mal 
gebraucht  er  einen  anderen  Ausdruck  ohne  die  specielle  Er- 
wähnung des  Kreuzes  III.  2,  V.  2,  VI.  3,  4.  Er  will  den  Gekreuzigten 
erweisen  als  Gott  VII.  4,  das  heisst,  er  will  zeigen,  dass  Christus 
auch  im  Augenblick  seiner  tiefsten  Erniedrigung,  da  die  mensch- 
liche Seite  seiner  Natur  am  prägnantesten  hervortritt,  doch  stets 
wahrer  Gott  gewesen  ist,  und  er  beweist  dies  durch  den  in 
diesem  Zustande  vollbrachten  Akt  der  Öffnung  des  Paradieses, 
welcher  ein  deutlicher  Beweis  göttlichen  Wesens  sei,  IV.  3— V.  2. 
Beweis  dessen,  dass  es  ihm  gerade  hierauf  ankommt,  ist  die  Be- 
tonung, in  welch  peinlichem  Zustande  sich  der  Gekreuzigte  durch 
die  Annagelung  befunden  habe  I.  3,  ferner,  dass  Christus  „noch 
am  Kreuze  hangend"  nicht  nur  selbst  ins  Paradies  geführt  wird, 
sondern  auch  die  Kraft  erweist,  den  Schacher  mit  sich  zu  nehmen 
II.  1.  Also  Jesus,  der  Gekreuzigte,  der  Offner  des  Paradieses, 
V.  1,  ist  Gott,  denn  wer  unter  den  Menschen  vermöchte  es  zu 
öffnen,  nachdem  Gott  es  verschlossen  IV.  s.  Bei  den  Gegnern 
ist  jedoch  Christus,  der  blosse  Mensch,  der  Gekreuzigte,  Offner 
des  Paradieses  und  höher  stehend  als  Gott,  dessen  Verschliesser 
V.  8.  Der  Prediger  und  seine  Partei  aber  bekennen  gegenüber 
dieser  verspottens-  und  beklagenswerten  Lehre  „den  wahren  Gott 
als  gekreuzigt  im  Fleische"  und  ebendenselben  beten  sie  an  als 
Öffner  und  Herrn  des  Paradieses  V.  4.  *0{uoloyov[iav  fteov  aXr/- 
ftivov  GTavQco&bvra  iv  OaQxl:  auf  diesen  Satz,  der  als  formelles 


24  Pape,  Die  Predigt  und  das  Brieffragtiient  dei  Arutidet. 

Bekenntnis     in     pathetischer     Weise     der     gegnerischen    Lehre 
gegenübergestellt  wird,  muss   doch   entschieden   ein  grosses  Ge- 
wicht gelegt  werden.     Hier  ist   nicht  zufällig,    wie  auch   schon 
früher  (Seeberg  S.  65,  Anm.,  Mansi  IV.  1183—95,   Hefele,  Con- 
ciliengesch.  IL   186 — 87),   die  Formel  vom  „gekreuzigten   Gott" 
gebraucht,  sondern,  wie  die  ganze  Stellung  und  der  Zusammen- 
hang ergeben,  sie  ist  mit  schärfster  polemischer  Spitze  im  vollen 
Bewusstsein  ihrer  Tragweite  ausgesprochen.     Als   solche  ist  sie 
aber   ein  Hauptstreitpunkt   des  nestorianischen    Kampfes   (Cyrill. 
Anath.  12  und  Nest.  Anath.  4  u.  12).     Namentlich  wurde  sie  in 
dieser  schroffen  Weise  in  der  armenischen  Kirche  gebraucht,  in 
der  ja  auch  daraus  die  theopaschitische  Formel  des  Trishagions 
sich  entwickelt  hat.    Die  oben  erwähnte  Schrift  von  Ter  Mikelian 
führt  jene  Formel  zurück  auf  eine  Schrift  Davids  des  Philosophen 
„Lob  des  Kreuzes",  geschrieben  auf  Befehl   des   Katholikos  Gut 
(459 — 69),   wo   jener   sie   in  verschiedentlicher  Form  wiederholt 
zur  Anwendung  bringt,    S.  46.     Schliesslich  beweist  auch  noch 
die  Schlussformel  VII.  iy  dass  diese   Darlegung  der  Tendenz  des 
Predigers  die  richtige  ist:  er  spricht  von  der   aus   den  priester- 
lichen   Büchern    sich    ergebenden   Überzeugung,    „dass   der    Ge- 
kreuzigte Gott  sei  und  der  Sohn  Gottes.    Ihm  sei  Ehre'/'    (Wenn 
Zahn  diese  kurze  Doxologie   als  Merkmal  hohen   Alters   angibt, 
so    sind   hiezu   zu   vgl.:   Sermones  Nestorii  1.  c,   bei   denen    die 
Doxologie  entweder  ganz  fehlt  oder  ebenso  kurz  ist,  ebenso  die 
Predigt  des  Proclus  lat.  Mar.  Merc.  S.  777,  griech.  Mansi  IV.  577. 
Auch    ein    grosser  Teil   der  Predigten    des   Cyrill  zeichnet  sich 
durch    kurzgefasste   Doxologieen    aus).     Der    Gottheit    des    Ge- 
kreuzigten gelten  seine  Ausführungen.     Wenn   er  aber  seinen 
Gegnern  vorwirft,  dass  sie  Christum  überhaupt  für  einen  blossen 
Menschen  halten,  so  weiss  er,  dass   er  diesen  Vorwurf  nur  auf- 
recht erhalten  kann,  indem  er  einen  Punkt,  wie  die  Kreuzigung, 
hervorhebt,  bei  welchem  jenen  Leuten   die   Bezeichnung  Christi 
als  Gott  ein  besonderer  Greuel  war  (Nest.  Anath.  12,  Sermo  VII. 
1.  c.  S.  789).    Wenn  wir  nun  die  beiden  Parteien  vor  uns  sehen. 
auf  der  einen  Seite  die,  welche  dem   Gekreuzigten  die  Gottheit 
absprechen,  auf  der  anderen  die,  welche  sie  in  schroffster  Weise 
behaupten,   so  weist  diese  Situation   unzweifelhaft  auf  die  Zeit 
des   nestorianischen  Kampfes,   und  zwar  scheint  der   Standpunkt 
des  Verfassers  in  der  antinestorianischen  Opposition  bereits  ziem- 


Pape,  Die  Predigt  und  das  Brief fragment  des  Aristides.  25 

lieh  weit  nach  der  Seite  des  entgegengesetzten  Extrems  vorge- 
schritten zu  sein.  Die  Merkmale  dieser  Polemik  sind  nun  aber 
bei  genauerer  Betrachtung  auch  an  anderen  Stellen  sehr  deutlich 
wahrzunehmen.  Wie  Christus  in  dem  Momente,  da  die  mensch- 
liche Seite  an  ihm  am  schärfsten  hervortrat,  doch  stets  Gott 
geblieben  ist,  so  lässt  sich  auch  überhaupt  in  der  Zeit  seiner 
Erniedrigung  seine  Gottheit  nachweisen  durch  andere  Wunder- 
wirkungen seines  immer  lebenschaffenden  Wortes,  die  derselbe 
Gekreuzigte  erwies,  ehe  er  noch  am  Kreuze  erhöht  wurde,  VI.  3. 
Dieser  letztere  Satz  betont  in  überreichlicher  Weise,  dass  diese 
Beweise  göttlicher  Macht  noch  zur  Zeit  des  Erdenlebens  Christi, 
ev  oaQxi  geschehen  seien.  Aus  dem  Satze  etwa,  wie  Zahn  es 
durchblicken  lässt,  eine  geringere  Vertrautheit  der  Zuhörer  mit 
den  vorgebrachten  Erzählungen  zu  folgern,  dagegen  spricht  die 
Art,  wie  die  Auferweckung  des  Lazarus  nicht  erzählt,  sondern 
bloss  angedeutet  wird.  (Über  diesen  Abschnitt  Kap.  VI.  mit  seiner 
Hervorhebung  der  von  Christus  noch  sv  oagxl  vollbrachten  Wun- 
derwirkungen göttlicher  Art  ist  zu  vergleichen  Cyrill,  adv.  An- 
thropomorphytas  Cap.  22.  Migne  76.  S.  1118).  Seeberg  weist 
in  Bezug  auf  diesen  Abschnitt  hin  auf  den  Unterschied,  wie  ein- 
fach hier  das  Wunder  der  Blindenheilung  dargestellt  wird,  und 
welche  Betrachtungen  Cyrill  daran  knüpft.  Cyrill  bemerkt  näm- 
lich (de  incarnatione  Mgn.  75.  S.  1236),  dass  Christus,  obwohl 
die  göttliche  Natur  unsichtbar  sei,  dem  Blinden  körperlich  Gottes 
Sohn  zeigt,  also  hier  selbst  keine  Unterscheidung  und  Trennung 
der  Naturen  vornimmt.  Aber  Cyrill  gebraucht  an  seiner  Stelle 
diesen  Fall  zur  Darlegung  des  Verhältnisses  beider  Naturen  zu 
einander;  dem  Prediger  ist  es  hier  darum  zu  thun,  zu  zeigen, 
dass  der  Gekreuzigte,  ehe  er  am  Kreuz  erhöht  wurde,  den  Be- 
weis seiner  Gottheit  geliefert  hat.  indem  er  sich  dem  Blindge- 
borenen selbst  als  den  Gottessohn  zeigte.  Auf  das  Verhältnis 
der  beiden  Naturen  zu  einander  geht  er  von  seinem  mindestens 
bis  Cyrill,  in  dem  Acumen  des  Interesses  eher  noch  über  ihn 
hinausgeschobenen  Standpunkt  hier  nicht  ein.  Es  ist  ihm  eine 
feststehende  Thatsache,  dass,  wer  Christus  sieht,  eben  keinen 
anderen  sieht  als  den  Urheber  des  Lichts,  den  Gott  von  Gott, 
den  Logos.  Die  Häufung  so  kräftiger,  speciell  das  rein  Göttliche 
hervorhebender  Bezeichnungen  gerade  an  dieser  Stelle  lässt  doch 
merken,  dass  der  Verfasser  sich  hier  eines  grossen  Gegensatzes 


2G  Pape,  Die  Predigt  and  das  Brieffragmeni  des  Aristide*. 

gegen  seine  Widersacher  bewusst  war.  Übrigens  Hesse  sich 
allenfalls  darin  eine  leise  Berührung  des  Verhältnisses  beider 
Naturen  vermuten,  dass  dem  natürlichen  Lichte,  also  dem  sinn- 
lich Wahrnehmbaren  der  Urheber  des  Lichtes,  Gott,  gegenüber- 
gestellt wird,  und  von  dem  Blinden  gesagt  wird,  er  habe  beides 
gesehen,  also  die  Vereinigung  des  sinnlich  Wahrnehmbaren  mit 
dem  Göttlichen,  das  ist  Christus. 

Ferner  ist  noch  ein  Punkt  hervorzuheben,  der  zu  dieser 
Auffassung  des  dogmatischen  Standpunktes  der  Homilie  stimmt 
und  sie  bestätigt.  Zahn  nnd  Seeberg  behaupten,  dass  der  Prediger 
über  das  Verhältnis  zweier  Naturen  kein  Wort  sage;  und  doch 
scheint  in  IV.  2  diese  Frage  ganz  deutlich  berührt  zu  sein. 
Wenn  Seeberg  meint,  der  hier  gebrauchte  Ausdruck  „Natur-  sei 
nicht  dogmatischer  terminus,  sondern  lediglich  Bezeichnung  des 
menschlichen  Wesens,  das  Jesus  mit  uns  teilt,  so  ist  dem  gegen- 
über von  vornherein  auffällig,  dass  der  Ausdruck  „Natur"  an  der 
kurzen  Stelle  dicht  hintereinander  fünfmal  gebraucht  ist.  Ein 
blosser  Mensch,  wird  ausgeführt,  dessen  Natur  sterblich  ist, 
kann  nicht  einem  andern,  ebenfalls  von  Natur  sterblichen 
Menschen  die  Unsterblichkeit  schenken,  und  dies  wird  näher  er- 
läutert: „Wenn  einer  nach  seiner  Natur  aus  einer  vergänglichen 
Natur  geboren  und  geworden  ist,  ist  es  da  glaublich  und  wahr- 
scheinlich, dass  ein  solcher  einem  ihm  in  allen  Stücken  gleichen, 
dessen  Natur  ebenso  vergänglich  und  verdorben  ist,  Unvergäng- 
lichkeit  schenke?" 

Nestorius  hatte  gelehrt,  dass  Christus  nur  seiner  mensch- 
lichen Natur  nach  aus  Maria  geboren  sei,  denn  aus  einem  Menschen 
könne  nur  ein  gleichartiger  Mensch  geboren  werden  (Sermo  I.  7 
1.  c.  S.  761  „quod  de  carne  natum  est,  caro  est.  .  .  .  Non  peperit 
creatura  eum,  qui  est  increabilis".     In  d.  Supplic.  Monach.  Mansi 

IV.    1104    OV7C    8TS7C6,     (p7}6i,    MaOlCZ     t.l     fiJ]     (XV&QOJjIOV     OllOOVOlOV 

tavx?jc).  Daraus  formulierten  seine  Gegner  die  Anklage,  dass  er 
Christum  zu  einem  blossen  Menschen  mache  (Sermo  V.  7  S.  787 
„.  .  .  noli  tu  cum  nudum  ac  simplicem  hominem  Christum  facias, 
mihi  hoc  probrum  impingere").  Wenn  nun  die  Predigt  es  absurd 
findet,  dass  ein  blosser  Mensch,  „seiner  Natur  nach"  aus  einer 
vergänglichen  Natur  geboren  und  geworden,  Unsterblichkeit 
schenken  könne,  so  scheint  dieser  Satz  gegen  jene  Lehre  des 
Nestorius,  natürlich  in  entstellter  Weise,  gerichtet  zu  sein  und 


Pape,  Die  Predigt  und  das  Brieffraguient  des  Aristides.  27 

ist  derselbe   Gedanke  von  antinestorianischer  Seite  sehr  beliebt 
gewesen  (so  wiederholt  in  der  Predigt  des  Proclus  von  Cyzikus 
über   die  MaQia   Qsoroxog,  Mansi  IV.    578 — 88.   i.    Av&Qmnm 
tyiXco  xo  Ocooai  ovx  ijV.    s.  Ö  dyoodöag  r^iag  ov  ipiXog  avdoco- 
jcog,  co  %vöale  u.   a.  m.;    ferner  Cyrill,    Adv.   Nest.  V.  12.  Mgn. 
S.  245.  KahoL  Jtcog  ovx  djroßXrjroQ  dt}  av   6   (ityQ1  ^t)   f^ovcov 
TCOV    T?jg    dvO-QCOJtOTijTOg     OQCOV     t/)v    rov    fivGT?]Qiov    öwafiiv 
xaxaxXuuv  ejtiytiQcov;  Quod  Maria  s.  deipara  22.  S.  282;  Expli- 
catio  XII  cap.  S.  312:  Apol.  pro  XII  cap.  S.  323;    Apol.  contra 
Tkeodoretum  S.  452:  Aq    ovv  dg  ftdvaxov    dvfrgcojzov  xoivov 
ßeßajzTLöfia&a;  xal  eig  avrov  jüiorevorreg  öixaiovfisO-a;  u.  a.  m.). 
Also  nicht  bloss    ein   gewöhnlicher  Mensch,    sondern   Jesus 
Christus,    der   wahre   Gott,   ist  aus  Maria   geboren.     Es  ist  be- 
merkenswert, dass  neben  dem  „geboren"  IV.  2  noch  ausdrücklich 
,,und  geworden"  steht.     Sollte   das  nicht  Bezug   haben  auf  den 
von   den  Nestorianern   erhobenen   Vorwurf,   als   würde  mit   dem 
(Jtoroxog  gelehrt,  dass  Christus,  der  Logos,  erst  mit  der  Geburt 
aus  Maria  seinen  Anfang  genommen  habe?    (Epist.  Nest,  ad  Coe- 
lest.  b.  Mar.  Merc.  S.  176.     Mansi  IV.  1021:  „ut  et  quidam  apud 
nos   sunt   clerici   ....   tamquam    haeretici   aegrotent   et   aperte 
blasphement   Deum  Verbum  patri  6tuoovoiov  tamquam  originis 
initium  de  Xqlototoxco  virgine  sumpsisset".    S.  1023:  „nemo  enim 
antiquiorem   se  parit;  ebs.  Cyr.  Ep.  IV.  Mgn.  77.  S.  45   ovy   cog 
xr\g    &elag   avrov   cpvöemg    doyt)v   rov    elvac    Zaßovörjg).     Wir 
können  demnach  behaupten,   dass  hier  die  Spuren   des  Kampfes 
um    das    Georoxog    wohl    erkennbar    sind.     Auf  einen    weiteren 
Punkt  kann  endlich  noch  hingewiesen   werden.     Der  bereits   er- 
wähnte Schlusssatz  von  Kap.  V.  lautet:  „Aber  wir  bekennen  den 
wahren  Gott  als  gekreuzigt  im  Fleisch  und  ebendenselben  beten 
wir  an  als  Offner  und  Herrn  des  Paradieses".     Nach   der  Lehre 
des    Nestorius    betraf   die    Kreuzigung,    wie    das    ganze    Leiden 
lediglich  die  menschliche  Natur  Christi   (Nest.  Anath.  12).     Der 
Gedanke  des  obigen  Satzes  ist  also:  der  Mensch  (nach  Nestorius) 
und  der  Herr  des  Paradieses,    das   ist  Gott,  IV.  3,   ist   als  ein 
und  derselbe  zu  verehren;  vergleicht  man  damit  das  VIII.  Anath. 
des  Cyrill  (El  zig  roXfiqcei  Xiyeiv  rov  dvaXr^divxa  dvdoojjzov 
6v[ijzooGxvv£iG&aL    öelv  reo  &eco   Xoycp  xal   owdot-dCeofrai    xal 
ovyynt/uaziCeiv  &ebv  cog  txboov  er   tztgco'  to   yd()   2vv,    du 
JinoOTLfrt\u£vov  rovzo  voüv  dvayxdCec  xal  oiyl  dt]  iw.Xlov  [itä 


28  Pape,  Die  Predigt  und  das  Brieffragment  des  Aristides. 

jioooxvvr/oti  rifia  top  EftfiavovrjX  xai  idav  avtm  r/jv  öo&oXo- 
yiav  ävcMitf/jiti  xa&o  yiyove  Guys  <>  Xöyoq'  äväütfia  %otca  . 
so  sieht  man,  dass  ein  und  derselbe  Gedanke  in  beiden  enthalten 
ist,  der  sich  gegen  die  im  entsprechenden  Gegenanathemati.-tua 
des  Nestorius,  wie  in  dessen  Sermo  VII.  adv.  Proclum  1.  c.  §  24 — 
37  ausgesprochene  Lehrauffassung  wendet.  Auch  hier  also 
spiegeln  sich  deutlich  Gegensätze  jenes  grossen  Kampfes  wieder. 
Und  von  diesem  Standpunkt  aus  besteht  keinerlei  Nötigung,  jene 
von  Seeberg  beanstandeten  Ausdrücke  zu  entfernen.  Zwischen 
diesen  Gedanken  haben  das  armenisch-antinestorianische  „Be- 
kenner  des  Menschen",  das  aus  dem  Nicänum  entnommene  d-toq 
ex  &eov,  das  Cyrill  wiederholt  im  Kampfe  gegen  Nestorius  ver- 
wertet (Exp.  XII  cap.  Mgn.  76  S.  296,  Apol.  pro  XII  cap.  S.  329, 
Ep.  55),  das  &ebg  ccÄrj&tvoc,  sowie  das  cyrillische  ..wahre  Mensch- 
werdung des  Immanuel"  (Seeb.  S.  18.  20  Anm),  ihren  unanfecht- 
baren Platz.  Sie  können  den  antinestorianischen  Charakter  der 
Homilie  nicht  noch  klarer  machen,  als  er  es  schon  ohne  sie 
geworden  ist,  stimmen  aber  als  jeden  Zweifel  ausschliessende 
helle  Punkte  vollkommen  zu  dem  entworfenen  Bilde. 

Es  hat  sich  demnach  das  auf  den  ersten  Eindruck  hin  ge- 
fällte Urteil,  trotzdem  Zahn  es  als  „gerade  nicht  das  Gegenteil 
von  Gedankenlosigkeit"  bezeichnet,  vollauf  bestätigt.  Bestimmtere 
Behauptungen  über  Zeit  und  Ort  der  Entstehung  würden  vor- 
läufig wohl  nur  den  Wert  von  Hypothesen  haben.  Wir  wissen, 
dass  die  christologischen  Kämpfe  eine  fieberhafte  litterarische 
Thätigkeit  hervorgerufen  haben,  welche  sich  teils  im  Aufsuchen 
älterer  Zeugnisse,  beziehungsweise  Übersetzen  ins  Syrische  und 
Armenische,  teils  in  selbständigen  Arbeiten  äusserte.  Wir  wissen 
aber  auch,  dass  bei  dem  „Sammeln  patristischer  Quellen"  das 
dogmatische  Interesse  das  bei  weitem  überwiegende  war  gegen- 
über etwa  dem  rein  litterarhistorischen.  Es  galt  den  betreffen- 
den Forschern,  ihren  dogmatischen  Anschauungen  die  Autorität 
der  Tradition  zu  verleihen,  indem  sie  sie  bei  altangesehenen 
Kirchenvätern  nachzuweisen  suchten.  Dass  bei  der  bekannten 
Skrupellosigkeit  in  Bezug  auf  die  Wahl  der  Mittel,  mit  denen 
der  Streit  geführt  wurde,  so  manches  eigene  Produkt  irgend 
eines  Parteifanatikers  unter  hochberühmtem  Namen  in  die  Welt 
hinausgegangen  ist,  ist  ersichtlich,  und  es  existieren  verschiedent- 
liche  Beweise  hiefür:  um  nur  ein  Beispiel  anzuführen,   sei  hin- 


l'iipe,  Die  Predigt  und  das  Brieffraguient  des  Aristides.  29 

gewiesen  auf  die  aus  dem  Armenischen  überlieferten  Predigten 
des  Gregorius  Thaumaturgus  bei  Pitra,  Analecta  ss.  IV.  S.  356  ff. 
In  nativitatein  Christi,  de  incarnatione  domini,  in  annunciationem 
Deiparae,  Laus  sanctae  Deiparae,  Panegyricus  in  sanctam  Dei 
Genetriceni  etc.,  die  fast  durchweg  antinestorianisch-monophysi- 
tische  Fälschungen  sind.  Man  wird  daher  nicht  fehlgehen,  wenn 
man  auch  diese  Predigt  der  erwähnten  Kategorie  von  Fälschungen 
zuweist;  sie  wird  dann  in  die  Zeit  zu  versetzen  sein,  in  welcher 
die  christologischen  Streitigkeiten  den  höchsten  Grad  der  Leiden- 
schaft erreichten.  Das  ist  die  Zeit  nach  dem  Chalcedonensischen 
Concil,  also  die  2.  Hälfte  des  5.  Jhs,  Was  den  Entstehungsort 
anbelangt,  so  wird  man  auch  die  Kirchen  ins  Auge  zu  fassen 
haben,  in  welchen  die  Gegner  am  schärfsten  auf  einander  prallten, 
und  die  Monophysiten  am  energischsten  ihren  Standpunkt  be- 
haupteten. Das  würde  also  auf  Armenien,  Syrien  oder  Ägypten 
hinweisen.  Die  Entscheidung,  welchem  unter  diesen  Gebieten  die 
grösste  Wahrscheinlichkeit  zukommt,  wird  der  Philologe  zu 
treffen  haben,  auf  Grund  des  Nachweises,  ob  ein  armenisches, 
oder  syrisches  oder  griechisches  Original  anzunehmen  ist.  So 
viel  jedoch  kann  behauptet  werden,  dass  —  wenn  nicht  gewichtige 
sprachliche  Gründe  ein  Veto  dagegen  einlegen,  eine  armenische 
Originalschrift  in  der  Predigt  zu  sehen  —  in  dem  Inhalte  nichts 
gefunden  werden  kann,  was  gegen  ein  armenisches  Original  spricht. 
Wie  man  darauf  verfallen  ist,  diese  Homilie  gerade  dem 
Aristides  zuzuschreiben,  wird  heute  wohl  kaum  mehr  enträtselt 
werden  können.  Aber  man  kann  annehmen,  dass  bei  einem  der- 
artigen Vorgehen  mancher  Griff  aufs  Geratewohl  ohne  viel  Über- 
legung gethan  wurde. 


Weit  weniger  Schwierigkeiten  macht  die  Behandlung  des 
kleinen  Brieffragments.  Nachdem  durch  die  Predigt  erwiesen 
ist,  dass  der  Name  des  Aristides  in  polemischem  Interesse  zur 
Zeit  der  nestorianisch-monophysitischen  Streitigkeiten  gebraucht, 
beziehungsweise  missbraucht  worden  ist,  ist  diese  kleine  Sentenz 
mit  dem  merkwürdigen  Titel  von  vornherein  verdächtig.  Wenn 
Zahn  und  Seeberg  in  Bezug  auf  den  Titel  erinnern  an  Tatians 
Oratio  und  Theophilus  Ad  Autolycum,  so  ist  bei  letzterer  Über- 
schrift durchaus   nichts   Auffallendes,  und  auch  der  Aoyoc  XQcg 


;;!(  Fajx',  Die  Predigt  und  das  Brieffragmenl  des  Aristides. 

"EMLf/vag  des  Tatian  keineswegs  so  singulär,  wie  der  Titel:  „Der 
Philosoph  Aristides  an  alle  Philosophen."  Wenn  der  Inhalt  der 
Schrift  dieser  Aufschrift  nur  halbwegs  entsprochen  hat,  ist  es 
sehr  auffallend,  dass  sich  keine  Erinnerung  an  einen  solchen 
„offnen  Brief"  erhalten  hat,  während  uns  doch  gerade  in  Bezni^ 
auf  Apologieen  eine  so  reiche  Anzahl  von  Titeln,  von  denen 
wir  sonst  auch  nicht  viel  Näheres  wissen,  erhalten  ist. ')  Der 
Verdacht  gegen  dies  kleine  Fragment  wird  in  hohem  Masse  noch 
verstärkt,  wenn  man  sieht,  woher  es  kommt.  Martin  hat  es  in 
Pitra,  Analecta  ss.  IV.  aus  einem  armenischen  Codex  der  Pariser 
Bibliothek  Nr.  85  herausgegeben.  Dieser  Codex  enthält  eine 
Anzahl  von  kurzen  Sentenzen  unter  dem  Namen  verschiedener 
Kirchenschriftsteller  (Melito,  Irenäus,  Hippolyt,  Cyprian,  Origenes, 
Dionysius  und  Petrus  von  Alexandrien,  Methodius)  und  ist  offen- 
bar ein  Bestandteil  des  armenischen  „Buchs  der  Zeugnisse",  dessen 
grösster  Teil  noch  ungedruckt  ist,  und  das  sich  vollständig  in 
der  Bibliothek  zu  Etschmiadzin  Nr.  1945  befindet  (Ter  Mikelian 
1.  c.  S.  47).  Dieses  „Buch  der  Zeugnisse"  ist  in  der  Zeit  der 
christologischen  Kämpfe  geschrieben  und  enthält  „kurze  Citate 
aus  allen  alten  Kirchenvätern  zur  Bestätigung  des  armenischen 
Glaubens"  (das  ist  der  antinestorianischen,  wesentlich  monophysi- 
tischen  Lehre).  Die  bei  einem  derartigen  in  reinem  Parteiin- 
teresse geschriebenen  Buche  von  vornherein  aufsteigende  Ver- 
mutung, dass  dabei  wohl  manches  eigene  Fabrikat  unter  irgend 
einem  alten  Namen  mit  untergelaufen  ist,  wird  in  höchstem  Masse 
bestätigt,  wenn  man  die  bei  Pitra  1.  c.  aus  dem  Cod.  Arm.  Paris. 
Nr.  85  gebrachten  Citate  ansieht,  von  denen  die  grösste  Zahl 
von  vornherein  als  gefälscht  angesehen  werden  muss.  Hippolyt 
S.  336 :  „qui  de  duabus  loquuntur  naturis,  quattuor  dominos  distin- 
guere  .  .  .  debent  et  loqui  de  quaternitate ;  hominem  absque  Deo 
verbo  confiteri  daemones  audebant;  alia  enim  die  natum,  alia  die 
baptizatum  dixerunt  Ariani(!)  „ut  duas  naturas  duosque  filios  con- 
titerentur";  etc.  Irenäus  S.  304:  „ipse  venit  Dei  et  hominis  naturam 
in  unum  conducens;  a  deo  separati  sunt,   qui   non  fatentur  Dei 


1)  Die  Hypothese,  der  Brief  an  den  Diognet  sei  von  Aristides,  wird 
schwerlich  Jemand  zur  Verteidigung  eines  Manifests  des  Aristides  an  alle 
Philosophen  herbeiziehen ;  denn  man  kann  nicht  eine  Unsicherheit  durch 
eine  andere  stützen. 


Pape,  Die  Predigt  und  das  Brieffragment  des  Aristides.  31 

verbum  imigenitum  sein  per  humanitati  fuisse  conjimctum  et  coad- 
unatum;  loquens  de  miione  verbi  cum  creatura  sua;  qui  unicum 
dividendo  frangunfr.  Origenes  S.  345:  „isti  indivisibiliter  unum 
in  duos  dividunt"  etc.  Dionysius  von  Alex.  S.  420.  IL  und  Anm. 
3:  „sanctae  cruci  affixerunt  eum,  qui  e  nihilo  omnia  constituit; 
dum  haeretici  'filium  Dei  dividere  in  duos  indivisibilem  et  inscru- 
tabilem  Christum  discindere  tentant''.  S.  422:  „uon  homo  tantum 
crucifixus  est,  sed  sanctum  imigenitum  Verbum ;  vides,  quomodo 
verbum  cruci  affixum  dixerit,  et  non  purum  hominem"  etc.  Petrus 
von  Alex.  S.  430:  ..quoniam  corpore  Dominum  nostrum  Jesum 
Christum  Maria  geiiait,  eundem  Verbum  et  non  alium;  quoniam 
Maria  genuit  Verbum  Dei  carnem  factum,  unum  eundemque  et 
non  alium  atque  alium;  qui  dicere  corpore  corruptam  fuisse 
unionem,  vel  dividere  Deum  a  corpore  audent;  Deus  et  corpus 
una  sunt  natura  unaque  persona;  ipse  est  Deus  indivisibilis  in 
indivisibili  unitate  sua;  qui  post  indivisam  unionem  loquuntur 
de  duabus  naturis,  duabus  filiis  etc.  inducunt  quaternitatem"  etc. 
Da  wir  nun  unser  ..Citat"  in  solcher  Umgebung  finden,  ist  ein 
gewisses  Misstrauen  von  vornherein  berechtigt.  Als  eo  ipso 
nicht  auf  die  Zeit  des  Aristides  passend  kann  man  gleich  mit 
Seeberg  das  „de  sancta  Maria"  und  „et  Spiritus  sancti"  entfernen. 
(Wenn  Zahn  in  Bezug  auf  den  heiligen  Geist  auf  Apol.  IL  6 
hinweist,  dass  auch  hier  von  einer  Mitwirkung  des  heiligen  Geistes 
die  Rede  ist,  so  ist  es  doch  etwas  anderes,  wenn  gesagt  wird  hv 
jtvevfidTi  aylco  (nebenbei  im  Syr.  nicht)  xaraßdg  djt  ovqccvov, 
als  wenn  von  einer  direkten  Mitbeteiligung  des  Spiritus  sanctus 
bei  der  göttlichen  ßovZrj  oder  evöoxla  gesprochen  wird,  infolge 
welcher  Christus  Fleisch  annimmt). 

Es  fragt  sich  nun,  ob  das  Übrigbleibende  nichts  enthalte, 
was  das  Fragment  in  eine  andere  Zeit  verweise.  Der  erste  Satz 
„Omnes  dolores  vere  passus  est  in  corpore  suo"  könnte  ja  an  und 
für  sich  als  antidoketisch  ins  2.  Jh.  passen.  Bei  genauerer  Be- 
trachtung ergiebt  sich  aber  doch  ein  Unterschied.  Vor  allem 
muss  beachtet  werden,  was  hier  Subjekt  ist.  Wie  aus  dem  fol- 
genden ersichtlich,  nur  der,  welcher  aus  der  hebräischen  Jung- 
frau seinen  Körper  annahm,  das  ist  also  nicht  Christus  schlecht- 
hin, sondern  der  Gott  von  Gott,  der  Logos.  Halten  wir  dies 
fest,  so  haben  wir  einerseits  eine  merkwürdige  Übereinstimmung 
mit  der  Formel  fteoc  OravQtüß-elq   der  Predigt,  andrerseits  mit 


32  Pape,  Die  riedigt  und  das  Brieffragment  des  Aristides. 

dem  Anfang  des  12.  Anath.  Cyrills:  Et  xtc  ov%  OfloZoyst  xbv 
xov  Qbov  Aoyov  Jiaüovxa  oaQxl,  deren  gegenteilige  Ansicht 
Cyrill  in  seinem  Apol.  pro  XII  cap.  als  Orientalium  oppoeitio 
Mgn.  76.  S.  377  angibt:  }AX)?  ovx  enadsv  6  &boq  xfi  oaoxl 
övvrjfiiitvoq  und  ^AXXa  yciQ  ovx  tf  Otoxr/g  xr\  Oaoxl  Ovvrj(j(itvrj 
enad-ev.  Und  wie  wir  den  ganzen  Standpunkt  der  Predigt  als 
einen  extremen  kennen  gelernt  haben,  so  scheint  dieser  Satz 
durch  das  hinzugefügte  „vere"  auch  über  Cyrill  hinauszugehen, 
wenn  dieser  doch  gewisse  Kautelen  gebrauchen  will.  (Apol.  pro 
XII  cap.  S.  380  xavxr]  rot  xal  fidka  6q065c  xax'  oIxblcoolv 
oixovoiiixi]v  avxov  XtyBö&aL  <patuev  xä  zfjq  öagxbg  jiadr/,  xexr/- 
QTjxoTBq  navxayov  xr\  avxov  cpvöBi  xo  ajia&iq.  S.  381:  tJisiÖ?) 
yag  böxiv  o  avxbg  &eog  xb  ofiov  xal  avfrocojzoc,  axa&rjc,  iilv 
xoys  tjxov  bIc,  xr\v  xrjq  &BOX?]xoq  <pvöiv,  jiadijxbg  dh  xaxä  xo 
av&Qcojiivov).  Wenn  demnach  der  hier  ausgesprochene  Gedanke 
nur  der  ist,  dass  nicht  allein  die  6ccq£-,  sondern  derjenige,  der 
dieselbe  angenommen  hat,  h>  öagxl  aXrftivwo,  gelitten  habe,  so 
hat  das  mit  einer  Bekämpfung  des  Doketismus  nichts  zu  thun, 
der  Christus  überhaupt  die  Realität  des  Leidens  abgesprochen 
hat,  sondern  es  ist  auch  hier  einer  der  Hauptgegensätze  des 
christologischen  Kampfes  erkennbar. 

Dies  wird  bestätigt  durch  den  Schlusssatz:  „quod  ....  sibi 
ineffabili  et  indivisibili  unione  conjunxerat".  Wer  die  oben  an- 
geführten Sentenzen  aus  demselben  Codex  vergleicht,  wird  sehen, 
dass  dieser  Gedanke  einer  der  am  häufigsten  wiederkehrenden 
ist.  Die  Armenier  müssen  daher  ein  besonderes  Interesse  dafür 
gehabt  haben,  und  wenn  Zahn  sagt,  sie  können  diesen  Ausdruck 
nicht  geschaffen  haben,  denn  er  drückt  ihr  Bekenntnis  nicht 
scharf  aus,  so  ist  dazu  zu  bemerken,  dass  von  jedem  einzelnen 
dieser  kurzen  Aussprüche  auch  nicht  ein  scharfer  Ausdruck  ihres 
Bekenntnisses  zu  erwarten  ist.  Jedes  einzelne  „Citat"  dient  eben 
dazu,  einen,  ihnen  besonders  wichtigen  Gedanken  zu  belegen. 
Dass,  wie  Zahn  und  Seeberg  durch  Beispiele  erläutern,  der  Aus- 
druck unio,  evcoötg,  in  ähnlichem  Sinne  auch  früher  gebraucht 
wurde,  ist  zweifellos,  ebenso,  dass  auch  dem  ineffabilis  und  indi- 
visibilis  ähnliche  Ausdrücke  hin  und  her  vorkamen.  Das  aber  ist 
nicht  nachweisbar,  dass  diese  Ausdrücke  zusammen  als  dogma- 
tische Formel  in  solchem  Zusammenhange,  mit  solchem  Nach- 
drucke  vor  Cyrill  gebraucht  worden   sind.     Bei  diesem  dagegen 


Pape,  Die  Predigt  und  das  Brieffragment  des  Aristides.  33 

war  die  Y-rojöig  ein  Lieblingsausdruck,  den  er  Anath.  3  zur  offi- 
ziellen Geltung  brachte.  Die  Verwahrungen  gegen  das  ötaioeiv, 
öcogiCeöd-at,  öiaxtureiv,  öiaöJtäv,  xmQl^sG&ai,  (legl&iv,  öiioxa- 
vcu,  ava  fitQog  xiOtrai  u.  a.  m.  sind  überaus  zahlreich,  und 
ebenso  wird  der  Gedanke  oftmals  angetroffen,  dass  die  tvcootg 
ein  ((vözr/Qioi',  dass  sie  äjino{>?]xog,  aQQtjTOQ,  acpQaövog,  axsQi- 
voryvoq  u.  s.  w.  sei.  Einzelne  Stellen  anzuführen,  würde  zwecklos 
sein,  da  sich  diese  Gedanken  in  allen  gegen  Nestorius  und  seine 
Lehre  gerichteten  Schriften  alle  Augenblicke  wiederholen.  Nur 
einiger  Zeugnisse  sei  gedacht,  in  denen  sich  eben  diese  Gedanken 
und  Ausdrücke  in  ähnlicher  Weise  in  Verbindung  mit  einander 
vorfinden:  Ep.  40  Mgn.  77.  S.  192:  riyovs  yag  öccqZ,  o  Aoyog, 
xara  xag  roatpag  xal  öv^ßaoiv  oixovofiixrjv  xal  amo (){>/] top, 
alificog  jt£Ji(jcr/dai  (pa^iev  avofiolcop  jiQay[iaxcov  dg  tvcooiv 
aötaöjraöTov.  ibid.  S.  193:  ovo  xa  alXrjlocg  ajtOQQfjxcog  xe  xal 
aocyyvxmg  owif/niva  xa&  tvcoötv.  Ep.  50.  S.  257:  xad?  tvcoöiv 
ajteoiv6?jxov  xal  aovyyvxov  xal  a(poaöxov  jtavxslwg.  Hom.  VIII. 
5:  Ogag  ovv  ojrcog  aöiaöxaxco  xs  xal  aöioglöxco  Jtsniocply^ag 
lrox//xi  t//c  ccjtoqq/jxov  ovvodov  xbv  Aoyov.  (Wenn  Seeberg 
in  unserm  Citat  neben  dieser  Formel  den  terminus  technicus 
cpvoig  vermisst,  so  ist  darauf  hinzuweisen,  dass  derselbe  sich 
bei  den  angeführten  Citaten  Cyrills  ebensowenig  in  unmittel- 
barer Verbindung  damit  vorfindet).  Dass  namentlich  in  der  mono- 
physitischen  Kirche  Armeniens  diese  und  ähnliche  Formeln  sich 
grosser  Beliebtheit  erfreuten,  beweist  der  Umstand,  dass,  wie  be- 
reits erwähnt,  dieser  Gedanke  sich  in  den  meisten  der  von  Martin 
1.  c.  veröffentlichten  „Citate"  findet.  Dieselben  drei  Begriffe 
nebeneinander  finden  sich  endlich  auch,  und  das  beweist  ihre 
Wichtigkeit  besonders,  in  einem  armenischen  Kirchenliede  von 
Moses  von  Chorene  (es  muss  dies  ein  Lied  von  besonderer  Be- 
deutung gewesen  sein,  denn  Ter  Mikelian,  dem  diese  Notiz  ent- 
nommen ist,  spricht  von  dem  Kirchenliede  des  Moses  v.  Ch.): 
Du  bist  geboren  unaussprechbare  Einheit,  du  bist  immer  unteilbar 
gewesen,  und  du  bist  untrennbar  vom  väterlichen  Schosse. 

Was  schliesslich  die  übrigens  höchst  fragwürdigen  Berüh- 
rungen resp.  die  Berührung  mit  der  Apologie  betrifft,  so  ist  das 
Streben  wohl  verständlich,  in  derartige  Machwerke  äusserliche 
Berührungen  mit  denjenigen  hineinzutragen,  denen  die  betreffen- 
den Sätze  zugeschrieben  werden. 

Texte  u.  Untersuchungen  XII,  2.  9 


;;  1  Pape,  Di<;  Predigt  und  dae  Brieffragment  des  Aristidet. 

I);i  sich  auch  hier  die  Gegensätze  und  Streitpunkt«  des 
christologischen  Kampfes  wiederfinden  und,  wie  wir  sahen,  von 
vornherein  das  Citat  sehr  verdächtig  war,  so  stellt  man  es  mit 
Recht  mit  den  oben  angeführten  „Zeugnissen"  auf  eine  Stufe 
und  muss  es  für  eine  der  vielen  Fälschungen  erklären,  die  das 
„Buch  der  Zeugnisse"  enthalten  zu  haben  scheint.  Von  die* 
Standpunkt  ans  kann  auch  die  merkwürdige  Überschrift  einiger- 
in assen  eine  Erklärung  finden.  Denn  die  Verfasser  dieser  Citate 
mussten,  um  ihre  Falsifikate  der  Kontrolle  zu  entziehen,  sie  offen- 
bar aus  Werken  entstammen  lassen,  von  denen  die  übrige  Kirche 
nichts  wusste,  die  also  häufig  erfunden  waren. 

Zum  Schlüsse  dieser  Untersuchung  möchte  ich  mir  noch 
eine  kurze  Entgegnung  auf  eine  Bemerkung  Zahns  erlauben. 
Wenn  dieser  Gelehrte  nämlich  die  heutzutage  herrschende  „Mode" 
tadelt,  alles  Befremdliche  an  Stücken  mit  antiken  Titeln  als 
Zeichen  der  Unechtheit  aufzufassen,  so  muss  demgegenüber  daran 
festgehalten  werden,  dass  diese  „Mode"  wohlberechtigt  ist,  sobald 
für  solche  befremdlichen  Erscheinungen  eine  wirklich  befriedigende 
Erklärung  in  einem  späteren  Zeitalter  gefunden  werden  kann. 


Druck  von  August  Pries  in  Leipzig. 


Verlag  der  J.  C.  HINRICHS'schen  Buchhandlung  in  Leipzig. 

Band  I— IV  auf  Seite  II  des  Umschlags. 

V,  l.  Der  pseudocyprianische  Tractat  de  aleatoribus,  die  älteste  lateinische  christ- 
liche Schrift,  ein  Werk  des  römischen  Bischofs  Victor  I.  (saec.  II.),  von 
Adolf  Harnack.    V,  135  S.    1888.  M.  4.50 

V,  2.    Die  Abfassungszeit  der  Schriften  Tertullians  von  Ernst  Noeldeohen. 

Neue  Fragmente  des  Papias,  Hegesippus  u.  Pierius  in  bisher  unbekannten 
Excerpten  aus  der  Kirchengeschichte  des  Philippus  Sidetes  von  C.  de  Boor. 
184  S.    1888.  M.  6  — 

V,  8.  Das  Hebräerevangelium,  ein  Beitrag  zur  Geschichte  und  Kritik  des  hebräischen 
Matthäus  von  Rud.  Handmann.    III,  142  S.    1888.  M.  4.50 

V,  4.  Agrapha.  Aussercanonische  Evangelienfragmente,  gesammelt  u.  untersucht 
von  Alfred  Resch.  —  Anhang:  Das  Evangelienfragment  von  Fajjum  von 
Adolf  Harnack.    XII,  520  S.    1889.  M.  17  — 

VI,  l.  Die  Textüberlieferung  der  Bücher  des  Origenes  gegen  Celsus  in  den  Hand- 
schriften dieses  Werkes  und  der  Philokalia.  Prolegomena  zu  einer 
kritischen  Ausgabe  von  Paul  Kötschau.  VII,  157  S.  u.  1  Tafel.  1889.  M.  5.50 
VI,  2.  Der  Paulinismus  des  Irenaeus.  Eine  kirchen- und  dogmengeschichtliche  Unter- 
suchung über  das  Verhältnis  des  Irenaeus  zu  der  Paulinischen  Briefsammlung 
und  Theologie  von  Johs.  Werner.    V,  218  S.    1889.  M.  7  — 

VI,  3.    Die  gnostischen  Quellen  Hippolyts  in  seiner  Hauptschrift  gegen  die  Häretiker 
von    Hans  Staehelin. 
Sieben  neue  Bruchstücke  der  Syllogismen  des  Apelles.  —  Die  Gwynn'schen 
Cajus-  und  Hippolytus-Fragmente.    Zwei  Abhandlungen  von  Adolf  Harnack. 

III,  133  S.     1890.  M.  4.50 
Die  ältesten  Quellen  des  orientalischen  Kirchenrechts.    1.  Buch: 

Die  Canones  Hippolyti  von  Hans  Achelis.    VIII,  295  S.    1891.  M.  9.50 

Die  Johannes-Apokalypse.  Textkritische  Untersuchungen  u.  Textherstellung 
von  Bernh.  Weiss.    VI,  225  S.    1891.  M.  7  — 

Ueberdasgnostische  Buch Pistis-Sophia.  — Brodu. Wasser:  die  eucharistischen 
Elemente  bei  Justin.  2Untersuchgn  von  Adolf  Harnack.  IV,  144  S.  1890.  M.  4.50 
.  Apollinarios  von  Laodicea.  Sein  Leben  u.  seine  Schriften.  Nebst  e.  An- 
hang: Apollinarii  Laodiceni  quae  supersunt  dogmatica.  Von  Johs.  Dräseke. 
XIV,  494  S.     1892.  M.  16  — 

Gnostische  Schriften  in  koptischer  Sprache  aus  dem  Codex  Brucianus  heraus- 
gegeben, übersetzt  u.  bearbeitet  von  Carl  Schmidt.  XII,  692  S.  1893.    M.  22  — 

Die  katholischen  Briefe.   Textkritische  Untersuchungen  und  Textherstellung 

von  Bernh.  Weiss.    VI,  230  S.    1892.  M.  7.50 

VIII,  4.    Die  griechische  Übersetzung  des  Apologeticus  Tertullians.  —  Medicinisches 

aus    der    ältesten  Kirchengeschichte.    —    Zwei  Abhandlungen  von  Adolf 

Harnack.    III,  152  S.     1892.  M.  5  — 

IX,  l.    Untersuchungen  über  die  Edessenische  Chronik.    Mit  dem  syrischen  Text 

und  einer  Übersetzung  herausgegeben  von  Ludwig  Hallier.    VI,  170  S. 
Die  Apologie  des  Aristides.    Aus  dem  Syrischen  übersetzt  und  mit  Beiträgen 
zur  Textvergleichung  und  Anmerkungen  herausgegeben  von  Richard  Raabe. 

IV,  97  S.  1892.  M.  8.50 
IX,  2.    Bruchstücke  des  Evangeliums  und  der  Apokalypse  des  Petrus   von  Adolf 

Harnack.    Zweite  verbesserte  u.  erweiterte  Aufl.  VIII  u.  98  S.  1893.  M.  2  — 

IX,  3/4.  Die  Apostelgeschichte.    Textkritische  Untersuchungen  und  Textherstellung 

von  Bernh.  Weiss.    313  S.    1893.  M.  10  — 

X,  Aussercanonische   Paralleltexte  zu  den  Evangelien  gesammelt  u.  untersucht 

von  Alfred  Resch. 

1.  Textkritische  u.  quellenkritische  Grundlegungen.  VII,  160  S.  1893.  M.5  — 

2.  Paralleltexte  zu  Matthäus  und  Marcus.    VIII,  456  S.    1894.      M.  14.50 

XI,  1.    DasKerygma  Petri.    Kritisch  untersucht  von  Ernst  von  DobschUtz.  VII,  162  S. 

1893.  M.  5  — 

XI,  2.    Acta  SS.  Nerei  et  Achillei.    Text  u.  Untersuchung  von  Hans  Achelis.  IV,  70  S. 

1893.  M.  3  — 

XI,  3.    Das  Indulgenz-Edict  des  römischen  Bischofs  Kailist  kritisch  untersucht  und 

reconstruiert  von  Ernst  Rolffs.    VIII,  139  S.    1893.  M.  4.50 

XI,  4.    Textkritische  Studien   zum   Neuen  Testament   von  Wilhelm  Bousset.    VIII, 

144  S.     1894.  M.  4.50 

XII,  1.    Der  Chronograph  aus  dem    zehnten  Jahre  Antonins.     Von  Adolf  Schlatter. 

IV,  94  S. 
Zur    Überlieferungsgeschichte    der   altchristlichen   Litteratur.      Von  Adolf 

Harnack.    32  S.    1894.  M.  4  — 

XII,  2.    Tertullian's  Gegen  die  Juden  auf  Einheit,  Echtheit,  Entstehung  geprüft  von 

E.  Noeldechen.    IV,  92  S. 
Die  Predigt  und  »las    Brieffragment  des  Aristides  auf  ihre  Echtheit  unter- 
sucht von  Paul  Pape.    36  S.    1894.  M.  4  — 


vi, 

4. 

VH, 

1. 

VII, 

2. 

VII, 

8/4. 

VIII, 

1/2. 

VIII, 

3. 

TEXTE  UND  I  NTERSi CHI  \(;e\ 

ZUR  G-ESpHKJHTB  DER 

ALTCHRISTLICHEN  LITERATUR 

HERAUSGEGEBEN  VON 

OSCAR  von  &EBHARDT  und  ADOLF  HAMACK 
XII.  BAND    HEFT  1 

TEKTÜLLIAFS  GEGEN  DIE  JUDEN 

AUF  EINHEIT,  ECHTHEIT,  ENTSTEHUNG 
GEPRÜFT  VON 

E.  NOELDECHEN. 


DIE  PREDIGT  UND  DAS  BRIEFFRAGMENT 

DES 

ARISTIDES 

AUF  IHRE  ECHTHEIT  UNTERSUCHT 

VON 

PAUL  PAPE. 


LEIPZIG 

J.  C.  HINRICHS'SCHE  BUCHHANDLUNG 

1894 


IGNATIUS  VON  ANTIOCHIEN 

ALS 

CHRIST  UND  THEOLOGE 

EINE  DOGMENGESCHICHTLICHE  UNTERSUCHUNG 

VON 

EDUARD  FREIHERRN  VON  DER  GOLTZ 

LIC.   et  CAND.  THEOL. 


GRIECHISCHE  EXCERPTE 

AUS 

HOMILIEN  DES  OMGENES 

VON 

ERICH  KLOSTERMANN 


LEIPZIG 

J.  C.  HINRICHS'SCHE  BUCHHANDLUNG 

1894 


IGNATIUS  VON  ANTIOCHIEN 

ALS 

CHRIST  UND  THEOLOGE 

EINE  DOGMENGESCHICHTLICHE  UNTERSUCHUNG 

VON 

EDUARD  FREIHERRN  VON  DER  GOLTZ 

LIC.   et  CAND.   THEOL. 


Texte  u.  Untersuchungen.    XII,  3.  Leipzig  1894. 


MEINEM  VATER 


IN  DANKBARER  LIEßE. 


DER  VERFASSER, 


Vorwort. 

Vorliegende  Arbeit  hat  im  vorigen  Winter  der  boehwürdigen 
Berliner  theologischen  Fakultät  als  Probeschrift  zur  Erwerbung 
des  Licentiatengrades  vorgelegen.  Wenn  ich  sie  jetzt,  ermutigt 
durch  die  Anerkennung  meiner  Lehrer,  mit  einigen  Ergänzungen 
und  Verbesserungen  der  Öffentlichkeit  übergebe,  so  möchte  ich 
das  nicht  thun,  ohne  auch  an  dieser  Stelle  meinen  hochverehrten 
Lehrern  in  Halle,  Berlin  und  Bonn  meinen  tiefempfundenen  Dank 
auszusprechen  für  alle  von  ihnen  erfahrene  Anregung  und  För- 
derung während  meiner  Studienzeit.  Ganz  insbesondere  gilt  dieser 
Dank  meinem  hochverehrten  Lehrer  Herrn  Professor  Ad.  Harnaek. 
in  dessen  Seminar  ich  die  erste  Anregung  zur  Beschäftigung  mit 
den  apostolischen  Vätern  erhalten  habe,  und  welcher  in  allen 
Stadien  dieser  Arbeit  mir  seinen  Rat  und  seine  Anleitung  hat 
zu  Teil  werden  lassen.  Wenn  ich  diese  Arbeit  meinem  Vater 
widme,  so  möchte  ich  damit  nicht  nur  eine  Pflicht  kindlicher 
Dankbarkeit  erfüllen,  sondern  auch  ein  öffentliches  Zeugnis  des 
Dankes  geben,  den  ich  ihm  als  meinem  theologischen  Leiter  und 
Lehrer  schulde. 


Im  August  1894. 


r> 


Der  Verfasser. 


% 


Inhaltsübersicht 

Seite 
Einleitung.     Vorarbeiten  S.  ltfc     Aufgabe  S.  6.     Historische 

Voraussetzungen  S.  7tt'. 1  —  10 

Erster  Teil:    Darstellung  der  christlichen  Anschauung  und  der 

theologischen  Gedanken  des  Ignatius 11  —  88 

Einleitung:   Der  allgemeine  Grundcharakter  der  ignatia- 

nischen  Anschauung 11  —  12 

I.  Glaube  an  Gott  und  Christus 13  —  28 

1.  Der   Ewigkeitecharakter   der  Offenbarung   Gottes   in 

Christo 14—17 

2.  Die  scheinlose  Geschichtlichkeit  der  Erscheinung  Gottes 

im  Menschen 17  —  19 

3.  Das  Bild  von  der  geschichtlichen  Person  Jesu  .     .     .  19  —  20 

4.  Die  Bedeutung  der  Gottheit  Christi 21  —  2<S 

II.  Die  einzelnen  Heilsthatsachen  und  ihre  Heilsbe- 

deutung    28  —  37 

1.  Geburt  und  Gesamt-Erscheinung 2$  —  20 

2.  Tod  und  Auferstehung 29  —  37 

III.  Eschatologische  Gedanken  und  die  Auffassung  des 

christlichen  Heilsgutes  im  Verhältnisse  zu  ihnen  37  —  41 

1.  Eschatologische  Gedanken 37  —  39 

2.  Das  Heilsgut  als  Gegenwärtiges  und  Zukünftiges  39  —  41 

IV.  Das  christliche  lieben  in  Glaube  und  Liebe    .    .  41—59 

1.  Glaube  und  Liebe  als  Grundprinzipien  des  Leben«  41 — 47 

2.  Die  Motive  des  christlichen  Handelns 47  —  59 

a.  Die  innerliche  Gebundenheit  au  Gott.    S.  48.   — 

b.  Die  innerliche  Gebundenheit  an  Christus.    S.  49.  — 

c.  Das  Vorbild  Christi.  8.  49.  —  d.  Dankbarkeit  gegen 
Christus.  S.  50.  —  e  Ehre  Gottes  und  des  christlichen 
Namens.  S.  51.  —  f.  Gebote  Christi  und  der  Apostel. 
S.  52.  —  g.  Asketische  Motive.  S.  53.  —  h.  Die  Hoff- 
nung auf  Vergeltung.  S.  57.  —  i.  Die  Furcht  vor 
Strafe.   S.  58. 

V.  Christus  und  die  Gemeinde 59  —  86 

Vorbemerkungen  S.  59.  60. 


VIII  Inhaltsübersicht. 

1.  Die  geschichtliche  Veranlassung  der  kirchlichen   Kr-        Seite 

mahnungen GO  —  62 

2.  Die   allgemeine    Kirche   und    die  Einzelgeuieinde   in 

ihrem  Verhältnis  zu  einander  und  zu  Christus      .      02  —  66 

3.  Das   Gcsamtleben    und    die   genieinsamen   (Jüter   der 

Gemeinde 67  —  09 

4.  Die  gottesdienstliehe  Einheit  (Taufe  und  Herrenmahl)  GO  —  74 

5.  Beurteilung  der  Anschauung  des  Ignatius  von  der  Kirche  74  —  7.S 
G.  Die  Autoritäten  der  Gesaintkirche 78  —  80 

a.  Apostel.   S.  78.    —   b.  Evangelium.   S.  78-80.   — 
c.  Altes  Testament.   S.  80—86. 
Rückblick.   S.  86—87. 

Anhang  zum  ersten  Teil:  Die  sprachliche  Eigentüm- 
lichkeit der  ignatianischen  Briefe 88  —  08 

a.  Wortschatz.    8.  88-90.    —   b.  Stil.   S.  00-03.   — 
c.  Formelhaftes  und  Liturgisches.   S.  03—98. 

Zweiter  Teil:   Ote   christlichen  Anschauungen  des  Ignatius  nach 

ihrer  geschichtlichen  Entstehung  und  Bedeutung 99—177 

1.  Paulus  und  Ignatiue 100—118 

Vorbemerkung.    8.  100. 

1.  Die  älteren  Paulusbriefe 100—103 

2.  Epheser»  und  Kolosserbrief 103-107 

a.  Epheserbrief.   8.  103-105.  —   b.  Kolosserbrief.     .  100—107 

3.  Die  Pastoralbriefe 107— HS 

a.  Die  Polemik  gegen  die  Irrlehrer.   8,  107 — 110.   — 

b.  Die  christliche  Lehranschauung.    S.  110 — 115.   — 

c.  Kirche  und  kirchliches  Amt.  S.  115— 118. 

IT.  Ignatius  und  Johannes HS — 114 

Vorbemerkung    8.  118—119. 

A.  Die  geistigo  Verwandtschaft 119—131 

1.  Die  johanneischen  Grundgedanken  bei  ignatius     .     .     110—127 
a.  Der  Glaube  an  Jesus  Christus.  8. 119—121.  —  b.  Die 
Heilsthatsachen   und  die  Heilsgüter.   S.  121 — 122.  — 

c.  Das  neue  Leben  in  Glauben  und  Liebe.    8. 122 — 124. 

d.  Stellung  zum  Alten  Testament  und  zum  Judentum. 
S.  124—127. 

2.  Die  Verwandtschaft  mit  der  johanneischen  Apokalypse    127—129 

3.  Der  Antheil  des  Ignatius  an  einer  in  Kleinasien  ver- 

breiteten „johanneischen"  Anschauungsweise    .    .     129—131 

B.  Prüfung   der   litterarischen   Verwandtschaft   .     131 — 144 

1.  Einzelne  Stellen 131—130 

2.  Benutzung   der  synoptischen  statt  der  johanneischen 

Erzählung 137—138 

3.  Die  Selbständigkeit  der  Form  bei  Ignatius    .    .    .•  .    139—140 


Inhaltsübersicht. 


IX 


4.  Das  literarische  Verhältnis  Justins    und  der  aposto-  Seite 
lischen  Väter  zu  Johannes  im  Vergleiche  mit  dem 

des  Ignatius 140 — 144 

III.  Die  geschichtliche  Bedeutung  der  igrtatianischen 
Auffassung  des  Christentums  in  seiner  Zeit  und 

ihr  Verhältnis  zur  späteren  Entwicklung  .    .     .  144—177 

A.  Ignatius  und  seine  Zeitgenossen.    (Apostolische 

Väter  und  Apologeten) • .  144 — 151 

B.  Ignatius  und  die  spätere  Entwicklung    .     .    .  151—169 

1.  Die  Ansätze  zur  nächsten  geschichtlichen  Weiterbildung  151 — 160 
a.  <iuostische  Elemente.    8.  152—154.  —  b.  Marcion. 

S.  154—156.  —  c.  Irenäus.   8.  156—160. 

2.  Anticipationen  der  spätem  Entwicklung 160—165 

a.  Christologie  und  HeilsaufTassung  (Melito,  Noet,  Me- 
thodius).  S.  160 — 161.  —  b.  Begriff  der  Kirche  (Cyprian 

und  Pseudodionysius).    S.  162 — 165. 

C.  Ignatius  und  die  kleinasiatische  Tradition  .     .  165 — 177 
Anhang  zum  zweiten  Teil:   Tabellen  I— III     .     .     .     .  178—206 

Tabelle     I  Ignatius  und  Paulus  (ältere  Briefe)  ....  178—184 

Tabelle  II  Deuteropaulinische  Litteratur 186—196 

Tabelle  III  Ignatius  und  Johanneische  Schriften     .     .     .  197—206 


Abkürzungen. 


Ign. 

= 

Ignatius. 

Pls. 

= 

Paulus. 

Joh. 

= 

Johannes. 

Past.-Br. 

= 

Pastoralbriefe. 

P.  Eph. 

.-= 

Paulinischer  Epheserbrief. 

P.  Rom. 

= 

„            Römerbrief. 

Eph. 

— 

Brief  des  Ignatius  an  die  Epheser. 

M. 

= 

„     „    Magnesier. 

Ti- 

= 

„        „          „         „    „     Iraner. 

ll. 

=: 

„    „    Römer. 

Phld. 

= 

„     „    Philadelphia- 

Sin. 

= 

.,         .,     „    Sniyrnäer. 

Pol. 

= 

.,         „          Polykarp. 

Eph.  iscr. 

lnscriptio  des  Briefs  an  die  Epheser. 

Druckfelllerberichtigung. 


s. 
s. 
s. 
s. 

s. 

s. 


9  Zeile  9  von  oben  streiche  das  Komma  hinter  Tradition 
51  Zeile  1  lies  Andern  statt  anderen 
56  Zeile  1  lies  uyvtlti  statt  <yvtlu 
68  Zeile  14  lies  Phld  7,  i  statt  Ph.  VII,  i 


117  Ze 
13!  Ze 


le  15  von  unten  lies  9t-ov  statt  &eot 
le  4  von  oben  lies  /<»}  statt  fiv 


8.  150  Zeile  5  von  unten  lies  testen  statt  besten 


Einleitung. 


Die  sieben  uns  in  der  kürzeren  griechischen  Recension  er- 
haltenen Briefe  des  Bischofs  Ignatius  von  Antiochien  nehmen 
unter  den  Schriften  der  apostolischen  Väter  in  mehrfacher  Hin- 
sicht eine  hervorragende  und  eigenartige  Stellung  ein.  Trotz  ihres 
geringen  Umfanges  bieten  sie  so  viele  Probleme,  so  viele  wert- 
volle christliche  Gedanken  in  einem  sehr  originellen  knappen 
Stile  und  verraten  uns  für  die  Zeit,  aus  der  sie  sein  wollen,  so 
eigentümlich  entwickelte  kirchliche  Verhältnisse,  dass  es  nicht  zu 
verwundern  ist,  wenn  ihre  Echtheit  so  lange  bestritten  und  ihr 
Inhalt  in  den  Dienst  der  verschiedensten  Theorien  über  die  ersten 
Entwicklungsstufen  des  Christentums  gestellt  worden  ist.  Am 
meisten  für  den  Beweis  der  Unechtheit  verwertet  und  am  gründ- 
lichsten untersucht  ist  ihr  Episkopalismus.  Auch  die  Frage, 
welche  Häresien  der  Verfasser  bekämpft,  ist  nach  allen  Seiten 
erwogen  und  sehr  verschieden  beantwortet  worden.  Am  wenigsten 
hat  dagegen  ihr  dogmengeschichtlicher  Gehalt  Berücksichtigung 
gefunden.  Derselbe  konnte  zur  Entscheidung  der  Echtheits-  und 
Zeitfrage  auch  nur  mit  grosser  Beschränkung  verwendet  werden, 
und  unter  der  früher  sehr  verbreiteten  Voraussetzung  der  Un- 
echtheit sind  die  Gedanken,  Aussagen  und  Formen  des  unselb- 
ständigen Machwerks  von  ziemlich  untergeordnetem  Interesse.  Die 
neueren  umfangreichen  Untersuchungen  von  Zahn  *),  Lightfoot2) 
und  dem  katholischen  Theologen  Funk3)  haben  aber  gründlich 
nachgewiesen,  dass  die  sieben  Briefe,  welche  Eusebius  nennt,  in 

1)  Th.  Zahn,  Ignatius  v.  Antiochien.  Gotha  1873  u.  Patruin  apostol. 
opp.  fasc.  II.  Lipsiae  1870. 

2)  J.  B.  Lightfoot,  The  apostolic  fathers,  Part.  II.  Ignatius  a.  Poly- 
carp,  Vol.  I— III.  London  1889. 

3)  F.  X.  Funk,  Die  Echtheit  der  ignatianischen  Briefe.  Tübingen  1883. 
Texte  u.  Untersuchungen  XII,  3.  1 


2  v.  d.  Goltz,  Ignatius. 

der  kürzeren  griechischen  Recension  echt  sind.  Bisher  ist  kein 
ausführlicher  Versuch  gemacht  worden,  Zahn  und  Lightfoot 
zu  widerlegen.  D.  Völter  ')  hat  durch  seine  Untersuchung  der 
Frage  nichts  geändert;  denn  in  Betreff  der  6  kleinasiatischen 
Briefe  verteidigt  er  selbst  den  unverfälschten  ursprünglichen  Cha- 
rakter, und  seine  Gründe  für  Abtrennung  de3  Römerbriefs  als 
eines  unechten  spätem  Machwerks  sind  in  keiner  Weise  über- 
zeugend. Nur  durch  starke  Übertreibung  und  Aufbauschung  der 
Eigentümlichkeiten  desselben,  durch  viel  zu  ausgedehnte  Ver- 
wendung des  argumentum  ex  silentio  und  durch  die  Vorstellung 
von  einem  Fälscher,  der  unglaublich  raffiniert  und  geschickt  einer- 
seits und  ebenso  unvorsichtig,  vergesslich  und  ungeschickt  andrer- 
seits gewesen  sein  müsste  —  ein  Bild,  das  mir  hier  wie  ander- 
wärts nie  einleuchten  will  —  weiss  V.  seine  Verwerfung  des 
originellen  Briefs,  den  Renan  allein  für  echt  halten  wollte,  zu 
begründen.  Noch  willkürlicher  ist  die  Unterscheidung  des  Ver- 
fassers der  echten  Briefe,  eines  christlichen  Märtyrers,  von  dem 
altern  antiochenischen  Bischof  und  seine  Vermutung,  Peregrinus 
Proteus  sei  jener  Verfasser.  Ich  kann  überhaupt  keine  über  das 
Natürliche  oder  Zufällige  hinausgehende  Verwandtschaft  mit  den 
Schilderungen  Lucians  entdecken.  Wie  Harnack  (Theol.  L.  Z. 
1894Nr.3.S.73ff.),  so  scheint  auch  mir  die Proteus-Hypothese  kaum 
diskutierbar.  Letzteres  gilt  allerdings  in  noch  höherm  Grade  von 
dem  Vorschlag  D.  Killen* s2),  der  dem  Bischof  Calixt  die  Ehre 
der  Autorschaft  zu  verschaffen  sucht. 

Darf  demnach,  wie  auch  Harnack3)  und  Loofs4)  annehmen 
undReville5)  von  neuem  dargethan  hat,  die  Echtheit  der  sieben 
Briefe  als  wissenschaftliches  Ergebnis  neuerer  Forschung  gelten, 
so  gewinnt  eine  Untersuchung  der  Gesamtauffassung  des  Ignatius 
neues  besonderes  Interesse.  Es  fehlt  nicht  an  Vorarbeiten  in 
dieser  Richtung.  Zahn  hat  in  seinem  Werke  über  I.  v.  A. 
S.  433—490   ein  Kapitel  unter  der  Überschrift:   Der  Theologe. 


1)  D.  Völter,   Die  ignatianschen  Briefe   auf  ihren  Ursprung  unter- 
sucht. Tübingen  1892. 

2)  W.  D.  Killen,  The  Ignatian.  epistles  entirely  spurious. 

3)  Harnack,  Theol.  L.  Z.  1886  S.  318;  1891  S.  374. 

4)  Dogmengeschichte  1890  u.  Stud.  u.  Krit.  1890  S.  658. 

5)  Jean  Reville,  Etudes  sur  Porigine  de  Vepiscopat  in  Revue  de 
l'histoire  des  religions.  Tora.  XXII  1890  (Paris)  S.  1-26,123-100,  267-288 


Einleitung.  3 

Hier  stellt  er  zumal  diejenigen  theologischen  Äusserungen  des 
Ignatius  zusammen,  welche  durch  den  Gegensatz  gegen  doketische 
und  judaistische  Häretiker  bestimmt  sind.  Indem  er  sich  hierbei 
im  wesentlichen  auf  die  direkten  Aussagen  des  Bischofs  be- 
schränkt, sind  demgemäss  nur  die  Polemik  gegen  jüdische  Ge- 
setzlichkeit, die  antidoketischen  christologischen  Formeln  und  ihre 
Bedeutung  in  Erwägung  gezogen,  und  die  ganze  Abhandlung 
dient  nur  dem  Erweise  der  Echtheit.  Für  diesen  Zweck  war  es 
das  Wertvollste  zu  zeigen,  dass  die  lehrhaften  Äusserungen  des 
Ignatius  mehr  gelegentlich  veranlasste  als  dogmatisch  selbständige 
sind,  dass  sie  miteinander  in  Einklang  stehen  und  mehr  aposto- 
lische Einfachheit  als  kirchliche  Korrektheit  besitzen.  Solche 
Verteidigung  war  besonders  herausgefordert  durch  die  Baur' sehe1) 
und  die  Hilgenfeld'sche2)  Kritik.  Letzterer  hatte  den  dogma- 
tischen Charakter  durchaus  anders  zu  bestimmen  und  damit  Un- 
echtheit  und  spätes  Datum  zu  erweisen  versucht.  Nachdem  er 
die  Gegner  als  gnostisch-doketische  Irrlehrer  —  vielleicht  Valen- 
tinianer  —  charakterisiert,  unterscheidet  er  bei  der  Darstellung 
des  dogmatischen  Gedankenkreises  der  Briefe  selbst:  „Die  pauli- 
nische  Grundlage",  —  „Das  gnostische  Element"  —  und  „Das 
katholische  Prinzip",  verbindet  also  mit  der  Darstellung  der  igna- 
tianischen  Gedanken  unmittelbar  die  dogmengeschichtliche  Kritik 
und  Analyse.  „Die  paulinische  Grundlage"  ist  bei  Hilgenfeld 
nichts  mehr  als  die  antijudaistische  Polemik.  Partiellen  Gnosti- 
cismus  weist  er  an  einigen  Vokabeln  und  an  dem  angeblichen 
Intellektualismus  und  Dualismus  nach,  und  aus  beiden  zusammen 
soll  sich  das  katholische  Prinzip  ergeben.  Im  wesentlichen  be- 
schränkt auch  er  sich  auf  die  Erörterung  der  direkten  Lehraus- 
sagen des  Verfassers,  ihnen  zugleich  eine  dogmengeschichtliche 
Stellung  anweisend.  Das  Resultat,  welches  er  dabei  gewinnt,  ist 
allerdings  nicht  mehr  zu  halten,  nachdem  inzwischen  die  Vor- 
stellung vom  Paulinismus,  vom  Gnosticismus  und  von  der  Ent- 
wickelnng  zur  altkatholischen  Kirche  bedeutende  Änderung  und 
Klärung  erfahren  hat.  Die  beste  Widerlegung  giebt  Light foot 
Vol.  I,  S.  373  ff.  in  einer  Erörterung  der  theologischen  Polemik 


1)  Die  ignatianischen  Briefe  u.  ihr  neuester  Kritiker.  Streitschrift  gegen 
Jos.  Bunsen  von  F.  Chr.  Baur.  Tüb.  1848. 

2)  A.  Hilgenfeld,  Die  apostol.  Väter.  Halle  1853,  S.  226— 251. 

1* 


4  v.  d.  Goltz,  Ignatius. 

zum  Zwecke  des  Echtheitsbeweises  und  in  dementsprechender 
Beschränkung  auf  die  direkten  polemischen  und  apologetischen 
Äusserungen.  Dagegen  setzt  noch  Pf  leider  er1)  in  dem  den 
ignatianischen  Briefen  gewidmeten  Abschnitte  seines  „Paulinis- 
mus" die  Unechtheit  einfach  voraus  und  charakterisiert  den  Stand- 
punkt der  Briefe  als  einen  dogmatisch  verschärften  und  kirchlich- 
hierarchisch ausgeprägten  Paulinismus.  Einzig  unter  dieser  Be- 
leuchtung betrachtet  er  die  Briefe.  Festgehalten  findet  er  den 
rechten  Paulinismus  nur  in  der  antijudaistischen  Polemik.  Im 
übrigen  sucht  er  seine  Verflachung  nachzuweisen  und  geht  dabei 
nicht  nur  auf  die  Christologie  und  die  kirchliche  Verfassung, 
sondern  auch  auf  die  subjektive  Seite,  z.  B.  auf  die  Begriffe  und 
das  Verhältnis  von  jtlürig  und  ayanr)  ein.  Er  berührt  damit 
eine  sonst  gar  nicht  angefasste  Aufgabe:  die  nicht  direkt  aus- 
gesprochenen aber  doch  überall  erkennbaren  Züge  der  subjektiven 
Seite  der  ignatianischen  Anschauungen  zu  untersuchen.  Aber  er 
thut  dies  nur,  um  das  Verhältnis  zu  Paulus  zu  prüfen,  und  auch 
dies  nicht  in  erschöpfender  Weise.  Ebenso  entschieden  wie  er 
dabei  die  Unechtheit  voraussetzt,  setzt  Dorner2)  in  der  Ge- 
schichte der  Lehre  von  der  Person  Christi  die  Echtheit  voraus. 
Er  giebt  eine  wertvolle  Charakteristik  der  Grundanschauung  des 
Ignatius  und  seiner  Christologie  und  weist  auch  auf  paulinischen 
und  johanneischen  Einfluss  hin,  ohne  dies  indessen  näher  zu  be- 
stimmen, und  beschränkt  sich  im  wesentlichen  ebenfalls  auf  die 
direkten  Lehraussagen  der  Briefe.  An  diese  Ausführungen  knüpft 
Jos.  Bunsen3)  an  und  führt  in  breiten,  sehr  viel  abschweifenden 
Ausführungen  die  Trümmer  vor,  welche  für  ihn  von  der  Dorner- 
schen  Auffassung  nach  den  drei  Briefen  syrischer  Recension,  die 
er  allein  für  echt  hält,  übrig  bleiben:  Christus  als  Offenbarung 
des  ewigen  Gottes  und  neues  Prinzip  in  der  Menschheit,  Kon- 
zentration des  christlichen  Lebens  in  Glaube  und  Liebe,  An- 
sätze zu  einer  Trinitätslehre,  die  Auffassung  des  Abendmahls 
nach  Joh.  6,  und  die  weltumfassende  Bedeutung  des  Christentums 


1)  0.  Pf  leiderer,  Paulinismus.  1873  S.  482  ff.  1890.  S.  487  ff 

2)  J.  A.  Dorner,  Entwickelungsgeschichte  d.  Lehre  v.  d.  Person 
Christi.  2.  Aufl.  Stuttgart  1845.  Erste  Abteil.  S.  145—167. 

3)  Chr.  C.  Jos.  Bunsen,  Tgnatius  v.  Antiochien  u.  se.  Zeit.  Sieben 
Sendschreiben  an  Dr.  A.  Neander  in  d.  Schriften  d.  Akademie  v<  Hamm. 
II.  Bd.   2.  Abt.    Hamburg  1847,  vgl.  6tes  Sendschreiben  S.  145—178. 


Einleitung.  5 

im  allgemeinen.  Die  Frage  nach  der  litterarischen  Abhängigkeit 
von  Paulus  und  Johannes  bejaht  Bunsen.  Seine  Ausführungen 
leiden  aber  nicht  nur  an  einer  grossen  Unbestimmtheit,  sondern 
sind  auch  durch  die  unhaltbare  Beschränkung  auf  die  drei  syr. 
Briefe  sehr  bedeutend  beeinträchtigt. 

Unter  den  älteren  Arbeiten  sind  schliesslich  auch  die  Er- 
örterungen von  R.  Rothe1)  beachtenswert,  der  mit  grosser  Plero- 
phorie  für  die  Echtheit  eintritt  und  bei  ihrer  Verteidigung  auch 
vielfach  die  Theologie  des  Bischofs  berührt,  ihren  christozentri- 
schen,  einfachen,  eigentümlichen  Charakter  hervorhebt  und  zumal 
den  Unterschied  von  der  späteren  orthodoxen  Lehre  durch  einen 
Vergleich  mit  den  interpolierten  Briefen  illustriert.  Auch  giebt 
er  eine  gute  Darstellung  von  dem  Kirchenbegriffe  des  Bischofs2). 
In  allen  wesentlichen  Punkten  von  ihm  abhängig,  aber  ohne 
wissenschaftlichen  Wert  ist  eine  kleine  Arbeit  von  C.  E.  Franke3) 
über  die  Theologie  des  Ignatius,  welche  in  naiver,  unkritischer 
Weise  die  ganze  lutherisch -konfessionelle  Dogmatik  den  Haupt- 
zügen nach  in  den  Briefen  wiederfindet.  Kritischer  und  ver- 
ständiger ist  das,  was  F.  Lübkert  in  einer  kleinen  systematischen 
Darstellung  der  „Theologie  der  apostolischen  Väter"4)  über  Ign. 
zusammenstellt.  Er  giebt  freilich  nur  eine  ungesichtete  Stoff- 
sammlung, die  aber  als  solche,  wenn  auch  durchaus  unvoll- 
ständig, einen  gewissen  Wert  hat,  zumal  auch  die  Berührungen 
mit  dem  N.  T.  behutsam  und  mit  kritischer  Vorsicht  gesammelt 
sind.  Die  Episkopatsidee  des  Ignatius  hat  neuerdings  auch 
Reville  (vgl.  S.  2  Anm.  5)  auf  Grund  der  Arbeiten  von  Zahn 
und  Lightfoot  ausführlich  und  treffend  erörtert.  Nur  fehlt 
auch  hier  die  Klarstellung  des  Zusammenhangs  der  Anschau- 
ungen vom  Episkospat  mit  der  sonstigen  Gesamtauffassung  des 
Christentums. 

Den  Versuch  einer  nach  allen  Seiten  vollständigen  systema- 
tischen Darstellung  der  Anschauungen  des  Ignatius  hat  bisher 


1)  R.  Rothe,  Anfänge  d.  christl.  Kirche  und  ihrer  Verfassung.  Bd.  I. 
Wittenberg  1837.   Beilage  S.  715—784. 

2)  Rothe,  ebenda  S.  145—178. 

3)  Zeitschrift  für  luth.  Theol.  u.  Kirche  1842  S.  116—164. 

4)  F.  Lübkert,  Die  Theologie  der  apostolischen  Väter  mit  hiator.  u. 
krit.  Bemerkungen  über  ihre  Schriften.  Gotha  1854. 


6  v.  d.  Goltz,  Ignatius. 

nur  der  katholische  Prof.  Nirschl1)  gemacht.  Von  der  Über- 
zeugung ausgehend,  dass  Ignatiiu  nicht  nur  ein  Bischof  von 
Antiochien,  sondern  auch  Schüler  des  Apostels  Johannes,  zweiter 
Nachfolger  des  Petrus,  der  angesehenste  Bischof  des  ganzen 
Morgenlandes  sei,  findet  er  ohne  jede  Kritik,  aber  mit  grosser 
Auslegungskunsfc  in  den  Briefen  d:^  ganze  tridentinische  Kirchen- 
lehre wieder:  Trinität,  Zwei-Naturen-Lehre,  sichtbare  katholisch- 
apostolische Kirche  mit  allen  Prädikaten,  göttlichen  Episkopat 
und  römischen  Primat,  Transsubstantiation  und  alle  sieben  Sakra- 
mente, und  schliesslich  sogar  die  ganze  tridentinische  Lehre  von 
Busse  und  Rechtfertigung.  Eine  solche  Arbeit  braucht  nicht  im 
Einzelnen  widerlegt  zu  werden,  da  sie  von  total  falschen  Voraus- 
setzungen ausgeht.  Aber  um  so  nötiger  ist  es,  vom  Standpunkte 
protestantischer  Wissenschaft  aus  zu  zeigen,  welche  Anschauungen 
die  ignatianischen  Briefe  wirklich  enthalten2).  Unsere  Übersicht 
über  die  protestantische  Litteratur  giebt  den  Nachweis,  dass  eine 
neue  Untersuchung  der  christlichen  Anschauungen  und  der  theo- 
logischen Gedanken  des  Ignatius  v.  Antiochien  von  Wert  sein 
dürfte,  und  sie  giebt  zu  gleicher  Zeit  die  Grundsätze  für  die 
Behandlung  an  die  Hand. 

Es  ist  von  der  hinlänglich  gesicherten  Voraussetzung  der 
Echtheit  aus  eine  Gesamtanschauung  von  der  Auffassung 
des  Ignatius  vom  Christentum  zu  gewinnen,  so,  dass 
sowohl  die  objektive  als  die  subjektive  Seite,  die  dog- 
matische sowohl  wie  die  ethische,  die  individuelle  nicht 
minder  als  die  kirchliche  zur  Geltung  kommen.  Hierzu 
sind  nicht  nur  die  Lehraussagen  der  Briefe  an  sich,  sondern  auch 
deren  Verhältnis  zum  Ganzen,  sowie  kleine  Beobachtungen  am 
Sprachgebrauche  zu  verwerten,  wogegen  die  antihäretische  Seite 
als    mehr    accidentelle  etwas   zurücktreten  darf.    Soweit   sich 


1)  Dr.  Jos.  Nirschl,  Die  Theol.  d.  heil.  Ignatius  d.  Apostelschülers 
u.  Bisch,  v.  Antioch.  aus  seinen  Briefen  dargestellt.  Mainz  1880 ;  in  gleicher 
Richtung  vgl.:  Dr.  Dreher,  De  Christo  deo  doctrina  Ign.  Antiochensis 
Progr.  d.  Kön.  Kath.  Gymn.  zu  Siguiaringen  1876/77. 

2)  Dies  ist  um  so  wichtige?  als  die  römische  Polemik  gern  Citate  aus 
Ign.  benutzt,  um  den  Protestanten  das  hohe  Alter  ihrer  Anschauungen  zu 
beweisen  und  sich  nunmehr  darauf  berufen  kann,  dass  auch  die  protestan- 
tische Wissenschaft  die  Echtheit  und  das  hohe  Alter  der  Briefe  anerkannt 
habe,  so  z.  B.  Prof.  Einig  in  Trier  im  Streit  mit  Beyschlag  1893/94. 
(Offene  Antwort  S.  20.) 


Einleitung.  7 

aus  den  kurzen  Urkunden  ein  Ganzes  gewinnen  lässt, 
ist  dieses  dann  auf  die  Art  seiner  Bestandteile  zu  unter- 
suchen. Diese  Analyse  wird  mehr  darauf  ausgehen  müssen, 
geistig-innere  Verwandtschaftsverhältnisse  aufzudecken,  als  litterar- 
kritische  Einzelfragen  zu  lösen.  Solche  kommen  nur  insoweit  in 
Untersuchung,  als  sie  zugleich  auf  die  theologische  Charakteristik 
entscheidenden  Einfluss  haben.  Dies  ist  nur  beim  Verhältnis  zur 
johanneischen  Litteratur  der  Fall.  Ausser  der  Erörterung  der  Be- 
ziehung zu  neutestamentlichen  Schriften  und  Männern  wird  ein 
Vergleich  mit  den  Zeitgenossen  des  nachapostolischen  Zeitalters, 
eine  Prüfung,  wie  weit  die  heidnische  Abstammung  des  Verfassers 
auf  seine  Gedankenwelt  einwirkt,  und  schliesslich  eine  Fixierung 
der  Anknüpfungspunkte  für  die  spätere  kirchliche  Entwickelung 
zur  allseitigen  Charakteristik  beitragen.  In  dieser  Richtung  giebt 
schon  Loofs  eine  Skizze  in  seiner  Dogmengeschichte  (§  15 
cf.  17,i.  18,8,24.  21,i.  27,s  a  u.  b),  und  reiche  Ausbeute  in  zerstreuten 
Bemerkungen  bietet  Harnack's  Dogmengesch.  I  (besonders  die 
3.  Aufl.  1894)  und  Lightfoot's  grosser  Kommentar  (Vol.  II). 


Was  die  historischen  Voraussetzungen  für  unsere  Unter- 
suchung anbetrifft,  so  ist  darüber  so  Ausführliches  bei  Zahn  und 
Lightfoot  zu  finden,  dass  es  müssig  sein  würde,  hier  dasselbe 
zu  wiederholen.  Nur  wenige  Bemerkungen  mögen  unsere  Stellung 
zu  strittigen  Fragen  angeben.  Zuerst:  Wann  hat  Ignatius  ge- 
schrieben? 

Der  augenblickliche  Stand  dieser  Frage  scheint  mir  folgender 
zu  sein.  Nachdem  Zahn  mit  zu  grossem  Vertrauen  sich  auf 
die  eusebianische  Tradition  stützend  nach  dieser  das  Martyrium, 
des  Bischofs  mit  Sicherheit  unter  Trajan  gesetzt  hatte  *),  hat 
Harnack2)  durch  seine  bekannte  Untersuchung  über  die  Zeit 
des  Ignatius  dieses  Vertrauen  erschüttert  und  den  schematischen 
Charakter  der  eusebianischen  Bischofsliste  aufgedeckt,  daraus 
aber  auch  sofort  den  Schluss  gezogen,  dass  auf  die  Tradition  vom 
Martyrium  des  Ignatius  unter  Trajan    gar  kein  Wert  mehr  zu 


1)  Zahn,  Ign.  v.  A.  S.  56 ff. 

2)  Ad.  Harnack,  Die  Zeit  des  Ignatius  und  die  Chronologie  der'an- 
tiochenischen  Bischöfe  bis  Tyrannus  nach  Julius  Africanus  und  den  spätem 
Historikern.  Leipzig  1878. 


8  v.  d.  Goltz,  Ignatius. 

legen  sei.  Erbes  und  Lipsius  haben  ihm  widersprochen1),  ohne 
jedoch  eine  bessere  Erklärung  für  den  aufgedeckten  Thatbestand 
zu  geben.  Beide  nehmen  die  Verschiebung  einer  ursprünglichen 
Gleichsetzung  der  antiochenischen  und  der  römischen  Bischofs- 
liste an,  und  Lipsius  geht  wie  Harnack  auf  Julius  Africanus 
zurück,  aber  dann  noch  weiter  auf  eine  noch  vor  diesem  liegende 
alte  Chronik,  welche  die  antiochenische  Bischofsliste  bis  auf 
die  Apostel  zurückgeführt  habe.  —  Wirklich  gefördert  ist  die 
Sache  erst  durch  die  Beobachtung  Horts,  dass  der  Schematismus 
des  Euseb  kein  in  Olympiaden difiPerenzen  berechneter  sei,  wie 
Harnack  auf  Grund  der  armenischen  Lesart  der  römischen  Liste 
annahm,  sondern  ein  völlig  synchronistischer,  wie  sich  dies  bei 
Zugrundelegung  des  Hieronymus-Textes  (für  die  römische  Liste) 
herausstelle.  Das  Recht,  letzteren  für  einen  dem  ursprünglichen 
Text  Eusebs  näherstehenden  halten  zu  dürfen,  hat  Light foot 
nachgewiesen2).  Welcher  Art  der  eusebianische  Schematismus 
sei,  ist  aber  letztlich  indifferent.  Jedenfalls  steht  fest,  dass  ein 
solcher  vorhanden  ist,  und  das  nimmt  der  Datierung  auf  Trajans 
Zeit  natürlich  jede  Sicherheit.  Rührt  nun,  wie  man  mit 
Harnack  gleichfalls  als  gewiss  annehmen  darf,  dieser  Schema- 
tismus von  Julius  Africanus  her  und  zeigt  sich  doch  gerade  beim 
Amtsantritt  des  Hero,  des  Nachfolgers  des  Ignatius,  eine  Unregel- 
mässigkeit, so  wird  man  die  Möglichkeit  einer  richtigen  histo- 
rischen Tradition  über  die  Zeit  des  Ignatius  zwar  nicht  aufs  Jahr, 
aber  doch  nach  der  kaiserlichen  Regierungsepoche  für  nicht  so 
fernliegend  erachten  dürfen.  Fehlt  uns  doch  auch  jedes  dem 
Euseb  widersprechende  Zeugnis;  die  Angaben  bei  Origenes,  der 
den  Ign.  als  zweiten  Bischof  nach  Petrus  nennt,  dürfen  auch 
nicht  ganz  für  nichts  geachtet  werden.  Nur  die  Martyrien  und 
den  Joh.  Malalas  hätte  Völter  nicht  wieder  anführen  sollen, 
um  seine  Idee  von  den  zwei  Martyrien,  dem  des  römischen 
Ignatius,  des  Briefschreibers,  und  dem  des  antiochenischen  Mär- 
tyrers, des  alten  Bischofs,  durchführen  zu  können.    Da  wäre  es 


1)  Erbes  in  d.  Jahrb.  f.  prot.  Theol.  1879  S.  464  ff  Lipsius,  Jahrb. 
f.  prot.  Theol.  1880  S.  236  ff ;  dort  oder  in  d.  Resumäs  der  Verhandlungen 
bei  Funk,  Echth.  d.  ign.  Brf.  S.  124—133  oder  Völter  S.  68  ff  ist  das 
Nähere  zu  finden;  vgl.  auch  Gutschmid  in  d.  Theol.  L.  Z.  1880,  4. 

2)  Lightfoot,  The  Apost.  Fathers.  Part.  I.  Clement  of  Rome  p.  224; 
vgl.  Theol.  L.  Z.  1891  S.  426. 


Einleitung.  9 

doch  besser,  dem  Zeugnis  des  Irenaeus  und  des  Euseb  in  betreff 
der  Authentie  des  Römerbriefs  Glauben  zu  schenken,  als  so 
späten,  unzuverlässigen  Quellen  wie  dem  Joh.  Malalas.  —  Ich 
glaube  daher  diesen  Verhandlungen  vorläufig  als  Resultat  ent- 
nehmen zu  dürfen,  dass  zwar  die  Datierung  des  Euseb  nicht  mehr 
als  ein  unbedingtes  Veto  gelten  darf,  wenn  aus  wichtigen  inneren 
Gründen  eine  spätere  Ansetzung  unsrer  Briefe  für  notwendig 
gehalten  werden  sollte,  dass  aber  andrerseits  die  unwidersprochene 
Einheitlichkeit  der  Tradition,  über  das  Martyrium  unter  Trajan, 
für  welche  indirekt  auch  Origenes  zeugt,  durch  den  Schematismus 
der  einzelnen  Zahlen  in  der  Liste  des  Julius  Afric.  resp.  des 
Euseb  nicht  so  belanglos  wird,  dass  sie  nicht  ein  Gegengewicht 
gegen  partielle  innere  Schwierigkeiten  bieten  dürfte.  Wenn  es 
nicht  gelingt,  auf  dem  Wege  der  innern  Kritik  eine  Entscheidung 
herbeizuführen,  wird  man  einstweilen  auf  eine  solche  verzichten 
müssen,  weshalb  sie  denn  auch  unsrer  Untersuchung  nicht  zu 
Grunde  gelegt  werden  darf.  Dieselbe  muss  selbst  einen  Beitrag 
zur  Lösung  der  Zeitfrage  liefern.  Die  erwiesene  Echtheit  der 
Briefe  beschränkt  den  möglichen  Zeitraum  auf  die  erste  Hälfte 
des  zweiten  Jahrhunderts.  Was  die  Frage  nach  den  Irrlehren, 
welche  Ign.  bekämpft,  angeht,  so  scheint  es  mir  notwendig,  zu- 
nächst jeden  Brief  für  sich  zu  betrachten.  In  Ephesus,  Tralles 
und  Smyrna  ist  die  Einheit  der  Gemeinde  jedenfalls  durch  doke- 
tische  Bestrebungen  gefährdet,  welche  bisher  noch  von  aussen 
an  die  Gemeinde  herantreten,  deren  Propaganda  aber  durch  die 
Unregelmässigkeit  der  christlichen  Gemeindefeiern  und  den 
Mangel  an  festem  Zusammenhalt  erleichtert  wird.  Letzteres  ist 
ein  Fehler,  den  Ign.  in  allen  fünf  Gemeinden  rügt  und  durch 
eindringliche  Mahnungen  zur  Einheit  zu  beseitigen  sucht.  Die 
Gefahr  ist  erst  im  Entstehen,  und  der  feste  Zusammenschluss  der 
Gemeinden  und  aller  ihrer  Glieder  unter  ihren  Leitern  soll  das 
Eindringen  der  fremden  Lehren  in  die  Gemeinde  hindern  und 
vor  Zersplitterung  und  Streit  behüten.  In  den  Briefen  nach 
Magnesia  und  Philadelphia  wird  vor  Doketismus  nicht  ausdrück- 
lich gewarnt,  obwohl  diese  Nachbarstädte  doch  gewiss  ebenso 
wenig  vor  jener  Propaganda  geschützt  waren.  Hier  bekämpft 
Ign.  den  Judaismus,  der  noch  an  der  jüdischen  Sabbathfeier 
festhielt,  allen  unnützen  (iv&evftara  Glauben  schenkte  und  da- 
durch die  Gnade  Christi  verleugnete  (M.  8—11).    In  Philadelphia 


10  v.  d.  Goltz,  Ignatius. 

waren  diese  Judaisten  heidnischer  Abstammung,  hatten  augen- 
scheinlich schon  in  der  Gemeinde  Boden  gefunden,  und  mit  lgn. 
bei  dessen  Durchreise  disputiert;  kurz  nach  des  Bischofs  Abreise 
war  es  zu  einer  wirklichen  Spaltung  gekommen.  Es  handelte 
sich  dort,  wie  wohl  auch  in  Magnesia  u.  a.  um  die  Autorität  des 
A.  T.,  sei  es  um  das  jüdische  Gesetz  (Sabbath,  Beschneidung, 
Priester),  sei  es  auch  um  die  Propheten,  über  die  lgn.  mehrfach 
sich  ausspricht.  Soviel  kann  mit  Sicherheit  behauptet  werden. 
An  geeigneter  Stelle  in  unsrer  Untersuchung  soll  der  Versuch 
gemacht  werden,  diese  Angaben  zu  kombinieren.  Als  sichere 
Voraussetzung  für  das  Ganze  darf  aber  eine  solche  Kombination 
nicht  behandelt  werden,  zumal  sie  von  mir  in  einer  neuen  Form 
vorgeschlagen  wird.  Deshalb  vorläufig  nur  diese  kurze  Erinnerung 
an  die  sicheren  Punkte. 

Über  die  Persönlichkeit  des  Ignatius J)  wissen  wir  wenig. 
Jedenfalls  war  er  heidnischer  Abstammung.  Er  scheint  eine 
leicht  erregbare  Art  gehabt  zu  haben  und  jedenfalls  eine  gewisse 
Überschwänglichkeit,  die  besonders  im  Römerbrief  hervortritt. 
Auf  ihre  Rechnung  ist  auch  das  Mass  der  Ergebenheits-  und 
Demutsausdrücke  zu  schreiben,  die  sich  übrigens  an  paulinische 
zum  Teil  anlehnen. 


1)  Vgl.  besonders  die  vorzügliche  Charakteristik  v.  R.  Rot  he,  Anf. 
d.  ehr.  K.  S.  718  ff. 


Erster  Teil. 

Darstellung  der  christlichen  Anschauung  und  der 
theologischen  Gedanken  des  Ignatius. 

Einleitung. 

Für  unsere  Aufgabe,  ein  Bild  von  dem  Christentume  des 
Bischofs  zu  gewinnen,  gilt  es  zu  beachten,  dass  wir  nur  Urkunden 
von  geringem  Umfang  besitzen  und  aus  ihnen  wiederum  nur  er- 
sehn, welches  seine  christliche  Anschauung  zur  Zeit  seiner  Reise 
war.  Wir  kennen  nichts  von  Ignatius  aus  der  Zeit,  wo  er  ruhig 
in  der  Gemeinde  seines  Dienstes  waltete.  Wir  kennen  nur  die 
Äusserungen  des  Mannes,  der,  schon  zum  Tode  verurteilt  und  in 
Ketten  gelegt,  in  der  Hoffnung  das  höchste  Ziel  des  Christen  in 
wenig  Wochen  durch  den  Märtyrertod  zu  erreichen,  an  fremde 
Gemeinden  seine  Ermahnungen  in  ziemlicher  Erregung  nieder- 
schreibt. Zugleich  stand  er  unter  dem  unmittelbaren  Drucke  der 
Sorge  um  das  Umsichgreifen  einer  gefahrlichen  Irrlehre  und 
Spaltung.  Beides  muss  seinen  Gedanken  eine  ganz  bestimmte 
individuelle  Wendung  gegeben  haben  und  erschwert  es  uns,  eine 
allseitige  Charakteristik  seines  Christentums  so  zu  geben,  dass 
wir  annehmen  können,  nicht  nur  ein  Momentbild,  sondern  ein 
Porträt  vor  uns  zu  haben.  Ein  Zug  aber  geht  unverkennbar 
durch  alle  sieben  Briefe:  Die  zentrale  Stellung,  welche  Jesus 
Christus  im  Denken  und  Empfinden  des  Bischofs  einnimmt. x) 
In  aller  Erregung  und  Sehnsucht  klingt  ein  Wunsch  durch: 
IxbIvov  d-iXco  top  vjtsQ  tjficov  ajio&apopTa ,  hxelvov  tljTW  TOP 
öl*  q/täg  äpctöTapTa  (R  11),  und  in  allem  Eifer  gegen  die  Irr- 
lehrer lautet  seine  Klage:  Was  nützen  mir  die,  die  mich  loben, 
aber  meinen  Herrn  schmähen;  gegen  alle  Berufung  auf  die  dgxsta 

1)  Dies  iat  der  allererheblichste  Unterschied  d.  ignatian.  Briefe  von 
der  gesamten  übrigen  nachapostolischen  Litteratur,  welche  die  Person 
Christi  sehr  zurücktreten  lässt. 


|2  v.  d.  Goltz,  Ignatiue. 

des  alten  Bundes  nur  die  eine  Antwort:  kfiol  de  aQxela  'irjOovQ 
Xqiöto$  e^c.  Alle  Wertschätzung  der  Propheten  nur,  weil  sie 
Christum  verkünden,  alle  Ehre  den  Bischöfen,  weil  sie  iv  yvcoftr] 
Xqiötov  leben.  Ein  Bischof,  Ein  Lehrer:  Jesus  Christus.  Er 
ist  unser  Leben.  Wie  können  wir  ohne  ihn  leben?  (M  9, 2).  Oft 
in  sehr  kühner  Konstruktion  fügt  er  als  Schluss  bei:  6  koxtv 
'IrjöoZg  XQidxoq,  und  zwar  ist  es  der  Herr,  der  vom  Weibe  ge- 
boren, getauft,  für  uns  gestorben  und  auferstanden  ist,  und  dessen 
Wiederkunft  erwartet  wird.  Diese  zentrale  Bedeutung  der  ge- 
schichtlichen Person  des  Herrn  und  des  Verhältnisses  zu  ihm 
teilen  die  ignatianischen  Briefe  mit  den  kanonischen,  und  das 
giebt  ihnen  ihren  christlichen  Wert,  der  über  den  theologischen 
hinausgeht.  Von  diesem  Punkte  aus  sind  alle  Aussagen  des 
Ignatius  zu  betrachten,  denn  auch  ihm  scheint  sich  von  hier  aus 
alle  seine  Erkenntnis  erschlossen  zu  haben.  Hier  wurzelt  auch 
sein  heiliger  Zorn  gegen  die  Irrlehrer,  hier  seine  fast  krankhafte 
Sehnsucht  nach  dem  Märtyrertode,  hier  gerade  knüpfen  die  selb- 
ständigen theologischen  Gedanken  des  Lehrers  an.  Halten  wir 
dies  als  Mittelpunkt  fest,  was  es  bei  Ignatius  selbst  war,  nur 
dann  ist  es  methodisch  gestattet,  aus  den  zerstreuten  Gedanken 
und  gelegentlichen  Andeutungen  in  systematischer  Weise  ein 
Ganzes  herzustellen. 

Unsere  Untersuchung  wird  daher  nach  einer  kurzen  Erörte- 
rung seiner  Gottesvorstellung  die  Christologie  voranzustellen 
haben,  um  dann  die  Auffassungsweise  der  Heilsbedeutung  der 
Erscheinung  Christi  und  seines  Heilswerkes  zu  prüfen.  Ist  so 
ermittelt,  welchen  Seiten  des  Christus -Glaubens  Ignatius  am 
meisten  abzugewinnen  weiss,  so  schliesst  sich  daran  von  selbst 
sein  Verständnis  des  christlichen  Glaubens  und  Lebens  beim  Ein- 
zelnen sowohl  wie  in  der  Gemeinde.  In  der  Betrachtung  der 
Bedeutung  und  der  Lebensbedingungen  der  letzteren  fasst  sich 
das  Ganze  noch  einmal  so  zusammen,  dass  das  Eigentümliche 
des  ignatianischen  Christentums  scharf  hervortritt.  Diese  Ein- 
teilung des  Stoffes  wird  auch  dem  Umstände  gerecht,  dass  in 
den  direkten  Lehräusserungen  und  Mahnungen  des  Bischofs  das 
Christologische  und  das  die  Einheit  der  Gemeinde  Betreffende 
beherrschend  im  Vordergrunde  steht. 


I.  Glaube  an  Gott  und  Christus.  13 


I.  Glaube  an  ttott  und  Christus. 

Handelt  es  sich  um  das  Verständnis  des  Ignatius  vom 
Christentum  und  ist  das  Christentum  nichts  anderes,  als  die  durch 
Jesus  Christus  erschlossene  rechte  Gottesverehrung  im  Geist  und 
in  der  Wahrheit,  so  fragen  wir  zuerst  natürlicherweise  nach 
der  Vorstellung,  die  der  Bischof  von  Gott  hat,  nach  der  Art, 
wie  er  von  ihm  redet.  Wer  das  übliche  Urteil  über  die  Gering- 
wertigkeit der  Gedanken  des  nachapostolischen  Zeitalters  teilt  und 
wer  es  beim  Studium  von  Clemens,  Barnabas  u.  Hermas  durch 
unmittelbaren  Vergleich  mit  dem  N.  T.  relativ  bestätigt  gefunden 
hat,  der  muss  bei  Ignatius  eine  unerwartete  Ausnahme  konsta- 
tieren. Während  man  bei  jenen  selten  mehr  als  einen  einfachen, 
edlen  Monotheismus  wahrnimmt  und  nur  das  Lob  des  Schöpfers 
und  seiner  Güte  preisen,  den  Ernst  seiner  Vergeltung  schildern 
hört,  ohne  dass  die  Liebe,  die  in  Christo  erschienen,  genügend 
gewürdigt  wird,  steht  bei  Ignatius  letzteres  beherrschend  im 
Vordergrunde 1).  Irgendwelche  Erörterung  über  Wesen,  Eigen- 
schaften oder  Werke  Gottes  findet  sich  in  unseren  Briefen  nicht; 
ja  nicht  einmal  Beiwörter,  an  denen  Ignatius  sonst  reich  ist, 
charakterisieren  Gott  als  Schöpfer  oder  Weltlenker  oder  sonst 
in  seiner  kosmischen  Bedeutung.  Seine  Namen  jtarrjQ,  kjtloxojtoq 
ütavxcov  (M  3),  Jioifii)v  beziehen  sich  alle  auf  sein  Verhältnis  zu 
den  Christen.  Er  ist  der  Vater  überhaupt  und  der  Vater  Jesu 
Christi  im  Besonderen  {&eoq  jtat?jQ  10 mal;  jrar^Q  8 mal;  6  JtartjQ 
15 mal;  TtarijQ  'Itjö.  Xq.  5 mal;  jtatfjQ  vrpioroq  lmal:  R.  iscr.). 
Der  Monotheismus  ist  M.  8,  2  deutlich  bezeugt,  aber  auch  dort 
nicht  um  einer  einheitlichen  Weltanschauung  willen,  sondern  um 
die  unzerreissbare  Einheit  der  christlichen  Gemeinde  zu  betonen 
(ebenso  M.  7,  2).  Seine  Unsichtbarkeit  wird  zusammen  mit  seiner 
allwissenden  Allgegenwart  hervorgehoben,  um  an  die  Verant- 
wortung gegenüber  dem  Unsichtbaren  zu  erinnern.    Von  andern 

1)  Man  vergleiche  nur: 

Herrn.  Mand.  I   ngdärov  ndvxtov  niaxsvaov  oxi  eig  ioxiv  b  &soq 

o  xa  ndvxa  xxioag  xal  xaxagxlaag  xal  noirjoag  ix  xov  firj 

ovxog  elg  zo  eivai  xa  ndvxa. 
u.  Ign.  M.  8,  2  slg  xo  7iXrjgo(poQTj^vai  xovg  cc7tei9-ovvx(xg,  oxi  elg 

&eog  iaxtv  0  (parsQciaag  tavxov  öid  'fyoov  Xgiaxov  xov  vlov 

avxov.    Vgl.  ebenso  1  Clein.  XIX  ff.  Herrn.  Vis.  I,  6  u.  a. 


14  v-  d.  Goltz,  I^natiuH. 

Eigenschaften  kommen  auch  nur  diejenigen  vor,  die  sich  in 
seinem  Heilswerk  bezeugen:  seine  Liebe  (indirekt  M.  5,2.  Phld.  1,  i. 
R.  iscr.),  seine  Geduld  (Eph.  11,  i  u.  Pol.  6,  2),  sein  Mitleid  (Tr. 
12,  3.  Phld.  iscr.  Sm.  12,  2),  seine  Gnade  (M.  2.  8.  Sm.  13  u.  oft), 
seine  durch  die  Christen  zu  bewahrende  Ehre  (dg  rifirjv  d-eov 
Eph.  21,  1  u.  2.  M.  3,  2.  Tr.  12, 2.  Sm.  11, 2.  Pol.  5, 2),  sein  Heils- 
wille (yvmur}  od.  üsXtjfia  Eph.  3,  2  u.  oft),  seine  kjzuLxeia  (Phld. 
1,  2)  övpafiig  (M.  3,  1.  Sm.  1, 1)  u.  s.  w.  Die,  welche  diesen  einen 
christlichen  Gott  nicht  kennen,  sind  überhaupt  a&EQi  (Tr.  3,  2. 
Tr.  10,  1).  Woher  Ignatius  diesen  einfachen  festen  Glauben  an 
einen  persönlichen  Gott  und  an  dessen  Liebe  und  Gnade  hat, 
sagt  er  M.  8, 2:  6  (pavegmoag  lavrbv  diu  xov  vlov  avrov.  In 
ihm  haben  wir  die  Erkenntnis  Gottes  (Eph.  17,  2  kaßovteg  &eoi 
yvwGiv  6  söriv  Iijaovg  Xq.).  Dies  ist  bei  unserm  Bischof  nicht 
nur  eine  gelegentliche  Redewendung,  sondern  bezeichnet  wirklich 
charakteristisch  seine  ganze  Auffassungs weise.  Sein  Gottesglaube 
ist  zugleich  unmittelbar  Christusglaube;  daher  muss  seine  Christo- 
logie  besprochen  werden,  ehe  das  letzte  Wort  über  seinen  Gottes- 
begriff gesprochen  werden  kann.  Durch  Christus,  seinen  Sohn, 
hat  sich  der  eine  Gott  offenbart.  Wie  dies  näher  zu  verstehen 
ist,  in  welchem  Verhältnis  Gott  und  Christus  zu  einander  gedacht 
sind  und  in  welchem  Sinne  die  göttlichen  Namen  auf  Christus 
übertragen  sind,  ist  also  der  nächste  Gegenstand  unsrer  Unter- 
suchung. 

I.  Der  Ewigkeitscharakter  der  Offenbarung  Gottes  in  Christo. 

Was  in  Jesu  Christo  erschienen  ist,  ist  in  der  Ewigkeit  bei 
Gott  vorbereitet;  es  sind  die  fivorqQia  XQavyijg1),  die  göttlichen 
Geheimnisse,  welche  nun  eine  laute  Verkündigung  geworden  sind. 
In  der  Zeit  der  Ruhe  Gottes  sind  sie  bereitet  und  treten  für  die 
Welt  und  die  Zeiten  in  Erscheinung,  indem  Jesus  Christus  er- 
schien, der  helle  Stern  mit  unaussprechlichem  Lichte,  der  alle 
anderen  Sterne  überragt.  Er  ist  der  Hohepriester 2),  dem  die  Ge- 
heimnisse Gottes  anvertraut  sind  und  der  sie  offenbart.  Von 
dieser  oixovoftia,  die  bei  Gott  ihren  Anfang,  ihre  geschichtliche 


1)  Vgl.  Eph.  19, 1-3. 

2)  Phld.  IX,  1  xaXol  xal  ol  IsQsIq,  xQelaaov  öe  0  dgxiSQSvg  b  nem~ 
ozevfihoq  tu  üyia  t<5v  ayiaiv,  og  /novog  nenlaxBvtai  xa  xqvjixu  xov  9sov. 


I.  Glaube  an  Gott  und  Christus.  15 

Erscheinung  aber  und  ihren  letzten  Zweck  in  dem  xatvbq  av- 
&Qcoxoq  hat  (Eph.  20,  1),  verspricht  der  Bischof  den  Ephesern 
noch  einmal  genauer  zu  schreiben.  Er  ist  aber  wohl  nicht  mehr 
dazu  gekommen.  In  unseren  Briefen  berührt  er  diese  Vorberei- 
tung in  der  Ewigkeit  nur  ganz  kurz  und  einfach  im  engsten 
Zusammenhange  mit  seinen  christologischen  Aussagen.  Nähere 
Spekulationen  finden  sich  nicht,  aber  in  konkreter  Realität  wird 
der  Ewigkeitscharakter  der  göttlichen  Offenbarung  zum  Aus- 
drucke gebracht  durch  Hinaufdatierung  in  eine  himmlische  Ver- 
gangenheit. Aber  diese  antike  Art,  das  Ewige  zu  denken,  ist 
so  unreflektiert  und  einfach  wie  bei  Paulus  und  fern  von  den 
späteren  mythologisierenden  Formen. 

Die  Aufdeckung  jenes  göttlichen  Geheimnisses  bestand  darin, 
dass  Gott  in  menschlicher  Lebensform  offenbar  wurde  *).  Damit 
nahm  das  bei  Gott  Vorbereitete  seinen  geschichtlichen  Anfang 
(Eph.  20).  Auch  der  Träger  dieser  Offenbarung  ist  aus  der 
Ewigkeit.  Er  war  jtqo  alcovcov  naoa.  xaroi  und  erschien  jetzt 
in  der  letzten  Zeit  (M.  6,  i).  In  diesem  Worte  ist  sowohl  seine 
Verschiedenheit  vom  Vater  als  seine  persönliche  Präexistenz 
deutlich  gegeben,  also  jeder  ausgeprägte  Modalismus  ausge- 
schlossen. Ebenso  sicher  ist  aber  auch  der  geschichtliche  Jesus 
als  Ausgangspunkt  kenntlich,  wenn  gerade  dieser  Satz  gesagt  ist 
von  einem  Jesus  Christus,  dessen  öiaxovia  den  christlichen  Dia- 
konen vertraut  ist.  Denn  die  öiaxovia  'lrjö.  Xq.  ist  doch  diejenige, 
die  er  selbst  vorbildlich  ausgeübt  hat  in  seinem  geschichtlichen 
Leben.  Viel  charakteristischer  aber  als  diese  immerhin  viel- 
deutige Aussage  ist  eine  andere  M.  7,2:  'ityö.  Xq.  xov  atp*  evbg 
jtarQOQ  JtQoeXd-ovxa  xal  elg  eva  ovxa  xal  xa)QV(iavTa'  Hier  ist 
Ausgang  und  Hingang  mit  dem  beständigen  Sein  zusammen- 
gefasst,  damit  aber  die  zeitliche  Betrachtungsweise  überhaupt 
aufgehoben  und  das  Sein  beim  Vater  als  eine  ewige  Grund- 
bestimmung gegeben,  ohne  dass  die  persönliche  Vorstellungsweise 
dadurch  beseitigt  wäre.  Dagegen  fehlt  jedes  Wort  von  einer 
Beteiligung  an  der  Schöpfung  oder  Weltregierung,  wie  wir  sie 
bei  Pls,   Joh.  und   auch   Herrn,2)   finden.    Die   einzige    Aussage 


1)  Ssov  äv&QW7iivü)q  <paveQOVft£vov  elg  xaivorrjta  diöiov  t,ct)r}g. 

2)  Sim.  IX,  12,8  avfißovXov  rcp  nax^i  (v.  heil.  Geist)  cf.  Barn.  18r 
l.Clem.16,  2. 


15  v.  d.  Goltz,  Ignatius. 

über  Christi  Sein  beim  Vater  steht  Pol.  3, 2:  rov  vnio  xaioov 
jiQOööoxa,  rov  clxqovov,  rov  äooarov,  rov  61  rjfiäg  ooarov 
rov  axprjXcKpriTOv,  rov  äjia&Tj,  rov  61  rjfiäg  jta&tjrbv,  rov  xara 
jtavra  robnov  öi  rj/iäg  vjtofieivavra.  Die  letzten  Worte  zeigen 
zunächst  deutlich,  dass  der  Verfasser  an  die  geschichtliche  Person 
Jesu  denkt,  die  ersten  betonen  die  Überzeitlichkeit  und  Über- 
weltlichkeit.  Der  Zusammenhang  lehrt,  dass  speziell  an  den 
künftig  wiederkommenden  Herrn  gedacht  ist.  Also  sind  die 
Gegensätze  keine  zeitlichen,  als  ob  betont  werden  solle,  er  sei 
erst  äooarog  gewesen  und  dann  ooarog  geworden,  erst  djta&?]g 
gewesen  und  dann  xa&ijTog  geworden  j),  sondern  er  war  seinem 
Wesen  nach  überzeitlich,  unsichtbar  und  cbta&TJg  auch  in  Leben 
und  Tod,  aber  er  ist  offenbar  geworden,  fassbar  geworden  gerade 
durch  das,  was  er  um  unsertwillen  litt.  Deshalb  kann  Ign.  Eph.  6 
auch  sagen :  jtgcorov  xad-r}rbg  xcu  rors  äjia&rjg,  was  dem  „ajta&fj, 
rov  61  rjfiäg  xa&ijrov11  widersprechen  würde,  wenn  man  die 
Worte  streng  zeitlich  deutete.    Man  hat  kein  Recht  das  jzqcötov 

—  rors,  da  einmal  die  Präexistenz  durch  M.  6  gesichert  ist, 
etwa  wie  bei  Justin  Dial.  34  Apol.  I.  52, 3  auf  zwei  Parusien  zu 
beziehen,  was  dem  Zusammenhange  ganz  fremd  ist.  Es  ist  nur 
zu  erklären  als  logischer  Gegensatz,  in  welchem  nach  der  antido- 
ketischen  Tendenz  von  Eph.  6  der  Ton  auf  der  Wirklichkeit  des 
Leidens  liegt.  Der  Grundgedanke  ist  die  Offenbarung  Gottes  in 
menschlicher  Lebensform,  die  Erscheinung  des  Ewigen  in  der 
Zeit.  Die  ewige  göttliche  pneumatische  Seite  an  der  Person  des 
Herrn  ist  das  eigentlich  Wertvolle  aber  eben  in  ihrer  wirklich 
geschichtlich  offenbaren  Fassbarkeit  und  Einigung  mit  dem 
Fleische.    Letzteres  leugneten  die  doketischen  Irrlehrer  und  damit 

—  für  Ignatius  —  die  Offenbarung,  die  Wirklichkeit  des  gött- 
lichen Wesens  überhaupt.  Es  ist  charakteristisch,  dass  gerade  im 
Römerbrief,  wo  das  antidoketische  Interesse  nicht  vorliegt,  die 
Äusserung  sich  findet:  s v  narol  cov  fiaXXov  <paivsrcu  (Rm.  3) 
d.  h.  erst  in  seiner  Erhöhung  und  Unsichtbarkeit  ist  der  Herr 
in  seinem  eigentlichen  göttlichen  Wesen  ganz  offenbar  geworden. 

1)  Bei  Justin  bezieht  sich  das  na&ijtog  auf  die  erste  Parusie,  das  dna- 
&Tjq  auf  die  zweite,  augenscheinlich  eine  Justin'sche  Ausdeutung  einer  von 
der  Gemeinde  überlieferten  und  von  Ign.  noch  anders  verstandenen  Formel ; 
cf.  Justin.  Apol.  I,  52, 4.  Dial.  34,  7.  39, 13.  41,  4.  49,  6.  52, 1.  68, 20  u.  a.  Auch 
das  vnofieivavxa  ist  ein  bei  Justin  häufiger  Ausdruck. 


I.   Glaube  an  Gott  und  Christus.  17 

Gilt  dies  auch  nur,  sofern  vorher  zunächst  seine  Göttlichkeit 
durch  Offenbarung  im  Fleische  offenbar  wurde,  so  zeigen  die 
Worte  doch  mit  wünschenswerter  Deutlichkeit,  dass  das  Inter- 
esse des  Ignatius  an  dem  göttlichen  Ewigen  haftet,  was  über- 
zeitlich ist. 

2.  Die  scheinlose  Geschichtlichkeit  der  Erscheinung  Gottes  im  Menschen. 

Hie  mach  sind  aber  dann  alle  die  antidoketischen  Formeln 
zu  beurteilen.  An  der  ersten  Stelle  Eph.  7, 2 l)  stehen  die 
menschlichen  Prädikate  alle  voran,  aber  c  und  d  zeigen  deutlich, 
dass  die  Betonung  der  menschlichen  Seite  Mittel  zum  Zwecke 
der  Sicherung  der  ewigen  Seite  ist.  Die  göttlichen  Prädikate 
werden  durch  die  menschlichen  offenbar  und  erkannt.  Das 
„Fleisch  geworden  sein"  ist  aber  doch  ein  wichtiges,  die  Wirk- 
lichkeit konstituierendes  Moment  bei  Ign.,  im  Unterschiede  von 
seinen  Zeitgenossen,  welche  hier  recht  unbedeutende  Erklärungs- 
versuche geben2).  Die  Gegner  glaubten  nur  ein  metaphysisches 
Geisteswesen  oder  Ideal.  Dem  gegenüber  stellt  sich  Ignatius  auf 
den  festen  Boden  der  Geschichte,  in  dem  Menschen  Gott,  in 
Jesus  Christus  den  erkennend,  der  vor  Zeiten  beim  Vater  war. 
In  der  Polemik  unserer  Briefe  werden  zum  Beweise  der  Wirk- 
lichkeit der  Erscheinung  Gottes  im  Menschen  die  wichtigsten 
Punkte  des  Lebens  Jesu  hervorgehoben,  nämlich: 

1.  Die  Abstammung  aus  dem  Geschlechte  Davids  neben  dem 
Ursprünge  aus  dem  heiligen  Geiste  (Eph.  18,  2,  Sm.  1,  1, 
Tr.  9,  1). 

2.  Die  Geburt  aus  der  Jungfrau,  wobei  aber  nicht  auf  den 
übernatürlichen  Wundercharakter,  sondern  auf  die  Mensch- 


1)  Eph.  7:  elg  laxgog  iaxiv.      a)  aagxtxog  xf  xal  nisvixaxixog. 

b)  ysvvtjxog  xal  dytWTjxog,  vgl.  dazu  den  Excurs  b.  Lightfoot  II, 

S.  90—94, 

c)  iv  dv&QüJTio)  (od.  iv  aagxl  ysvöfxevog)  &t6g,  vgl.  Lightfoot  z.  d.St., 

d)  iv  &avax<p  £(otj  d&Tj&ivq, 

e)  xal  ix  Maglag  xal  ix  9eov} 

f)  7iqwxov  Tta&rjxdg  xal  xöte  dna9t}g,  tyo.  Xq.  b  xvgiog  tj/uwv. 

2)  Barn.  5,  10:  weil  die  Menschenaugen  das  ganz  un verschleierte  Licht 
der  Gottheit  nicht  hätten  ertragen  können.  1.  Clem.  IG,  2:  um  der  Weis- 
sagung gemäss  ein  Vorbild  der  Demut  zu  geben.  Am  ähnlichsten  2.  Cl.  9,  5 
<ov  (ihv  xo  tiqwxov  nveifia  iytvexo  aäg^  xal  ovxcog  rniäg  ixdksoev. 

Texte  u.  Untersuchungen  XII,  3.  2 


18  v.  d.  Goltz,  Ignatius. 

lichkeit,  d.  h.  wirkliche  scheinlose  Geschichtlichkeit  Gewicht 
gelegt  wird,  was  durch  die  Stellung  dieser  Aussage  zwischen 
der  sarkischen  David  -  Sohnschaft  und  der  Taufe  bewiesen 
ist  (Sm.  l,i.  Eph.  18,2.  19,  i.  Tr.  9,i). 

3.  Die  Taufe  durch  Johannes  mit  der  Begründung,  dass  alle 
Gerechtigkeit  erfüllt  werde  (Sm.  1,  Eph.  18). 

4.  Seine  rein  menschliche  Lebensweise,  sofern'  er  ass  und 
trank  (Tr.  9,  i). 

5.  Sein  wirkliches  Leiden  und  sein  wahrer  Tod  unter  Pontius 
Pilatus  und  Herodes  dem  Tetrarchen,  d.  h.  unter  ganz  be- 
stimmten geschichtlichen  Verhältnissen  (Sm.  1,  Tr.  9,  M.  11, 
Eph.  19). 

6.  Die  wahrhaftige  Aufer  weckung  von  den  Toten,  nach  welcher 
er  den  Jüngern  und  Petrus  erschien,  sich  betasten  Hess  und 
mit  ihnen  ass  und  trank  (Sm.  2  u.  3, 1—3). 

Um  die  „menschliche  Natur"  Christi  im  kirchlichen  Sinne 
zu  betonen,  wären  Jungfrauengeburt,  Taufe  und  Auferweckung 
recht  wunderbare  Beweismomente.  Der  Hauptgesichtspunkt  ist 
also  sicherlich  der  der  realen  Wirklichkeit.  Überdies  sind  die 
Formeln  schwerlich  ganz  selbständig  erdacht,  sondern  sie  lehnen 
sich  zum  Teil  an  schon  liturgisch  Gewordenes  an  *).  So  ist  z.  B. 
vloq  ftsov  xarä  &eZr](ia  xal  dvvctfiiv  Sm.  1  und  das  jcvevfiaToq 
6s  ayiov  Eph.  IS  für  den  polemischen  Zweck  der  Stellen  ganz 
überflüssig  und  fast  störend.  Das  ist  deshalb  wichtig,  weil  diese 
Formeln  in  dem  Ganzen  der  ignatianischen  Anschauungsweise, 
soweit  sie  eine  theologische  ist,  nicht  gut  unterzubringen  sind, 
denn  viel  häufiger  und  beherrschender  ist  der  Gedanke,  dass  Gott 
selbst  in  Christo  erschienen  ist,  und  wiederum  ist  Christus  selbst 
mit -dem  heiligen  Geiste  identifiziert  (M.  15) 2).  Wir  dürfen  keine 
systematische  Klarheit  verlangen.  Ignatius  hat  sich  hier  die 
Formen  des  einfachen  Gemeindeglaubens  angeeignet,  und  so  ge- 
wiss er  Vater  und  Sohn  immer  auseinanderhält,  war  der  Begriff 
der  Gottessohnschaft  für  ihn  verständlich,  wenn  auch  das  Spezi- 
fische seiner  Anschauungsweise  nicht  darin  zum  Ausdrucke 
kommt.     Wenn  das  „vloq  &eov"  Sm.  1  zwischen  der  Davidsohn- 


1)  Vgl.  die  späteren  Ausführungen. 

2)  xexTTjfxivoi  dötuxQiTOv  nvtZfxa  oq  iotiv  ^lr\a.  Xy. 


I.   Glaube  an  Gott  und  Christus.  19 

schalt  und  der  Jungfraugeburt  eingereiht  ist,  so  ist  damit  von 
selbst  gegeben,  dass  diese  Sohnschaft  sich  für  Ign.  an  die  Geburt 
aus  dem  heiligen  Geiste  durch  die  Jungfrau  knüpft,  und  dass  er 
von  einer  ewigen  Zeugung  noch  nichts  weiss.  Diese  ist  durch 
das  dyevvr]TOQ  direkt  ausgeschlossen  1).  Das  xaxd  d-iXtjfia  xai 
övvafiip  entspricht  ganz  dem  xax  olxovofiiav  &eov  Eph.  IS  und 
drückt  nur  aus,  dass  es  Gottes  Heilsplan  und  Kraft  sind,  welche 
eine  Einigung  Gottes  mit  dem  Menschen  sich  vollziehen  lassen. 
Insofern  ist  nach  Eph.  20, 2  Christus  vloq  (xv&qgijiov  und  vioe  &sov 
zugleich,  und  seine  Geburt  das  göttliche  Glaubensgeheimnis, 
dessen  Bedeutung  dem  Satan  verborgen  ist.  Gerade  in  dieser 
Verbindung  von  Göttlichem  und  Menschlichem,  so  dass  ihm  in 
letzterem  die  Wirklichkeit  des  ersteren  verbürgt  ist,  liegt  dem 
Bischöfe  die  Heilsbedeutung  der  Erscheinung  Christi. 

3.  Das  Bild  von  der  geschichtlichen  Person  Jesu. 

Dies  wird  noch  deutlicher,  wenn  wir  das  Bild  des  geschicht- 
lichen Christus  selbst  betrachten,  welches  Ignatius  vor  Augen 
hat.  Da  seine  Äusserungen  hier  alle  nur  zufällige,  gelegentliche 
sind,  und  er  keinen  Anlass  hatte,  ausführlich  von  der  Geschichte 
des  Herrn  zu  sprechen,  so  ist  es  schon  viel,  dass  wir  so  deutlich 
erkennen,  dass  Jesu  Verhältnis  zu  seinem  Vater  ihm  das  Wich- 
tigste ist.  Christi  ganze  Person  ist  &eov  yvcofirj  (Eph.  3  cf.,  R.  8, 
Sm.  6,  Pol.  8)  d.  i.  Gottes  Willensäusserung.  Er  war  xo  dtpevösc 
orofia  sv  co  o  jtar?]Q  eXaXrjöev,  und,  da  er  nach  Eph.  15  über- 
haupt erkannt  wird  nicht  nur  durch  das,  was  er  sagte,  sondern 
auch  durch  das,  was  er  schwieg,  so  schliessen  wir  nicht  zu  viel, 
wenn  wir  glauben,  dass  Ign.  auch  den  Vater  in  ihm  wiederfand  nicht 
nur  nach  seinen  Worten,  sondern  auch  nach  seinem  Schweigen 
und  Handeln,  d.  i.  nacn  seiner  ganzen  Persönlichkeit.  So  ist  aber 
auch  die  vielumstrittene  Stelle  M.  8, 2  zu  verstehen ,  welche  nach 
der  von  Zahn  und  Light foot  unabhängig,  aber  gleichmässig 
verbesserten  Lesart,  über  die  kein  Zweifel  mehr  bestehen  kann 2), 
folgendermassen  lautet:  elq  dsbc  6  gxxveQCDOaq  tavxbv  öid  'hföov 
Xqloxov  xov  vlov  avxov,  6g  loxiv  avxov  JLoyoq  djto  oiy?jQ 
jtQoeXümv,  oq  xaxd  jidvxa  evrjQtoxrjoe  xgj  Jtifitpavxi  avxov.    Der 


1)  Cf.  Harnack,  D.  Gesch.*  S.  164  Anm.  1.  Zahn,  Marcellus  S.  221  ff. 

2)  Cf.  Lightfoot  II  S.  120.  127. 

2* 


20  v.  d.  Goltz,  Ignatius. 

Schlusssatz  zeigt  unwiderruflich,  dass  vom  geschichtlichen  Christus 
die  Rede  ist.  Das  Wort  Xoyoq  ist  genau  so  gebraucht  wie  im 
Johannesevangelium  und  bezeichnet  nichts  anderes  als  das  „yvcopr/ 
#£Ot>",  wenn  auch  mit  Anlehnung  an  einen  schon  rezipierten 
Sprachgebrauch.  Es  ist  das  Wort,  welches  Gott  nach  langem 
Schweigen  spricht,  nach  einem  Schweigen,  für  welches  Ign. 
Eph.  19  das  Wort  qov%ia  hat.  Der  Ausdruck  des  Ign.  erinnert 
auch  an  P.  Rom.  16,26,  und  es  liegt  auch  keine  Spur  vor,  dass 
hier  schon  von  den  bekannten  gnostischen  Äonen  die  Rede  ist. 
Sonst  konnte  Ign.  schwerlich  R.  2  sich  selbst  als  Märtyrer  einen 
Xoyoq  &eov  nennen,  wie  er  denn  auch  sonst  den  Begriff  Xoyoq 
in  ganz  gewöhnlicher  Weise  verwendet.  Hinter  diesem  Worte 
eine  ganze  „Logoslehre"  zu  suchen,  ist  durchaus  willkürlich  und 
durch  den  Wechsel  des  Ausdrucks  mit  yvoSfirj  und  ötofta  sogar 
unmöglich  gemacht.  Dagegen  scheint  die  Stelle  zu  beweisen, 
dass  der  Name  des  „Sohnes  Gottes"  sich  nicht  nur  auf  die  gött- 
liche Geburt  bezieht,  sondern  ebenso  auf  das  persönliche  religiös- 
ethische Verhältnis  zum  Vater,  der  ihn  gesandt  hat,  dessen  Wort 
er  ist,  und  dem  er  in  allem  wohlgefällt.  Eben  deshalb  heisst  er 
auch  6  rjyajcrjitevoq  (Sm.  inscr.)  und  fiovoq  vlbq  avrov  (R.  inscr.). 
Zur  Verstärkung  seiner  Ermahnung  zu  Einigkeit  und  Gehorsam 
weist  der  Bischof  näher  darauf  hin,  wie  Jesus  weder  selbst  noch 
durch  seine  Jünger  etwas  that  ohne  des  Vaters  Willen  (M.  7,  i), 
ihm  gehorsam  war  (M.  13, 2,  Sm.  8, 1)  und  ihm  nacheiferte  (Ph.  7, 2). 
Wenn  ei  diesen  Gehorsam  in  Analogie  stellt  mit  dem  der  Christen 
gegen  den  Bischof,  so  ist  bei  dem  hohen  Begriffe,  den  er  von 
letzterem  hat,  die  Subordination  des  Sohnes  Gottes  hier  mit 
grosser  Schärfe  ausgesprochen.  Da  jedoch  die  Absicht,  das  Vor- 
bild des  Herrn  wirksam  zu  gebrauchen,  von  starkem  Einflüsse 
ist,  so  wird  darauf  nicht  zu  viel  Gewicht  gelegt  werden  dürfen. 
Worauf  es  dem  Bischöfe  auch  bei  seiner  Christus -Auffassung 
schliesslich  am  meisten  ankommt,  das  zeigt  der  Zusatz  M.  13: 
'Iva  trcooiq  ?]  oaqxixr]  xal  xrevfiaTixi].  Solche  tvcoüiq  mit  Gott 
verspricht  Christus,  er  stellt  sie  aber  auch  selbst  dar  (Tr.  11). 
Obwohl  Gccqxixoc,  war  er  doch  jcvevfiazixojq  ?]voj{jevoq  reo 
xaTQi  (Sm.  3). 


1.   Glaube  an  Gott  und  Christus.  21 

4.  Die  Bedeutung  der  Gottheit  Christi. 

Ist  Christus  so  völlig  mit  dem  Vater  eins,  dazu  die  einzige 
geschichtliche  sarkische  und  darum  wirkliche  Offenbarung  Gottes, 
und  richtet  sich,  wie  wir  gesehen  haben,  das  ganze  Interesse  des 
Ignatius  auf  das  Ewige,  das  über  alle  Zeit  Erhabene,  Göttliche, 
so  kann  es  nicht  Wunder  nehmen,  wenn  er  trotz  aller  Trennung 
von  Vater  und  Sohn,  trotz  aller  Betonung  des  Menschlichen  zum 
Beweise  der  Wirklichkeit  —  doch  alles,  was  ihm  Christus  ist, 
zusammenfasst  in  dem  Prädikat  &eoq.  Bei  dem  ausgesprochenen 
Monotheismus  des  Ignatius  ist  es  eine  besonders  wichtige  Frage, 
wie  dieses  Prädikat  bei  ihm  zu  verstehen  ist.  Man  könnte,  um 
die  Antwort  zu  finden,  leicht  auf  das  N.  T.  zurückgehen,  zumal 
auf  das  Joh.-  Evangelium.  Aber  man  würde  die  Entscheidung 
dadurch  nur  erschweren.  Das  dogmatische  Interesse  gefährdet 
dort  noch  mehr  wie  hier  die  Objektivität  der  Untersuchung.  Wir 
beschränken  dieselbe  daher  lieber  vorläufig  auf  unseren  Schrift- 
steller, wenn  wir  uns  gleich  wohl  bewusst  sind,  dass  eine  sichere 
Antwort  von  allgemeinem  Wert  nicht  nur  nicht  ohne  ein  inner- 
liches Verständnis  des  christlichen  Glaubens,  sondern  auch  erst 
auf  Grund  einer  umfassenden  Untersuchung  über  den  Sprach- 
gebrauch des  Wortes  &eog  im  ganzen  ersten  und  zweiten  Jahr- 
hundert gegeben  werden  kann.  Hierzu  soll  wenigstens,  was  unsere 
Briefe  betrifft,  versucht  werden  das  wichtigste  Material  aufzu- 
zeichnen und  die  beherrschenden  Gesichtspunkte  hervorzuheben. 

Zunächst  ist  in  Anknüpfung  an  das  bisher  Gesagte  darauf 
aufmerksam  zu  machen,  dass  an  den  meisten  Stellen,  wo  Christus 
in  seiner  massgebenden  Bedeutung  erwähnt  wird,  er  zugleich 
mit  dem  Vater  genannt  wird.  So  z.  B.  in  sämtlichen  Gruss- 
überschriften ganz  in  paulinischer  Weise;  aber  auch  überall  da, 
wo  an  die  Stufenleiter  Gott-Christus-Apostel  oder  Gott-Christus- 
Bischöfe  resp.  Gemeinde  erinnert  wird.  Meist  steht  dann  für 
Gott  nazrjQ,  für  den  Sohn  „'/^tf.  Xq."  *),  xiQiog  fycov  oder  ocorrJQ 
(mit  xal,  kv  od.  öia),  seltener  für  Christus  6  &eöq  ^(iSp^  obwohl 
der  Vater  unmittelbar  daneben  genannt  ist.2)     Dadurch  ist  ge- 


1)  Eph.  5,  l.  21.   M.  iscr.  1.  13,  2.  15.    Tr.  iscr.  1.  3,  l.  12.    R.  iscr.  8,  9. 
Phld.  iscr.  1.  3,  2.  Phld.  7,  2.  9,  l.  Sm.  iscr.  3.  "6.  Pol.  iscr. 

2)  Eph.  iscr.  18,  2.  R.  iscr.  R.  3,  3. 


22  v-  d.  Goltz,  Ignatius. 

sichert,  dass  Ignatius  nicht  nur  den  geschichtlichen,  sondern  auch 
den  präexistenten  und  erhöhten  Christus  als  Person  vom  Vater 
unterscheidet  und  demselben  subordiniert.  Jeder  eigentliche 
Modalismus  ist  also  ausgeschlossen. 

Weiter  führt  uns  eine  Reihe  von  Stellen,  wo  Christus,  ohne 
den  Namen  „&eogi(,  doch  göttliche  Funktionen  und  göttliche  Ehren 
zugeschrieben  werden.  Dies  geschieht  vor  allem  durch  die  Be- 
zeichnung xvQiog,  o  xvQiog,  6  xvgiog  rjficöv.  Dies  Wort,  welches 
im  A.  T.  von  Gott  als  dem  Haupt  seines  Volkes,  im  N.  T.  sowohl 
von  Gott  wie  von  Christus  als  dem  Haupt  der  Gemeinde  ge- 
braucht wird,  kommt  bei  Ign.  nur  oder  fast  nur  als  Bezeich- 
nung für  Christus  vor1).  Dass  auch  Ign.  gerade  wie  Paulus 
mit  diesem  Worte  mehr  sagen  will  als  „Meister"  oder  „Lehrer", 
dass  Christo  göttliche  Ehre  dadurch  zuerkannt  sein  soll,  zeigen 
deutlich  Stellen,  wie  Eph.  6,  i  cog  avrov  rov  xvqiov,  Eph.  7,  2, 
wo  es  in  den  Antithesen  parallel  mit  &s6g,  Ccoi]  äZrj&ivrj,  ix 
9-eoVj  äjta&tfg  steht,  Eph.  15,  3,  wo  ihm  die  Kenntnis  des  Ver- 
borgenen in  unseren  Herzen  zugeschrieben  wird,  und  Sm.  1,  wo 
sich  die  Zuversicht  des  Glaubens  auf  ihn  richtet.  Auch  sonst 
wird  Christo  die  Vergeltung,  die  Macht  Busse  zu  wirken,  die 
Stärkung  der  Herzen  mit  dem  heiligen  Geist,  das  Auferwecken 
der  Propheten,  das  fürsprechende  oder  verklagende  Zeugnis  beim 
Gericht  und  die  liebevolle  Fürsorge  für  seine  Gemeinde  ebenso 
wie  Gott  selbst  zugeschrieben  (vgl.  Eph.  2, 2.  Eph.  21.  M.  8, 2.  9, 3. 
10,  1.  Phld.  iscr.  5,  1.  8,  1.  ?.  11.  Sm.  4.  6,2.  10.  Pol.  1,2).  Da- 
gegen richten  sich  die  Gebete  der  Christen  nicht  an  Christus, 
sondern  an  Gott  den  Vater  durch  seinen  Sohn  Jesum  Christum 
(vgl.  Eph.  4,  2.  Tr.  13,  3).  Nirgends  ist  von  einer  Teilnahme  Christi 
an  der  Weltregierung  des  Vaters  die  Rede,  sondern  überall  nur 
von  Heilswirkungen.  Der  Gemeinde  gegenüber  ist  Christus  o 
xvgioq,  dem  Vater  gegenüber  fiovog  viog,  der  ohne  ihn  so  wenig 
etwas  that,  als  die  Apostel  ohne  ihren  Herrn  (M.  7, 1.  8, 2).  So- 
weit also  an  den  genannten  Stellen  Christo  als  dem  Herrn  der 
Gemeinde  göttliche  Ehren  zuerkannt  sind,  ist  dadurch  immer  ein 
Verhältnis  der  Christen  zu  dem  Vermittler  ihres  Heils  ausgedrückt 


1)  Nur  Eph.  17.  3.  21.  1.  Phld.  8,  1  u.  11, 1.  Sm.  10, 1  u.  Pol.  4, 1  ist  die 
Beziehung  auf  Gott  den  Vater  nicht  ausgeschlossen.  An  den  übrigen  27 
Stellen  ist  immer  Christus  gemeint. 


I.   Glaube  an  Gott  und  Christus.  23 

nirgends  etwas  anderes.     Dies  wird  auch  bei  der  Deutung  des 
Prädikats  &eog  zu  berücksichtigen  sein. 

Ehe  wir  aber  auf  diese  Bezeichnung  für  die  Würde  Christi 
eingehen,  ist  es  von  Wert  auf  den  sonstigen  Gebrauch  des  Wortes 
&eog  hinzuweisen,  der  bei  Ign.  ein  sehr  reichlicher  ist.  Der 
Bischof  selbst  nennt  sich  ßeotpoQog  und  liebt  dergleichen  Zu- 
sammensetzungen mit  dem  Wort  &eog  augenscheinlich.  So  nennt 
er  die  Boten  der  Gemeinden  freodoofiog  (Pol.  7, 2),  &eojtQ£ößevxijg 
(Sm.  11,2),  ihren  Vorsteher  &eofiaxdot6xog  (Pol.  7,  2),  &sokuaxa- 
nixrjg  (Sm.  1,  2)  und  braucht  gern  das  Beiwort  freojzQSJtrjg  (M.  1, 2) 
und  &eoi>  agiog  (Eph.  2,  1.  4,  1.  7.  R.  iscr.:  ägio&eog).  Diese 
rhetorische  Verwendung  des  Wortes  &eog  zeigt  nur,  wie  Ignatius 
alles,  was  er  mit  Gott  und  seinem  Willen  in  Beziehung  setzt,  als 
etwas  Göttliches  ansieht.  Die  Christen  heissen  Tr.  8,  2  xo  ev 
&£(~>  JiZfj&og  und  alles,  was  sie  thun,  soll  ev  &ecß  oder  xaxa 
ftsov  geschehen;  ihre  Gesinnung  heisst  eine  xara  &eov  Evvoia 
(Tr.  1);  sie  werden  ermahnt  zur  ofiovota  d-eov,  zur  o^or^Eia  &eov 
(M.  6.  Pol.  1, 3).  Dieser  Genitiv  &eov  steht  geradezu  für  &elog: 
Phld.  10, 1  &eov  jiQeoßeia,  Pol.  7  ev  äfiEQtfivia  &eov,  Pol.  2  &eov 
dd-Zr/T/jg,  Eph.  4,  2  XQ&t101  &zov  Zaßovxsg,  Pol.  7  cog  &eov  yvwfirjv 
xexTTjfievog.  An  allen  diesen  Stellen  ist  der  göttliche  Charakter 
einer  Handlung,  einer  Person,  einer  menschlichen  Gesinnung,  durch 
das  Wort  &eog  gekennzeichnet.  Damit  verwandt  ist  auch  die 
häufige  Bezeichnung  des  christlichen  Heilsguts  mit  &eov  sivai, 
fiertxeiv  und  vor  allem  M.  14,  1:  d-eov  yefieiv.  Denn  auch  hier 
ist  mit  dem  Genitiv  &eov  weniger  die  Person  Gottes  als  vielmehr 
die  Art;  die  Gattung  des  Heilsguts,  bezeichnet,  in  dessen  Besitz 
resp.  Erwartung  die  Christen  sich  befinden.  Dies  ist  noch  be- 
merkbar an  der  wunderbaren  Stelle  Eph.  14, 1:  Jtlöxig  xal  ayajir\  — 
xd  6h  ovo  ev  evoxrjxi  yevofieva,  freog  eoxiv.  Diese  Stelle  ist  nur 
verständlich,  wenn  d-eog  eine  Gesamtbezeichnung  für  das  religiöse 
Heilsgut  ist,  in  dessen  Besitz  die  Christen  durch  Glaube  und  Liebe 
sich  erhalten.  Dies  Heilsgut  ist  aber,  wie  es  Tr.  11,  2  als  evcooiq 
d-eov  bezeichnet  ist,  in  Christus  selbst  repräsentiert.  In  ihm  haben 
wir  die  yvcooig  &eov,  die  evoxrjg  &eov  xal  tjucöv.  .  Aus  diesem 
Grunde  kann  er,  wie  er  als  Heilsmittler  6  xvgiog  tfficov  ist,  auch 
6  d-eog  rjfimv  genannt  werden  und  es  fragt  sich  nur,  ob  Ign. 
ausser  diesem  subjektiven,  das  Heilsgut  prägnant  bezeichnenden 
Gebrauch  des  Wortes  &ebg  für  Christus  noch  einen  anderen  ob- 


24  v.  d.  Goltz,  Ignatius. 

jektiven  absoluten  Begriff  der  „Gottheit  Christi"  kennt,  wie  ihn 
die  spätere  Kircheulehre  ausgeprägt  hat,  und  wie  ihn  sowohl 
katholische  als  protestantische  Gelehrte  in  unseren  Briefen  finden 
wollen.  *)  Dies  kann  nur  durch  Prüfung  der  einzelnen  Stellen 
ermittelt  werden. 

Am  klarsten  ist  die  rein  religiös-subjektive  Bedeutung  von 
&eog  Eph.  15,  3:  jtavxa  ovv  jtoiojfiev  mg  avxov  Iv  r/filv  xaxoi- 
xovvxog,  Iva  wfisv  avrov  vaol  xal  avxog  ij  Iv  rjfilv  &eog  ?][/dov. 
Nach  diesen  Worten  ist  es  nicht  unabhängig  von  unserem  Ver- 
halten, ob  Christus  „unser  Gott"  ist;  denn  sollte  der  Ton  nur  auf 
dem  ev  tfpiv  liegen,  so  müsste  es  heissen  xal  avxog  6  &sog  # 
iv  rjfilv.  Das  folgende  ojcsq  xal  toxi  xal  q>avr/OFxai  drückt  nur 
die  Gewissheit  und  Hoffnung  aus,  dass  Ign.  das,  was  er  seinen 
Lesern  wünscht,  als  schon  vorhandenen  Besitz  und  der  Vollendung 
sicher  harrendes  Gut  voraussetzt.  Christus  ist  unser  Gott,  weil 
dann,  wenn  sein  Geist,  sein  Lebensprinzip  uns  beherrscht,  Gott 
in  uns  wohnt.  Wenn  nun  an  letztgenannter  Stelle,  wie  der  Zu- 
sammenhang zeigt,  &sog  rjfimv  zweifellos  im  prägnanten  sub- 
jektiven Sinn  zu  verstehen  ist,  so  darf  man  es  auch  an  den  sieben 
anderen  Stellen,  wo  es  gleichfalls  mit  dem  Genitiv  f^imv  steht, 
nicht  anders  verstehen  (Eph.  iscr.  18,2.  R.  iscr.  (2  mal).  R.  3,3  u.  6, 3. 
Pol.  8, 3).  Auffallender  ist  dagegen  die  Stelle  Sm.  1:  öo§a£ojv 
'Itjö.  XqlOtov  rov  d-sov  xbv  ovrmg  f\nag  öotpiöavra.  Unmöglich 
ist  aber  unsere  bisher  gegebene  Auslegung  auch  hier  nicht;  denn 
einmal  fehlt  auch  hier  in  dem  Appusitionssatz  die  subjektive  Be- 
ziehung nicht,  und  dann  trifft  hier  vor  allem  die  Beobachtung 
R.  Roth  es  zu,  dass  gerade  bei  besonderer  Gefiihlssteigerung  dem 
Bischof  diese  Bezeichnung  Christi  in  die  Feder  kommt.  —  An 

1)  So  Nirschl,  Dreher,  a.  a.  0.,  Franke  und  neuerdings  auch 
Cremer,  Zum  Kampf  um  das  Apostolikum.  Berlin  1893,  S.  24  Anm.  u. 
S.  25  u.;  nicht  viel  korrekter  Th.  Zahn,  I.  v.  A.  S.  489.  der  von  einer  „Be- 
hauptung sowohl  der  Einzigkeit  Gottes  als  der  anfangslosen  ewigen  Gott- 
heit des  I<5hs,  welches  als  Mensch  gewordenes  Gott  seinen  Vater  nennt'4, 
spricht;  dagegen  richtig,  wenn  auch  nicht  erschöpfend,  ist  die  Darstellung 
von  H.  Schultz,  Lehre  von  der  Gottheit  Christi.  Göttingen  1881,  S.  32-36 
und  sehr  treffend  auch  die  Charakteristik  von  R.  Rothe,  Anfänge  d.  ehr. 
K.  747—756.  Dorner,  Gesch.  d.  Lehre  von  der  Person  Christi  I,  1  Abth. 
S.  161  nimmt  d.  Prädikat  &eoq  als  eine  unbestimmtere  Bezeichnung  für  den 
vlbq  &eov,  in  dem  Gott  sich  menschlich  offenbart,  bringt  aber  zu  sehr  seine 
eigene  Idee  von  der  „Gottmenschheit"  in  die  Auslegung  hinein. 


I.  Glaube  an  Gott  und  Christus.  25 

drei  weiteren  Stellen  ist  das  Wort  &toc  als  späterer  Zusatz  zu 
streichen,  nämlich: 

1)  Tr.  7,  i  [xovxo  öe  töxai  vfitv  fjrj  (pvoiov[iivoig  xal  ovoiv 
aycoQiOroig  &eov  'hjoov  Xqioxov  xal  xov  Imoxbnov  xal  xcäv 
diaxayftaxcov  xoiv  axoGxoZcov]  fehlt  „&eova  in  A1),  ,'ltjoov 
Xqioxov"  in  g,  weshalb  Lightfoot  ersteres  wohl  mit  Recht  zu 
streichen  geneigt  ist.  Die  Trennung  in  drei  Genitive  1)  &tov, 
2)  'Jrjoov  Xqioxov,  3)  xai  rov  hmöxoxov  ist  ebenso  hart  wie 
das  artikellose  &eov  vor  'iqo.  Xq.,  und  die  Analogien  in  Tr.  12,  2. 
Phil.  9,  2  2)  sind  auch  unsicher.  Aber  selbst  wenn  man  dies  nicht 
gelten  lässt  und  im  Vertrauen  auf  die  Handschriften  G  L  &sov 
beibehält,  so  liegt  in  dem  äxa)Qioxoig  eine  direkte  Inbeziehung- 
setzung  zu  dem  religiösen  Subjekte,  der  Gemeinde,  für  welche 
Jesus  Christus  die  unzertrennliche  Einheit  mit  Gott  vermittelt 
und  den  Vater  repräsentiert,  so  dass  auch  diese  Stelle  keinesfalls 
eine  Ausnahme   von  dem  konstatierten  Sprachgebrauche  bildet. 

2)  Sm.  6:  hav  firj  moxevcooiv  elg  xo  alfta  Xqioxov  xov  &eov 
würde  eine  volle  Parallele  sein  zu  dem  gleich  zu  besprechenden 
sv  aXfiaxL  &eov  und  es  wäre  an  sich  wohl  denkbar,  dass  Ignatius 
so  geschrieben  hat,  obwohl  der  Artikel,  und  auch  die  direkte 
Verbindung  mit  Xqioxov,  durch  welche  die  sonst  vorliegende 
absichtliche  Paradoxie  geschwächt  wird,  etwas  Bedenkliches  haben. 
Da  aber  in  unseren  besten  Handschriften  G,  L,  A,  C  das  „&eov" 
fehlt,  liegt  es  viel  näher,  hier  eine  Glosse  anzunehmen. 

3)  Dasselbe  gilt  von  der  dritten  Stelle,  Sm.  10,  öiaxovovo, 
Xqioxov  &eov  nach  GL  (gegen  A,  die  nur  #eot  hat).  Nach 
dem  Zusammenhange  der  Stelle  hat  eine  Betonung  der  Gottheit 
Christi  gar  keinen  Sinn.  Sowohl  öiaxovog  Xqioxov  als  öiaxovog 
&80V  allein  kommen  oft  vor.  Eins  von  beiden,  also  nach  A 
wohl  „XqcGxov",  ist  einfach  zu  streichen. 

Demnach  ist  zu  konstatieren,  dass  bei  Ign.  in  allen  bespro- 
chenen Stellen  das  Prädikat  &eog  für  Christus  nicht  die  absolute 
Bedeutung  hat,  wie  da,  wo  es  Bezeichnung  für  den  ütaxrjQ 
wptoxog  ist,  sondern  dass  es  nur  ein  prägnanter  Ausdruck  dafür 

1)  Die  Abkürzungen  für  die  Handschriften  nach  Lightfoot. 

2)  Tr.  12,  2   tlg  Ttfzrjv  naTQOQ,  Jtjgov  Xqioxov,  xal  x<äv  anooxolwv 

oder  —  xal  elg  xifirjv  *bio.  Xq. 
Phild.  9,  2  XTjv  TiaQOvoiav  xov  xvq'iov  rifiwv  *Fr]OOv  Xpioxov,  xb 
na&oq  avxov  xal  xrjv  drdoxaoiv. 


26  v.  cl.  Goltz,  Ignatius. 

ist,  class  in  Christo  Gott  als  ewiges  Heilsgut  von  den  Christen 
erfasst  und  ergriffen  wird.  Dies  Resultat,  welches  durchaus  zu 
der  übrigen  Christologie  des  Ign.  stimmt,  wird  nun  durch  drei 
bisher  noch  bei  Seite  gelassene  Stellen  bestätigt  und  recht  cha- 
rakteristisch beleuchtet.  Es  gehört,  wie  anderwärts  von  uns  aus- 
geführt wird,  zu  der  sprachlichen  Eigentümlichkeit  unsrer  Briefe, 
dass  der  Verfasser  für  Antithesen  und  kurze  prägnante  Zusammen- 
fassungen eine  besondere  Vorliebe  zeigt.  Eph.  6  ist  eine  ganze 
Gruppe  christologischer  Antithesen  nebeneinander  gestellt,  dar- 
unter auch  das  e v  av&QWJtcp  &eog 1).  In  diesen  Worten  ist 
wieder  die  ganze  Christologie  des  Bischofs  zusammengefasst.  Im 
Menschen  Jesus  ist  Gott  erschienen  und  dadurch  der  Unsichtbare 
sichtbar,  der  Ewige  zeitlich,  der  Unfassbare  fassbar  geworden, 
und  eben  deshalb  kann  der  Träger  dieser  Offenbarung  Gottes 
auch  selbst  Gott  heissen.  Wie  wir  im  nächsten  Abschnitt  sehen 
werden,  ist  ihm  der  Tod  Christi  sowohl  ein  Zeugnis  für  die  ge- 
schichtliche Wirklichkeit  der  Erscheinung  Gottes  auf  Erden,  als 
auch,  sofern  er  besiegt  ist,  ein  Symbol  für  das  neue  Leben:  Iv 
avd-QCüjicp  &£og,  ev  &avarcr)  C,mrj  aX^ivri.  Durch  den  Tod  des 
Herrn  wird  wirklich  Gott  in  Christo  geoffenbart.  Um  diese 
Gedanken  prägnant  zum  Ausdruck  zu  bringen,  schreibt  Ign. 
Eph.  t  ev  aifian  &eov,  R.  6  rov  xa&ovg  xov  &eov  fiov.  Weit 
entfernt,  dass  durch  diese  Stellen  Ign.  patripassianisch  oder  gut 
nicänisch  erscheint,  zeigt  sich  gerade  in  ihnen  der  subjektive 
„ökonomische"  religiöse  Sinn  und  der  durch  und  durch  gefühls- 
mässige,  untheologische  Charakter  des  gottheitlichen  Prädikats 
für  Christus.  Die  häufige  rhetorische  Verwendung  des  Wortes 
&eoq  bei  Ign.  überhaupt  macht  das  noch  verständlicher.  Die 
Prädikate  xvgioq  und  &eog  drücken  eine  persönliche  göttliche 
Würde  Christi  nur  insofern  aus,  als  sie  die  Heilsbedeutung  seiner 
Person  für  die  Menschheit  bezeichnen.  Immerhin  zeigen  beide, 
dass  Ign.  den  einen  Gott  und  den  Menschen,  der  sein  loyoq, 
örofia,  yvcofirj  ist,  unmittelbar  so  zusammenschaut,  dass  da,  wo 
die  Beziehung  auf  sein  oder  seiner  Gemeinde  religiöses  Empfin- 
den im  Vordergrund  steht,  scheinbar  jede  Unterscheidung  verloren 


1)  Diese  Lesart  scheint  mir  schon  der  Analogie  wegen  besser  zu  passen 
als  die  übrigens  inhaltlich  gleichbedeutende  iv  okqxI  ysvofzevoq  $e6g,  vgl. 
Lightfoot  z.  d.  St. 


I.   Glaube  an  Gott  und  Christus.  27 

geht.  Dass  dies  aber  nicht  im  orthodox -nicänischen  Sinne  zu 
nehmen  ist,  zeigt  die  Art  und  Weise,  wie  die  Heilsbedeutung 
dieses  Christus  an  die  Schöpfung  des  teXeiog  av&QWjioq  ange- 
knüpft wird.  Weil  er  der  sich  ihm  anschliessenden  Menschheit 
dieselbe  evwciig  &eov  öccqxixtj  xal  jcvsvfiarix?}  verspricht,  die 
er  in  seiner  Person  schon  darstellt,  so  ist  das  Ziel  der  ganzen 
olxovofiia  Gottes  die  Schaffung  einer  neuen  Menschheit  (olxo- 
vofila  elq  xaivov  avfrocojiov).  Christus  ist  der  reXeiog  avß-QGOJtoq 
(Sm.  4, 2)  und  nach  vollendetem  Martyrium  hofft  Ignatius  im 
Vollsinne  ein  Mensch  zu  werden  (R.  6,2).  Für  dasselbe  Ziel  hat 
er  meist  den  Ausdruck  &eov  ejurvyxäveiv.  Da  zeigt  sich  deut- 
lich, wie  der  Gedanke  der  neuen  Menschheit  und  der  vollen 
Gottesgemeinschaft  ihm  zusammenfallen  l).  Mag  er  die  Idee  des 
xcuvog  av&QG>jzog  aus  dem  paulinischen  Epheserbriefe  entlehnt 
haben  oder  nicht,  jedenfalls  versteht  er  es  auch  zunächst  von 
Christus,  in  welchem  das  Gleiche  dann  für  alle  verbürgt  ist. 
Genaueres  lässt  sich  hierüber  nicht  ermitteln2).  Sein  Interesse 
haftet  so  sehr  am  Göttlichen,  Ewigen,  dass  die  menschliche  Seite 
da  ignoriert  ist,  wo  das  antihäretische  Interesse  nicht  ihre  Be- 
tonung verlangt.  Beide  Seiten  aber  sind  gerade  in  ihrer  Ver- 
knüpfung dem  Ignatius  wertvoll.  Das  Spezifische  seiner  Christo- 
logie  liegt  -gerade  in  seinem  Suchen  des  Ewigen,  Göttlichen  in 
der  Zeit;  an  und  in  der  geschichtlichen  Gestalt  des  Herrn  ist 
ihm  sein  Verhältnis  zum  göttlichen  Vater  die  Hauptsache  als  der 
völligen  tvcooiq  ß-eov  an  Leib  und  Seele  (öagg  und  Jtvevfia). 
Alle  übrigen  christologischen  Vorstellungen  und  Ausdrucksformen: 
persönliche  Präexistenz,  Gottessohnschaft,  Geburt  aus  der  Jung- 
frau, Davidsohnschaft  u.  a.,  soweit  nicht  auch  sie  apolegetisch  gegen 
die  Doketen  verwendet  werden,  liegen  nicht  im  Zentrum  seiner 

1)  Sind  „Gotteserlangung"  u.  „neues  Menschtum"  dasselbe,  so  be- 
steht das  Heilsziel  also  nicht  in  einer  Vereinigung  der  göttl.  u.  menschl. 
„Natur",  sondern  in  der  Erfassung  des  Göttlichen,  welches  sich  durch  seine 
Erscheinung  als  greifbar  erwiesen  hat 

2)  Dass  die  Idee  der  olxovofxla  elq  xaivov  uv&qwtiov  im  Mittelpunkte 
der  ignatianischen  Anschauungen  gestanden  habe,  wie  Loofs  (D.  Gesch. 
§  15,  2)  aus  Eph.  20  schliesst,  ist  doch  nicht  ganz  zutreffend,  da  gerade  die 
Spekulation  über  Entstehung  einer  neuen  Menschen gattung  im  Gegensatze 
zu  einer  alten  sich  nicht  weiter  ausgebildet  findet.  „Mensch"  und  „ado^ 
ist  dem  Ign.  nur  der  Träger  des  Ewigen,  Göttlichen,  nicht  aber  der  eine  von 
zwei  gleichberechtigten  Faktoren  eines  Produktes. 


28  v.  d.  Goltz,  Ignatius 

Anschauung  und  gehen  als  von  der  Gemeinde  übernommene 
Einzelheiten  nebenher.  Dies  kann  erst  voll  und  ganz  erkannt 
werden,  wenn  klargestellt  ist,  was  für  Heilsthatsachen  Ignatius 
im  Einzelnen  kennt,  und  welche  Heilsbedeutung  für  den  Christen 
er  ihnen  mit  Verständnis  abzugewinnen  weiss. 


II.  Die  einzelnen  Heilsthatsachen  und  ihre  Heils- 
bedeutung. 

I.  Geburt  und  Gesamt-Erscheinung. 

Als  (ivOTtJQia  des  Christentums  bezeichnet  Ignatius  Eph.  19, 1: 
Jungfrauschaft  und  Gebären  der  Maria  und  den  Tod  des  Herrn; 
Phild.  9, 2:  Die  jtagovola  rov  ocorrJQog,  sein  Leiden  und  seine 
Auferstehung.  Die  Heilsbedeutung  seiner  Geburt  fällt  also 
augenscheinlich  mit  der  Heilsbedeutung  seiner  Gesamterscheinung 
überhaupt  zusammen.  Haben  wir  aber  diese  soeben  dahin  richtig 
bestimmt,  dass  Gott  durch  diese  Erscheinung  so  habhaft  und 
fassbar  in  einem  Menschen  geworden  ist,  dass  hierdurch  eine 
%va>6iQ  &eov  OaQxixrj  xal  Jtvsvfiatixr/  gegeben  ist,  so  ist  damit 
der  grosse  Wert  der  Erkenntnis  Gottes  in  Christo  herausgestellt, 
zugleich  aber  nahegelegt,  dass  es  auf  eine  theoretische  Gottes- 
erkenntnis nur  insoweit  ankommt,  als  durch  sie  die  Wirklichkeit 
und  Ergreifbarkeit  Gottes  gesichert  ist.  Diese  ist  aber  dem 
Bischöfe  durch  jede  doketische  Lehre  ernstlich  gefährdet,  und 
deshalb  legt  er  dieser  gegenüber  Gewicht  nicht  nur  auf  ein 
Vorhandensein  der  yvcömq  &sov  in  Christo  überhaupt,  sondern 
Eph.  l,i  auf  eine  ogd-rj  ypw/ii]  xal  öixaia.  Das  Wort  aXrj&eta 
steht  an  drei  Stellen  in  direktem  Gegensatze  gegen  die  Irrlehre; 
einmal  überhaupt  in  der  Bedeutung  „zuverlässige  Treue"  (Pol.  7, 3). 
Schon  hierin  kommt  zum  Ausdruck,  wie  wenig  eigentlich  das 
bloss  Erkenntnismässige  für  sich  dem  Bischöfe  von  Wert  ist. 
Aber  er  spricht  es  auch  selbst  aus  durch  Aneignung  der  pauli- 
nischen  Wendung:  Jtov  öofpog;  Jtov  6v£r)T7jq;  jtov  xavxyGtq 
rcov  ZeyofitiHDv  övvercop  *);  und  hält  „Liebe  üben"  für  besser  als 


1)  Cf.  dagegen  Barn.  6,  10  rlg  vorjoei  el  iit\  aocpbg  xal  iniotrjfuov, 
u.  die  Betonung  d.  ötöaoxaXia  iyialvovoa  in  d.  Pastoralbr.,  d.  yvwaiq  in 
A16.  9,  10,  1.  Clem.  36,  2,  2.  Clem.  3,  Barn.  2,  2.  8  u.  selbst  d.  yiyvwoxeiv  d. 
Joh.-Evang.  An  Stelle  dieses  griechischen  Interesses  der  Erkenntnis  tritt 
bei  Ignatius  das  ebenfalls  griechische  der  mystischen  Erfassung. 


IL  Die  einzelnen  Heilsthatsachen  und  ihre  Heilsbedeutung.         29 

ovQtjtbIp.  Sm.  5,  i  wirft  er  den  Gegnern,  welche  glauben,  An- 
wälte der  iXrj&sia  zu  sein,  vor,  sie  seien  vielmehr  Anwälte  — 
Ignatius  sagt  nicht:  „falscher  Lehre",  sondern  —  des  Todes.  Ihre 
Strafe  ist  der  Tod,  weil  sie  jzioriv  0-eov  —  iv  xaxoöiöaoxaXla 
zerstören.  Also  nicht  die  falsche  Lehre  an  sich  ist  das  Unselige, 
sondern,  dass  die  Irrlehrer  durch  sie  das  Vertrauen  auf  Gott 
stören,  indem  sie  seiner  Offenbarung  die  Wirklichkeit  nehmen. 
Für  die  Offenbarung  Gottes  überhaupt  ist  allerdings  Christus  die 
einzige  Quelle  und  deshalb  auch  der  einzige  Lehrer  (M.  9, 2, 
Eph.  15, 1),  dem  auch  allein  die  Geheimnisse  Gottes  anvertraut 
sind  (Phld.  9, 1).  Aber  er  ist  der  rechte  Lehrer,  weil  er  selbst 
nach  dem  handelt,  was  er  lehrt,  und  auch  da,  wo  er  schweigt, 
spricht.  In  dieser  lebhaften  Erfassung  der  ganzen  Person  unter- 
scheidet sich  Ignatius  sehr  vorteilhaft  von  den  anderen  aposto- 
lischen Vätern,  von  denen  zumal  Herrn,  und  2.  Clem.  die  Person 
des  Herrn  nicht  anders  zu  werten  wissen,  denn  als  Mitteiler 
sonst  nicht  bekannter  göttlicher  Dinge.  Wie  Phild.  9  zeigt,  ist 
das  dem  Ignatius  auch  nicht  fremd,  aber  es  ist  doch  nur  eine 
Einzelheit,  die  gegen  das  Übrige  ganz  zurücktritt.  Sofern  auch 
für  Ignatius  die  Verschaffung  der  yvcoOig  &eov  von  Wert  ist,  ist 
sie  nicht  gegeben  durch  Mitteilung  einzelner  beseligender  Wahr- 
heiten, sondern  in  dem  Charakter  seiner  Person,  seinem  Gott 
sichtbar  machenden  Wesen  und,  auf  Einzelnes  gesehen,  in  dem 
göttlichen  Charakter  seiner  Geburt  und  der  geschichtlichen  Wirk- 
lichkeit von  Tod  und  Auferstehung. 

2.  Tod  und  Auferstehung. 

Was  diese  nun  für  Bedeutung  haben,  verdient  eine  besonders 
genaue  Betrachtung;  es  tritt  dabei  ein  neues  Moment  hinzu,  aber 
auch  die  Mängel  der  Gesamtauffassung  treten  deutlich  hervor. 
Die  meisten  Stellen,  wo  vom  jta&oq  äZrj&tvov,  alfja  oder  oravgoi: 
Christi  die  Rede  ist,  dienen  lediglich  dem  Beweise  der  Wirklich- 
keit des  Menschenlebens  des  göttlichen  Heilandes  und  kommen 
daher  hier  gar  nicht  mehr  in  Betracht. 

Aber  auch  abgesehen  von  diesem  accidentellen ,  antidoketi- 
schen  Interesse  müssen  Tod  und  Auferstehung  bei  Ignatius  im 
Mittelpunkte  gestanden  haben  in  ihrer  Heilsbedeutung  für  uns 
icf.  Phild.  8, 9  und  die  Zusammenstellung  Phild.  9, 2.  Eph.  20, 1.  M.  1 1. 
Sm.  7,  1.  2.  Phld.  inscr.,  Tr.  inscr.).     Ausgesprochen  ist  diese  Be- 


30  v-  <1.  Goltz,  Ignatius. 

ziehung  auf  uns  in  einem  vjceq  ?}/ig>v  resp.  di  ?]fiaq  It.  6, 1.  Sm.  2,  i. 
Pol.  3, 2.  Kurz  zusammengefasst  ist  der  Gedanke  des  Ign.  hierbei 
Eph.  7, 2:  tv  ftavdrm  Ccotj  alrj&ivrj  und  Sm.  ,">,  3  peravotlv  dq 
xb  jtdfroq  avrov,  6  tözcr  rjfiwv  dvdöraöiq.  Ähnlich  M.  9, 1  ?/ 
C,co7]  Tjficov  dvtretXev  de  avrov  xal  xov  fravarov  avrov.  Diesn 
Stellen  zeigen  deutlich,  dass  eigentlich  der  Tod  Jesu  dadurch 
seine  Bedeutung  hat,  dass  er  die  unerlässliche  Voraussetzung  f ü  r 
die  Auferstehung  ist.  Überall  ist  die  Verbürgung  ewigen, 
unvergänglichen  Lebens  das  Heilsgut,  welches  an  das  Leiden 
Christi  geknüpft  gedacht  ist,  indem  die  Auferstehung  bald  ge- 
nannt ist,  bald  nicht.  So  ist  Tr.  2, 1 *)  der  Glaube  an  den  Tod 
Christi  der  Weg  dem  Sterben  zu  entgehen,  Eph.  18  das  oxavöa- 
Xov  oravQOV  wie  bei  Paulus  öcorrjQta  xal  £ojrj  alwvioq.  Das 
Evangelium  ist  als  Erscheinungs-,  Todes-  und  Auferstehungs- 
Verkündigung  ein  äjtäoriöfia  dtpfragöiaq,  und  auch  die  Salbung 
diente  dazu,  dass  der  Herr  der  Kirche  aydaoöLa  einhauchte 
(Eph.  17, 1).  Gerade  öiä  rijq  dvaördoemq  ist  das  Leiden  ein 
Panier  für  die  Heiligen  zur  Sammlung  von  Griechen  und  Juden 
in  der  einen  Kirche  (Sm.  1,2).  Diese  enge  Verbindung  von  Tod 
und  Auferstehung  anders  aufzufassen  als  so,  dass  der  Tod  an 
sich  keinen  Heilswert  hat,  sondern  nur  als  durch  die  Auferstehung 
überwundener  und  deshalb  die  Lebenshoffnung  verschaffender, 
könnten  wir  nur  genötigt  werden,  wenn  deutliche  Spuren  anderer 
Verwertung  vorlägen.  Nicht  im  Widerspruche  mit  dieser  Auf- 
fassung steht  der  bemerkenswerte  Umstand,  dass  Ignatius  den 
Tod  Jesu  als  Verbürgung  der  unvergänglichen  Liebe  Gottes2) 
würdigt,  wie  dies  R.  7, 3.  trotz  der  Beziehung  auf  die  Eucharistie 
aus  der  Wendung:  rb  alfia  avrov  6  iöxiv  dydjrt]  ay&aoroq  klar 
hervorgeht  (vgl.  auch  Tr.  8,1);  denn  das  aydaoroq  bestätigt  nur, 
dass  Ign.  auch  hier  die  Gabe  unvergänglichen  Lebens  als  die 
eigentliche  Frucht  des  Todesleidens  denkt.  Auch  sein  eigenes 
Leiden,  welches  er  ein  öv^indöytiv  Xotörco  nennt,  steht  ihm  ganz 
unter  dem  Gesichtspunkte  der  nachfolgenden  Auferstehung  und 
Gemeinschaft  mit  Gott  (vgl.  den  ganzen  Römerbrief).  Eine 
wirkliche  Ausnahme   scheinen   nur    die  Worte    trjv  Evyaoiöriar 

1)  "vu  niozevoavTEQ  elg  xov  Savaxov  avrov  xb  dno&avüv  ixyvyrjxt-. 

2)  Cf.  1.  Clem.  49,  6  diu  xtjv  dyunijv  i}v  eoyev  noog  rifiaq,  xb  aifxa. 
avxov  böwxev  vnh(>  TjfX(vv  'Iqo.  Xq.  xal  zqv  oagxa  vtieq  xrjg  oaQxbq  ?j/jm> 
xal  xr\v  ipvytjv  vnho  xatv  ipvxii/v  q/ueöv. 


II.  Die  einzelnen  Heilsthatsachen  und  ihre  Heilsbedeutung.         31 

oaQxa  eivai  rov  öcottjqoq  7]kud5v  'Iijö.  Xq.  xr\v  vjcIq  xmv  a^aQ- 
ricöv  T/f/cov  Jia&ovoav  (Sm.  7, 1)  zu  machen;  denn  hier  ist  das 
Abendmahl  nicht  nur  in  Beziehung  gesetzt  zu  Fleisch  und  Blut 
Christi  und  zu  seinem  Leiden  überhaupt,  sondern  zum  Leiden 
um  unserer  Sünden  willen.  Dieser  Zusatz  verrät  sich  aber  nicht 
nur  durch  seine  völlige  Vereinzelung  als  eine  gerade  hier  sehr 
verständliche  reine  Reproduktion  der  christlichen  Gemeindesprache, 
sondern  der  Verfasser  fügt  der  überlieferten  Formel  offenbar  ganz 
selbständig  die  Worte  hinzu:  r\v  rr\  x(M<>t6t7]tl  o  JzarrjQ  r/ysigsv, 
um  keinen  Zweifel  mehr  über  das  Mass  seines  Verständnisses  zu 
lassen.  Nicht  eine  die  Sünden  sühnende  Bedeutung  hat  für  ihn 
der  Tod  Jesu,  sondern  als  Vorbedingung  der  Auferstehung  eine 
Leben  verbürgende,  jeden  Tod  überhaupt  überwindende  Macht.  — 
Dies  bestätigt  sich  auch  durch  einige  andere  Beobachtungen. 
Phild.  9,  1  wird  zwar  Christus  ein  Hohepriester  genannt,  aber  nur 
als  Vertrauter  der  Geheimnisse  Gottes.  Ein  Opfer  für  Gott  nennt 
lgn.  wohl  sich  selbst,  aber  nirgends  Christum  (Rom.  4,  2).  Von 
Sündenvergebung  ist  überhaupt  nur  einmal  die  Rede,  nämlich 
Phild.  S,  11),  wo  von  der  fieravoia,  d.  h.  der  Rückkehr  der  Ab- 
trünnigen zur  Gemeinde  gesprochen  wird.  Ign.  gründet  diese 
Hoffnung  auf  den  Glauben  und  die  Gnade  des  Herrn,  6g  Xvöei 
arpy  tj/iäiv  jtavra  öeOfiov.  Hier  ist  weder  von  sühnender  Gnade 
noch  von  Sündenvergebung,  welche  den  Frieden  des  Herzens 
wiedergiebt,  die  Rede,  sondern  augenscheinlich  von  der  Erlösung 
aus  den  Fesseln  des  Teufels.  Überall,  wo  sonst  von  der  bXjiiq 
(iEravoiaq  die  Rede  ist,  wird  den  Reuigen:  Auferstehung,  Gottes- 
gemeinschaft, Leben  verheissen  (Sm.  5,  1.  Eph.  10,  1.  Sm.  4,  1. 
Phild.  3,  2). 

Trotz  alledem  müsste  man  annehmen,  dass  Ign.  auch  die  auf 
die  Sünde  bezüglichen  Gedanken  des  Paulus  verstanden,  wenn 
sich  die  paulinische  Rechtfertigungslehre  wiederfände.  Aber  nur 
zweimal  findet  sich  das  Wort  ötxcuovo&cu.  Er  nennt  es  R.  5,  1 
in  einer  ganz  phraseologischen  Reproduktion  gerade  der  pauli- 
nischen  Stelle  %  an  der  es  im  gewöhnlichen  Sinne  der  iustificatio 


1)  fiexavooioiv  d<fisi  6  xiQiog,  iccv  fxeravo7'jawaiv  elg  tvotTjva  &eov 
y.ul  avvtÖQiov  zov  tmaxonov,  cf.  Herrn.  Vis.  2,  2.  Clem.  9,  Herrn.  Mand.  4; 
et".  Wrede,  Untersuchungen  zu  1.  Clem.  Br.  S.  08  Anm.  2. 

2)  1.  Cor.  4,  9  or  na?«  xovxo  öedixaiiofxat. 


32  v-  d.  Goltz,  Ignatius. 

iusti  steht,  dann  Phild.  8, 2  *),  wo  vorher  der  Streit  mit  den  Doketen 
skizziert  ist,  gegen  deren  auf  die  Weissagung  des  A.  T.  gehende 
Angriffe  er  sich  auf  Jesus  Christus  und  das  l^aiQexov  des  Evan- 
geliums beruft.  Dieser  Zusammenhang  nötigt  trotz  der  Betonung 
von  Tod,  Auferstehung  und  Glauben,  hier  nur  an  ein  Gerecht- 
fertigtwerden in  Sachen  des  schwebenden  Streites,  also  auch  an 
ein  iustificare  iusti  zu  denken.  Das  „&4Za>u  und  „iv  ry  jtQOöevyri 
i)(id>v*'  weist  überdies  deutlich  auf  seinen  Märtyrertod.  Durch 
diesen,  dessen  Vollzug  die  Leser  erflehen  sollen,  hofft  er  zum 
Leben  und  damit  zur  Anerkennung  seines  Rechtes  in  jenem 
Streite  zu  kommen.  So  beweisen  gerade  diese  Stellen,  dass  Ign. 
die  paulinische  Rechtfertigungslehre  nicht  wirklich  aufgenommen 
hat.  Das  ist  auch  insofern  bemerkenswert,  als  lgu.  hier  entschie- 
den hinter  1.  Clem.2)  u.  Barn,  zurücksteht,  welche  die  paulinischen 
Gedanken  doch  teilweise  reproduzieren,  wenn  auch  nicht  mit 
durchdringendem  Verständnisse  (vgl.  II.  Teil  III  A.).  Eine  ein- 
zige Stelle  in  unseren  Briefen  scheint  allerdings  indirekt  mit 
der  Sünde  zu  thun  zu  haben.  Eph.  18,  2  nämlich  ist  die  Taufe 
Christi  mit  dem  Zusätze  genannt:  iva  reo  Jia&ei  ro  vöcoq  xad-aQioy. 
Taufe  und  Tod  Christi  sind  hier  zusammengefasst.  Die  Heiligung, 
welche  schon  das  Taufwasser  bringt,  wird  erst  völlig  dadurch,  dass 
Christus  auch  gelitten  hat.  Indirekt  liegt  hier  augenscheinlich  eine 
Beziehung  zur  christlichen  Taufe  überhaupt  vor.  Das  Leiden  Christi 
giebt  dieser  die  reinigende  Kraft.  Die  Reinigung  kann  sich  aber  nur 
auf  die  vor  der  Taufe  begangenen  Sünden  beziehen.  Diese  gelten 
also  kraft  des  Leidens  Christi  für  getilgt.  Wie  aber  die  fierapoia 
nichts  ist  als  die  Umkehr  vom  verkehrten  Wege,  so  bezieht  sich 
auch  diese  Sündenvergebung  bei  der  Aufnahme  in  die  Gemeinde 
nur  auf  die  vor  ihr  begangenen  Sünden,  und  es  verrät  sich  nirgends, 
inwiefern  dies  an  das  Leiden  Christi  geknüpft  ist.  Reinigung  war 
ja  auch  in  den  heidnischen  Mysterien  etwas  Gewöhnliches,  aber  doch 
sehr  verschieden  von  der  jüdisch-christlichen  Auffassung  einer  inne- 
ren Herzensreinigung.  Von  letzterer  ist  jedenfalls  bei  Ign.  direkt 
nichts  zu  finden.   Das  zeigt  sich  am  deutlichsten  an  der  Art  des 


1)  iftol  6h  aQXfi"  iativ  'Itji.  Xq.  xa  ü&ixxa  äg^tla  b  axavgoq  av- 
xov xal  o  &dvaxoq  xal  tj  dvdaxaatq  avxov  xal  rj  nioxiq  61  avxov  .  iv  olq 
&e).(ü  iv  x%  7iQ0O6vxy  vf/iuv  6txcu(o9TJvat. 

2)  Cf.  1.  Clem.  7,  4.  7.  10.  12,  7.  32,  8f;  dazu  Wrede,  Untersuchungen 
z.  1.  Cl.  Br.  Götting.  1S91.  S.  08.  99. 


II.  Die  einzelnen  Heilsthatsachen  und  ihre  Heilsbedeutung.  33 

Ersatzes,  den  er  hinsichtlich  dieser  auf  die  Vergangenheit  zurück- 
blickenden Seite  des  christlichen  Heiles  bietet.  Während  von 
Rechtfertigung  und  Versöhnung  und  Sündenvergebung  nichts  bei 
ihm  vorkommt,  kennt  er  wohl  den  Begriff  der  Erlösung.  An  ihr 
scheiden  sich  zwei  Welten,  die  des  xoöfiog  ovrog,  des  aqxcov  rov 
al&voq  tovtov,  und  die  Gottes,  zwei  vofäoftara,  welche  das  Bild 
des  Weltfürsten  oder  das  Gottes  tragen  (M.  5),  die  Welt  des 
Unglaubens  und  die  des  Glaubens,  die  des  Todes  und  die  des 
Lebens.  Die  Menschen  befinden  sich  in  den  Fesseln  des  clqxwv 
rov  alwvoq  tovtov  (Eph.  17,  1.  19,  1.  Tr.  4,  2.  R.  5,  3.  7,  1.  Phld. 
6,  2).  Er  ist  der  Stifter  der  Uneinigkeit  in  den  Gemeinden;  nur 
zu  diesem  Zweck  sendet  er  die  Irrlehrer  aus.  Er  will  verderben 
und  in  Gefangenschaft  führen  weg  von  dem  Leben  in  Christo 
(Eph.  17, 1);  er  will  dem  Bischof  noch  äussere  und  innere  Schwierig- 
keiten in  den  Weg  legen,  um  ihm  die  Märtyrerkrone  zu  ent- 
reissen,  und  ihn  hindern,  zu  Gott  zu  gelangen.  Aus  den  Banden 
dieses  Weltfürsten  hat  Christus  die  Menschen  erlöst.  Nach  Eph.  19 
ist  der  Fürst  dieses  Aon  betrogen  und  die  ganze  Welt  ist  er- 
löst, dadurch,  dass  die  jtalcuä  ßaoikela  vernichtet,  jede  Fessel 
der  Bosheit  und  der  Unkenntnis  zersprengt  und  die  Macht  des 
Todes  gebrochen  ist.  Der  Weltfürst  sah  nicht,  dass  unter  der 
sarkischen  Hülle  des  unter  Schmerzen  geborenen  Kindes  einer 
Jungfrau  und  des  sterbenden  Heilandes  der  ewige  Gott  sich 
menschlich  offenbarte  zur  Stiftung  ewigen  neuen  Lebens.  Er 
ward  betrogen,  weil  sein  Blick  nur  das  Sarkische,  Vergängliche 
bemerkte,  nicht  aber  das  in  demselben  fassbare  Unvergängliche. 
Dieses  hat  Christus  aber  in  seiner  Person  dargestellt,  durch  seine 
Erscheinung  ans  Licht  gebracht,  durch  seinen  Tod  ins  Leben 
geführt.  Die  Christen  aber  sollen  sich  hüten,  dass  der  Weltfürst 
sie  nicht  wieder  fange  und  wegführe  ex  tov  jcQOxeifiivov  tfiv;  sie 
sollen  allein  auf  den  Herrn  hoffen,  der  jiavTa  dtöfiov  lösen  wird. 
Ign.  stellt  sich  diesen  ganzen  Erlösungsprozess  wie  ein  Drama 
vor.     Die  Heilsvorgänge  in  der  Menschheit l)  haben  ihren  realen 

1)  Ganz  klar  ist  es  nicht,  wie  Ign.  das  Verhältnis  dieser  himmlischen 
Mächte  zu  den  irdischen  Heilsvorgängen  sich  vorgestellt  hat.  Jedenfalls 
sah  er  fiir  alle  religiösen  Dinge  gleichsam  himmlische,  ewige  Parallelerschei- 
nungen, welche  die  eigentliche  Grundlage  waren  für  das,  was  sich  sarkisch 
und  sichtbar  auf  Erden  abspielte;  eine  mystische  Vorstellungsweise,  wie  sie 
später  vom  Areopagiten  ausgeführt  worden  ist.  Vgl.  IL  Tl.  III.  B.  2. 
Texte  u.  Untersuchungen  XII,  3  'S 


l\.\  v.  d.  Goltz,  Ignatius. 

überirdischen  Hintergrund  in  dem  noXefiog  knovoavirnv  xal  Im- 
yeicov  (Eph.  13,  2).  Auch  die  himmlischen  Mächte,  die  sichtbaren 
und  die  unsichtbaren,  sind  unterworfen  der  Heilsordnung  Gottes. 
Damit  ist  die  Universalität  des  Erlösungswerks  Christi  deutlich 
zum  Ausdruck  gebracht  und  der  Ernst  der  Verantwortung  vor 
dem  Gericht  geltend  gemacht.  So  ist  der  christocentrische  Cha- 
rakter hier  durchaus  festgehalten,  und  der  in  diesen  mythologischen 
Vorstellungen  liegende  Ansatz  zum  Dualismus  ist  noch  weit  ent- 
fernt von  den  ausgeprägten  dualistischen  Vorstellungen  der 
Gnostiker.  Die  Vorstellung  der  Erlösung  als  einer  Befreiung  aus 
satanischer  Macht  ist  nicht  unapostolisch  und  für  jene  Zeit  durch- 
aus treffend.  Aber,  dass  Ign.  das  Werk  Jesu  Christi  nur  als 
solche  Befreiung,  nicht  aber  als  Erlösung  von  der  Sünde *)  zu 
würdigen  versteht,  bedeutet  allerdings  eine  nicht  unwesentliche 
Schranke  seines  Verständnisses. 

Das  positive  Interesse,  welches  Ign.  auch  hier  betont,  ist 
wieder  die  Vernichtung  des  Todes  und  die  Sicherung  des 
Lebens.  Hierauf  führen  uns  also  alle  Angaben  über  den  Heils- 
wert von  Tod  und  Auferstehung  des  Herrn,  und  es  bleibt  nun 
nur  zu  ermitteln,  mit  welchen  Gedanken  er  die  Verbürgung  des 
ewigen  Lebens  an  die  Auferstehung  und  Todesüberwindung  des 
Herrn  knüpft. 

Tr.  9,  2  heisst  es:  oq  xal  alrftcög  ?}yegd-i]  cbib  vexgwv,  eyel- 
gavxog  avxbv  xov  jtaxgbg  avxov.  ov  xal  xaxa  xb  o/joico/na 
t)(iag,  xovg  JtcOxevovxag  avxcp,  ovxmg  eyegel  6  Jiaxr\g  avxov  ev 
XqlöxS  'fyöovi  ov  x^Q1^  T0  aXrjd-ivbv  £tjv  ovx  e'xo/iev  und 
Tr.  11,2:  ovxoc  (die  Irrlehrer)  yag  ovx  eloiv  (pvxeia  xaxgog.  ei  yag 
r/Oav  htpaivovxo  av  xZaöot  xov  öxavgov  xal  r\v  av  6  xagjtog  av- 
xwv  a(p&agxoq.  6c  ov  ev  x<p  Jiafrei  avxov  jtgoöxaXelxac  vfiäg 
ovxag  fielt]  avxov.  ov  övvaxai  ovv  xe<paXrj  xcoglg  yevvrj&rjvai 
avev  (teXwv,  xov  &eov  evooöiv  eJtayyeXlopievov,  6g  eöxiv  avxbg. 
In  diesen  beiden  Sätzen  sind  die  wesentlichen  Hauptgedanken  der 
ignatianischen  Heilsanschauung  ausgesprochen.  Ist  Christus  das 
Haupt  einer  mystischen  Einheit  und  selbst  durch  den  Tod  zum 
Leben  durchgedrungen,  so  ist  den  mit  ihm  Vereinigten  und  an 
ihn   Glaubenden   dasselbe  gesichert.     Diese  Hoffnung  ist  einmal 


1)  Zu  dieser  Auffassung  der  Erlösung  vgl.  Barn.  2, 10.  14,  5;   Herrn. 
Vis.  I,  1,  8.  2.  Cl.  18,  2. 


II.  Die  einzelnen  Heilsthatsachen  und  ihre  Heilsbedeutung.         35 

begründet  auf  das  Vertrauen  zum  himmlischen  Vater,  andrerseits 
aber  auch  auf  die  Natur  der  Sache  selbst,  sofern  ein  mystisches, 
gliedliches  Verhältnis  zu  ihm  (xXaöoi  rov  OxavQOV,  fislrj)  die 
Teilnahme  an  seiner  tvmöig  &eov  gewährleistet.  Ob  das  yervT}- 
O-Tjpai  sich  bezieht  auf  das  Geborenwerden  Christi  zum  xskeioq 
av&Qwxog,  in  dem  jtvevfia  und  tfapg,  Göttliches  und  Mensch- 
liches, zuerst  vereinigt  ist,  oder  ob  es  auf  die  Auferstehung,  eine 
Geburt  zum  himmlischen  Leben,  zu  beziehen  ist,  kann  zweifelhaft 
bleiben.  Jedenfalls  stammt  das  Bild  aus  1.  Cor.  12.  Nach  der 
ganzen  Art  des  Ign.,  zu  denken,  wird  man  diese  Mystik  etwas 
anders  auffassen  müssen  als  bei  Paulus:  hier  naturhafter,  dort 
ethischer.  Auf  solche  naturhafte  Veränderung  des  menschlichen 
Wesens  überhaupt  durch  die  Vereinigung  von  Gott  und  Mensch  *), 
jtvetfia  und  öclq!-,  in  Christus  deutet  besonders  die  Bezeichnung 
des  Abendmahlsbrotes  als  eines  paQfiaxov  äfravaöiag  avxiöoxog 
rov  firj  ajtod-avelv,  aXXä  Crjv  iv  'ltjö.  Xq.,  und  das  Bild  des 
Kreuzes  als  eines  Baumes,  a<p '  ot  xcxqjiov  rjftelg  (Sm.  1).  Auch 
Sm.  12  ist  die  ölxqxixtj  xal  jrvevfiaxixt)  tvoxrjg  &eov  xal  ifiatv 
unmittelbar  an  Leiden  und  Auferstehung  geschlossen,  was  allerdings 
nur  die  Mahnung  zur  Einheit  der  Gemeinde  und  die  Abmahnung 
vor  Leugnimg  jener  Heilsthatsachen  in  antihäretischem  Interesse 
mit  einander  verbindet.  Die  dynamisch-ethische  Kraft  des  Todes 
Jesu  ist  auch  nicht  ganz  vergessen.  M.  5  heisst  es  im  Anklang 
an  Paulus2):  öl'  ov  (sc.  Xq.)  iäv  fi?)  avO-aiQSxcog  exwftev  xo 
anod-avElv  elg  rö  avrov  Jta&og,  xo  ^v  avxov  ovx  eaxiv  kv 
rmlv.  Hier  ist  von  einem  sittlich  bedingten  Absterben  des  alten 
Menschen  die  Rede  und  dem  Christen  der  gleiche  Weg  durch 
Tod  zum  Leben  gewiesen.  Beherrschend  ist  dieser  Gedanke  im 
Römerbriefe,  wo  Ign.  von  seinem  eigenen  Wege  durch  Märtyrertod 
zum  Leben  spricht.  Auch  Tr.  8,  1  ist  die  Umschaffung  des  Men- 
schen als  eine  sittliche  Aufgabe  betrachtet,  zu  welcher  der  Glaube 
an  die  Erscheinung  Gottes  im  Fleische  und  die  Liebe,  welche  im 
blutigen  Leiden  des  Herrn  für  uns  zum  Ausdrucke  kommt,  die 
Kraft  geben.  —  Wie  dies  Leben  in  Glauben  und  Liebe  näher  ge- 

1)  Es  ist  schon  hier  darauf  aufmerksam  zu  machen,  dass  bei  Ign. 
weder  der  Gedanke  der  adamitischen  u.  himmlischen  Menschheit  (Pls.), 
noch  die  Spekulation  über  die  Vereinigung  der  Naturen  vorliegt,  wie  bei 
Iren.  u.  der  späteren  griechischen  Kirchenlehre. 

2)  Cf.  Pls.  R.  6,  5.  8,  17. 29.  2.  Cor.  4, 10.  Phil.  3, 10. 

3* 


36  v-  d»  Goltz,  Ignatius. 

dacht  ist,  werden  wir  später  sehen.  —  Desgleichen  ist  hier  die 
Quelle  für  die  vjiofiop/]  und  Todesverachtung  der  christlichen 
Märtyrer  (M.  9,  2.  Sm.  3). 

Fassen  wir  nun  alles  zusammen,  so  ergiebt  sich,  dass  Ign., 
wie  in  der  Erscheinung  Christi  im  Ganzen  Offenbarung  Gottes 
und  Einigung  mit  ihm,  so  in  Tod  und  Auferstehung  ewiges, 
unvergängliches  Leben,  frei  von  aller  dämonischen  Macht,  in  der 
Gemeinschaft  mit  Gott  und  Christo  verbürgt  glaubt.  Und  wie 
ihm  dort  der  feste  Glaube  an  die  öccQg  Christi  das  Mittel  ist  zur 
Sicherung  der  Erfassung  des  ewigen  Gottes,  so  ist  ihm  hier  das 
Leiden  Christi  und  sein  Tod  gerade  das  Symbol  für  den  Auf- 
gang ewigen,  unvergänglichen  Lebens.  Die  Neugeburt  des  neuen 
Menschen,  die  in  Christo,  dem  iaxQoq  öagxixbg  xal  jivev(1(xtix6c> 
voraus  dargestellte  tvaxsiq  d-eov  und  die  Verbürgung  ewigen 
Lebens  sind  schliesslich  ein  und  dasselbe,  und  alles  ist  an  Christi 
Person,  sein  Wesen,  sein  Sterben  und  Leben  und  sein  über  aller 
Zeit  bestehendes  Verhältnis  zum  Vater  geknüpft.  Deshalb  heisst 
er  &vqcc  zov  jiccrgog  (Phild.  9, 1),  deshalb  zo  aZrj&ivdv  oder  öca 
navxog  —  Tjfiwv  Zfiv  (M.  1, 2.  Eph.  3,  2.  Sm.  4, 1).  Sein  Verhältnis 
zum  Vater,  wie  auch  sein  sittliches  Verhalten  sind  vorbildlich  für 
den  Christen;  sein  Leiden  ist  Abbild  des  Absterbens  des  alten 
Menschen  und  kräftigt  dazu,  wie  es  auch  dem  Märtyrer  vjiofiovt) 
verleiht.  Was  jedoch  sonst  von  Einzelthatsachen  seines  Lebens 
genannt  wird,  dient  zur  Bestätigung  der  wirklichen  Menschlich- 
keit desselben.  Die  Taufe  hat  mit  dem  Tode  zusammen  heiligende, 
reinigende  Bedeutung.  Die  Salbung  des  Hauptes  ist  ein  Symbol 
für  die  Verleihung  der  Unverweslichkeit  an  die  Kirche,  den  Leib. 
Die  Himmelfahrt  ist  nicht  erwähnt,  man  müsste  sie  denn  in 
ywQriöapta  (M.  7, 2)  angedeutet  finden.  Aber  die  Thatsache  des 
Lebens  beim  Vater  ist  ein  wesentlicher  Gegenstand  des  Glaubens. 
Das  ewige,  göttliche  Wesen  des  Herrn  ist  seitdem  erst  recht 
offenbar  (R.  3,3),  wie  auch  der  Märtyrer  erst  dort  vollendet  ist. 
Die  Universalität  der  ganzen  olxovofila  ist  so  umfassend,  dass  bei 
ihrem  in  Erscheinung  Treten  das  All  bewegt  wurde.  Auch  die 
Engel  sind  verloren,  wenn  sie  nicht  an  das  Blut  Christi  glauben 
(Sm.  6, 1)1),  und  auch  die  alttestanientlichen  Frommen  und  Pro- 

1)  Cf.  Herrn.  Sim.  IX,  12,  8:  zovrwv  <priol,  ztSv  äyyilwv  rd5v  höo^wv 
ovöslg  elaelevaexai  nQoq  xbv  &eov  uxsq  avrov;  vgl.  Pls.  Col.  1,  29. 
Kph.  1, 10.  3, 10. 


III.  1.  Eschatologische  Gedanken.  37 

pheten,  welche  den  Herrn  treu  erwarten,  sind  von  ihm  auferweckt 
(M.  9,  s  Jiaocvv  rjyeioev  ccvzovg  ix  vbxqwv).  Ob  nach  dieser 
Auferweckung  eine  Verkündigung  im  Hades  durch  Christus  selbst, 
also  eine  „Höllenfahrt"  vorausgesetzt  ist,  ergiebt  sich  aus  dem 
jzclqwv  nicht  mit  Sicherheit1). 


III.  Eschatologiscile  Gedanken  nnd  die  Auffassung  des 
christlichen  Heilsgutes  im  Verhältnisse  zu  ihnen. 

I.  Eschatologische  Gedanken. 

Nur  ein  einziges  Mal  ist  von  der  Wiederkunft  des  Herrn 
die  Rede  und  hier  bezeichnender  Weise  im  Anschlüsse  an  das 
gegenwärtige  Wohnen  Christi  als  „unser  Gott"  in  uns  (Eph.  15). 
Auch  R.  10  ist  in  dem  Ausdrucke  yvjtO(iovrj"  'lrjö.  Xg.  die  Er- 
wartung der  Wiederkunft  gemeint.  Dieselbe  ist  nicht  mehr  all- 
zufern, denn:  löxaxot  xaigol  (Eph.  11),  rsZoq  rä  jtgäyfiara  lxu 
(M.  5,  i).  An  letzterer  Stelle  heisst  es  weiter:  ngoxeirat  rä  ovo 
ofiov  o  re  d-ävarog  xal  r\  ^mrj  xal  l'xaörog  eig  xbv  löiov  tojiov 
fieZZei  xcoQE^v:>  a^er  die  Entscheidung  hierüber  denkt  Ign.  schon 
hier  auf  Erden  vollzogen,  wo  sich  die  Welt  des  Glaubens  und 
die  des  Unglaubens  als  ausgeprägte  Charaktere  gegenüberstehen. 
Wer  sich  von  der  Gemeinde  trennt,  der  hat  schon  seinen  Über- 
mut bewiesen  „xal  eavxov  Suxgivev"  (Eph.  5,  s)2).  Dagegen  ist 
die  ^en  ungläubigen  Engeln  Sm.  6,  i  angedrohte  xglöig  eine  zu- 
künftige, wie  auch  die  /isZZovöa  ogyrj  Eph.  11.  Von  einem 
einzelnen  Gerichtstage  ist  nirgends  die  Rede,  a*ber  vorausgesetzt 
ist  eine  ähnliche  Vorstellung  in  der  Warnung,  sich  die  Langmut 
Gottes  nicht  zum  xglfia  (Eph.  11),  die  Mahnungen  des  Bischofs 
sich  nicht  zum  fiagrvgiov  gereichen  zu  lassen  (Phild.  6, 3).  Es 
fehlen  hier  vollständig  die  Farben  der  alttestamentlichen  und 
jüdischen  Eschatologie 3).  Nur  die  Vorstellung  des  elg  jtvg 
aoßtaxov  ist  Eph.  16, 2  herübergenommen;  aber  Sm.  2  tritt  die 
spezifisch  griechische  Vorstellung  hervor,  dass  die  Leugner  der 
öapg  Christi  döcofiaroi  und  öatfiovixoL  werden  sollen,  was  an 


1)  Ebenso  zweifelhaft  das  (pavegto&elg  aveßrj.  Barn.  15,  9. 

2)  Cf.  Herrn.  Sim.  IX,  21,  4  ijörj  nagaösdo^ivoi  slaiv. 

3)  Bei  Barn,  sind  diese  reichlich  verwendet;  cf.  Joh.  Weiss,  Barn.  Br. 
S.  80  ff. 


38  v-  d.  Goltz,  Ignatius. 

das  Wort  in  2.  Clem.  1,2  erinnert,  dass  die,  welche  gering  von 
Christo  denken,  auch  wenig  zu  hoffen  haben ').  Es  ist  aber  nicht 
nur  die  Unbekanntschaft  mit  der  speziell  jüdischen  Gedankenwelt2), 
auch  nicht  nur  die  johanneische  Weise,  welche  die  Gegensätze 
und  das  Gericht  schon  hier  auf  Erden  sieht,  sondern  auch  die 
eigene  Situation,  welche  die  Gedanken  des  Märtyrers  über  das 
Ende  der  Dinge  ganz  zurückdrängte  hinter  die  Sehnsucht  nach 
der  eigenen  in  wenigen  Wochen  zu  gewärtigenden  Vollendung. 
Ign.  hofft  wie  Paulus  Phil.  1,23  gleich  nach  dem  eigenen  Tode 
auf  Vereinigung  mit  dem  Herrn,  auf  das  kjtixvyydvetv  &tov 
(R.  1,  2.5.6  etc.),  auf  die  Auferstehung  als  kv  avxco  eXev&egog,  als 
wirklicher  av&gcojtog  (R.  6, 2),  als  iXefyevog  xig  üvai.  Dort  hofft 
er  zu  leben  und  nicht  zu  sterben,  dort  xa&aQOV  <pa>g  Xaß6lv(R.6, 2), 
dort  erst  ein  tia&ijxf/g  dXrjd-?)g  Xq.  zu  werden.  Wie  seine  Todes- 
reise von  Morgen  gen  Abend  (von  Syrien  nach  Rom)  geht,  so 
will  er  weg  von  der  Welt  in  die  Todesnacht  untergehen,  um  wie 
ein  neuer  Morgen  dann  zu  Gott  hinaufzusteigen  (R.  2, 2).  Seine 
Hoffnung  gipfelt  in  der  Erwartung  der  Vereinigung  mit  dem 
Herrn,  der  für  ihn  gestorben  und  auferstanden  ist  (R.  6).  Diese 
Erwartung  drückt  sich  aus  in  den  Worten  des  lebendigen  Gottes- 
geistes in  ihm  „ösvqo  Jtgog  xov  oiaxiQa",  und  die  Vereinigung 
ist  keine  andere  als  die  Vollendung  derjenigen,  die  er  schon  im 
Abendmahle  geniesst  (R.  7, 3).  Dies  ist  R.  7  gemeint,  wenn  auch 
Zahn  mit  Unrecht  das  „d  höxiv  dydjtTj  a<pd-aQxogu,  den  Paral- 
lelismus störend,  direkt  darauf  bezieht.  Statt  des  Herrn  selber 
nennt  Ign.  Fleisch  und  Blut  Christi  als  die  konstitutiven  Merk- 
male seiner  Person,  welche  die  Wirklichkeit  des  Besitzes  Gottes 
in  ihm  garantieren.  Das  Blut  Christi"  ist  zugleich  das  Zeugnis 
der  vom  Tode  zum  Leben  führenden  göttlichen  Liebe,  und  diese 
ganze  mystische  Gemeinschaft  ist  das  unvergängliche  himmlische 
Erhaltungsmittel  seines  Lebens.  Wie  dies  schon  in  Brot  und 
Wein  des  Abendmahles  der  Gemeinde  gegeben  ist,  werden  wir 
später  sehen.     Hier  bestätigt  sich  nur  unser  bisheriges  Resultat, 

1)  Vgl.  auch  d.  Korrespondenz  von  Laster  und  Strafart  in  der  Petrus- 
apokalypse. 

2)  Wenn  Ign.  to7to&eoiai  u.  avardaeig  aQxovxixal  der  himmlischen 
Mächte  erwähnt,  so  erinnert  das  an  die  Engelklassen  der  jüdischen  Angelo- 
logie  und  darf  wohl  indirekt  auch  darauf  zurückgeführt  werden.  Ign.  be- 
kennt, selbst  in  diesen  Dingen  noch  Anfänger  und  Schüler  zu  sein. 


III.  2.  Die  Auffassung  des  christlichen  Heilsguts.  39 

dass  Leben,  Gotteserfassung,  mystische  Gottes-  und  Christus- 
einigung, und  damit  Vollendung  des  äp&Qcojioq  und  (ia^rjxr}q 
Xq.  elvai,  die  wesentlichen  Heilsgüter  des  ignatianischen  Christen- 
tums sind.  Von  Herzensfrieden,  Sündenvergebung,  Bestehen  im 
Gerichte,  Erlösung  vom  Sündenleib  und  sündlicher  Schwachheit 
ist  auch  hier  nicht  die  Rede,  dagegen  wohl  vom  djt7]Qrc0fiivov 
elvcu  (Phld.  5,  i)  und  dem  Erfundenwerden  als  aXrjd-rjq  fiaB-TjTrjq, 
jtiöToq  und  wirklicher  XgiöTiavoq  (R.  3).  Dass  der  Märtyrer 
in  Bezug  auf  seine  Person  diese  Heilsgüter  mit  Zurückstellung 
alles  schon  Vorhandenen  wesentlich  in  ihrer  zukünftigen  Voll- 
endung betrachtet,  versteht  sich  psychologisch  sehr  leicht.  Um 
so  wichtiger  aber  ist  es,  zu  untersuchen,  in  welchem  Verhält- 
nisse die  eschatologische  und  die  gegenwärtige  Betrachtungsweise 
zu  einander  stehen,  wenn  er  zu  der  Gemeinde  von  Gottesgemein- 
schaft und  Leben  spricht. 

2.  Das  Heilsgut  als  Gegenwärtiges  und  Zukünftiges. 

Zweimal  redet  Ign.  von  einem  xXrjgopOfielv  der ßaGiXela  #£Ot> 
(Eph.  16,i.  Phild.  3,3),  aber  in  deutlichem  Anklänge  an  1.  Cor.  6,9, 
so  dass  wir  dies  als  fremdes  Eigentum  hier  nicht  verwerten  dürfen. 
Ganz  klar  ist  die  eschatologische  Fassung  Pol.  2.  Das  &sov 
hmxvyzlv  ist  das  Ziel,  wohin  das  Schiff  durch  Sturm  und  Wellen 
geführt  werden  muss;  im  Wettkampfe  des  Lebens  ist  a<p&agola 
xal  $007)  alcjvioq  der  zu  erringende  Kampfpreis,  dessen  Verbürgung 
auch  Polycarp  fest  glaubt.  Ebenso  weist  auf  das  Ende  das  sehr 
häufige  Prädikat  Christi  „^  xoipt)  eXmq  tfftcov"  Eph.  2,  i.  2.  Tr. 
iscr.  und  2,  2.  Phild.  5,  2  und  11,  2,  während  das  rb  dXrjd-ivbv 
rm&v  Cfiv  (Sm.  4,  1.  Eph.  3,  2)  und  zumal  M.  1,  2  zo  öiä  Jtavxbq 
7j(icop  Qfjp  ein  gegenwärtiges  Gut  nennt,  welches  allerdings  auch 
lediglich  in  der  sicheren  Hoffnung  auf  das  in  Christo  verbürgte 
Leben  bestehen  kann.  Unentschieden  lässt  die  Frage  auch 
Eph.  18,  1 1).  Dagegen  beweist  das  gegenwärtige  Vorhandensein 
des  Heilsgutes  deutlich  Eph.  17, 2:  dyvoovvreq  rb  xagiöyia,  o 
JtijtopKpev  äXrjd-mq  6  xq.;  auch  Phld.  9,  2  ist  dies  vorausgesetzt, 
M.  9,  1 2)  klar  ausgesprochen.  Ob  es  aber  im  schon  angetretenen 
Besitze  der  Christen  auf  Erden  ist,  abgesehen  vxm  der  Hoffnung, 


1)  axdvöakov  axavgov tj/uiv  owriQia  xal  ^a>^  ulwnoq. 

2)  %  t,<ori  tjfzdiv  dvtzei/.e  öi    avxov. 


40  v.  d.  Goltz,  Ignatiuß. 

bleibt  auch  nach  diesen  Stellen  zweifelhaft.  Tr.  9,  2  *)  scheint 
das  „exopsv"  dies  vorauszusetzen,  aber  hier  ist  gerade  vorher  von 
der  künftigen  Auferweckung  die  Rede.  M.  5, 1  hat  der  Gegen- 
satz fravarog  und  £a>?/  deutlich  eschatologische  Bedeutung,  aber 
am  Schlüsse  des  Kapitels  heisst  es:  oV  ov  kav  firj  av&aiQttcog 
excofiev  xo  ajto&avelv  elg  rb  avrov  jtä&og,  rb  Cfiv  avrov  ovx 
eoriv  hv  rjfilv.  Hier  hat  das  Cxjv  augenscheinlich  spezifisch 
ethischen  Sinn  und  ist  damit  jetziges  Eigentum  und  gegenwärtiges 
Gut.  Das  Gleiche  gilt  von  der  gawy ,  deren  Anfang  der  Glaube, 
deren  rtXog  die  Liebe  ist  (Eph.  14,  1).  Im  ganzen  genommen  ist 
also  das  Leben  ein  zukünftiges  Gut,  das  aber  jetzt  schon  fest 
verbürgt  ist,  und  zumal  ,£cor]"  wird  in  diesem  Sinne  gebraucht. 
Aber  die  Gegenwärtigkeit  dieser  Verbürgung  ist  betont,  und  in 
ethischem  Sinne  ist  schon  jetzt  ein  neues  Leben  in  uns,  zu  dem 
wir  uns  umschaifen  sollen  (Tr.  8,  1).  Viel  häufiger  aber  als  mit 
dem  Ausdrucke  £rjv  wird  dieser  ethisch  bedingte  Heilsbesitz  wie 
bei  Paulus  ein  slvai,  ftivetv,  evoe&rjvai  iv  XoiörqD  genannt 
(Eph.  10, 3:  fisvsre  Iv  Xq.  caoxixmg  xal  jrvsvfiarixojg).  Auf 
das  ev  Xq.  'Irjö.  avQe&rjvai  kommt  es  allein  an,  und  dies  setzt 
das  Sein  in  Christo  voraus,  mag  man  nun  aus  Furcht  vor  dem 
Gerichte  der  Zukunft  oder  aus  Liebe  zu  der  gegenwärtigen 
Gnade  darin  bleiben.  Das  Gleiche  wird  als  ein  Wohnen  Gottes 
in  uns  als  in  seinem  Tempel  bezeichnet  (Eph.  15, 3),  als  ein 
&eov  etvac  (Eph.  8, 1.  R.  7, 1.  Phld.  3, 2),  ein  &eov  jtaptore 
f/erexsiP  (Eph.  4, 2),  ein  &bov  yifiuv  (M.  14, 1).  Auch  die  tvwöig 
&eov,  obwohl  sie  Tr.  11  als  verheissen  genannt  wird,  soll  in  der 
Gemeinde  als  oaQXixrj  xal  jtvevfianx^  bereits  gegenwärtig  sein 
(M.  1,  2.  13,  2.  Eph.  5, 1  etc.),  worauf  wir  später  zurückkommen 
werden.  Trotz  alledem  ist  dem  Ign.  das  d-sov  kjtixvrfx^VBLV  em 
zukünftiges  Ziel,  an  dem  noch  vieles  fehlt  (Tr.5,2.  Sm.9,2.  Pol.  2, 2). 
Das  Ergebnis  dieser  Prüfung  ist  mithin:  Das  individualistische 
Element  ist  in  der  Eschatologie  des  Bischofs  das  durchschlagende. 
Von  der  biblischen  und  jüdischen  Vorstellung  eines  zukünftigen 
Gottesreichs  und  eines  eschatologischen  Dramas  zeigen  sich  kaum 
Spuren.  Zwar  kennt  auch  Ign.  einen  Kampf  der  knovQavicov 
xal  extystcov,  einen  Kampf  Gottes  mit  dem  aqxaw  tov  alcovog 


1)  ovxwq  iyeQtt  o  natriQ  avvov  iv  Xq.  'Itjo.,  ov  xwolq  xo  ccXtj&ivov 
Xflv  ovx  e^OfjLSv. 


IV.  Das  christliche  Leben  in  Glauben  und  Liebe.  41 

rovroVy  aber  dieser  ist  gleichsam  ein  ewiger  Hintergrund,  ein 
überirdisches  und  überzeitliches  Urbild  des  sich  gleichzeitig  schon 
jetzt  auf  Erden  vollziehenden  Heilsprozesses.  Der  Sieg  ist  er- 
fochten und  doch  geht  der  Kampf  noch  weiter,  und  der  Ausgang 
ist  nicht  unabhängig  vom  Verhalten  der  Menschen  (Eph.  13,  2. 
Eph.  19, 8  vgl.  Tr.  9, 1).  Das  Heilsgut  als  neues  Leben  ist  wesent- 
lich eschatologisch:  verbürgte  Lebenshoffnung;  dagegen  die  Gottes- 
gemeinschaft und  Gotteseinigung  ist  schon  hier  im  Vollzuge  und 
wartet  nur  der  Vollendung.  Ideell  sind  beide  voll  und  ganz  in 
Christo  bereits  gegeben.  Was  aber  die  ethische  Seite  des  Heils- 
gutes betrifft,  so  ist  hier  erst  eine  klare  Anschauung  zu  gewinnen 
durch  die  nunmehr  folgende  Betrachtung  der  ignatianischen  Auf- 
fassung vom  christlichen  Leben  in  Glaube  und  Liebe. 


IT.  Bas  christliche  Leben  in  Glauben  und  Liebe. 

i.  Glaube  und  Liebe  als  Grundprinzipien  des  Lebens. 

Für  unsere  Betrachtung  der  ignatianischen  Lebensauffassung 
giebt  uns  das  Ergebnis  der  bisherigen  Untersuchung  in  verschie- 
dener Beziehung  die  Richtung.  Wir  dürfen,  wenn  anders  die  Ge- 
samtauffassung  des  Ignatius  eine  einheitliche  ist,  weder  ein  be- 
sonderes Interesse  an  philosophischem  Wahrheitsstreben  erwarten, 
noch  ein  tieferes  Verständnis  des  christlichen  Lebens  als  eines 
Kampfes  gegen  die  Sünde  im  eigenen  Herzen  in  steter,  frucht- 
bringender Busse.  —  Die  Erkenntnis  ist  nur  religiös  bestimmt 
und  dient  nur  zur  Sicherung  und  zum  Schutze  einer  wahrhaften 
Erfassung  Gottes  in  Christo.  Der  Kampf  des  Lebens  ist  nach 
aussen  gerichtet  gegen  Irrlehrer,  Verführer  und  Friedensstörer 
und  vor  allem  die  heidnische  Welt,  von  denen  man  sich  trennen 
und  hüten  soll  als  den  Werkzeugen  des  Teufels.  Besteht  das 
Heilsgut  in  Gotteseinigung  durch  Christus  in  einem  Leibe  und  in 
verbürgter  Lebenshoffnung,  deren  Lebenskraft  schon  jetzt  in  uns 
wohnen  muss,  so  ist  der  Glaube  an  die  Wahrheit  und  geschicht- 
liche Wirklichkeit  der  Offenbarung  und  das  Vertrauen  auf  die 
Treue  des  himmlischen  Vaters  und  auf  Christus  ebenso  die  not- 
wendige subjektive  Voraussetzung  für  die  Erfassung  des  Heils- 
gutes, wie  sein  Besitz  nur  bestehen  kann  in  der  die  Gläubigen 


42  v-  d.  Goltz,  Ignatius. 

mit  Gott,  Christus  und  ihren  Mitchristen  zu  einem  Ganzen  ver- 
bindenden Liebe.  Dem  wesentlich  zukünftigen  christlichen  Gute 
ewigen  Lebens  steht  aber  der  Weg  des  Unglaubens,  der  zum 
Tode  führt,  gegenüber.  So  ist  denn  als  Motiv,  ein  christliches 
Leben  zu  führen,  ebenso  die  Furcht  vor  diesem  Wege  zu  Tod 
und  Gericht,  als  die  Liebe  zu  dem  Leben  in  Gotteseinigung  und 
Lebenshoffnung  möglich.  Dass  in  Glaube  und  Liebe  sich  that- 
sächlich  dem  Bischöfe  alles  zusammenfasst,  zeigen  die  Worte: 
xb  oXov  toxi  jclöxiq  xal  äyäjtrj  mv  ovöev  jiqoxsxqixcci  (Sni.  6) 
und:  agx>  ftev  Jtiöxiq,  xeXoq  de  dyajtrj ,  xa  de  ovo  iv  ivoxrjxi 
yevoftsva  &soq  hoxiv.  xa  de  aXXa  jtdvxa  eiq  xaXoxäyaMav  äxo- 
Xov&ä  loxiv  (Eph.  14).  Dass  aber  für  diesen  Weg  durch  Glau- 
ben und  Liebe  zu  Gotteseinigung  Ignatius  zwei  Motive  kennt,  die 
schliesslich  gleichwertig  sind,  wenn  sie  nur  das  eine  Ziel  er- 
reichen, steht  Eph.  11,  i  zu  lesen:  rj  yäg  xrjv  piXXovoav  6oyy)v 
g)oßt]&dJfiev  r]  xr)v  eveöxcoöav  xolqiv  äyarnjöcofiev,  ev  xc5v  ovo' 
(aovov  ev  Xqiöxcq  'Itjöov  tvoe&r/vcu  eiq  xb  aXrj&ivbv  Cfiv.  Es 
kommt  aber  viel  darauf  an,  zu  prüfen,  in  welchem  Verhältnisse 
Glaube  und  Liebe  zu  einander  stehen,  und  welches  von  den  Mo- 
tiven des  christlichen  Handelns  das  beherrschende  ist,  die  Liebe 
zur  Gnade  oder  die  eudämonistischen  Gedanken.  Diese  Unter- 
suchung, in  die  wir  nun  eintreten  wollen,  ist  deshalb  von  doppel- 
tem Interesse,  weil  gerade  an  diesem  Punkte  die  Schriften  der 
anderen  apostolischen  Väter  eine  starke  Abschwächung  und  Ver- 
flachung gegenüber  dem  N.  T.  zeigen. 

Sehr  wahrscheinlich  ist  zunächst,  dass  Ign.  den  Glauben  als 
von  Gottes  Gnaden  geschenkt  denkt,  so  gut  wie  er  glaubt,  dass 
die  Gnade  die  Herzen  der  Gemeinde  zu  einem  guten  Werke  be- 
reit macht.  Jesus  Christus  allein  hat  auch  die  Macht,  die  irre- 
geführten Gegner  zur  fiexdvoia  zu  bringen  (Sm.  4,  i),  und  deshalb 
vertraut  Ign.  in  dieser  Beziehung  auf  die  Gnade  des  Herrn,  der 
jede  Fessel  des  Teufels  lösen  wird.  Die  fiexdvoia  ist  aber  augen- 
scheinlich nichts  anderes  als  die  Rückkehr  vom  Irrtum  zur  Wahr- 
heit, vom  Unglauben  zum  Glauben.  So  ist  denn  auch  „der 
Glaube"  zunächst  das  Überzeugtsein  von  der  Wahrheit  des  Christen- 
tums, speziell  der  Wirklichkeit  von  Christi  menschlicher  Geburt, 
Tod  und  Auferstehung.  Da  aber,  wie  wir  sehen,  diese  Thatsachen 
dem  Ign.  in  seiner  Polemik  von  Wert  sind  als  Beweise  der  wirk- 
lichen Erscheinung  Gottes   im  Menschen,   des  Ewigen   in   der 


IV.  Das  christliche  Leben  in  Glauben  und  Liebe.  43 

Zeit,  so  ist  hierdurch  auch  der  Begriff  des  Glaubens  näher  be- 
stimmt als  die  Annahme  und  Ergreifung  dieser  Offenbarung  Gottes 
in  Christo.  Am  deutlichsten  ist  der  Sinn  „Fürwahrhalten"  im 
Munde  der  Gegner  Phld.  8,  2  *).  In  deutlicher  Beziehung  auf  die 
die  Offenbarung  Gottes  verbürgenden,  von  den  Doketen  geleug- 
neten Thatsachen  steht  es:  Eph.  16,  2  (xLöxig,  vjtlg  rjg  Xq.  koxav- 
Qco&rj)  M.  6,  1.  Tr.  2,  1.2)  Sm.  3, 2.3)  6,  1.4)  Phld.  8,  2  (ry  jtlöxig  öV 
avxov).b)  Da  nun  aber  jene  Glaubensthatsachen  zugleich  die 
Hofmung  ewigen  Lebens  verbürgen,  so  schliesst  der  Glaube  auch 
das  Vertrauen  auf  den  himmlischen  Vater  und  Christi  Treue 
(/)  xeXela  Jtloxtg  'Itjö.  Xq.  Sm.  10, 2)  ein,  der  sich  seiner  Gläubigen 
nicht  schämen,  sondern  die  Verheissung  an  ihnen  erfüllen  wird. 
Dieser  Glaube  an  Gott  und  Christus  in  spezieller  Beziehung  auf 
die  Auferstehungshoffnung  ist  Tr.  2,  1.  Eph.  3,  1.  M.  9,  2  gemeint, 
und  ähnlich  ist  auch  der  Glaube  der  treu  auf  den  Herrn  warten- 
den und  dafür  mit  der  Auferweckung  belohnten  alttestamentlichen 
Propheten  zu  verstehen,  auch  wohl  Eph.  10,  2  eÖQalog  xf]  Jtlöxei 
und  Sm.  1,  1  hf  axivr\xca  jtioxei.  Soweit  finden  sich  naturgemäss 
auch  Analogien  bei  den  anderen  apostolischen  Vätern.*)  Ign. 
aber  kennt  Glauben  nur  in  der  engsten  Verknüpfung  mit  einem 
christlichen  Leben,  mit  einer  Bewährung  bis  ans  Ende.  Es  fehlt 
zwar  jede  Andeutung  von  einem  Glauben  an  die  sündenvergebende 
Gnade,  aber  die  ethische  Kraft  des  paulinischen  Glaubensbegriffes 
ist  ganz  erhalten,  wenn  auch  nicht  so  in  das  Wort  hineingelegt, 
sondern  nur  unumgänglich  damit  verknüpft.  Eph.  14,  2:  ovöüg 
jtiotiv  ijtayyeXXofievog  anaqxavu  ovöh  ayäjttjv  xsxxrjfiepog  fli- 
est, (pavegöv  xo  öevöqov  anb  xov  xagjtov  avxov.  ovxcog  61 
ijtccyyeXXoftepoi  Xqloxov  üvai,  61  cov  jiqccgoovoiv  o<pür\oovxai. 
ov  yaQ  vvv  ijiayyeXiaq  xo  BQyov,  aXX*  kv  övvdfiu  jtioxewg  käv 
xig  evQS&f]  xal  slg  xeXog;  eine  sonst  nur  bei  Johannes  zu  findende 


1)  iäv  (AT)  iv  zolq  agxtioiq  evgio,  4v  z<jt  evayyekty  ov  mozevat. 

2)  elq  zov  &avazoV. 

3)  palhjzol  r^avxo  xal  iniozevoav. 

4)  etq  xb  aifjta. 

5)  Hier  ist  d.  Glaube  auch  direkt  auf  Christum  gerichtet  wie  auch 
Eph.  14, 1. 

6)  Barn.  4,  8  iXnlq  zfjq  ntozta>q;  cf.  12,  7,  Herrn.  Mand.  9,  6.  7.  —  Zahn, 
niaziq  b.  Herrn.  Jahrb.  f.  deutsche  Th.  1870  p.  169  ff.,  dageg.  Harnack, 
Patr.  apost.  opp.  III  ad  Mand.  1. 


44  v-  d.  Goltz,  Ignatius. 

Schärfe  spricht  sich  hier  aus  in  der  prinzipiellen  Trennung  von 
Glaube  und  Sünde;  ebenso  wird  Eph.  8  streng  zwischen  den 
öagxixol  und  jivevfiaTixoi  unterschieden.  Wie  der  Glaube  nicht 
Werke  des  Unglaubens,  so  kann  der  Unglaube  nicht  Werke  des 
Glaubens  thun.  Man  braucht  nur  die  noch  am  meisten  ver- 
wandten Stellen  der  anderen  Väter  damit  zu  vergleichen,  welche 
dazu  mahnen,  den  Glauben  zu  bewähren  durch  Hinzufügung  der 
Werke,  um  die  viel  originellere  Kraft  der  ignatianischen  Sätze 
zu  empfinden  *).  Dieser  Glaube  ist  Phld.  8  neben  seinen  Objekten, 
Christus,  seinem  Tode  und  seiner  Auferstehung,  als  Grundlage 
der  Rechtfertigung  genannt,  wenn  auch  diese,  wie  wir  gesehen 
haben,  nicht  im  paulinischen  Sinne  zu  verstehen  ist.  Ist  aber 
der  Glaube  des  Bischofs  kein  paulinischer  Rechtfertigungsglaube, 
so  ist  es  doch  eine  innere  Vertrauensstellung  zu  Christus  als 
seinem  Gotte  und  seiner  Hoffnung,  eine  innerlich  so  starke  Über- 
zeugung von  der  Wahrheit  und  Verlässlichkeit  dieses  Evangeliums 
und  damit  ein  unmittelbares  Ergreifen  Gottes  im  Fleische,  dass 
er  gar  nicht  ohne  Frucht  denkbar  ist.  Deshalb  ist  eine  wahre 
Lehre  an  sich  auch  gar  nichts  wert,  wenn  nicht  der  Lehrer  selbst 
nach  seinen  Worten  handelt,  so  wie  Christus  stets,  selbst  im 
Schweigen,  eine  völlige  Übereinstimmung  seiner  Worte,  seiner 
Gesinnung  und  seines  Handelns  bewies  (Eph.  15).  Auch  die 
Gegner  sollten  lieber,  statt  durch  ihr  gottloses  Disputieren  sich 
den  Tod  zuzuziehen,  Liebe  üben,  um  auch  auferstehen  zu  können. 
Man  erkennt  die  Verderblichkeit  ihrer  Lehre,  mit  der  sie  den 
Glauben,  das  Vertrauen  auf  Gott  zerstören  (Eph.  16, 2),  daran,  dass 
ihnen  die  Liebe  fehlt  (Sm.  6,  2).  Glaube  und  Liebe  gehören 
also   untrennbar  zu  einander  und  werden  daher  vom  Verfasser 


1)  Herrn.  Mand.  1  Tiioxevooy  ovv  avxd>  xal  <poßy{h]xi  avxbv,  <poßij&£lg 
6h  iyxgdxsvaai.  Mand.  9,  6.  Sim.  VIII,  9, 1  änb  9eov  ovx  dneaxricsav  äXX* 
ivtfietvav  xy  nlaxei  (jltj  i^ya^ofisvoL  xd  %gya  xfjg  nioxswq. 

Cf.  Sim.  7,  9.  4.  Sim.  IX,  13,  2.  19,  2. 

Barn.  4,  9  ovösv  yag  (utpeX^aei  vfiag  o  nag  %(>6vog  xtjq  niaxewq,  iccv 
pr]  vvv  iv  x<3  dv6fji(p  xaiQ&  .  .  . .  wg  nghcsi  vloig  &sovy  dvxiaxäififv,  °iva  yiry 
o%y  nageiaSvaiv  b  fieXag. 

J16.  16,  2  ov  yag  (dipeXqosi  6  näg  XQ°V0$  r*i$  nl<J*t<*><Z  v/itüv,  iciv  firj 
iv  X(p  ioxaxü)  xatQ<f>  X€Xei<o9fjx€. 

2.  Clem.  4,  3  iv  xolg  'sgyoig  avxbv  bfioXoyw^iev.  1.  Clem.  35,  5  rj  öid- 
voia  rifiüiv  diu.  niaxewg-,  cf.  35, 1.  60, 1. 


IV.  Das  christliche  Leben  in  Glauben  und  Liebe.  45 

sehr  häufig  zusammengestellt  (Eph.  1,  1.  9,  i.  14,  i.  20,  i.  M.  5, 2. 
13,  1.  Tr.  8,  1.  Phld.  9,  2.  11,  2.  Sm.  iscr.  1,  1.  6,  1.  13,  2).  Das 
Fehlen  dieser  Wortverbindung  im  Rom.-  u.  Pol.-Brief  ist  auf- 
fallend und  wohl  nur  so  zu  erklären,  dass  die  Wendung  in  den 
anderen  Briefen  Bezug  hat  auf  die  niöxig  an  das  wahre  Leiden 
und  auf  die  ayäjrq,  welche  jede  Spaltung  unmöglich  machen  soll, 
während  diese  polemisch-paränetische  Tendenz  im  Pol.-Briefe  und 
zumal  im  Röm.-Briefe  ganz  zurücktritt.  Diese  spezielle  Anwen- 
dung ändert  aber  nichts  an  der  grundlegenden  Bedeutung  dieses 
Doppelklanges,  zu  deren  näherem  Verständnisse  zumal  Eph.  14 
und  Eph.  9  beitragen,  Erstere  Stelle  nennt  den  Glauben  den 
Anfang  (<XQXf'l),  die  Liebe  das  Ende  des  Lebens  (xeXog).  Zur 
Erreichung  des  Lebens  ist  also  der  —  Gott  in  Christo,  das  Leben 
im  Tode  —  ergreifende  Glaube  der  Anfang,  aber  das  Ganze  wird 
erst  vollständig,  wenn  die  Liebe  hinzukommt  und  die  övvapLig 
Jtlozewg  elg  xeXog  bewährt.  Beides  zusammen  in  Einheit  stellt 
den  Besitz  Gottes  dar  (xa  öe  ovo  kv  hvoxtjxi  yevöfieva  &eog  köxiv), 
und  alles  übrige,  was  zu  einem  edlen  und  guten,  vollkommenen 
Leben  nötig  ist,  folgt  von  selbst  nach  als  von  Natur  in  Glaube 
und  Liebe  mit  einbegriffen  (xd  öe  aXXa  jidvxa  elg  xaXoxdyad-iav 
dxoXovfrd  köxiv).  Derselbe  Gedanke  ist  auch  in  dem  Bilde  von 
Eph.  9  ausgedrückt,  wenn  der  Glaube  der  dvaycoyevg  elg  &eov, 
die  Liebe  die  oöbg  ävcupegovoa  genannt  wird.  Sehr  prägnant 
werden  daher  die,  welche  den  Charakter  Gottes  tragen,  M.  5,  2 
(Phld.  9)  Jtiöxol  kv  äydjty  genannt1).  Die  Wahl  dieses  Lebens 
in  Glauben  und  Liebe  schliesst  aber  ein  Absterben  des  alten 
Menschen  in  sich  (M.  5, 2)  und  deshalb  für  die  Leser  auch  ein 
Ablegen  des  jüdischen  Sauerteiges,  ein  Sichverwandeln  in  den 
neuen  Sauerteig  M.  10,2,  der  in  Jesus  Christus  sich  darstellt.  Dieser 
ist  ja  nach  Eph.  20  der  neue  Mensch,  auf  den  die  ganze  olxo- 
vofila  &eov  abzielt  kv  xy  avxov  jtloxei  xal  kv  xjj  avxov  äydjty, 


1)  Vgl.  dagegen  die  Art,  wie  die  Liebe,  anderen  Tugenden  koordiniert, 
ziemlich  äusserlich  dem  Glauben  angereiht  wird:  2.  Petri  1,  5— 8.  Barn.  1,6 
iknlq,  öixaioovvTj,  ayant]  (als  tQywv  Sixccioovvtjq  (xaQtvQia).  Past.  Herrn 
Vis.  111,8,3.4.  niaxiq  u.  ihre  &vyarcQsg:  iyxQCCTSia,  anX6xrtq,  imoxijftrj, 
uxaxla,  ae/uvoxrjQ,  dydnrj.  Sim.  IX,  15,  2  tj/uZv  TtQwxt}  tiioxiq,  rj  öe  öevxtQa  sy- 
xQaxeia,  övvafxiq,  (jloxqo9-v(xI(h,  anloxijq,  dxaxia,  dyvela,  IXccQOXTjq,  d?.T]9sia, 
ovveoiq,  bfxovoia,  ttyanri;  cf.  Mand.  8,  9.  6, 1.  12,  3.  Näher  stehen  dem  Ver- 
ständnisse des  Ign. :  Pol.  ad.  Phil.  3  u.  1.  Clem.  49. 


46  v.  d.  Goltz,  Ignatius. 

kv  jcad-u  avrov  xal  avaöxadu.  Wie  nun  durch  das  Eintreten 
Christi  in  die  Menschheit  deren  Umwandlung  zu  einer  neuen 
nicht  nur  ethisch,  sondern,  wie  wir  sahen,  auch  irgendwie  natur- 
haft gedacht  ist1),  und  die  a<pfraQöla  durch  die  mystische  Ge- 
meinschaft wie  durch  ein  gtccQfiaxov  ad-avaöiaq  mitgeteilt  wird, 
so  wird  auch  das  christliche  Leben  als  eine  Pflanzung  durch  den 
Vater  aufgefasst,  so  dass  die  Christen  tpvreta  JtaxQoq  (Tr.  11,  1. 
Phld.  3,  i)  sind.  Dann  haben  sie  eine  tadellose  und  einfältige 
(äötaxQiToq)  Gesinnung,  nicht  nur  in  einzelnen  Fällen  (xara 
XQfjow),  sondern  als  die  Grundrichtung  und  das  Wesen  ihrer 
Persönlichkeit  {xara  <pvöiv).  Das  ist  sicher  der  Sinn  von  Tr.  1, 
und  deshalb  wahrscheinlich  auch  der  von  <pvöiq  Eph.  1:  „T(> 
jtoXvayäjtrjTov  öov  ovopa  o  xsxttjg&s  ipvöet  [sv  yva>^  oq&i} 
xal]  öixaia.  xara  jtlönv  xal  äyajn?v  kv  Xqlötcö  yIrfiov  reo  öa>rrJQc 
rjficov."  Das  „<pvöei  öixaia"  der  griechischen  Handschriften  Gg 
und  der  besten  lateinischen  L  ist  zu  pleonastisch ,  und  deshalb 
wird  Lightfoot  mit  seiner  Konjektur  nach  der  syrischen  Über- 
setzung2) (Cod.  Cureton.  2)  Recht  haben,  nach  welcher  er  die 
eingeklammerten  Worte  stehen  lässt.  Dann  haben  wir  in  dieser 
Stelle  einen  ganz  ignatianischen  Ausdruck  für  die  zur  zweiten 
Natur  gewordene  christliche  Lebensgesinnung,  sich  zusammen- 
fassend in  Glauben  und  Liebe,  in  Geist  und  Kraft  Jesu  Christi 
mit  Hervorhebung  der  gerade  bei  den  Lesern  zu  hütenden  Grund- 
lage einer  die  Offenbarung  in  ihrer  Wahrheit  sichernden  Lehre. 
Dazu  passt  auch,  wenn  der  Bischof  sie  zur  Vollendung  des  övy- 
ysvixbv  sQyov,  d.  h.  des  ihrer  christlichen  Natur  entsprechenden 
Werkes  auffordert.  Mag  diese  naturhafte  Auffassung  des  christ- 
lichen Lebensprinzips,  wie  Lightfoot  will,  gnostisch  gefärbt  ge- 
nannt werden  dürfen  oder  nicht,  jedenfalls  ist  ihr  christlicher 
Charakter  durchaus  gewahrt,  und  sowohl  durch  den  Zusammen- 
hang als  durch  das  Perfektum  xtxr^od-e  die  Beziehung  auf  die 
Neuentstehung  dieser  Natur  erst  durch  Christum  beschränkt.  Vor 
allem  aber  wird  hier  ganz  klar,  dass  mit  Glauben  und  Liebe  dem 

1)  Barn.  6, 11.  uvaxaivioai  tj/uüq  iv  ty  ä<peoet  r<5v  ufiagticüv  ^noirjaev 
rjftäg  aXXov  xxrnov  wg  natöitov  e%eiv  xr\v  ipvxrjv,  (bg  icv  ötj  avanXaaaov- 
zog  avzov  rjfiag;  cf.  6, 14.  Herrn.  Sim.  IX,  14,  3  xazey&ccQfitvwv  tj/lkov  xal 
prj  i%6vT<DV  £?>7ilda  zov  tftv  clvevtioae  zr\v  ZcatjV  r/fzäiv.  Vis.  111.  8,  9  (vgl. 
Harn.  z.  d.  St.). 

2)  natura  (in)  voluntate  recte  et  iuste. 


IV.  Das  christliche  Leben  in  Glauben  und  Liebe.  47 

Ign.  alles  gegeben  ist,  so  dass  das  ganze  christliche  Leben  im 
Einzelnen  ein  Auswirken  und  Ausleben  des  Glaubens  auf  dem 
Wege  der  Liebe  ist,  mit  dem  Ziele:  elg  &eov.  Was  für  Einzel- 
aufgaben solches  Leben  in  Glauben  und  Liebe  einschliesst,  verrät 
sich  in  unseren  Briefen  verhältnismässig  wenig.  Die  meisten 
Ermahnungen  sind  auf  Gehorsam  gegen  den  Bischof,  Frieden 
und  Einigkeit  gerichtet,  oder  betreffen  sonst  das  Gemeindeleben. 
Als  Pflichten  des  Einzelnen  nennt  er  zumal  die  Vergeltung  des 
Bösen  mit  Gutem  (Eph.  10),  das  miteinander  Wachen,  Streiten 
und  Kämpfen  in  gegenseitiger  Fürbitte  (Pol.  6,  i),  in  welche  auch 
die  Irrenden  und  Ungläubigen  eingeschlossen  sind  (Eph.  5,  2.  10,  1. 
M.  14,  1.  Tr.  12, 2  u.  3.  13, 3.  R.  8, 3.  Phld.  5,  1.  8, 2.  10,  1.  Sm.  4, 1. 
11.  Pol.  7,  1).  Im  täglichen  Verkehre  gilt  es,  Geduld  zu  haben 
(Pol.  6,  2),  nichts  gegen  den  Nächsten  zu  haben  (Pol.  8, 2),  lauter 
und  einfältig  zu  sein  (M.  15.  Tr.  1,  1.  R.  inscr.)  und  nicht  hoch- 
oder  übermütig  (M.  12.  Tr.  4,  1.  7, 1.  6,2).  Als  zu  Werken  der 
Liebe  mahnt  er  zur  Gastfreundlichkeit  (R.  9, 1.  Sm.  10,  2)  und  zur 
Fürsorge  für  Witwen,  Waisen,  Betrübte^  Gebundene  und  Befreite, 
Hungernde  und  Dürstende  (Sm.  6, 2).  Das  sind  gelegentliche  Bei- 
spiele der  ndvxa  aXXa,  welche  nach  Eph.  14  von  selbst  im  Ge- 
folge von  Glauben  und  Liebe  sich  einstellen. 

2.  Die  Motive  des  christlichen  Handelns. 

Diesem  Wege  des  Lebens  und  des  Glaubens  steht  aber  scharf 
der  andere  des  Todes  und  des  Unglaubens  gegenüber,  eine  Gegen- 
überstellung, wie  sie  uns  ja  in  dem  Buche  von  den  beiden 
Wegen  J16.  1 — 6.  Barn.  17 — 20  vorliegt.  Eigentümlich  ist  dem 
Ign.  die  an  Johannes  erinnernde  prinzipielle  Schärfe  der  Tren- 
nung beider  „Charaktere".  Es  steht  bei  dem  freien  Entschlüsse 
(av&aigercog)  des  Menschen,  ob  er  auf  Christi  Leiden  hin  dem 
Alten  absterben  will,  sodass  dann  Christi  Leben  in  ihm  ist  (M.  5,  2). 
Für  die  Wahl  des  Lebensweges  sind  aber  zwei  Motive  denkbar: 
die  Furcht  vor  dem  Gerichtszorne  und  die  Liebe  zur  gegenwär- 
tigen Gnade.  Beide  lässt  Ign.  gelten,  wenn  nur  das  Ziel  ev  *Irj6. 
Xq.  svged-TJvai  elg  xo  alrftivov  C,?jv  erreicht  wird  (Eph.  11).  Zur 
gerechten  Beurteilung  der  Zulassung  auch  des  unterwertigen 
Furchtmotivs  kann  uns  aber  nur  eine  Untersuchung  darüber 
führen,  welche  Motive  für  das  christliche  Handeln  der  Bischof 
selbst  bei  seinen  Ermahnungen  geltend  macht.    Auch  unter  den 


48  v«  d»  Goltz,  Ignatius. 

Beweggründen,  welche  als  Liebe  zur  kvsörcoöa  XGQCS  bezeichnet 
werden,  sind  solche  möglich,  welche  vor  allem  den  zukünftigen 
Lohn  des  Lebens  und  der  Gottesgemeinschaft  im  Auge  haben 
und  als  eudämonistische  mehr  oder  weniger  mit  den  Furchtmo- 
tiven verwandt  sind,  und  solche,  welche  aus  der  inneren  Gebun- 
denheit an  Gott  und  Christus  ihren  Ursprung  haben,  sich  aber 
einem  äusseren  Gesetztum  nähern  können.  Mit  der  Betrachtung 
der  letzteren  wollen  wir  beginnen. 

a)  Die  innerliche  Gebundenheit  an  Gott. 

Die  Gebundenheit  des  christlichen  Handelns  an  Gott  kommt 
zunächst  darin  zum  Ausdrucke,  dass  vor  Gottes  Auge  nichts  ver- 
borgen ist,  also  alles  in  dem  Bewusstsein  seiner  heiligen  Allge- 
genwart geschehen  soll  (M.  5,  2).  Wichtiger  noch  ist,  dass  wir 
vollkommen  sein  sollen,  wie  unser  Vater  im  Himmel  vollkommen 
ist.  Dieser  Gedanke  der  Bergpredigt  findet  sich  der  Sache  nach 
bei  Ign.  mehrfach  wieder,  so  in  der  Mahnung,  alles  xarä  freov  zu 
thun  (Eph.  2,  1.  8, 1.  M.  3,  2.  Phld.  4)  und  (iiftrjTal  &eov  zu  sein 
(Eph.  1.  Tr.  1),  am  deutlichsten  aber  in  der  Wendung  xaza  6fio- 
i'j&stav  &sov  (Pol.  1, 3)  oder  ofiorj&eiav  &eov  Xaßovrsg  (M.  6,2)*). 
Ist  das  rj&og  Gottes  selbst  unser  Massstab,  so  ist  dies  auch  ein 
starkes  Motiv,  0X01  opzsg  d-eov  (Eph.  8,  1)  im  ganzen  Handeln  zu 
bleiben.  Diese  Motive  sind  ja  nichts  anderes  als  die  Anknüpfung 
an  die  Grundthatsachen,  dass  alle  Gläubigen  Gott  haben,  in  ihm 
sind,  ihn  allein  lieben  (Eph.  9,  2)  und  alles  thun,  um  ihm  zu  ge- 
fallen (R.  2, 1),  und  Bausteine  seines  Tempels,  in  dem  er  wohnen 
will,  zu  bleiben  (Eph.  9,  1).  In  dem  schönen  Worte:  XQtoxiavbq 
eavrov  kgovöiav  ovx  lxel  <*XXä  &e<fi  öxoka&t  (Pol.  7, 3)  fasst  sich 
diese  volle  Zugehörigkeit  zu  Gott  zusammen.  So  ist  auch  ein 
christliches  Werk  ebenso  gut  als  eine  That  Gottes,  wie  als  eine 
That  der  Christen,  aufzufassen  (Pol.  7,  3).  An  diesem  Worte  wird 
deutlich,  wie  die  ignatianische  Art,  das  Göttliche  und  Ewige  im 
Menschen  wiederzufinden,  ohne  eine  Beeinträchtigung  der  Trans- 
scendenz  und  Lebendigkeit  Gottes,  auch  hier  im  christlichen  Leben 
und  Handeln  sich  geltend  macht.  Das  wechselseitige  „Gott  in 
uns"  (Eph.  15,  3.  M.  14,  1)  und  „wir  in  Ihm"  ist  das  Grundmotiv, 


1)  Vgl.  auch:  imslxsta  9eov  Z,wvioq  (Phld.  1). 


IV.  Das  christliche  Leben  in  Glauben  und  Liebe.  49 

b)  Die  innerliche  Gebundenheit  an  Christus. 

Da  nun  aber  Gott  nur  in  Christo  ist,  Glaube  und  Liebe  zu 
Gott  immer  zugleich  auf  Christum  gerichtet  sind,  so  drückt  sich 
dieselbe  Thatsache  auch  aus  in  einer  Gebundenheit  an  Christus 
in  der  Liebe  zu  ihm.  Das  xaxa  &$bv  Cfiv  ist  ein  xaxa  'Irjoovv 
Xqiöxov  £ijp  (Tr.  2,  1);  Gott  wohnt  in  uns,  sofern  Christus  in  uns 
wohnt  (Eph>  15,  s)  und  die  Liebe  Jesu  Christi  ist  die  Grundlage 
jeder  öiaxovia  (Phld.  1, 1)  und  aller  Dinge,  die  nach  Gottes  Willen 
in  der  Gemeinde  geschehen  (R.  iscr.).  So  ist  Jesus  Christus  noch 
jetzt  das  lebendige  Prinzip  christlichen  Handelns,  welcher  in  dem 
Gläubigen  als  eine  lebendige  Kraft  wirkt  (Sm.  4)  und  deshalb 
auch  mit  dem  heiligen  Geiste  identifiziert  werden  kann  (M.  15)  *)• 

o)  Das  Vorbild  Christi. 

Da  nun  aber,  wie  wir  oben  feststellten,  Jesus  Christus  dem 
Ign.  zunächst  immer  der  geschichtliche  Jesus  ist,  so  wird  auch 
eine  Beziehung  des  christlichen  Lebens  auf  sein  Vorbild  zu  er- 
warten sein.  Im  Verhältnisse  zu  dem  kleinen  Umfange  der  Briefe 
und  ihrer  mehr  gegen  Irrlehre  und  Unfrieden  gerichteten  als  all- 
gemein-ethisch- paränetischen  Tendenz,  bestätigt  sich  diese  Er- 
wartung in  überraschend  reichem  Masse.  Der  Bischof  ermahnt 
seine  Leser,  fiifirjral  'Itjoov  Xqiotgv  zu  werden,  so  wie  er  es 
zum  Vater  war.  Gerade  dies  Verhältnis  Jesu  zu  seinem  Vater  ist 
ihm  ein  Gleichnis  für  die  kindlich-gehorsame  Stellung  die  er  sei- 
nen Gemeinden  zu  ihrem  Bischöfe  wünscht  (Eph.  3,2.  M.  7, 1. 13,2. 
Sm.  8, 1).  Aber  auch  der  Bischof  selbst  soll  mit  seiner  Gemeinde 
Geduld  haben,  wie  der  Herr  mit  ihm  Geduld  hat  (Pol.  1,2).  Auch 
Ign.  freut  sich  in  dem  Gedanken,  ein  Nachfolger  des  Leidens 
„seines  Gottes"  zu  werden  (R.  6,  3).  Am  lebensvollsten  sind  aber 
die  Beispiele  Eph.  10  und  15.  An  erster  Stelle  ermahnt  er  seine 
Christen  zur  Sanftmut  gegen  Zornige,  zur  Demut  gegen  Gross- 
sprecherei,  zum  Gebet  als  Erwiderung  auf  Lästerung,  zur  Glau- 
bensfestigkeit gegen  Verführung,  zur  Stille  und  Ruhe  (fifispop) 
gegenüber  dem  Toben  der  Feinde  und  warnt  davor,  sich  ihnen 
gleichzumachen  durch  ähnliche  Erwiderungen  ihrer  Bosheiten,  vor 
allem  aber  sollten  sie  suchen,  ftifirjzal  xvqlov  zu  werden.  Wem 


1)  xexTTjfisvoi  ddtdxgizov  nvsvfia,  0$  iaztv  'It^o.  Xq. 
Texte  n.  Untersuchungen  XII,  3.  4 


50  *•  d.  Goltz,  Ignatius. 

sei  mehr  Unrecht  geschehen,  wer  mehr  beraubt  und  in  seinem 
guten  Rechte  völlig  beeinträchtigt  worden?1)  Den  Schluss  aus 
der  selbstverständlichen  Antwort  überlässt  er  wirkungsvoll  den 
Lesern,  nachdem  er  ihnen  eine  ganze  Reihe  von  Bildern,  zumal 
aus  der  Leidensgeschichte,  mit  drei  Worten  ins  Gedächtnis  ge- 
rufen. —  Eph.  15  hält  er  den  Lehrern  das  Beispiel  des  einen 
grossen  Lehrers  vor,  dessen  Worten  auch  sofort  die  That  folgte, 
um  daran  zu  erinnern,  dass  das  Lehren  nur  helfe,  wenn  der  Leh- 
rer selbst  nach  seiner  Lehre  handle.  Selbst  das,  was  Jesus  schwei- 
gend that,  war  würdig  seines  Vaters.  Wer  sein  Wort  in  Wahr- 
heit zum  eigenen  Besitze  gemacht  habe,  der  könne  auch  aus  der 
rjövxla  des  Herrn  heraus  sein  Wort  verstehen  und  dann  gleich- 
wie der  Herr  selbst  riXsiog  sein,  indem  er  wie  jener  handle,  durch 
das,  was  er  rede,  und  doch  auch  in  dem,  wo  er  schweige,  als 
christlicher  Charakter  erkannt  werden.  Diese  Stellen  verraten  uns 
ein  so  innerliches  tiefes  Verständnis  und  Interesse  für  die  Per- 
sönlichkeit des  Herrn,  wie  wir  sie  nur  in  den  Evangelien,  zumal 
bei  Johannes,  finden,  während  uns  selbst  Paulus  hier  wenig  merken 
lässt.  Zumal  die  anderen  apostolischen  Väter  bleiben,  was  selb- 
ständige Würdigung  der  Person  Jesu  anbetrifft,  bei  der  Schätzung 
des  grossen  Lehrers  stehen,  der,  vom  Himmel  gekommen,  bisher 
unbekannte  göttliche  Geheimnisse  mitzuteilen  hat  Auch  auf  diesen 
weist  Ign.  hin  mit  der  Ermahnung,  auf  niemanden  sonst  zu  hören 
(Eph.  6, 2.  M.  9, 2).  Aber  als  Vorbild  und  Anregung  für  das  christ- 
liche Leben  stellt  er  des  Herrn  ganze  Person  hin  und  die  Mah- 
nung, xaxa  xQiöTOftad-iav  zu  handeln  (Phld  8,  2),  hat  bei  ihm 
einen  reichen  Inhalt.  Ist  es  doch  auch  ein  Zug  der  himmlischen 
Vollendung,  welche  der  Märtyrer  erwartet,  ein  rechter  [ia{h]T'i]q 
'lrjö.  Xq.  zu  werden  (Eph.  1, 2.  M.  9, 2.  R.  4, 2.  5,  3.  Pol.  3, 2),  ein 
Ideal,  welches  hier  anfangen  soll  sich  zu  verwirklichen  (M.  10, 1. 
Tr.  2,  s.  Eph.  3, 1). 

d)  Dankbarkeit  gegen  Christus. 

Damit  sind  aber  die  Motive  für  christliches  Leben,  die  sich 
an  die  Beziehung  zu  Jesus  Christus  knüpfen,  noch  nicht  erschöpft. 
Auch  die  Dankbarkeit  gegen  Christus  treibt  an,  gegen  seine 
Freundlichkeit  nicht  unempfindlich  zu  sein,  sondern  seine  Schüler 


1)  xig  n?Jov  dötxTj&tlg,  zig  dnooTiiQTjfalg,  xig  d9EZ7]&eig. 


IV.  Das  christliche  Leben  in  Glauben  und  Liebe.  51 

zu  werden  (M.  10, 1).  Zumal  die  Wechsel wendung:  „Seit  zu  anderen 
oder  zu  ihm,  wie  der  Herr  zu  euch",  schliesst  diesen  echt  christ- 
lichen Gedanken  ein,  so  Eph.  2,  2:  xara  navra  xqojiov  öogä- 
£eiv  'ItjOovv  Xqiötov  xov  öo^aoavra  vpäg  cf.  Sm.  1,  1  und 
Eph.  15, 3. 

e)  Ehre  Gottes  and  des  christlichen  Namens. 

Viel  häufiger  aber  ist  die  Rücksicht  auf  die  Ehre  und  den 
Ruhm  Gottes  und  Christi  (Eph.  21, 1.  M.  3, 2.  15.  Tr.  12,  2.  R.  10,2. 
Sm.  11,  2.  Phld.  10,  2.  PoL  4,  3.  5,  2.  7,  2),  und  einen  besonders 
wichtigen  Inhalt  bekommt  diese  Rücksicht  durch  die  Beziehung 
auf  die  Ehre  des  göttlichen  Namens  vor  der  Aussenwelt,  die 
Verantwortung  hierfür  und  die  Pflicht,  durch  einen  christlichen 
Lebenswandel  nicht  nur  kein  Ärgernis  zu  geben  (Tr.  2,  3.  3,  2.  8,  2), 
sondern  die  Predigt  des  Evangeliums  zu  unterstützen  (Eph.  10, 1). 
Wie  das  Leben  der  Gemeinde  in  Friede  und  Eintracht  ein  har- 
monisches Lied  sein  soll,  welches  Jesus  Christus  darstellt  (Eph.  4), 
so  hofft  der  Märtyrer,  der  seine  Fesseln  um  Christi  willen  trägt 
(Tr.  12,  2),  ein  Wort  Gottes  zu  werden  (R.  2, 1),  welches  der  Welt 
besser  als  alle  vergeblichen  Überredungsversuche  die  eigentliche 
Grösse  des  Christentums  offenbart1). 

Alle  diese  Motive  für  christliches  Handeln  sind  durchaus 
innerliche  Gebundenheit,  welche  aus  der  Natur  von  Glauben  und 
Liebe  in  ihrer  persönlichen  Beziehung  zu  Gott  und  Christus  von 
selbst  folgen.  Es  ist  eine  Durchdringung  des  menschlichen  Lebens 
durch  Gott,  welche  Pneumatisches  und  Sarkisches  in  sich  begreift, 
eine  Heiligung  xaxa  jtdvra  (Eph.  2,  2),  ein  eÖQaö&ai  Jtlorei  xcu 
äyany  caQxtxf]  re  xal  jtvevftaTixfj  (Sm.  13,  2).  Der  Zusammen- 
hang mit  der  Wurzel,  der  Person  Christi  selbst,  ist  durchaus 
festgehalten,  und  das  ganze  Leben  nur  die  Anwendung  des  hier 
ruhenden  Prinzips.  Da  alles  dies  aber  bei  Ign.  mehr  Leben  als 
Theorie  ist,  und  dieser  Zusammenhang  von  uns  beobachtet  wird, 
ohne  dass  vielleicht  dem  Bischöfe  selbst  dies  als  Vorzug  bewusst 
war,  so  bleibt  die  Möglichkeit  offen,  dass  an  diesem  oder  jenem 
Punkte  das  sonst  herrschende  Prinzip  durchbrochen  ist. 


1)  R.  3,  3:    ov  nstafAOvfjg  xo   egyov  äXXä  fisyt&ovq  iarlv  6  Xqioti- 
aviGßos,  otav  fxiai'xat  vnb  xoafxov. 

4* 


52  v-  d.  Goltz,  Ignatius. 

f )  Gebote  Christi  und  der  Apostel. 

Hierfür  bietet  in  erster  Linie  die  Würdigung  Christi  als  des 
einzigen  Lehrers  Gelegenheit,  sobald  nämlich  seine  Lehre  und 
seine  Gebote  als  Gesetz,  das  in  sich  selbst  seinen  Wert  hat,  von 
aussen  fordernd  sich  geltend  machen.  Diese  „Legalisierung" 
macht  sich  bei  Hermas  und  2.  Clem.  schon  recht  bemerklich  l) 
und  hat  dann  in  der  katholischen  Kirche  bestandig  an  Geltung 
zugenommen.  Basselbe  ist  nun  auch  dem  Ignatius  vorgeworfen 
worden2).  Es  ist  ja  nun  zweifellos,  dass  Ign.  Gebote  und  An- 
ordnungen Christi  und  der  Apostel  kennt  und  diese  hoch  respek- 
tiert Damit  sind  sie  aber  noch  kein  äusserliches  Gesetz,  sondern, 
wie  es  bei  Barn.  2, 6  heisst,  ein  xcuvog  vofioq  avsv  £vyov  avayxriq. 
Um  der  ganzen  übrigen  innerlichen  Auffassung  des  Bischofs  zum 
Trotze  ihm  eine  christliche  Gesetzlichkeit,  eine  „realistische  Modi- 
fizierung des  paulinischen  Idealismus"  (Pfleiderer)  zuzumuten, 
müssten  sehr  deutliche  Beweise  vorhanden  sein.  M.  13,  i  sagt 
mit  aller  wünschenswerten  Klarheit,  dass  es  sich  um  ein  ßeßacco- 
&7Jvai  iv  rotg'Soy/iajSi  xov  xvqIov  xal  xwv  dstootoXcov  handelt, 
und  zwar  nur  zu  dem  einen  Zwecke,  dass  alles  in  Glaube  und 
Liebe,  ausserlich  und  innerlich  in  Ordnung  geschehe  in  Sohn, 
Vater  und  Geist,  am  Anfange  und  am  Ende.  Gerade  diese  Stelle 
ist  wertvoll,  weil  sie  uns  zeigt,  wie  der  Gehorsam  gegen  öoyfiaxa 
Christi  und  der  Apostel  den  christlichen  Grundprinzipien  unter- 
geordnet ist.  Tr.  7,  i  lehrt  uns  genau  dasselbe,  dadurch,  dass  die 
Untrennbarkeit  von  Gott  oder  Christus  dem  Gehorsam  gegen 
Bischof  und  Apostel  vorangestellt  ist  Was  es  mit  letzterem  für 
eine  Bewandtnis  hat,  wird  uns  das  nächste  Kapitel  lehren.  Das 
Bild  Phld.  7  CvvevQV&ftiöxai  (sc.  d.  Bischof)  xaTg  kvxoXalg  dg 
XOQÖaTg  xifraga  deutet  doch  wahrlich  gerade  auf  eine  innere 
Harmonie,  nicht  auf  einen  gesetzlichen  Gehorsam.  Den  Worten: 
xaxä  navxa  x&coofirjfiivoi  kv  rätg  hvxoXalg  'iqoov  XqiOxov 
(Eph.  9)  gehen  unmittelbar  gerade  die  das  innere  Ineinander 
charakterisierenden  Beiworte:  &eoq>6QOi  xal  vao<poQoi,  xqigxo- 
yoQoi,  ayioqtOQOi  voraus,   während   das   xa&y  oXov  ßlov  ovöiv 


1)  Cf.  Herrn.  Schluss  aller  Mand.  u.Sim.  I,  5.  II,  5.  V.  VI,  1,  l.  VIII,  3,  2 
2.C1.8,4. 

2)  Bei  Hilgenfeld,  Apost.  Vät  S.  250  u.  251.    Pfleiderer,  Pauli- 
nism.  S.  487. 


IV.  Das  christliche  Leben  in  Glauben  und  Liebe.  53 

dyajtäxe  el  fit/  uovov  xop  freov  nachfolgt  Durch  diesen  Zusam- 
menhang ist  der  so  wie  so  harmlose  Ausdruck  vor  jeder  Verdächti- 
gung auf  kirchliche  Gesetzlichkeit  geschützt  Ausdrücke  wie  xqloxo- 
vofioq  (Rom.  iscr.),  vofioq  Xq.  'Itjoov  (M.  2)  beweisen  für  letztere  so 
wenig,  wie  pofioq  xioxtcoq  PI.  Rom.  2, 27,  poßoq  xov  xveufiazog  PI. 
Rom.  8, 2,  vopoq  xov  Xqioxov  GaL6, 2,  Ippopoq  Xqioxov  1.  Cor.  9, 21, 
sind  vielmehr  wahrscheinlich  aus  letztgenannter  Stelle  entlehnt  Das 
vjtoxaooeo&cu  xclqixi  wäre  so  gut  paulinisch  wie  die  vjtoxayTJ  xr\q 
ofioloylaq  vfioZp  2.  Cor.  9, 13.  Vollends  spricht  der  Singular  „tf'kv- 
xolfj"  ohne  nähere  Bezeichnung  (Tr.  13.  Sm.  8) !)  nicht  für  eine 
kirchliche  Gesetzlichkeit,  sondern  für  ein  inneres  Grundgesetz.  Dass 
die  einmalige  Erwähnung  des  Gesetzes  Mosis  nichts  bedeutet,  er- 
giebt  der  Sinn  und  Zusammenhang  von  Sm.  5, 1.  Darüber,  wie 
über  die  positive  Bedeutung  der  Autorität  von  Bischöfen  und 
Aposteln  im  nächsten  Kapitel.  Hier  ist  nur  schon  zu  konstatieren, 
dass  der  Gehorsam  gegen  sie  der  Gesamtbeziehung  zu  Christus 
untergeordnet  ist,  und  von  einer  äusseren  kirchlichen  Gesetzlich- 
keit nicht  die  Rede  sein  kann.  Zuzugeben  ist  nur,  dass  gemäss 
der  reiferen  Entwicklung*  des  Christentums  überhaupt  und  in- 
folge des  zeitlichen  Abstandes  von  Christo  selbst,  die  doy/iaxa 
xvqIov  xcu  xo5p  ajtooxbXmp  in  konkreter  Vereinzelung  sich  mehr 
als  früher  geltend  machten.  Um  so  wertvoller  ist  es  festzustellen, 
dass  Ignatius  der  hierin  liegenden  Gefahr  nicht  unterlegen  ist,  was 
nur  aus  der  Kraft  mit  der  er  alles  auf  Jesum  Christum  bezog, 
erklärt  werden  kann. 

g)  Aaketisohe  Motive. 

Viel  näher  liegt  dem  Bischöfe  eine  andere  Gefahr.  Haben  wir 
durchweg  beobachten  können,  dass  sein  eigentliches  Interesse  am 
Göttlichen,  Ewigen,  Pneumatischen  haftet,  während  das  Sarkische 
nur  Träger,  paoq,  und  geschichtlich-irdische  Daseins-  und  Ausse- 
rungsform  des  Himmlischen  ist,  so  lag  es  dem  exzentrischen,  der 
jtQaoxTjg  ermangelnden  Charakter  des  sehnsuchtsvoll  auf  den  Ein- 
gang in  das  Himmlische  gespannten  Märtyrers  nahe,  in  der  Unter- 
schätzung der  ooq§  da,  wo  er  sie  aus  apologetischen  Gründen  zu 
betonen  nicht  gezwungen  war,  so  weit  zu  gehen,  dass  er  in  ihr 

1)  Dies  ist  allerdings  eine  spätere,  nachapostolische  Wendung.  Cf.  Joh. 
hrcoXii  xaivrj,  Past-Br.  u.  2.  Petr. 


54  v.  d.  Goltz,  Ignatiue. 

selbst  etwas  Entheiligendes,  zu  Verabscheuendes  sah.  Das  lag 
ihm  um  so  näher,  als  er  kein  inneres  psychologisches  Verständnis 
für  die  Sünde  hatte  und  daher  geneigt  war,  die  erlösungsbedürf- 
tige Un Vollkommenheit  des  Menschen  allein  in  der  Vergänglich- 
keit und  Materialität  der  Oüq§  zu  finden;  denn  dann  musste  der 
Gedanke  der  völligen  Einigung  mit  ihrem  Gegenteile,  dem  Un- 
vergänglichen, Überzeitlichen,  Ewigen  naturgemäss  zu  einer 
Trennung  und  Ausscheidung  von  der  oclq§  führen.  In  der 
Christologie  hat  ihn  die  Überlieferung  und  das  antidoketische 
Interesse  zum  Gegenteil  geführt  und  dies  mit  Recht,  insofern 
als  er  die  paulinische  Unterscheidung  von  Cafza  und  öapg  nicht 
kennt  und  ihm  öapg  mit  der  somatischen  Erscheinungsform  des 
Ewigen  identisch  ist.  Aber  der  Satz  ovölv  <patv6{tevoi>  dya&ov 
gilt  doch  selbst  für  Christus,  denn  das  Wesen  Christi  wurde  erst 
recht  offenbar,  seitdem  er  nicht  mehr  für  die  Welt  sichtbar  war. 
Also  war  die  nicht  mehr  sichtbare  öaQg  eine  höhere  als  seine 
sichtbare.  In  der  christlichen  Lebensauffassung  hat  jener  Satz 
etwas  viel  Gefährlicheres,  indem  er  die  Askese  und  die  Enthal- 
tung von  dem  Sarkischen  an  sich  zum' Selbstzweck  machen  kann. 
Dies  würde  thatsächlich  die  Einfuhrung  eines  ausserchristlichen 
Motivs  und  eine  äusserliche  Nebeneinanderstellung  von  Göttlichem 
und  Menschlichem  bedeuten  im  Gegensatze  zu  der  gleichmässigen 
Durchdringung  des  Lebens  in  allen  Teilen  durch  die  Beziehung 
auf  Gott  und  Christus,  die  wir  sonst  bei  ihm  gefunden  haben. 
Am  stärksten  spricht  sich  die  Verachtung  der  Welt  und  der  vXtj 
im  Römerbriefe  aus,  wo  der  Blick  des  Märtyrers  ganz  auf  das 
Jenseits  gerichtet  ist  und  das  irdische  Leben  abgeschlossen  hinter 
ihm  liegt.  Er  hofft,  dass  die  Tiere  sein  Ccofia  ganz  verzehren, 
so  dass  davon  nichts  mehr  sichtbar  bleibt.  Nichts  mehr  von  den 
rsQjtvä  ton  xoöftov  und  den  rjöoval  xov  ßlov  tovrov  (R.  5.  6). 
Seine  Weltliebe  ist  gekreuzigt,  und  es  brennt  kein  sivq  q*iXovXov 
mehr  in  ihm,  sondern  nur  die  lebendige  Geistesstimme  ruft:  ösvgo 
xqÖq  xbv  stariQa.  Wenn  die  Römer  ihn  auf  diesem  Wege  auf- 
halten durch  schützendes  Eintreten  für  sein  Leben,  so  ist  das  ein 
Widerspruch  gegen  ihr  Bekenntnis  zu  Christo  und  bedeutet  ein 
xoOfiov  kmfrvuelv.  Diese  Äusserungen  sind  zwar  etwas  exzen- 
trisch, aber  begreifen  sich  in  jener  Situation  sehr  wohl,  ohne  dass 
man  eine  mönchische,  weltfeindliche  Lebensauffassung  dahinter 
vermuten  müsste.  —  Ganz  anders  spricht  der  Bischof  da,  wo  er 


IV.  Das  christliche  Leben  in  Glauben  und  Liebe.  55 

an  den  noch  im  Leben  stehenden  Polycarp  seine  Mahnungen 
richtet:  <pgovtpog  ytvov  olg  oqpig  kv  djtaöiv  xal  dxegaiog  elg 
del  dg  r\  negiöxegd  (vgl.  Mt.  10,  iö).  öid  xovxo  öagxixog  el  xal 
jrvevfiaxtxdc,  Iva  xa  (paivb{Levd  öov  elg  jzgoocojiov  xoXaxevyg' 
xa  de  dogaxa  aixei,  ha  öoi  giavegco&jj,  oxcog  (irjöevog  Xeljrfl  xal 
navxbg  xaglofiaxog  jtegiooevyg  (Pol.  2, 2).  Er  soll  also  das  Irdische 
und  Sarkische  nach  Kräften  benutzen,  das  Himmlische  sich  aber  von 
oben  erbitten,  um  so  recht  vielseitige  ^ap/tf/zat  a  zu  beweisen  und 
in  sich  die  Einheit  von  Sarkischem  und  Pneumatischem  darzu- 
stellen. Dass  hier  der  ignatianische  Grundgedanke  der  Erfassung 
des  Göttlichen  und  Pneumatischen  gerade  im  Sarkischen  in  seiner 
Anwendung  auf  die  Ethik  hervortritt,  wird  ganz  deutlich  Eph.  8 
in  dem  Satze:  a  6h  xal  xaxa  ödgxa  jtgdööexe,  xavxa  jcvevfiaxixd 
höx iv.  kv  yl7jöov  ydg  Xgioxm  jtdvxa  jtgdooexe. 

Dieser  echt  evangelische  Grundsatz  ist  bei  Ign.  durchaus 
aufrecht  erhalten.  Nur  was  seine  Stellung  zur  Ehe  betrifft,  kann 
man  zunächst  zweifelhaft  sein.  Bei  der  ganzen  Haltung  der 
späteren  griechischen  Frömmigkeit,  deren  Grundanschauung  doch 
bei  Ign.  schon  hervortritt,  ist  es  naheliegend,  auch  bei  ihm  eine 
Bevorzugung  der  Virginität  und  Herabsetzung  der  Ehe  zu  ver- 
muten. Und  in  der  That  ist  das  5.  Kapitel  des  Briefes  an  Polycarp 
vielfach  so  verstanden  worden.  Es  heisst  dort:  xalg  döeX<palg 
fiov  xgoöXaXei  ayanäv  xov  xvgiov  xal  xolg  övfißloig  dgxelo&ai 
oagxl  xal  jtvev/xaxi.  oftoimg  xal  xolg  döeX<polg  pov  jtagdyyeXe  kv 
ovofiaxi  'Itjöov  Xgiaxov  dyanav  xovg  ovfißlovg  wg  6  xvgiog  xrjv 
LxxXrjolav.  El  xig  övvaxai  kv  dyvela  fxeveiv  elg  xtfirjv  xrjg 
oagxbg  xov  xvgiov  kv  dxavxrjola  fievexco.  käv  xavx^orjxai  djem- 
Xexo'  xal  kdv  yvcoc&g  jiXiov  xov  kütioxbnov,  lq>&agxai.  jcgenei 
de  xolg  yafiovd  xal  xalg  yafiovfievaig  fiexä  yvmfirjg  xov  kjuöxo- 
jcov  xrjv  %vcoöiv  Jtoielod-ai,  Iva  6  ydfiog  i]  xaxd  xvgiov  xal  fir) 
xax*  km&vfiiav  Jidvxa  elg  xifir)v  &eov  yiveö&a).  Zuerst  also 
ermahnt  der  Bischof  die  Eheleute,  sich  innerlich  und  äusserlich 
treu  zu  bleiben,  an  einander  genug  zu  haben  und  sich  zu  lieben 
wie  der  Herr  die  Kirche  liebt.  Damit  ist  der  Ehestand  als  christ- 
lich anerkannt,  durch  christliche  Ermahnung  geschützt  und  durch 
den  Vergleich  mit  der  Liebe  des  Herrn  zur  Kirche  geehrt  und 
geweiht.  Doch  spricht  so  auch  noch  heute  die  katholische  Kirche 
und  hält  trotzdem  den  Cölibat  für  etwas  Gottseligeres.  Sieht 
man  nun  die  folgenden  Worte  an,  so  liegt  es  zuerst  nahe,  in  dem 


56  v-  d.  Goltz,  Ignatius. 

Ausdruck  Jkv  *yvuq  pivuv  elg  rifirjv  xrjg  GaQxog  xov  xvqIov" 
eine  Empfehlung  der  Virginität  zu  finden.  Der  Bisehof  wünscht 
jedenfalls,  dass  diejenigen,  welche  ehelos  bleiben,  dies  zur  Ehre 
des  Fleisches  des  Herrn  thun.  Da  nun  Ign.  das  Ziel  des  Christen 
als  eine  tvcooig  oaQxtxrj  xal  jtvev/iaxix?),  als  ein  xQaO-ijvai  xjj 
öagxl  xal  xm  Jtvevfiaxc  auffasst,  so  lag  es  für  ihn  nahe,  das 
Reinbleiben  von  ehelicher  Gemeinschaft  für  ein  zur  Ehre  des 
Fleisches  des  Herrn  geschehendes  zu  betrachten,  und  von  dieser 
mystischen  Seite  aus  werden  doch  die  Worte  verstanden  werden 
müssen.  Damit  ist  aber  noch  nicht  gesagt,  dass  Ign.  die  Virgi- 
nität absolut  für  den  höheren  Stand  hält.  Im  Zusammenhang 
des  ganzen  Kapitels  sind  beide  Stände  gleich  berechtigt  neben- 
einander gestellt  und  unterstehen  miteinander  ohne  Unterschied 
dem  abschliessenden  Grundsatz  jtavxa  elg  zip?)v  &eov  yiviöfrco. 
In  dem  Satz  ei  xig  övvaxai  .  .  .  hf  dxavfflöLa  fievttco  liegt  der 
Ton  auf  dem  li>  äxavxrjoia.  Dies  setzt  voraus,  dass  in  der 
Gemeinde  die  Gefahr  vorlag1),  dass  die  ehelos  Bleibenden  sich 
als  besonders  heilig  betrachteten.  Dem  tritt  aber  Ign.  scharf 
mit  dem  iv  axavxrjöla  entgegen.  Er  hält  also  jedes  Hervor- 
heben und  Rühmen  der  Ehelosigkeit,  jeden  Anspruch  auf  höhere 
Autorität  oder  Heiligkeit,  der  daran  geknüpft  werden  konnte, 
für  Sünde  und  in  sich  nichtige  Überhebung.  Es  ist  also  nicht 
richtig,  dass  er,  wie  Zahn  (Ign.  v.  A.  S.  337)  behauptet,  die 
katholische  Auffassung  teile.  Er  bleibt  dem  Grundsatz  Eph.  S 
auch  hier  durchaus  treu.  Nur  soviel  wird  doch  wohl  von  der 
anderen  Auslegung  festzuhalten  sein,  dass  in  der  Motivierung 
für  die  Zulassung  der  ayvda  als  einer  zur  Ehre  des  Fleisches 
des  Herrn  dienenden  Tugend  eine  mystisch-naturhafte  Anschau- 
ung verborgen  liegt,  welche,  sobald  das  jtavxa  elg  xifirjv 
&60V  yivio&a)'  vergessen  ist,  unmittelbar  in  die  der  griechi- 
schen Kirche  übergeht.  Der  freie  Geist  der  evangelischen  Auf- 
fassung ist  bei  Ign.  noch  massgebend,  die  Form  bereitet  aber 
die  Verweltlichung  und  die  Erstarrung  zur  Regel,  zum  Ge- 
setz, zum  ethischen  Dualismus  schon  vor.  Eine  wirkliche  Aus- 
nahme aber  davon,  dass  die  ganze  christliche  Lebensauffassung 
des  Bischofs  eine  innerlich  an  Gott  und  Christus  allein  gebundene 


1)    Vgl.   Harnack,    D.   Gesch.    I«   S.  200    Anm.  3.     I»   S.  226 
Anm.  2. 


IV.  Das  christliche  Leben  in  Glauben  und  Liebe.  57 

ist,  aus  welcher  in  Glaube  und  Liebe  alle  Pflichten  des  Lebens 
sich  frei  ableiten,  haben  wir  auch  hier  nicht,  mithin  nirgends 
gefunden '). 

h)  Die  Hoffnung  auf  Vergeltung. 

Neben  der  Auffassung  des  christlichen  Lebens  als  Bethätigung 
der  geschlossenen  Lebensgemeinschaft  mit  Christo  und  Folge  der 
Gebundenheit  an  sie,  kennt  aber  Ign.  auch  die  andere  Betrach- 
tungsweise, welche  nach  vorwärts  blickt  auf  das  zukünftige  Heils- 
gut, den  Siegerpreis  eines  bis  zum  Ende  bewährten  Kampfes 
(PoL  2  und  3).  Bereits  die  Untersuchung  des  vorigen  Kapitels 
ergab  uns,  dass  das  Heilsgut  als  ewiges  Leben  sogar  vorwiegend 
als  zukünftiges  betrachtet  wird.  Der  Mittelpunkt  der  Betrachtung 
ist  auch  hier  Jesus  Christus  als  r\  xoivrj  hXriiq  q/idiv  (Eph.  1,  2, 
21,  2,  M.  11,  2,  Tr.  iscr.  2,  2,  Phld.  5,  2,  11,  2)  und  die  christliche 
Tugend,  die  dem  entspricht,  ist  die  vjtofiovrj  (Eph.  3, 1,  Tr.  1, 1, 
Sm.  12, 2,  R.  10, 3,  PoL  3, 1,  6, 2).  Es  kommt  nun  hierbei  darauf 
an,  ob  die  Beziehung  auf  die  künftige  Gottesgemeinschaft  das 
allein  herrschende  Motiv  ist,  und  ob  diese  als  natürliche  Frucht 
des  Lebens  in  Glauben  und  Liebe  erscheint,  oder  ob  etwa  in  rein 
eudämonistischer  Weise  das  ewige  Leben  als  Lohn  und  Motiv  für 
gute  Werke  behandelt  wird.  Wirklich  katholisch  wäre  dies  nur 
dann,  wenn  von  einem  menschlichen  Verdienen  des  Himmels  die 
Rede  wäre.  Pol.  6, 2  kommt  hier  vor  allem  in  Frage.  Hier  ist 
das  christliche  Leben  in  dem  auch  paulinischen  Bilde  eines  Feld- 
zuges aufgefasst,  und  Ign.  'ermahnt,  dem  zu  gefallen,  der  den  Sold 
austeilen  werde.  Taufe,  Glaube,  Liebe  und  Geduld  sind  die  Schutz- 
waffen des  Christen.  Die  guten  Werke  aber  werden  als  das  Lohn- 
guthaben bei  Gott  angeschrieben,  wie  von  Geldgeschenken  an 
die  Soldaten  die  Hälfte  von  der  Kohorte  verwaltet  und  am  Schlüsse 
des  Feldzuges  erst  ausbezahlt  wurde.  Diese  Auszahlung  war  dann 
die  der  Tapferkeit  des  Soldaten  angemessene  Belohnung,  während 
bis  dahin  der  Soldat  durch  sein  eigenes  Interesse  mehr  an  die 


1)  Vgl.  dagegen  die  mannigfachen  Ansätze  zu  einer,  von  ihrem  Zwecke 
losgelösten ,  in  sich  selbst  den  Wert  suchenden,  Askese  bei  Past.  Herrn. :  d. 
iyxQazeia  u.  Sim.  V,  7, 1.  Mand.  IV,  4, 2:  ovx  ä/nagzdvei  yijoiv  (seil  0  yafiaiv) 
iav  &  i<p*  tavzov  fulvy  u<;  (d.  h.  ehelos)  negiaoorigav  kavz<ä  xifirjv  xal 
f/eydXijv  öot-av  tisqitioiutcu  npog  xov  xvgiov.  Cf.  Vis.  III,  8, 8.  4.  Mand.  VI,  1. 
2.  Clem.  5,5.  8,  4.  9,  8  auch  1.  Cl.  35, 1:  tyxQrhtta  h  ayiaofiüi  und  38,  9. 


58  ▼•  d.  Goltz,  Ignatius. 

Fahne  gefesselt  war.  Dass  diese  Stelle  auf  eine  katholische  Ver- 
geltungstheorie ausgedeutet  werden  kann,  ist  nicht  zu  leugnen; 
ebensogut  ist  sie  aber  auch  bei  einer  evangelischen  Auffassung 
des  Lohnverhältnisses  zu  erklären,  zumal  hier  nicht  von  einzelnen 
guten  Werken,  sondern  von  ihrer  Gesamtheit  die  Rede  ist.  Von 
einem  Schatz  im  Himmel  (Mt.  19,  21)  wird  auch  von  Jesus  ge- 
sprochen, und  der  Gedanke,  dass  Gott  denen,  die  Gutes  thun  wollen, 
bereit  ist,  es  zu  vergelten  (Sm.  11),  ist  an  sich  durchaus  unbe- 
denklich, zumal  der  Bischof  Sm.  12  die  Gnade  als  die  Vergelterin 
nennt.  Wenn  Eph.  4,  2  sie  den  Herrn  bitten  sollen,  sich  ihrer  anzu- 
nehmen, 61  a>v  ei)  jtQaooerSy  so  setzt  das  schon  keinen  Rechtsan- 
spruch voraus,  und  der  Zusatz  „piXt}  ovxaq  rov  vlov  avrov"  knüpft 
alles  wieder  an  die  Hauptsache,  die  wesentliche  Gemeinschaft  mit 
Christo,  an.  Lediglich  durch  Erinnerung  an  das  Ziel  der  Gottes- 
gemeinschaft wollen  M.  1,  3.  3,  2.  9,  2  wirken.  Nur  R.  2,  1  klingt 
etwas  katholisierend:  eäv  ökoji^ctjts^  xqüttovi  %Qy(p  exere  ijti- 
YQaprjvai,  aber  auch  kaum  mehr  als  manche  synoptische  Sprüche. 
Am  reinsten  und  edelsten  aber,  und  von  jeder  Verdächtigung  frei 
sind  die  Worte,  in  denen  Ign.  der  Gemeinde  wünscht,  dass  Gott 
ihnen  das  vergelten  möge,  was  sie  an  ihm  gethan.  (Sm.  9,  2.  11,  s. 
12, 1,  Ph.  11, 1),  und  ebenso  unbedenklich  ist  die  Mahnung:  vjco- 
fiiveiv  Jj(iäq  öel,  Iva  xal  avroq  r^iäq  vnofietvy  Pol.  3,  1;  ähnlich 
R.  8,  1.  Hier  schliesst  die  Beziehung  auf  Christus  jedes  selbst- 
süchtige Motiv  aus. 

i)  Die  Furcht  vor  Strafe. 

Etwas  geringer  an  Wert  ist  die  Warnung,  sich  das  Heils- 
gut nicht  entgehen  zu  lassen  und  nicht  zu  spät  zu  kommen,  wenn 
dieselbe  auch  durchaus  christlich  zulässig  und  praktisch  ist.  Sie 
hat  natürlich  zumal  bei  der  Abmahnung  vor  den  Irrlehrern  ihren 
Platz  (Eph.  5,2.  17,  1.  M.  5,«.  Tr.  2, 1.  Phld.  3,  s).  Noch  viel 
menschlicher  ist  das  Drohen  mit  dem  Gerichte  und  der  Strafe, 
so  wenig  es  auch  bei  der  Erziehung  zum  Christentume  entbehr- 
lich ist,  wie  es  denn  ja  auch  der  Herr  zuweilen  benutzt.  Geist- 
liche Tiefe  und  Einfachheit  wird  aber  möglichst  wenig  damit 
operieren.  Ign.  warnt  Eph.  16,  2  vor  dem  unauslöschlichen  Feuer 
und  droht  Sm.  2  den  Doketen  mit  einem  leiblosen  dämonischen 
Dasein.  Dazu  erinnert  er  Sm.  6,  1  und  Phild.  6,  3  an  den  Ernst 
des  Gerichtes.   Das  sind  aber  die  einzigen  Stellen.   Bei  der  Fülle 


V.  Christus  und  die  Gemeinde.  59 

der  anderen  Motive  ist  das  trotz  der  Kürze  unserer  Briefe  ein 
auffallender  Umstand,  und  wir  sehen,  daß  der  Bischof  selbst  auf 
dem  Wege  des  Lebens  bleibt  aus  Liebe  zur  ipsorcöocc  #«(>*§,  nicht 
aber  aus  Furcht  vor  der  OQyi)  fiiXXovöa  (Eph.  1 1),  wenn  er  auch 
in  seiner  von  jeder  Schablone  entfernten  Freiheit  diesen  Weg 
anerkennt,  es  sei  denn,  dass  er  nur  zu  dem  Iv  Y^o.  Xq.  evQe&rj- 
vai  fuhrt.  Wer  die  christliche  Innerlichkeit  der  ignatianischen 
Anschauung,  die  ja  allerdings  uns  nirgends  als  theologische  Theorie, 
aber  doch  als  einheitliche  und  bestimmte  Lebensauffassung  gegen- 
übertritt, recht  empfinden  will,  vergleiche  auch  hier  die  anderen 
apostolischen  Väter,  die  nicht  nur  die  Aussicht  auf  den  zukünf- 
tigen Lohn  und  die  Furcht  ziemlich  einseitig  hervortreten  lassen  *), 
sondern  zum  Teil  schon  sogar  überverdienstliche  Werke  kennen2). 
Nur  das  eine  Moment  haben  wir  bisher  übersehen:  die  meisten 
Mahnungen  des  Ignatius  sind  an  Gemeinden,  nicht  an  Einzelne 
gerichtet,  und  auch  sein  Ideal  eines  Lebens  in  Glauben  und  Liebe 
und  einer  evcooig  &eov  occqxixtj  xal  jtvevfiaTix?]  gilt  zuerst  der 
ganzen  Gemeinde.  Gerade  von  hier  aus  können  auch  noch  Ein- 
flüsse kommen,  welche  die  innerliche  Einheit  seiner  Lebensauf- 
fassung in  ihrer  alleinigen  Beziehung  auf  Gott  in  Christo  und  die 
Gemeinschaft  mit  ihm  stören.  Ob  und  inwieweit  dies  der  Fall 
ist,  soll  der  nun  folgende  Abschnitt  zeigen. 


T.  Christas  und  die  Gemeinde. 

Was  den  ignatianischen  Briefen  ihr  eigentümliches  Gepräge 
giebt,  ist  ausser  ihrem  christocentrischen  Charakter  ihre  Anschau- 
ung von  der  einen  christlichen  Kirche.  Dieselbe  ist  im  Zusam- 
menhange mit  der  Echtheitsfrage  seit  langem  vielseitig  besprochen 
worden,  und  man  darf  es  wohl  als  jetzt  ziemlich  allgemein  an- 
erkanntes Resultat  bezeichnen,  dass  die  Hervorhebung  und  Hoch- 
schätzung  des  Bischofamtes  nicht   eigentlicher  Selbstzweck  der 

1)  Lohn:  Pol.  Phil.  5, 10.  Barn.  19, 10.  20,  2.  21.  8.  2.  Clem.  11,  6  16,  4. 
17,  4—6.  18.  Herrn.  Sim.  II,  5.  Furcht:  2.  Clem.  18.  Barn.  2,  2.  1.  Clem.  2,  8: 
21,8:  nmq  0  <poßoq  avrov  xaXoq  xal  ftiyaq  xal  awt.cav  navxaq  xovq  iv 
avtät  oaitoq  dvaorpsipo/ulvovq  iv  xa&agä  öiavola ;  cf.  18,  1.  Herrn. 
Mand.  VI,  1, 1.  XII,  3, 1. 

2)  Herrn.  Mand.  IV,  4.  2.  Vis.  V,  5,  8. 


60  v-  d.  Goltz,  Ignatius. 

Briefe  ist,  sondern  nur  das  für  die  kleinasiatischen  Verhältnisse 
geschichtlich  vorbereitete  und  sichere  Mittel,  die  Einheit  der  Ge- 
meinden zu  schützen  und  ihre  Auflösung  in  Konventikel,  Sekten 
und  häretische  Sonderbildungen  zu  verhüten,  ein  Bestreben,  dessen 
Anfänge  wir  für  dieselben  Gegenden  im  kanonischen  Epheser- 
briefe,  in  den  Johannesbriefen,  den  Sendschreiben  der  Apokalypse 
und  den  Pastoralbriefen  beobachten  können.  Hier  von  neuem  den 
Beweis  anzutreten,  dass  der  Episkopalismus  des  Ignatius  diesem 
Gedanken  der  Einheit  der  Gemeinde  untergeordnet  ist  und  mit 
hierarchischen  Tendenzen  —  der  Absicht  nach  —  nichts  zu  thun 
hat,  würde  Zeitverschwendung  sein,  und  wir  verweisen  einfach 
auf  die  Ausführungen  von  Rothe1),  Dorner2),  Zahn3),  Light- 
foot4),  und  besonders  Reville5).  Auch  müssen  wir,  um  nicht 
in  weitläufige,  von  unserm  Thema  abführende  Auseinandersetzungen 
zu  geraten,  die  ganze  historisch-archäologische  Seite  der  Sache 
von  unserer  Untersuchung  ausschliessen.  Jedoch  ist  auch  die 
dogmengeschichtliche  Bedeutung  der  ignatianischen  Gedanken  über 
die  Kirche  nicht  völlig  zu  verstehen  ohne  eine  kurze  Vergegen- 
wärtigung der  historischen  Situation  und  Veranlassung. 

I.  Die  geschichtliche  Veranlassung  der  kirchlichen  Ermahnungen. 

Die  monarchische  Organisation  der  Gemeindeverwaltung  ist 
als  eine  bereits  thatsächlich  vorhandene  vorausgesetzt.  Keine 
Stelle  der  Briefe  empfiehlt  dieselbe  als  etwas  Neues:  nur  die 
Macht,  Autorität  und  Bedeutung  des  einen  Bischofs  wird  durch 
die  Ermahnungen  des  Ign.  gehoben  und  gestärkt,  aber  auch  dies 
nicht  um  des  Amtes  selbst  willen  oder  zu  Gunsten  seiner  Träger, 
sondern  lediglich,  um  die  Einheit  und  den  Frieden  in  der  Ge- 
meinde zu  erhalten.  Dieser  war  in  nicht  geringem  Masse  gefährdet; 
denn  nicht  nur  von  aussen  traten  Heidentum,  Judaismus  und 
Häresie  der  Gemeinde  gefahrbringend  entgegen,  sondern  bei  dem 

1)  Rothe,  Anf.  d.  ehr.  K.  S.  445—482,  725-739. 

2)  Dorner,  Gesch.  d.  Person  Chr.  S.  147— 167,-bes.  Anm.  1& 

3)  Zahn,  Ign.  v.  A.  S.  424—453. 

4)  Lightfoot  I.  S.  389-402. 

5)  J.  Reville,  Revue  sur  l'histoire  des  r&ig.  1890.  S.  267—288.  Hier 
ist  der  eigentümliche,  noch  ganz  urkatholische  Charakter  des  ignatianischen 
Episkopalismus  treffend  geschildert.  Es  fehlt  nur  die  wichtige  religiös-dog- 
matische Seite  der  Sache. 


V.  Christus  und  die  Gemeinde.  61 

in  Kleinasien  stark  entwickelten  Interesse  für  die  Lehre  war 
wohl  auch  innerhalb  der  Gemeinde  starke  Neigung  zur  Separa- 
tion. Eine  solche  aber  war  wiederum  das  Allergefahrlichste  für 
die  Kirche  in  ihrem  geistigen  und  äusseren  Kampf  mit  der  heid- 
nischen Welt  Verlor  die  Gemeinde  ihr  christliches  Gemeinschafts- 
bewusstsein,  ihre  sichtbare  Einheit  im  Glauben  und  in  der  Liebe, 
so  verlor  sie  ihr  wichtigstes  Unterscheidungsmerkmal  von  allen 
anderen  Religionsvereinen  und  damit  ihren  Anspruch,  etwas  Be- 
sonderes, ganz  Neues  und  Universelles  zu  sein.  Andererseits 
steigerte  die  Intensität  des  christlichen  Interesses,  mit  welchem 
das  Verständnis  nicht  gleichen  Schritt  hielt,  die  Gefahr,  in  Secten 
und  Schulen  zu  zerfallen.  Hier  verlor  das  ältere  demokratische 
Gemeindeverwaltungssystem  bald  seine  Macht  und  hatte  sich  vor 
Ign.  bereits  zu  einem  monarchischen  gestaltet.  Nun  hatte  Ign. 
sich  auf  seiner  Reise  selbst  davon  überzeugen  können,  dass  die 
Bischöfe  der  Gemeinden  tüchtige,  gläubige  Männer  waren,  deren 
Charakter  ein  Unbeschädigtbleiben  der  Gemeinden  garantierte, 
wenn  diese  nur  sich  ihrem  Leiter  anschlössen.  Das  war  aber 
nicht  gesichert,  zumal  einige  derselben  jung  (M.  3)  und  im  Reden 
nicht  gewandt  (Eph.  6)  waren.  Ign.  spricht  deshalb  auch  mehr- 
fach seine  persönliche  Hochschätzung  der  Männer  aus,  um  die 
an  sich  nicht  ohne  weiteres  verbürgte  Autorität  der  Bischöfe  zu 
stärken.  Die  Fülle,  der  Beredsamkeit,  die  er  dazu  aufwendet,  zeigt, 
dass  der  Gemeinde  die  Autorität  des  Bischofs  nichts  so  Selbst- 
verständliches war;  es  ist  wohl  möglich,  dass  Ign.  in  Antiochien 
bereits  mehr  an  sie  gewöhnt  gewesen.  Jedenfalls  war  er  in  seiner 
Stellung  als  Märtyrer  und  als  über  den  Parteiungen  der  Gemeinde 
stehend  besonders  geeignet  dazu,  solche  Mahnungen  an  dieselben 
zu  richten.  Der  Brief  an  Polycarp  zeigt  überdies,  dass  er  dem 
Bischof  nicht  geringere  Pflichten  der  Gemeinde  gegenüber  auf- 
erlegte, als  dieser  gegenüber  jenem.  Dies  Alles  ist  oft  schon  ge- 
sagt worden,  zeigt  aber  nur,  dass  Ign.  keine  hierarchische  Tendenz 
hatte,  sondern  nur  aus  edlen  Motiven  der  Liebe  und  Fürsorge 
aller  Uneinigkeit  vorbeugend  handelte,  wenn  er  zum  Gehorsam 
gegen  den  einen  Bischof  ermahnte.  Die  Feststellung  dieser  That- 
sache l)  genügt,  um  die  Einwände  derer,  welche  die  Briefe  ihrer 
hierarchischen  Tendenz  wegen  für  unecht  halten,  zu  beseitigen, 


1)  Vgl.  den  Beweis  in  den  genannten  Schriften. 


62  v.  d.  Goltz,  Ignatius. 

genügt  aber  nicht,  um  die  Anschauungen  des  Ign.  zu  verstehen 
und  richtig  zu  beurteilen.  Ign.  selbst  giebt  für  seine  Mahnung 
nicht  nur  die  Motive  der  Liebe  zu  Frieden  und  Einheit  im  All- 
gemeinen an,  sondern  er  thut  dies  in  einer  Weise,  die  mit  seiner 
ganzen  religiös-mystischen  Anschauung  vom  Christentum  in  engem 
Zusammenhang  steht.  Dieser  Zusammenhang  ist  bisher  nicht  ge- 
nügend beachtet  worden.  Uns  ist  es  nach  allem  Bisherigen  nicht 
allzuschwer,  denselben  nachzuweisen. 

2.  Die  allgemeine  Kirche  und  die  Einzelgemeinde  in  ihrem  Verhältnis 
zu  einander  und  zu  Christue. 

Beruht  die  Heilsbedeutung  der  Person  Christi  darin,  dass  er 
die  %v(öGiq  &tov  öaQxtxrj  xal  jtvevfiaTtxrj  selbst  darstellt  und 
Allen,  die  in  ihm  leben,  vermittelt,  so  hat  das  ebenso,  wie  auf  den 
Einzelnen,  auch  auf  die  Gemeinde  seine  Anwendung. 

Die  Einigung  von  Göttlichem  und  Menschlichem,  durch  welche 
sich  das  Ewige  in  der  Zeit,  der  Geist  im  Fleische,  Gott  im  Men- 
schen darstellt,  hat  sich  zuerst  in  der  Person  Christi  vollzogen, 
kommt  dann  in  allen  Christen  und  ihrem  ganzen  Leben  in  Glauben 
und  Liebe  zur  Darstellung  und  findet  ihre  Vollendung  in  der 
Einheit  der  Gesamtgemeinde.  Diese  völlige  Einheit  von  Christus 
und  der  ganzen  Kirche  ist  von  Ign.  mystisch  gefasst  und  findet 
ihren  Ausdruck  in  dem  paulinischen  Bilde  von  Haupt  und  Glie- 
dern an  einem  Leibe  (Tr.  1 1),  am  deutlichsten  aber  in  den  Worten 
Eph.  5:  tovq  avaxexQapivovg  avrm  (dem  Bischöfe)  coq  fj  sxxXTjcia 
*Irj6ov  XqiOtco,  xal  dg  'IrjOovg  Xqlgtos  T(P  navyl,  wa  navra 
hv  \voxr\xi  ovfigxjova  #.  Wie  real  und  wirklich  diese  mystische 
Einheit  des  Ganzen  zu  nehmen  ist,  zeigt  die  Verwendung  der 
Salbungsgeschichte  Eph.  17.  Indem  Christus  sich  das  Haupt 
salben  liess,  vermittelte  er  der  ganzen  Kirche  die  Unverweslich- 
keit. Dieser  Leib  Christi  ist  rj  xa&oJLtxTJ  kxxXrjOla  —  ein  Aus- 
druck, der  hier  (Sm.  8,  2)  zum  ersten  Male  vorkommt  — ,  und 
diese  Kirche  ist  überall,  ojtov  av  ij  'Irjöovq  Xgcörog.  Er  oder 
Gott  ist  ihr  Bischof  (R.  9.  Pol.  inscr.  8),  und  zu  ihr  gehören  alle 
Gläubigen  aus  Heiden  und  Juden  (Sm.  1.  M.  10).  Ein  principieller 
Unterschied  ist  nirgends  unter  den  Christen  gemacht.  Aber 
wichtig  sind  die  Analogien  und  Vergleiche  der  Gemeindeämter 
mit  den  himmlischen  Rangstufen.  Dieselben  beruhen  auf  dem 
Grundgedanken,  dass  jede  Einzelgemeinde  das  sichtbare  irdische 


V.  Christus  und  die  Gemeinde.  63 

Abbild  der  xafroXtxr}  IxxXrjOia  ist.    Die  ganze  himmlische  Kirche 
verhält  sich  zu  Christus,  wie  dieser  zu  seinem  himmlischen  Vater 
(Eph.  5).     So  hat  auch  die  Einzelgemeinde  im  Bischof  den  Re- 
präsentanten Gottes,  des  Bischofs  der  ganzen  Kirche,  im  Presby- 
terium  eine  Repräsentation  der  Apostel  und  in  den  Diakonen  die, 
welchen  der  Dienst  Jesu  Christi  anvertraut  ist  (M.  6,  7.  Tr.  3). 
M.  13   ist  die  Gemeinde  durch  äXXtjXoiq  mit  in  den  Vergleich 
eingeschlossen.     Sm.  8  ist  nur  der  Vergleich  gezogen  zwischen 
dem  Gehorsam  aller  gegen  den  Bischof  und  gegen  das  Presby- 
terium  und  dem  Gehorsam  Christi  gegen  seinen  Vater  und  der 
Apostel   gegen  Christus.    Die  Diakonen   sind   als   &eov    lvxoXr\ 
extra  gestellt.    Immer  ist  also  der  Bischof  ein  rvjtoq  Gottes,  das 
Presbyterium   ein   rvjtoq   des   Presbyteriums    der  Gesamtkirche, 
jenes  Gzttpavoc  jiVEVfianxoq,  den  die  Apostel  bilden  (vgl.  auch 
Phld.  5).    Was  im  Bischöfe  respektiert  und  geehrt  wird,  ist  nicht 
er  selbst,  sondern  Gott,  der  Vater  Jesu  Christi,  der  Bischof  Aller. 
Wer  den  sichtbaren  Bischof  beleidigt,  beleidigt  den  unsichtbaren: 
ov  jtQoq  öagxa  6  Xoyoq,  aXXa  jiqoq  &eov  (M.  3,  2);  gerade  wie 
lgn.  in  der  Gewissheit,  nach  Gottes  Willen  zu  handeln,  erklärt: 
Thut  Ihr  meinen  Willen,  so  thut  Ihr  Gottes  Willen  fiäXXov  ipov 
yiveo&e    rovreortv    rov    &eov    (R.  7,  1)1).      Selbstverständliche 
Voraussetzung  ist  dem  lgn.  dabei,  dass  alle  Bischöfe,  wie  Jesus 
Christus  des  Vaters  yvcofit]  ist,  ihrerseits  sich  iv  yvcofif}  'Itjö.  Xq. 
befinden.     Auf  dieser  Voraussetzung  allein  beruht  dem  lgn.  der 
Anspruch  der  Bischöfe,  für  die  Gemeinde  rvjtoq  und  yvcofit]  &eov 
zu  sein  (Eph.  3,  2 — 4, 1).    Er  ist  also  nicht  Gottes  Stellvertreter, 
weil   er   rechtmässig  gewählt  oder  von  den  Aposteln  eingesetzt 
oder  geweiht  ist,  auch  nicht  deshalb,  weil  sonst  reine  Lehre  und 
Einheit  gefährdet  ist,  sondern  deshalb,  weil  er  oberstes  Glied  der 
sarkischen  Einzeldarstellung  der  Kirche  ist,  in  welcher  der  Geist 
Gottes   wohnt.    Wenn  lgn.  nun   die  Apostel   ein   jiQeößvTioiov 
rijq  exxXrjölaq  nennt,  so  überträgt  er  ja  eigentlich  eine  Institution 
der  geschichtlichen  Einzelgemeinde  auf  die  himmlische  Gesamt- 
gemeinde.   Ihm  ist  aber  umgekehrt  jener  Oxi(pavoq  Jtvsvfiatixoq 
xcd  ovpöeöfiog  rmv  ajioöxoXcov  das  Erste,  das  einzelne  Presby- 
terium das  Zweite,  das  Abbild.   Wenn  M.  13,  2  das  Presbyterium 


1)  Vgl.  did.  IV,  7:   Tixvov  /xov,  xov  XaXovvzog  001  rov  Xoyov  xov 
&eov  /ivr)o9-qoy  vvxtog  xal  rjfiiQag'  tifx^aeiq  Ö€  avrov  wg  xvgiov. 


64  v«  d.  Goltz,  Ignatius. 

nicht  erwähnt  wird,  sondern  direkt  der  Gehorsam  der  Christen 
untereinander  in  der  ganzen  Gemeinde  mit  dem  Gehorsam  der 
Apostel  verglichen  wird,  so  merkt  man  hier,  dass  auch  das  Pres- 
byterium  der  Einzelgemeinde  ihm  vorwiegend  ein  Mittel  und 
Symbol  der  Einheit  Aller,  eine  Repräsentation  der  ganzen  Ge- 
meinde ist.  Immerhin  ist  es  als  ein  besonderes  Glied  hervor- 
gehoben, welches  einer  überirdischen  Realität  in  der  himmlischen 
Gesamtkirche  entspricht.  Dagegen  ist  bei  den  Diakonen  der  Ge- 
danke der  symbolisierenden  Repräsentation  himmlischer  Personen 
nicht  durchgeführt.  Es  zeigen  sich  hier  in  den  Formeln  des  Ign. 
besondere  Unregelmässigkeiten.  Eph.  1,  2.  Eph.4, 1.  M.6,2.  M.J7,i. 
Tr.  13,  a.  Phld.  8, 1  wird  die  Gemeinde  nur  zum  Gehorsam  und 
zur  Anhänglichkeit  an  Bischof  und  Presbyterium  ermahnt,  ohne 
dass  die  Diakonen  erwähnt  werden.  Sie  sind  an  diesen  Stellen 
augenscheinlich  in  die  Gemeinde  mit  eingeschlossen  gedacht 
(gerade  wie  Tr.  12, 2  auch  die  Presbyter).  M.  2, 1  wird  ein  Diakon 
gelobt,  weil  er  dem  Bischof  und  dem  Presbyterium  so  treu  ge- 
horsam war,  wie  dies  Ign.  von  allen  •Gemeindemitgliedern  fordert. 
Tr.  2,  3  wird  zuerst  die  Gemeinde  zum  Gehorsam  gegen  Bischof 
und  Presbyterium  ermahnt,  dann  die  Diakonen  zu  vorwurfsfreiem 
Wandel  und  Dienst  der  Kirche,  dann  von  Neuem  die  ganze  Ge- 
meinde zur  Achtung  (hvTQtjieöd-cu)  vor  den  Diakonen,  wie  vor 
Christo,  gerade  wie  auch  vor  dem  Bischof,  dem  Typos  Gottes,  und 
vor  den  Presbytern  als  dem  ovviÖQtov  &eov.  Der  Umstand, 
dass  die  Diakonen,  obwohl  die  niedrigsten,  hier  vorangestellt  sind, 
erklärt  sich  daraus,  dass  Tr.  3, 1  sie  die  Hauptsache  sind,  während 
die  Achtung  vor  Bischof  und  Presbyterium  nur  nachträglich  noch 
einmal  hervorgehoben  wird.  Jedenfalls  zeigt  die  Stelle,  dass  die 
Diakonen  einerseits  der  Gemeinde  (dem  jtlrj&og)  so  nahe  stehen, 
dass  sie  gegenüber  Bischof  und  Presbyterium  mit  dieser  zu- 
sammengefasst  werden  können,  andrerseits  als  ötaxovoi  'Irjö.  Xq. 
der  Gemeinde  gegenüber  noch  ihre  besondere  Stellung  haben, 
welche  sich  unmittelbar  an  die  des  Bischofs  anschliesst.  Auch 
Sm.  8,  2  sind  die  Diakonen  als  d-eov  kvroXrj  neben  Bischof  und 
Presbyterium  für  sich  gestellt.  Nach  alledem  wird  man  sagen 
müssen,  dass  trotz  der  Stellen,  wo  Bischof,  Presbyterium  und 
Diakonen  in  der  späteren  Reihenfolge  und  Dreigliederung  auf- 
gezählt werden  (M.  6, 1.  M.  13, 1.  Tr.  7,  2.  Phld.  iscr.  4.  7,  1.  Sm. 
12,  2.  Pol.  6),  der  eigentliche  Dreiklang  des  Ign.  nicht  wie  später 


V.  Christus  und  die  Gemeinde.  55 

Bischof  —  Presb.  —  Diak.  lautet,  sondern  1)  Bischof  —  2)  Presb. 

—  3)  JtXij&oq,  analog  der  Reihe:  1)  Gott-Christus  —  2)  Apostel  — 
3)  //  xa&oXix?}  kxxX.  Dies  sind  die  3  Stufen  der  Gemeinde,  wie 
sie  die  Stufen  der  himmlischen  Kirche  abbilden  (vgl.  Eph.  4  x &äoa 

—  x°Q^  —  X°Q°&  Zu  letzterer  gehören  allerdings  auch  die 
Diakonen  (Tr.  3),  jedoch  gleichsam  als  ein  Teil,  ein  Anhang  des 
Bischofs,  des  Vertreters  Gottes  und  Christi,  dessen  Dienst  sie 
versehen,  oder  auch  als  ein  Teil  des  jtXrj&og,  dem  sie  als  einem 
Teil  der  kxxXrjola  dienen.  Dieser  Dienst  ist  ein  Gottesdienst  und 
ist  deshalb  unmittelbar  zu  dem  des  Bischofs  gehörig,  während 
das  Presbyterium  eine  Grösse  für  sich  bildet.  *)  In  dieser  Weise 
ist  die  Einzelgemeinde  mit  dem  Bischöfe  an  der  Spitze  die  sar- 
kische  Darstellung  der  pneumatischen  Christusgemeinde. 2)  Hierin 
hat  Sohm3)  Recht.  Jedoch  kann  Sm.  8  mit  der  xad  0X1x1) 
exxXrjöla  sicher  nicht  die  Einzelgemeinde  gemeint  sein,  sondern 
diese  ist  eine  sarkische  Erscheinungsform  der  xad-oXixrj  exxXrjöla, 
Keineswegs  wird  dieser  Begriff  mit  der  „rechtlichen"  Bischofs- 

1)  Diese  Ausführungen  zeigen,  dass  bei  Ign,  die  Funktionen  des  Bi- 
schofs und  der  Diakonen  als  von  Gott  und  Christus  ausgehende  betrachtet 
werden,  während  das  Presbyterium  ein  Abbild  des  ovviögiov  &€0v,  des 
ovvdzofibq  änoaxokwv  ist.  Darin  spiegelt  sich  vielleicht.  wieHarnack  in 
den  Analecten  zu  Hatch  S.  242  ff.  ausführt,  der  geschichtliche  Unterschied 
zwischen  der  episkopalen  und  der  presbyterialen  Organisation  wieder.  Nur 
ist  die  Autorität  der  Apostel  und  Presbyter  für  Ign.  eine  ebenso  himmlische 
und  religiöse  Sache,  wie  die  des  Bischofs  und  der  Diakonen,  nicht  eine 
äus8erlich  empirisch  bedingte,  wie  Harnack  meint.  Ja  sofern  die  Einzelge- 
meinde ein  Abbild  der  himmlischen  Kirche  ist,  steht  für  Ign.  grade 
Bischof  und  Presbyterium  als  Repräsentation  der  analogen  himmli- 
schen Realitäten  im  Vordergrund,  während  bei  den  Diakonen  nur  ihr 
Dienst  als  Dienst  im  Namen  Gottes  für  die  ixxkrjoia  in  Betracht  kommt. 
Der  Gegensatz  göttlich  —  äusserlich,  Abbild  vom  Himmlischen  und  —  empi- 
risch bedingt  liegt  dem  Ign.  hier  fern.  Aber  der  Dienst  der  Diakonen  ist 
allerdings  mit  dem  des  Bischofs  dadurch  verbunden,  dass  er  ein  Dienst 
Gottes  und  Christi  unmittelbar  ist,  während  das  Presbyterium  nur  das 
ovveÖQiov  &sov  repräsentirt. 

2)  Ähnlich  sind  die  Vorstellungen  2.  Clem.  14.  Dort  ist  die  präexi- 
stente ixxXrjoia  7cvevfiauxq  mehr  das  himml.  Vorbild  ohne  diese  enge 
Verknüpfung  mit  dem  irdischen.  Sie  stellt  sich  zuerst  symbolisch  dar  iv  xy 
guqxI  Xgiaxov  [rj  yaQ  aäg^  avxrj  avxlxvnoq  toxi  xov  Tcver^xaxoq).  Ign. 
unterscheidet  sich  von  2.  Clem.  nur  durch  die  mystische  Auffassung  dieses 
Verhältnisses. 

3)  R. Sohm, Kirchenrecht I.  Leipzigl892.  S.197Anm.21u.S.200Anm.24. 
Texte  u.  Untersuchungen  XI7,  3.  5 


(>(J  v.  d.  Goltz,  Ignatiiw. 

gemeinde   ganz   identifiziert,   sondern   unter   dem  thatsächlichen 
Vorhandensein  der  monarchischen  Organisation  ergiebt  sich  der 
Anschluss  an  den  Bischof  von  selbst  als  die  notwendige  Form, 
die  Einheit  der  Gemeinde  zu  retten  und  dadurch  die  mystische 
Einheit   der   pneumatischen   göttlichen   Gesamtkirche  als  unver- 
letzte Glaubenswahrheit  innerhalb  jeder  einzelnen  Gemeinde  auf- 
recht zu  erhalten.    Auf  diese  Grundwahrheit  aber  kommt  es  dem 
Bischöfe  allein  an.    Wie  er  daher  die  o<xq§  Christi  nur  betont, 
um  gegen  die  Doketen  die  Wirklichkeit  und  Ergreifbarkeit  des 
ewigen  Gottes  in  ihm  zu  schützen,  wie  er  den  Tod  Jesu  nur 
rühmt,  um  in  ihm  das  ewige  Leben  zu  haben,  so  schützt  er  die 
Autorität  des  kntGxoxoq  xaxa  öagxa  nur,  weil  die  Einheit  mit 
ihm  in  der  Gemeinde  die  einzige  sarkische  und  äusserlich  greif- 
bare Verkörperung  der  Herrschaft  Jesu  Christi  und  seiner  Ein- 
heit mit  den  Gliedern  seines  Leibes  ist.    Hier  wie  dort  besteht 
derselbe  Schein,  als  ob  Ign.  besonderen  Wert  auf  das  Mensch- 
liche an  Christus  und  seinem  Leiden,  oder  auf  eine  menschliche 
Bischofsautorität  an  sich  lege,  was  die  Kritiker  lange  getäuscht 
hat,  und  überall  ist  es  gerade  das  Ewige,  Göttliche,  Gott,  die 
mystische  Einigung  mit  ihm,  die  Einheit  der  pneumatischen  Kirche, 
welche,  obwohl  unsichtbar  und  transcendent,  doch  dem  Sarkischen 
immanent  verbunden,  das  alleinige  Interesse  des  Ign.  haben.  Wie 
wenig  es   ihm  darum  zu  thun  ist,  eine  formale  göttliche  Au- 
torität des  bischöflichen  Amtes  zu  konstituieren,  wie  innerlich 
und   geistig  er   noch   den  Begriff  der  Kirche  fasst,   ist  weiter 
gut  zu  erkennen  an  der  Art,  wie  er  das  Gesamtleben  und  die  ge- 
meinsamen Güter   der  Gemeinde  kennzeichnet.     Er  macht  hier 
nichts  anderes  geltend  als  die  Grundsätze  christlicher  Liebe  und 
die  Forderungen  eines  geordneten  christlichen  Gemeinschaftslebens 
überhaupt,  so,  wie  sich  ihre  Anwendung  auf  die  Bedürfnisse  seiner 
Leser  ihm  von  selbst  ergab.    Alles,  was  er  in  dieser  Beziehung 
sagt,  gilt  der  Einzelgemeinde,  sofern  dieselbe  das  sichtbare  Einzel- 
abbild der  xad-oZtXT]  hxxXr^ola  sein  soll.    Was  von  letzterer  gilt, 
wird  von  ersterer  ausgesagt  resp.  verlangt.    Jegliche  Störung  im 
Leben  der  Einzelgemeinde  und  in  ihrem  Gemeinschaftsleben  durch 
Verletzung   des  Glaubens  oder  der  Liebe  ist  eine  empfindliche 
Verletzung  des  Glaubens  an  die  erstere,  und  wer  sie  verursacht, 
hat  sich  selbst  ausgeschlossen.  —  Sehen  wir  uns  die  einzelnen 
Aussagen  des  Ign.  hierüber  an. 


V.  Christus  und  die  Gemeinde.  67 

3.  Das  Gesamtleben  und  die  gemeinsamen  Güter  der  Gemeinde. 

Zuerst  kommen  hier  Eph.  4  und  9,  zwei  Bilder  für  das  Ge- 
samtleben der  Gemeinde,  in  Betracht.  Eph.  4:  Presbyterium  und 
Bischof  sollen  harmonisch  auf  einander  gestimmt  sein,  wie  Harfe 
und  Saiten;  die  Gemeinde  ist  der  Chor,  und  ihr  Leben  in  Ein- 
tracht und  Liebe  ist  ein  Lied,  welches  Jesus  Christus  selbst  dar- 
stellt, ein  Loblied  zur  Ehre  Gottes  des  Vaters  durch  Christus, 
nach  Gottestonart  in  einheitlichem  Chor  (<pcopy  pia).  In  diesem 
Bilde  kommt  deutlich  genug  zum  Ausdrucke,  dass  Eintracht  und 
Liebe,  die  Ehre  Gottes  und  die  Darstellung  Jesu  Christi  die 
Hauptsachen  sind,  Bischof,  Presbyter  und  Gemeinde  aber  in 
Einheit  zusammengehören,  um  das  Lied  „Jesus  Christus"  zu 
singen.  Eph.  9  ist  überhaupt  nur  von  der  Gemeinschaft  die  Rede, 
die  sich  aufbauen  soll  zu  einem  Tempel  Gottes.  Jesu  Christi 
Kreuz  ist  die  Mechanik,  welche  die  Bausteine  an  ihren  Platz 
bringt,  das  Seil  ist  der  heilige  Geist,  der  Glaube  der  Hinaufleiter 
und  die  Liebe  der  Weg.  —  Dann  wechselt  das  Bild.  —  Alle 
sollen,  wie  bei  einer  Prozession  die  Heiden  ihre  Götter  tragen, 
auch  ihrerseits  mit  einander  zu  Gott  ziehen,  Gott,  Christus,  den 
Tempel,  das  Heilige  in  sich  tragend  und  geschmückt  —  statt  mit 
Blumen  und  Kränzen  —  mit  Wandel  in  Gehorsam  gegen  die 
Gebote  Jesu  Christi.  Auch  dies  Bild  hat,  so  geistig  und  innerlich 
es  gemeint  ist,  wahrlich  keinen  hierarchisch-katholischen  Charakter. 
Da  müsste  doch  ein  Bischof  als  Bauherr  und  Führer  der  Prozession 
fungieren.  Bemerkenswert  ist  auch,  dass  der  heilige  Geist  hier 
ganz  als  Kraft  verstanden  ist,  nicht  aber  als  Person.  Bei  Christus 
vermeidet  Ign.  die  Beziehung  des  Werkzeuges  auf  ihn  selbst, 
beim  heiligen  Geiste  ist  das  Bild  unpersönlicher  als  beim  Glauben. 

Hier,  wo  wir  von  dem  Gesamtleben  der  Gemeinde  reden,  ist 
überhaupt  der  einzige  Ort,  auch  das  Nötige  vom  heiligen  Geiste 
zu  sagen,  der  bei  Ign.  sehr  wenig  vorkommt.  M,  15  erklärt  uns 
diesen  Umstand,  indem  dort  der  Geist  und  Christus  ganz  identi- 
fiziert sind *),  was  nur  erklärlich  ist,  wenn  der  Geist  nichts  an- 
deres ist  als  die  Kraft  Wirkung  Gottes  im  Menschen,  welche  aber 
zugleich  eine  Wirksamkeit  Christi  ist.    Deshalb  kann  Ign.  Phld. 

1)  Cf.  2.  Clem.  14,  4  ov  fiEra?.rj^ezai  xov  nvevftatoq,  o  iattv  o  Xqi- 
oxoq.  Anders  und  im  Zusammenhange  mit  „udoptianischer  Christologie'* 
bei  Herrn. 


(J8  v.  d.  Goltz,  Ignatiua. 

inscr.  auch  schreiben,  Jesus  Christus  stärke  und  befestige  die 
Vorsteher  nach  seinem  Willen  mit  seinem  heiligen  Geiste,  während 
er  wiederum  Sm.  4  sagt,  Christus  sei  in  ihm  mächtig 1).  Was 
dagegen  die  traditionelle  christologische  Formel  „ix  xvevpazoq 
aylov"  (Eph.  18)  mehr  bedeuten  soll  als  das  damit  wechselnde 
bc  &aov,  bleibt  dunkel.  Ohne  das  Prädikat  „heilig*4  spricht  Ign. 
von  r6  jzpsv/ia  im  Gegensatze  zu  menschlichem  Meinen,  Phld.  7,2: 
ort  ajto  GctQxog  avd-Qcomvrjq  ovx  eyvcov.  rb  6h  jcvevfia  ixrjQvooev 
Xtjov  rdös.  Er  kann  hier,  wie  auch  R.  7,  2  in  dem  „vöcdq 
$cqv  xal  ZaXovv  iv  ifiol,  eom&ep  fioi  Xeyov  ösvqo  JiQog  rbv 
ttariQcP  nur  den  in  ihm  wohnenden  und  redenden  heiligen  Geist 
meinen,  aus  welchem  heraus  zu  reden  er  so  gewiss  war,  wie 
irgend  ein  Apostel.  PoL  1  wird  der  Bischof  sogar  ermahnt, 
ein  Jtvev(ia  axoifirjrov  zu  haben,  während  Ph.  VII,  1  das  ajto 
&eov  oV  mit  grosser  Plerophorie  geltend  gemacht  wird.  Auch 
die  Propheten  waren  schon  Jünger  Christi  in  diesem  Geiste 
(jia&rjTal  ovreg  rm  jivevpaTi)  M.  9.  Ign.  hat  hier  also  die  ein- 
fache Vorstellung  des  neuen  Testamentes,  ohne  sich  irgendwelche 
theologische  Gedanken  gemacht  zu  haben.  ML  15  beweist  nur, 
dass  diesen  Geist  alle  Christen  haben,  und  dass  seine  Wirksam- 
keit die  Christi  ist.  Eine  völlige  Identifikation  von  Christas  und 
Geist  ist  aber  doch  durch  Eph,  18, 2.  M.  9, 8.  Ph.  7, 2  ausgeschlossen. 
Die  trinitarische  Formel  findet  sich  nur  einmal  (M.  13)  in  der 
sehr  undogmatischen  Reihenfolge  von  2.  Cor.  13,  is:  Iv  vlm  xa) 
Ttargl  xal  jr.vsvtuari  in  der  Mitte  zwischen  Möret  xal  ayajty  und 
bf  agxv  xal  riZst2).  In  den  Grussüberschriften  sind  immer  nur 
Vater  und  Sohn  genannt.  Ein  Anklang  liegt  ja  auch  M.  15  und 
Eph.  9  vor.  Ign.  kennt  also  jedenfalls  nur  die  „ökonomische'4 
Trinität,  gerade  wie  das  N.  T.,  und  gewinnt  ihr  nur  den  Gedanken 
der  Wirkung  Gottes  in  der  Gemeinde  durch  Christus  oder  den 
Geist  ab.  Nicht  einmal  als  Einheitsband  der  Gemeinde  wird  der 
heilige  Geist  genannt,  was  doch  sehr  nahe  gelegen  hätte.  Als 
solches  gilt  natürlich  besonders  die  Einheit  des  Bistums  und 
Presbyteriums,  sofern  sie  den  Frieden  und  die  Einheit  der  ganzen 


1)  Sm.  inscr.  cf.  PI.  Phil.  4,  18. 

2)  iva  navxa  oaa  no leite  xavEvoöa>&rjzE  aagxl  xal  Jtvevpecti,  nt~ 
azEi  xal  äydny,  iv  vl<3  xal  nazpl  xal  iv  Tivsvfiari,  iv  dQyy  xal  iv 
ziXet  etc. 


V.  Christus  und  die  Gemeinde.  69 

Gemeinde  garantiert;  dann  der  gemeinschaftliche  Christenname  l) 
und  der  eine  alle  Zungen  einende  Glaube  (M.  10,  3).  Die  Gruss- 
überschriften nennen  ausser  Glaube,  Liebe  und  Einigkeit  und 
ihren  objektiven  Voraussetzungen  (Offenbarung,  Tod  und  Auf- 
erstehung) und  ausser  den  speziellen  Vorzügen  des  Gehorsams 
und  der  Reinheit  von  Irrlehre,  nur  die  gemeinsam  erfahrene  Gnade 
nud  Barmherzigkeit  Gottes  2).  Ganz  dem  Ignatius  eigentümlich  ist 
die  Betonung  der  Erwählung  und  Heilsprädestination  der  Einzel- 
gemeinde 3)  (bes.  Eph.  inscr.  xjj  jigoogiofidp^j  jiqo  ai&vmv  elvat, 
öia  navxog  elg  öoSjpv  xandfiopov).  M.  3  hat  er  den  Ausdruck 
ß-eov  xov  d-eXrjOavrog  tifiag  vgL  R.  inscr.  u.  8, 1. 

4.  Die  gotte8dien8tuohe  Einheit 

Auch  die  Christenfreude  ist  ein  Gut  der  Gemeinde  (M.  7,  1. 
Phld.  inscr.)  Am  vollständigsten  aber  kommt  das  Gemeinsame 
zum  Ausdrucke  M.  7, 1. 2  im  Anschlüsse  an  die  Warnung,  nirgends 
separatistischen  Gottesdienst  zu  üben  und  ohne  Bischof  und 
Presbyter  in  der  Gemeinde  nichts  zu  unternehmen,  denn  fila 
jiooöevxrj,  itia  dtyoig,  elg  vovg,  (da  hXxiq  hv  ayanq,  iv  xq  %aQa 
xcp  ä/Moficp,  6  lexiv  yfTjoovg  XQiöxog,  ov  cifistvov  ovdiv  eoxiv. 
ndvxeg  tag  elg  %va  vaov  ovvxQixexe  &tov,  mg  im  h>  frvotaöxi]- 
qlov  hxl  eva  'Itjöovv  Xqiöxov  xov  dg)'  evög  xaxQoq  JtooeX&ovxa 
xal  sig  %va  ovxa  xal  yworjöavxa.  Dazu  kommt  noch  Phld.  4 
fiia  evxaoiöxia  und  elg  kjtioxojtog.  Nach  diesen  Stellen  ist  Jesus 
Christus  als  der  eine  Sohn  des  einen  Vaters  der  Mittelpunkt; 
der  Gedanke  der  einen  Kirche,  des  einen  Heiligtums  schliesst  sich 
unmittelbar  an  die  religiöse  Grundwahrheit  von  dem  Einen  Gott 
und  dem  einen  Sohn  an,  und  in  ihm  sind  wiederum  alle  Güter 
des  christlichen  Gemeinschaftslebens,  die  ethischen  sowohl  wie  die 
gottesdienstlichen,  beschlossen. 

Die  Aufhebung  der  Einheit  der  gottesdienstlichen  Feier  ist 
dem  Bischöfe  die  Zerstörung  der  Einheit  überhaupt.  Die  Ge- 
meinde aber  ist  da,  wo  der  Bischof  ist,  und  jeder  Versuch,  ohne 

1)  Eph.  1,  2:  V7ihp  xov  xotvov  ovofiaxoq  xal  iXntöos,  vgl.  M.  1,  2. 
Eph.  3,  1.  7, 1. 

2)  Auch  in  der  Grussüberschrift  des  Römerbriefs  sagt  Ign.  nur  das 
oben  Angegebene  in  besonders  überschwänglicher  Wortfiille. 

3)  Dies  ist  charakteristisch  und  bestätigt  wieder  die  Beobachtung, 
dass  die  Einzelgenieinde  nichts  als  eine  lokale  Erscheinungsform  der  gött- 
lichen allgemeinen  Christuskirche  ist. 


70  v.  d.  Goltz,  Ignatiua. 

sein  Wissen  oder  Beisein  sich  gottesdienstlich  zu  versammeln, 
bringt  Spaltung  in  die  Gemeinde.  Jede  Spaltung  aber  ist  der  An- 
fang alles  Übels  (Sm.  7).  Noch  mehr,  jede  Spaltung  bringt  einen 
Riss  in  die  Kirche,  welche  eins  sein  soll,  wie  Jesus  mit  dem 
Vater  war.  Und  da  diese  tvcooiq  oaQxixrj  xal  xvsvnarixi)  in  der 
Einzelgemeinde  nur  die  Erscheinungsform  der  %vcooiq  der  ganzen 
Kirche  mit  Christus  und  durch  ihn  mit  Gott  ist,  so  verletzt  jede 
Störung  dieser  Einheit  unmittelbar  ein  tiefes  religiöses  Interesse. 
Die  Doketen  bringen  durch  Leugnung  des  Todes  Jesu  die  Hoff- 
nung und  Verbürgung  ewigen  Lebens  ins  Schwanken,  die  separa- 
tistischen Gottesdienst«  verletzen  die  mystische  Gotteseinigung, 
in  welcher  der  einzelne  Christ  sich  nur  befindet  als  Glied  der 
grossen  Kirche,  der  Gesamtheit  der  Gläubigen.  So  versteht  sich 
gerade  von  dem  eigentümlichen,  religiösen  Grundgedanken  des 
Bischofs  aus  seine  harte,  scheinbar  hierarchische  Art,  solchen  die 
Teilnahme  am  Heile,  an  Gottesgemeinschaft  und  ewigem  Leben 
abzusprechen,  die  sich  dem  Ganzen  nicht  fügen  wollen,  sondern 
eigenen  Gottesdienst  halten.  Gerade  in  den  Stellen,  welche  be- 
sagen, dass  deshalb  dem  Bischöfe  zu  gehorchen  sei,  weil  sonst 
die  Gemeinschaft  mit  ihm  und  das  ewige  Leben  in  Frage  gestellt 
werde,  sind  die,  welche  ihn  vor  Verdächtigung  hierarchischer  Be- 
strebungen schützen  und  seinen  Episkopalismus  seinem  lautern 
und  innerlichen  religiösen  Interesse  unterordnen  *).  So  ist  jede 
Institution,  jede  Äusserung,  jede  Handlung  der  Einzelgemeinden 
ein  Sichtbarwerden  der  himmlischen  Gesamtkirche,  aber  auch  jede 
Störung  und  Verletzung  der  geistigen  Güter  der  Lokalgemeinde 
und  infolgedessen  auch  der  sie  Benutzenden  und  verbürgenden 
Autoritäten  und  Ordnungen  eine  Verletzung  eines  wichtigen 
Glaubensinteresses.  Dieser  Grundgedanke  des  Ign.  findet  natürlich 
insbesondere  seine  Anwendung  auf  die  beiden  wichtigsten  gottes- 
dienstlichen Handlungen  der  Gemeinde,  die  Taufe  und  die  Eucha- 
ristie, Beide  sind  Akte  der  himmlischen  Gesamtkirche  (vgl.  Sm«  8 
firjdelg  x^Q^S  r°v  huoxoxov  xi  jigaOöfaco  rcov  avqxovTWv  üq 
ttivm  lxxXi]6lap\  welche  in  den  Diakonen  ihre  Diener  hat,  während 
der  Bischof   den    göttlichen  Gesamtbischof  vertritt    Auch   das 

1)  Cf.  Eph.  3.  5.  Tr.  .7.  Ph.  3.  M.  3.  Sm,  1  u.  oft  Von  einem  Dazwi- 
schentreten des  Bischofs  zwischen  Gott  und  den  einzelnen  Christen  kann 
keine  Rede  sein.  Überall  hat  es  der  Christ  direkt  mit  Gott  zu  thun,  und 
allein  Christus  ist  &vqcl  xov  natQoq.   Das  steht  auf  jeder  Seite  zu  lesen. 


V.  Christus  und  die  Gemeinde.  71 

Presbyterium  wird  erwähnt,  ohne  dass  aber  irgend  eine  spezielle 
Beziehung  zu  diesen  Handlungen  erhellt.  Um  der  Ordnung  und 
Sicherheit  willen  verlangt  Sm.  8,  dass  der  Bischof  jede  solche 
Handlung  gebilligt  hat  Seine  persönliche  Teilnahme  scheint  nicht 
unerlässliche  Bedingung  zu  sein.  Werden  nur  die  geistigen  Güter 
der  Einheit  und  des  Friedens  gewahrt  —  was  allerdings  gegen 
des  Bischofs  Wissen  und  Willen  nimmermehr  geschehen  kann  — , 
so  ist  die  Handlung  der  lokalen  Gemeinschaft  auch  ein  Handeln 
der  kxxXrioia.  So  ist  der  Segen  dieser  kirchlichen  Akte  abhängig 
von  der  rechten  Beschaffenheit  der  Gemeinde  nach  ihrer  Einheit 
m't  Gottes  Stellvertretern.  Hierdurch  tritt  die  eigentümliche 
Heilsauffassung  des  Ign.  ebenso  in  Verbindung  mit  seiner  An- 
schauung von  der  Kirche  wie  seine  Christologie,  und  je  enger 
diese  Verbindung  ist,  desto  empfindlicher  musste  der  Bischof 
sein  gegen  eine  Gefahrdung  dieser  Güter,  sei  es  durch  Leugnung 
der  Grundwahrheiten,  sei  es  durch  Störung  der  Einheit  der  Kirche 
mit  ihrem  Haupte  und  der  Glieder  untereinander. 

Was  die  Sakramente  im  einzelnen  betrifft,  so  erwähnt  er  die 
Taufe  nur  Sm.  8  mit  dem  Verbote,  sie  ohne  den  Bischof  zu  üben, 
und  Pol.  6  dieselbe  als  eine  Waffe  im  Kampfe  des  Lebens.  Wie 
das  zu  denken  ist,  bleibt  dunkel,  aber  es  ist  immer  wertvoll,  dass 
Ign.  überhaupt  eine  Beziehung  der  Taufe  zum  Kampfe  des  Christen- 
lebens kennt  Es  kann  sich  dies  allerdings  auch  nur  auf  die  in 
der  Taufe  erworbene  Reinigung  beziehen.  Eine  Andeutung  auf 
eine  solche  ist  die  Ausdrucks  weise  Eph.  18:  Iva  tcp  xa&ei  xo 
vö&Q  xad-agloy,  wo  zunächst  nur  von  Christi  Taufe  die  Rede  ist 

Häufiger  spricht  Ign.  vom  Abendmahle,  und  zwar  ausser  R.  7, 
wo  er  nur  darauf  anspielt,  immer  im  Zusammenhange  mit  der 
Mahnung,  es  einheitlich  zu  feiern.  Er  nennt  es  evxaQtCrla  Eph.  13. 
Phld.  4.  Sm.  6,  8  oder  dyäxrjv  xoielv  Sm.  8  *).  Jedenfalls  ist 
es  also  ein  Dankesopfer,  was  Gott  dargebracht  wird,  sowohl 
durch  das  damit  verbundene  Gebet  (jcQoöivx^  Sm.  6)  (doga 
Eph.  13  cf.  Aiö.  9)  als  durch  die  Liebesgaben,  welche  die  Armen 
dabei  erhielten.  Aber  es  ist  auch  eine  öwQea  rov  &sov  damit 
verbunden,  welcher  die  Gegner  widersprechen  (Sm.  7).  Zur  Strafe 

1)  Nur  diese  Stelle  beweist  durch  den  Zusammenhang  mit  der  Taufe 
diese  Bedeutung  sicher.  Sm.  7  greift  wahrscheinlicher  auf  Sm.  6,  2  zurück, 
wo  nur  von  Liebesübung  die  Rede  ist.  R.  7  ist  von  der  durch  den  Tod 
Jesu  bezeugten  ewigen  Liebe  Christi  die  Rede. 


72  v.  d.  Goltz,  Ignatius. 

dafür  sterben  sie.  Also  ist  die  Gabe  Gottes  selbst  das  ewige 
Leben.  So  heisst  das  Abendmahlsbrot  ein  (päo[iaxov  ä&avaöiag 
avrlöoxoq  tov  /ir)  äjzofravelv  aXXa  £rjv  kv  'irjoov  Xoiöxoy  öiä 
jravrog  (Eph.  20, 2).  Das  ist  nichts  anderes  als  das  eine  grosse 
Heilsgut,  welches  Ign.  überhaupt  im  Glauben  an  Jes.  Chr.  findet. 
Die  Erwerbung  desselben,  welche,  wie  wir  sahen,  sonst  mit  dem 
christlichen  Leben  in  Glauben  und  Liebe  überhaupt  gegeben  ist, 
wird  hier  besonders  angeeignet  wie  eine  Arznei.  Die  ähnliche 
Auffassung  eines  unvergänglichen  Nahrungsmittels  finden  wir  in 
der  freien,  mehr  bildlichen  Verwendung  des  Abendmahles  R.  7: 
ov%  tjSofiat  TQO<pyi  <p&ooag  ovÖh  tjöovalq  tov  ßlov  tovtov.  clqxov 
&eov  d-eZco,  6  iozi  öagf-  Xqiötov,  tov  Ix  OJtiQftccTog  Aaßlö,  xäi 
jtofia  d-sZco  to  alfta  avTOV,  6  Iotiv  äyajti]  ag>&aoTog.  Dem 
ganzen  Zusammenhange  gemäss  ist  hier  das  Abendmahl  der  Aus- 
druck für  die  volle  Lebensgemeinschaft  mit  Christus,  nach  welcher 
der  Märtyrer  sich  sehnt.  Auch  Phld.  4  heisst  es:  fila  öäo£  tov 
xvqiov  ftfiiov  yJrjo.  Xq.  xcu  tv  xottjqiop  Big  Svcoöiv  tov  al'fiaTog, 
wo  ausser  der  Gemeinschaft  mit  Christus  auch  die  Gemeinsamkeit 
des  Besitzes  in  der  Gemeinde  betont  ist.  Es  sind  also  die  beiden 
grossen  Heilsgüter:  ewiges  Leben  und  mystische  Gotteseinigung, 
welche  im  Abendmahle  von  Gott  geschenkt  werden. *)  Diese 
sind  aber,  wie  wir  im  ersten  Abschnitte  sahen,  darin  verbürgt, 
dass  Gott  im  Fleische  erschienen  und  Christus  durch  den  Tod 
zum  Leben  durchgedrungen  ist.  Hier  wie  dort  aber  nennt  Ign. 
nicht  das  Göttliche,  Ewige,  sondern  gerade  seinen  sarkischen 
Träger,  weil  dieser  von  den  Gegnern  geleugnet,  und  damit  das 
Göttliche,  Pneumatische,  auf  welches  es  ankommt,  illusorisch 
wird.  Da  nun  das  Heilsgut  der  svxagiOTla  kein  anderes  ist  als 
das  des  Christentums  überhaupt,  so  hat  sicherlich  auch  das  Fleisch 
Christi  keine  andere  Bedeutung  als  die  Vergewisserung  des  Be- 
sitzes Gottes,  und  das  Blut  Jesu  stellt  die  im  Tode  Jesu  sich 
offenbarende  Liebe  dar,  welche  für  uns  zum  Leben  hindurchdringt. 
Sehen  wir  aber  auf  die  subjektive  Seite  des  Ganzen,  so  ist  es 
der  Glaube,  welcher  Gott  im  Menschen,  den  Geist  im  Fleische 
erfasst,   und  die  unvergängliche  Liebe,  welche  sowohl  uns  mit 

1)  diS.  IX  sind  es  l,wij  und  yv&oig.  welche  Jesus  kundgethan  hat  An 
Stelle  der  Erkenntnis  Gottes  tritt  bei  Ign.  die  Ergreifung  Gottes  in  Christo 
und  die  Einigung  mit  ihm;  Jesus  thut  sie  nicht  nur  kund,  sondern  ist  selbst 
i\  xoivrj  iXnlq  und  stellt  selbst  die  versprochene  k'vtoaiq  dar. 


V.  Christus  und  die  Gemeinde.  73 

dem  Herrn  zum  ewigen  Leben  in  ihm,  als  die  Gemeinde  unter 
einander  eint.  So  im  Zusammenhange  des  Ganzen  ist  Tr.  8  ganz 
leicht  verständlich,  wenn  auch  mit  der  herben  Prägung  des  Ign. 
ausgedrückt:  avaxxloaod-e  iavxovq  kv  Jtlöxei,  6  höxt  oägg  xov 
xvglov  xal  hv  äyajifl,  o  löxcv  alfia  'Irjoov  Xgidxov.  Das  Blut 
Jesu  Chr.  heisst  deshalb  auch  Phld.  1  xaQ^  olmvioq  xal  jtagd- 
fiovog. *)  Wie  aber  die  Einigung  der  grossen  pneumatischen 
Kirche  mit  Gott  und  Christus,  obwohl  an  sich  selbst  schon  eine 
oaQxtx?)  xal  jtvevfiaxixrj,  ihren  sarkischen  Ausdruck  in  der  Einzel- 
gemeinde findet,  so  stellt  sich  die  Idee  der  Einigung  mit  Christus 
zum  ewigen  Leben,  die  in  Fleisch  und  Blut  ihre  sarkische  Ver- 
bürgung hat,  selbst  wieder  sarkisch  dar  im  Genüsse  von  Brot 
und  Wein  der  Eucharistie.  Und  wie  überall  das  pneumatische 
Gut  bei  Ign.  so  eng  mit  seiner  sarkischen  Darstellung  real  ver- 
knüpft ist,  dass  die  Leugnung  der  Wirklichkeit  der  letzteren  die 
Realität  des  Pneumatischen  selbst  illusorisch  macht,  so  ist  es 
ganz  konsequent,  wenn  Ign.  Sm.  7  schreibt,  dass  die,  welche 
leugnen:  evxagioxlav  odgxa  elvac  rov  öwxrjgog  tjficov  'irjG.  Xg. 
xr\v  vjteg  xmv  dfiagxicöv  ypicov  jiafrovöav 2),  i)v  xy  xgyG*6ri?Ti 
6  jiarTjg  jjyeigev,  damit  der  öoogea  rov  d-eov  überhaupt  wider- 
sprechen und  dem  Tode  verfallen.  Hier  die  katholische  Identifi- 
kation von  Brot  und  Fleisch,  Blut  und  Wein  finden  zu  wollen, 
ist  genau  dasselbe  Missverständnis,  welches  dem  Ign.  eine  die 
menschliche  Natur  urgierende  Christologie ,  eine  den  Tod  Jesu 
an  sich  betonende  Heilslehre,  einen  katholischen  Episkopalismus 
zuschob.  So  eng  hier  überall  das  Göttliche,  Pneumatische  mit 
dem  Sarkischen  verbunden  ist,  so  weit  steht  doch  beides  von 
einander  ab.  Dass  die  Mitteilung  der  Gotteseinigung  nicht  nur 
etwas  Mystisches,  sondern  auch  etwas  Naturhaftes  an  sich  hat, 
ist  freilich  nicht  zu  leugnen  {xgoq>r\}  <pagy.axov\  und  es  ist  leicht 
zu  begreifen,  dass  auf  diesem  Boden  Vorstellungen  erwuchsen, 
die  alles  Pneumatische  selbst  nur  materiell  und  substantiell 
dachten,  oder  solche,  die  in  die  materiellen  Elemente  als  solche 
göttliche  magische  Kräfte  hineinlegten.  Von  beiden  ist  bei  Ign. 
noch  keine  Rede.    Tr.  8  zeigt  deutlich,  dass  ohne  Glauben  und 

1)  Die  Auffassung  von  Steitz,  der  Glaube  sei  das  aw/xa,  in  dem  die 
Liebe  als  Blut  kreise,  ist  doch  unbelegbar  und  zu  gesucht. 

2)  über  die  Bedeutungslosigkeit  des  traditionellen  vnhp  r.  afiagx.  fj/*. 
cf.  Seite  31. 


74  v.  d.  Goltz,  Tgnatius. 

Liebe  dem  Ign.  auch  im  Abendmahle  keine  Gemeinschaft  mit 
Christo  denkbar  ist,  und  der  Name  svxaQioxla  zeigt,  dass  der 
Gott  geopferte  Dank  für  das  in  Brot  und  Wein  sarkisch  repräsen- 
tierte Heilsgut  allein  den  spezifischen  Unterschied  der  Aneignung 
desselben  im  Abendmahle  von  der  im  Christenleben  überhaupt 
angiebt.  Nicht  nur  R.  7,  sondern  auch  Eph.  5  ist  oqxoq  rov 
&eov  auch  ohne  direkte  Beziehung  auf  das  Abendmahl  Sinnbild 
des  Heilsgutes.  Gerade  diese  freie  Verwertung  auch  ausserhalb 
des  Zusammenhanges  mit  der  eucharistischen  Feier,  welche  Joh.  6 
ihre  klassische  Stelle  hat,  zeigt  die  pneumatische,  innerliche, 
durchaus  noch  nicht  katholische  Auffassung  des  Herrenmahles !). 
Dass,  wie  Steitz  meint,  die  Handlung  des  Genusses  von  Fleisch 
und  Blut  eine  Verkündigung  des  Todes  Jesu  sei,  ein  verbum 
visibile,  ist  nicht  richtig;  denn  von  einer  Gedächtnisfeier  ist  gar 
nicht  die  Rede.  Natürlich  ist  auch  an  den  Tod  Jesu  gedacht, 
aber  überhaupt  an  seine  6oq§  und  zumal  an  seine  Auferstehung 
und  an  die  durch  Gottesoffenbarung  und  Todesüberwindung  ver- 
mittelten Heilsgüter.  Dass  die  Liebe,  welche  in  der  svxaQtöxia 
mit  Christus  verbindet,  zugleich  auch  in  der  Gemeinde  sich  er- 
weist, versteht  sich  von  selbst,  ergiebt  sich  überdies  aus  dem 
Zusammenhange  von  Sm.  6.  Die  ganze  Feier  ist  ja  nur  eine 
Vereinigung  des  xvqioq  mit  seiner  hxxXrfiia,  ein  Opfer  der  letz- 
tern, ein  Geben  ewigen  Lebens  von  seiten  Gottes,  eine  reale 
Mitteilung  der  Gotteseinigung  in  den  realen  sarkischen  Repräsen- 
tationsmitteln 2). 

5.  Beurteilung  der  Anschauung  des  Ignatius  von  der  Kirche. 

Die  Gegner  des  Ign.  verletzten  diese  Glaubenswahrheiten  ein- 
mal durch  die  Leugnung  der  Realität  der  Erscheinung  Gottes 
im  Fleisch  und  zweitens  durch  die  Störung  des  Friedens  der 
Kirche,  deren  Einheit  ein  unverletzlicher  Glaubenssatz  ist 
Für  Ign.  ist  beides,  die  trxooiq  d-eov  GaQxixrj  xal  xvevfia- 
rixtf,  welche  Christus  in  seiner  Person  darstellt,  um  sie  auch 

1)  Diese  Ansicht  ist  mit  unwesentlichen  Abweichungen  schon  darge- 
legt bei  Steitz,  Abendmahlsl.  d.  gr.  K.  in  d.  Jahrb.  f.  deutsche  Theol.  IX, 
1864  S.  417—429;  Dorner,  Gesch.  d.  Pers.  Chr.  I.  S.  159;  Höfling,  Die 
Lehre  der  ältesten  Kirche  v.  Opfer.  Erlangen  1851  S.  30—40. 

2)  ov  yccQ  ßQü)fidt(ov  xal  Ttoxdtv  rfoi  ötdxovoi,  dX?'  ixxXtjoiaq  9eov 
vnr\Q£xai. 


Y.  Christus  und  die  Gemeinde.  75 

seinen  Gliedern  zu  übermitteln,  und  die  tvcoöiq  ö.  xäl  xv.,  welche 
die  Kirche  in  allen  einzelnen  Teilen  bewahren  soll,  miteinander 
verknüpft.  So  eng  schliesst  seine  Anschauung  von  der  Kirche  und 
ihren  Amtern  sich  an  seine  Gesamtauffassung  vom  Christentum 
an,  oder  besser  gesagt:  seine  Mahnungen  zum  Gehorsam  gegen 
den  Bischof  um  der  Einheit  willen  sind  nichts  als  eine  Anwen- 
dung seiner  christlichen  Grundanschauungen  auf  die  kirchlichen 
Verhältnisse  in  einer  bestimmten  geschichtlichen  Situation.  In 
unsern  Briefen  zwar  erscheinen  die  zu  Grunde  liegenden  prinzi- 
piellen Anschauungen  nur  in  der  Form  gelegentlicher  Äusserung 
und  als  unterstützende  Begründung  von  Forderungen,  welche 
durch  eine  akute  Gefahr  veranlasst  waren.  In  Wirklichkeit  sind 
sie  die  eigentlich  treibenden  Grundmotive,  deren  Explikation  und 
Einzelanwendung  durch  den  Streit  des  Tages  veranlasst  sind. 
Hiervon  hat  eine  gerechte  Beurteilung  der  ignatianischen  Briefe 
auszugehen.  Diejenigen,  welche  in  ihnen  eine  hierarchisch-katho- 
lische Tendenz  erkennen  wollen,  verkennen  das  ganz;  andere  be- 
rücksichtigen zu  sehr  nur  die  geschichtliche  Situation  und  ver- 
mögen aus  ihr  die  Sprache  des  Ign.  doch  nicht  völlig  zu  erklären. 
Vergleichen  wir  die  Stellung  des  Ign.  mit  der  des  Paulus, 
so  sehen  wir  die  geschichtlichen  Verhältnisse  in  vielem  geändert, 
die  religiöse  Auffassung  von  den  kirchlichen  Amtern  dagegen 
sehr  viel  weniger.  An  Stelle  einer  vorwiegend  freien  und  charis- 
matischen Organisation  ist  eine  bestimmt  geordnete  Organisation 
getreten.  Das  ist  an  und  für  sich  nichts,  was  dem  Wesen  der 
Kirche  und  des  Christentums  widerspricht,  wie  neuerdings  Kahl 
gegen  Sohm  treffend  ausgeführt  hat1).  Es  ist  lediglich  eine 
naturgemässe  Fortentwickelting  der  Ordnungen  des  immer  wach- 
senden Gemeinschaftslebens  in  der  Christenheit,  welche  auch  in 
der  apostolischen  Zeit  neben  der  charismatischen  Freiheit  schon 
ihre  Anfänge  hat.  Wenn  Ign.  diese  fortgeschrittene  Ordnung, 
welche  schon  vor  ihm  zu  einer  monarchischen  geworden  war, 
als  von  Gott  gewollte  und  geschützte  voraussetzt,  so  hat  er  dazu 
ein  gutes  christliches  Recht;  denn  dass  er  sie,  so  wie  sie  war, 
für  die  absolut  einzig  mögliche  und  ewig  für  alle  Verhältnisse 


1)  W.  Kahl,  Lehrsystem  des  Kirchenrechts  u.  d.  Kirchenpolitik. 
1.  Hälfte  Kap.  5  S.  73  ff.  (Freiburg  u.  Leipzig  1894)  U.A.  Harnack,  Dog- 
mengesch.  I,  3.  Aufl.  1S94  S.  304  u.  305  Anm.  1. 


76  v-  d.  Goltz,  Ignatiua. 

unabänderliche  gehalten  hätte,  davon  steht  nichts  zu  lesen;  ver- 
mutlich hat  er  darüber  gar  nicht  reflektiert.  Dass  er  mit  grosser 
religiöser  Energie  in  Gottes  Namen  für  dieselbe  spricht  und 
überall  seine  Mahnungen  zu  Einheit  und  Gehorsam  durch  eine 
Erinnerung  an  Gott  und  Christus  verstärkt,  kann  ihm  an  sich 
nur  zur  Ehre  angerechnet  werden,  zumal  er,  wie  wir  sahen,  seine 
Motive  vielmehr  aus  der  innerlichen  Gebundenheit  an  Gott  und 
Christus  als  aus  eudämonistischen  Reflexionen  herleitet.  Noch 
mehr  sein  innerlicher  Idealismus,  in  welchem  er  in  allen  Dingen 
der  Zeit  die  Ewigkeit,  in  allen  Handlungen  der  Gemeinde  Äusse- 
rungen der  unsichtbaren  Kirche  sieht,  und  die  Energie,  mit  welcher 
er  die  ethischen  und  kirchlichen  Gedanken  von  Liebe  und  Ein- 
heit an  die  persönliche  Einheit  mit  Gott  durch  Christus,  das 
Verhältnis  Christi  zu  seinem  Vater  und  die  Liebe  Gottes  an- 
schliesst,  alles  das  sind  wertvolle  Erbstücke  aus  der  Zeit  der 
Apostel,  über  deren  kräftige  Erhaltung  bei  ihm  man  sich  nur 
freuen  kann.  Diese  Überzeugung,  dass  in  der  christlichen  Kirche 
unmittelbar  in  Gottes  Namen  gehandelt  und  befohlen  wird,  dass 
Christus  selbst  als  Geist-Princip  in  ihr  regiert  und  dass  alles,  was 
in  ihr  geschieht,  im  Grunde  nicht  zeitlichen,  sondern  ewigen 
überweltlichen  Wert  hat,  hat  immer  gerade  so  viel  Recht,  als 
wirklich  Gottes  Wille  und  Christi  Geist  in  der  Kirche  herrschend 
ist,  und  das  ist  nicht  unabhängig  von  den  Menschen.  Letzteres 
hat  zur  Folge,  dass  stets  viel  Menschliches,  Fehlerhaftes  und  Ver- 
gängliches sich  der  Entwicklung  beimischt.  Ausser  Christus 
giebt  es  keine  Person,  die  Gottes  Willen  und  Geist  rein  darstellte, 
und  daher  auch  keine  Institution  oder  Ordnung  oder  Lehrformel, 
welche  auf  rein  göttlichen  Charakter  Anspruch  machen  dürfte. 
Im  apostolischen  Zeitalter  haben  eigentlich  beide  Überzeugungen, 
die  von  der  Realität  des  Ideals